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Nummer 2 / Mai 2005



Mundartdichter, Hitlerverehrer, Kriegspropagandist:

August Lämmle - Brandstifter als Biedermann

von Cony Renkl

Am 7. März hielt unser Kamerad Conny Renkl vor etwa 50 interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern einen Vortrag in der vhs Leonberg zum Thema "Die zwei Gesichter des August Lämmle". Entlang der Biographie von Lämmle, die er in den politisch-historischen Zusammenhang stellte, belegte er mit eindrücklichen Zitaten aus den Publikationen die braune Gesinnung des Leonberger Ehrenbürgers und Namensgebers für Weg, Straße und Schule.

In seiner Beurteilung kam der Referent zu anderen Ergebnissen als die beschönigenden biographischen Notizen etwa von Paul Sauer und Gustv Schöck, die Lämmles Hitler-Huldigungen eher als "Ausrutscher" gewertet haben, um sein Ansehen als biederen Mundartdichter zu retten: "August Lämmle war Zutreiber der bäuerlichen Schichten für die Nazis, der in der Hitlerdiktatur alles in allem die Verwirklichung seines Denkens und Wollens fand. Er betätigte sich - wie ich im Detail mit Zitaten belegen konnte - für das Regime als Propagandist des Rassenwahns, des Chauvinismus und des Kriegs bis zum "Endsieg". Natürlich war Lämmle auch Anfeindungen aus Nazikreisen ausgesetzt, für die er immer noch zu bieder, zu gebildet und nicht genug geschmeidig und nicht genug schneidig war. (Das gilt übrigens für viele Auseinandersetzungen innerhalb der NSDAP. So war für Göring und Hitler etwa SA-Röhm nicht geschmeidig genug, auch zwischen Murr und Mergenthaler gab es heftige Fehden, ohne dass man bisher auf den Gedanken gekommen wäre, Schulen nach Christian Mergenthaler oder Ernst Röhm zu benennen).
Die Nazi-Oberen jedenfalls wussten, was sie an Lämmle hatten. Von 1933 bis zum bitteren Ende gehörte August Lämmle der Reichschrifttumskammer und Reichskulturkammer an, die direkt Joseph Goebbels unterstanden. Die RSK sollte der "Freihaltung des Schrifttums von ungeeigneten und unzuverlässigen Elementen" dienen. Damit war sie für die Säuberung von allen "artfremden" und "volkschädlichen" Schriftstellern verantwortlich und wirkte entscheidend bei der Gleichschaltung der deutschen Literatur mit. Mitgliedschaft in diesen "Kammern" war Voraussetzung, um im Sinne der Machthaber publizieren zu können. Die aktive Rolle von AL hierbei würde eine eigene Untersuchung erfordern. Aktiv jedenfalls war er bereits schon 1934 als Mitglied im Landesvorstand des "Kampfbundes für Deutsche Kultur" (gegründet 1928 auf Initiative von Alfred Rosenberg, des Verfassers der Nazibibel "Mythos des 20. Jahrhunderts") und sitzt in der "Verbandsgauführung" des "Reichsverbandes Deutscher Schriftsteller".

Ruhe an der Heimatfront
Lämmle erhielt 1936 den schwäbischen Dichterpreis durch den NS-Ministerpräsidenten und württembergischen "Kultminister" Mergenthaler überreicht. Der dankte Lämmle damit, dass dieser sein Renommée und seine Sprache in den Dienst der Nazis gestellt hatte. Und das signalisierte, dass August Lämmle ihnen nicht in erster Linie als Propagandist wichtig war, sondern als Schriftsteller, der dem Volk und später den Soldaten mit seinen Gedichten, Sprüchen, Anekdoten, Geschichten vermitteln sollte: In der Heimat - alles beim Alten, alles zum Besten. 1939 wird der "Schwäbische Heimatschutzbund" unter die Schirmherrschaft von Wilhelm Murr gestellt, gleichzeitig wird der offenbar nicht mehr genehme Vorsitzende Graf Degenfeld abgelöst. An seine Stelle wird ein Mann gesetzt, der ganz offensichtlich das intime Vertrauen des Herrn Reichsstatthalters (keineswegs eine Anfeindung) genießt. Neuer Vorsitzender wird: August Lämmle. Ruhe an der Heimatfront - in diesen Dienst stellt sich der Mundartdichter rückhaltlos.
Aber wem würde die Kehle nicht trocken werden beim Gedicht "Steig nuf dr Berg, guck naus ins Land", wenn man gleichzeitig mitdenkt, dass solches zur psychischen Stabilität derer beitrug, die die Heimat so vieler anderer in Schutt und Asche gelegt haben. Und wenn man mitdenkt, dass August Lämmle in Leonberg nur einen kleinen Spaziergang zu machen brauchte, nur auf den Blosenberg zu steigen brauchte, um Sicht auf das Leonberger KZ zu haben.

