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Nummer 3 / Juli 1999


Evangelischer Kirchentag ist Stuttgart:

Erinnerung an das Schicksal der Sklavenarbeiter

von Elke Günter
Dieter Lachenmaier


Zu Beginn des Kirchentages fand am 15. Juni auf dem Parkplatz des Stuttgarter Großmarktes eine Gedenkfeier zu Ehren der zahllosen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter statt. Hier hatte ein Zwangsarbeiterlager gestanden.

Neben Bundestagspräsident Thierse, dem Historiker Prof. Dörner, dem Stuttgarter Oberbürgermeister Schuster war auch der VVN-BdA Ehrenvorsitzende und Sprecher der Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime, Alfred Hausser eingeladen worden, zu sprechen.

Er erinnerte vor rund 250 ZuhörerInnen an das schreckliche Schicksal der Sklavenarbeiter. "Ende 1944 betrug der Höchststand der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeit allein bei Daimler Benz waren es 4.785 Personen. Gegen Ende des 2. Weltkrieges waren in Stuttgart rund 35 000 Frauen und Männer zur Zwangsarbeit eingesetzt. ...Sie wurden nicht nur ausgebeutet, sondern diskriminiert, gedemütigt, mißhandelt und ihrer Würde beraubt. Einer von ihnen bin ich. Als politischer Häftling in der Strafanstalt Ludwigsburg wurde ich mit vielen Kameraden im Frühjahr 1938 von der Justiz an die Firma Bosch vermietet und als gelernter Mechaniker als Ankerwickler beschäftigt. ... Diese Arbeit haben wir volle 7 Jahre bis zur Befreiung Ende April 1945 in Tag- und Nachtschicht zu je 12 Stunden bei miserabler Verpflegung leisten müssen. Eine Lohnnachzahlung ist bis zum heutigen Tag nicht erfolgt. Die neue Regierung hat in ihrem Koalitonsvertrag die Regelung der Entschädigung versprochen. Durch zahlreiche Klagen bei Gerichten in den USA und bei deutschen Gerichten ist Druck auf die Schuldner und die Regierung enstanden. Es ist überhaupt nicht verständlich, weshalb in den laufenden Verhandlungen die Forderung nach Rechtssicherheit für die Wirtschaft mit der Entschädigung der Zwangsarbeiter gekoppelt wird. Es gibt historisch keine gemeinsame Interessenslage. Ich finde es deshalb unerträglich, wenn an den Zwangsarbeitern weiterhin das Prinzip "Macht ohne Moral" praktiziert wird. Um es deutlich zu sagen, befinden wir uns im Wettlauf mit dem Tod. In wenigen Jahren ist das Problem biologisch gelöst. Das darf nicht sein." Die Nutznießer der Zwangsarbeit forderte Alfred Hausser auf, "ihre Schuld abzutragen, damit wir diesen gezeichneten Menschen ihre Würde zurückgeben können. