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Bücher und Lesetips

David A. Hacket (Hg): DER BUCHENWALD-REPORT

Bericht über das Konzentrationsager Buchenwald bei Weimar


Verschwundene Geheimakte: US-Buchenwald-Report nach 52 Jahren veröffentlicht
Vorneweg gesagt: Die Herausgabe dieses Buches von Prof. David A. Hackett von der Universität El Paso in Texas ist eine Sensation. Der Report, der in deutscher Sprache verfaßt war, verschwand als Geheimakte und ist bis heute nicht aufgefunden worden. Albert G. Rosenberg, Offizier des US-Nachrichtendienstes, Beauftragter für die Befragung der Häftlinge in Buchenwald, bot seine Durchschrift im Jahre 1987 Hackett mit der Erlaubnis zur Veröffentlichung an. Dieses Dokument befindet sich heute im Holocaust-Memorial-Museum in Washington. Nicht nur bei uns in Deutschland, wo die antikommunistischen Ressentiments vielfach eine objektive Sicht der KZ-Geschehnisse verhindert, auch in Westalliierten-Kreisen verhinderte der Kalte Krieg die Auswertung oder Veröffentlichung durch die staatlichen Institutionen. Hacket beschreibt dies in seiner Einführung: "In den Jahren 1946 und 1947 hat der Umstand, daß Kommunisten in der Lagerverwaltung eine führende Rolle gespielt hatten, die Aufmerksamkeit der amerikanischen Dienststellen erregt.... Zweifellos hat der kommunistische Einfluß in Buchenwald diese amerikanischen Stellen veranlaßt, an der Richtungkeit des Inhalts dieses Berichts zu zweifeln."

Einzelne Teile des Reports sind verschiedentlich bekannt gworden, vor allem durch Kopien der Häftlinge, die daran mitgarbeitet hatten. Z.B. in dem umfangreichen Werk des Internationalen Buchenwald-Komitees "Buchenwald - Mahnung und Verpflichtung", Röderberg-Verlag 1960.

Eugen Kogon selbst, der im April 1945 von Rosenberg als Leiter des Teams, das die Aussagen der Häftlinge zu diesem Report zusammenzustellen hatte, verarbeitete den größten Teil davon zu seinem berühmten Buch "Der SS-Staat", das er seit 1946 in mehreren Versionen herausgab. Seine Mitarbeiter in Buchenwald (und ab Mai in der Weimarer Villa des Reichsjugendführers Baldur von Schirach) waren von den einzelnen Nationalkomitees delegiert. Darunter waren englische und französische Offiziere; unter den deutschen und österreichischen Vertretern waren lt. Kogon "acht von ihnen Kommunisten, zwei waren Sozialdemokraten, einer war Sozialist ohne Parteizugehörigkeit und einer war Franziskanermönch". Kogon zog auch lt. Hackett den Häftling Dr. Werner Hilpert, ehemaliger Führer der Zentrumspartei und den linksradikalen Schriftsteller Franz Hackel aus Prag als persönlichen Berater hinzu. Der Entwurf des Berichts war einem Häftlingsausschuß vorgelesen und von ihnen als "zutreffend und objektiv" gebilligt worden. Außerdem wurde er weiteren Vertretern westlicher Länder, Engländern, Franzosen und Holländern vorgelesen. Auch hier verbürgte sich der Ausschuß für die Richtigkeit des Inhalts.

Der Buchenwald-Report umfaßt zwei Teile: Im ersten Teil der "Bericht über das KZ Buchenwald bei Weimar" mit 14 Kapiteln zu Struktur und den Verhältnissen im Lager; im zweiten Teil die estmals vollständig veröffentlichten 168 Einzelberichte, namentlich gezeichnet. Hackett bringt für die deutsche Ausgabe eine ausführliche Einführung (das Vorwort von Prof. F.A. Praeger für die englische Ausgabe läßt er weg.) Er geht darin auf die Entstehung des Reports wie auf alle weiteren Veröffentlichungen von US-Augenzeugen und von Seiten ehemaliger Häftlinge ein. Den ominösen sogenannten Robinson-Bericht, auf den sich Prof. Niethammers diffamierendes Werk "Der gesäuberte Antifaschismus" beruft, findet er jedoch nicht erwähnenswert. Die breitgefächerte Mitarbeit und gegenseitige šberprüfung bei der Abfassung des US-Geheimberichts ist von eminenter Bedeutung. Verbürgt dies doch, daß nicht Einseitigkeit, Inkompetenz oder aufgestauter Haß zur Grundlage ihrer Arbeit wurden. Dadurch können alle historischen Abhandlungen der nachgeborenen Historiker auf einer soliden, authentischen Wissensbasis aufbauen oder müssen bereit sein, daran gemessen zu werden.

Der emininente physische und psychische Druck von Seiten der SS, unter dem die Funktionsträger im Lager agieren mußten, wird in einem eigenen Abschnitt auf S. 64/65 behandelt. Was dazu erläutert wird, sollten sich all die Historiker und Journalisten zur Gewissensprüfung vornehmen, die heute noch oder wieder glauben, die "roten Kapos" verunglimpfen zu müssen. Resümierend heißt es dort: "Letzen Endes ist daher auch für die Mißstände, wie sie hier (unter anderem H.G.) hervorgehoben werden, das nationalsozialistische System verantwortlich zumachen."

Unanfechtbar sind im Buchenwald-Report die mannigfachen lebensgefährlichen illegalen Aktionen der Häftlingslagerleitung zur Rettung von Kameraden belegt. Kogon selbst gehört dazu; er wurde auf abenteuerliche Weise vor dem sicheren Tod gerettet. "Nach 1943 stand sein Name dreimal auf der Todesliste, aber jedesmal halfen ihm befreundete Mitgefangenen, der Hinrichtung zu entgehen." (S. 39). In der letzten bangen Woche vor der Befreiung, "um die Gefahr zu bannen, daß im letzten Moment noch evakuiert wurde, beschloß man, einen Abgesandten aus dem Lager zu schmuggeln..." (S. 133) "Es war Kogon selbst, der aus dem Lager geschmuggelt wurde, obwohl er (es) in seiner Bescheidenheit nicht erwähnt" (S. 435). Bereits am 5. April wurde er mit 45 anderen führenden Persönlichkeiten, die vom Lagerkommandanten Pister zum Abtransport aufgerufen worden waren, in geheimen Verstecken untergebracht, trotz intensivster Suche durch die SS nicht entdeckt und damit in die Freiheit hinübergerettet.

Aus der Reihe der Rettungsaktionen seien nur einige hier herausgegriffen:
  • die letzten vier von der SS noch nicht liquidierten englischen Offiziere "ließ man bis zur Befreiung des Lagers mit Hilfe ganz weniger Eingeweihter in einem unterirdischen Versteck verschwinden". (S. 110).
  • Im Frühjahr 1940 erreichte der deutsche Antifaschist Walter Krämer (im November 1940 ermordet) als Kapo das Häftlingsreviers durch dauernde Bearbeitung des Standortarztes die Auflösung dieser Mordhöhle (das Judenzeltlager auf dem Appellplatz, H.G.)"... 500 kaum noch lebende Skelette, brachte diese Rettungsaktion ins große Lager." (S. 197).
Der Druck von Seiten der SS, unter dem die Funktionshäftlinge agieren mußten, wird in einem ganze Absatz auf S. 64/65 behandelt. Was dazu erläutert wird, sollten sich die Historiker und Journalisten, die heute glauben, auf die "roten Kapos" Schmutz werfen zu müssen, vor Augen halten. Resümierend heißt es dort: "Letzten Endes ist daher auch für die Mißstände, wie sie hier hervorgehoben werden, das nationalsozialistische System verantwortlich zu machen."

Emil Carlebach, heute Vizepräsident der Internationalen Lagergemeinschaft Buchenwald, schrieb dazu in seinem Bericht über die Solidarität: "Der Kampf gegen die SS für unsere Erhaltung konnte nicht orthodox oder liberal, zionistisch oder sozialistisch geführt werden, es ergab sich von selbst nur eine Möglichkeit: Zusammenschluß aller Widerstandswilligen auf dem Boden des Antifaschismus". (S. 203).

Das Problem "Selbstbefreiung der Häftlinge" am 11. April 1945 wird in diesem Report mehrmals eindeutig geklärt. Und zwar durch Zeugnisse amerikanischer Militärs, nicht nur in den Einzelberichten der Häftlinge, deren Aussagen mit Vorliebe als "Legende" behandelt werden. Bei der 50-Jahrfeier zur Befreiung Buchenwalds nahm Emil Carlebach ein Interview mit dem US-Sergeant Milton Harrison auf, der zu einer Gruppe gehörte, die als erste das Lager betraten. Er sagte wörtlich: "Nicht wir haben das Lager befreit, das habt ihr selbst getan."

"Die beiden ersten Amerikaner, die am 11. April in das Lager Buchenwald kamen, waren wahrscheinlich Egon W. Fleck, ein Zivilist, und First Lieutenant Edward A. Tenenbaum, ein Nachrichtenoffizier... In ihrem Bericht heißt es, daß das Lager schon befreit worden war, hätten sie daran erkannt, als sie mit ihrem Jeep ins Lager fuhren, einer Gruppe bewaffneter Gefangener, die noch ihre gestreiften Kleider trugen und auf sie zumarschierten, begegnet seien." (S. 24)

"Nachdem die amerikanischen Kampfverbände am Lager vorbei in südöstlicher Richtung vorgestoßen waren, blieb es am Donnerstag, dem 12. April in Buchenwald einigermaßen ruhig. ... Während dieser kurzen Ruhepause brachte ein zweiter Jeep eine Gruppe von Offizieren des amerikanischen Nachrichtendienstes ins Lager. ... Für die Gefangenen sollte am gleichen Tag, Freitag, der 13., zu einem Glückstag waren. ... Es war am gleichen Tage, als amerikanische Truppen die Verwaltung des Lagers übernahmen." (sic! H.G.) (S.25).

Der Buchenwald-Report ist ein unschätzbarer und dauerhafter Gewinn für die Wahrheit über das Konzentrationslager Buchenwald. Er bestätigt durch seine umfassende Authenzität aller Lagerrealität, die bei aller Widersprüchlichtkeit ganz fundamentale ethische Werte als Grundlage des Überlebens hervorbrachte, wie berechtigt, die Kritik der Internationalen Lagergemeinschaft an der Neugestaltung der Gedenkstätte seit der Wende ist. Sie fordern, daß die belegten Fakten der nationalen und internationalen Solidarität und die effektive Selbstbefreiung deutlich dargestellt und gewürdigt wird.

Hans Gasparitsch, (ehem. Buchenwald-Häftling)

C.A. BeckVerlag München / 1996, DM 58,00

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