Hochgeehrt ...
In seinem Entnazifizierungsprozess 1947 entschuldigte sich Lämmle damit, dass er nicht habe wissen können, dass hinter dem Mann, der am 28. Februar 1938 im Reichstag den Herrgott um seinen Segen gebeten habe, ein solch "wahnsinniger Narr" stecken könne. Offenbar hatte die Spruchkammer als wesentliche Quelle nur eine Lobrede auf Hitler aus dem Jahr 1940 vorliegen, die ihm aber als einmaliger Ausrutscher gewertet wurde. Er wurde daraufhin nur als "Mitläufer" eingestuft, aber wegen seines "Eintretens für den Nationalsozialismus" mit einer hohen Geldbuße belegt. In völliger Unkenntnis seiner Arbeiten in den Zeitungen und Zeitschriften wurde ihm zugute gehalten, er habe sonst keine Propaganda für den NS-Staat gemacht.
Bald war Lämmle wieder unter den Ehrenwerten im Land. 1951 wurde ihm der Professorentitel verliehen, 1952 die Ehrenbürgerwürde von Leonberg. Das war im Übrigen auch das Jahr, in dem auf dem Leonberger Marktplatz die letzte Kundgebung zur Erinnerung an das Leonberger KZ und zum Gedenken an seine Opfer stattfand. Die Stadtoberen hielten es da schon nicht mehr für nötig, daran teilzunehmen wie in den Jahren zuvor. Er starb am 8. Februar 1962. 1964 wurde die neue Schule im Ramtel nach August Lämmle benannt.

... aber nichts gelernt?
Was er aus seiner Gefolgschaft für einen "wahnsinnigen Narren" gelernt hat, mag man aus seinen Ausführungen, "Knotenpunkte der schwäbischen Geschichte, Eine Vortragsfolge" gehalten in den 50er Jahren, ermessen. Dort bezeichnet er den 2. Weltkrieg immer noch als "Rassenkrieg", wo er den "Idealismus" des Nazikriegs gegen den "Materialismus" der Nachkriegszeit hält:
"Als unsere Soldaten, also Männer zwischen 18 und 50 Jahren, und im Miterleben die ganze Jugend, und im Miterleben unsere Frauen und Mütter in Polen, in Norwegen, in Frankreich, in Russland, in Italien, in Serbien, in der Türkei, in Nordafrika marschierten, kampierten, quartierten, furaschierten, mit allen Nationen und Rassen der Welt kämpften und Blut und Seele verströmten, da mussten sie anders, als sie es gewohnt waren, existieren. Da war nichts als die Unsicherheit aller irdischen Güter, sie entdeckten das alles andere übersteigende Glück, zu leben - zu leben - nichts sonst. In welcher Art und Form, mit wie wenig oder wie viel, darnach wurde nicht mehr gefragt!
Und bei denen, die daheim durch die Jahre nächtelang in Bunkern saßen, verängstigt, verhungert, verzweifelt, war es nicht anders. … Da zerrann der Glaube an die Unbedingtheit festgelegter Sitte und Ordnung, nicht an deren Wert, aber an die Form. Dieses Weltgefühl war mit einem Heimatverlust erkauft. Da entstand die geschmähte Charakterlosigkeit der ‚Anpassung', es entstand die Willigkeit dazu - so entstand auch der Geist des Wirtschaftswunders." (Aus "Knotenpunkte der schwäbischen Geschichte, Eine Vortragsfolge, Leonberg 1964 - posthum herausgegeben von Lämmles Frau Albertine)

Wer soll geehrt werden?
Es steht uns nicht an, ein abschließendes Urteil über den Mann August Lämmle zu fällen. Festzuhalten bleibt, dass er sich öffentlich nie zu seiner persönlichen Mitverantwortung für die Verbrechen des Naziregimes bekannt hat, seine Verstrickung und seine Fehler offengelegt hat, und damit für sich und andere ermöglicht hätte, Lehren zu ziehen.
Es steht mir auch nicht zu, über die Qualität seiner Gedichte und sonstigen schriftstellerischen Tätigkeit zu urteilen, das mögen Schwaben und ihre "Geschmäcker" tun. Festzuhalten bleibt aber meines Erachtens, dass die Nazis und mit ihnen Lämmle einen naiven Umgang mit den Begriffen Heimat, Volk, Nation, Vaterland ein für allemal unmöglich gemacht haben. Dass diese Begriffe wieder in den Dienst von Volksverhetzung, Rassen- und deutschen Größenwahn gestellt werden können und derzeit wieder gestellt werden, demonstrieren uns nicht nur die Vertreter von NPD und DVU von der Tribüne der Landtage in Sachsen und Brandenburg (s. die "Patriotismusdebatte"). Wir haben uns dafür einzusetzen, dass diese Worte statt zur Abgrenzung, Abschottung, Verengung zur Überwindung von Schranken und zur Verständigung genutzt werden.
Was uns aber zusteht und wozu wir verpflichtet sind, ist uns Gedanken zu machen und uns zu entscheiden, was und wen wir in unseren Städten und Gemeinden ehren und damit zu Vorbildern machen wollen. Und dazu taugt August Lämmle, wie man meinen Ausführungen entnehmen konnte, nun wirklich nicht! Darüber sollten sich auch unsere Vertreter im Gemeinderat verständigen, damit uns nicht 60 Jahre danach und unter Würdigung der hier vorgetragenen Fakten die Schamesröte ins Gesicht steigen muss, wenn ehemalige Häftlinge des KZ Leonberg im Mai wieder unsere Stadt besuchen. (Dabei sind diese Fakten nur ein Ausschnitt aus dem bereits ausgewerteten Material. Die Publikationen von AL z.B. im "NS-Kurier" sind noch gar nicht berücksichtigt)

Gegen falsche Glorie
Angesichts wachsender Tendenzen zu Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus auch in der bürgerlichen Mitte. Angesichts der Rückkehr der offenen Nazi in die Parlamente, angesichts all dessen ist es in unserem ureigensten Interesse, uns mit dem Fall Lämmle zu befassen, um uns zu wappnen gegen Mitläuferei und Opportunismus, um die Verstrickungen kennen zu lernen, die so schnell von bürgerlicher "Ehrbarkeit" zur Verherrlichung von Tyrannei und staatlichem Terror, zur Beschönigung von Krieg und Völkermord führen."
Der Vortrag hatte ein positives Pressecho in der "Leonberger Kreiszeitung" und in der "Stuttgarter Zeitung". Die Initiative der Kreisvereinigung Leonberg-Sindelfingen-Böblingen zur Aberkennung der Ehrenbürgerschaft und zur Umbenennung von Schule, Straße und Weg findet angesichts der neuen unwiderlegbaren Tatsachen eine zunehmende Unterstützung auch im Gemeinderat der Stadt Leonberg.
Die Kreisvereinigung der VVN-BdA in Leonberg dankt für die eingegangenen Hinweise und die Unterstützung. Da Lämmle in vielen Kommunen Württembergs geehrt wird, ist die beste Unterstützung natürlich selbst eine Initiative zu starten "Gegen falsche Glorie". Die Leonberger stehen hierfür auch als Referenten zur Verfügung.

(Der Vortrag liegt als Manuskript vor und kann bei unserem Büro angefordert werden.)

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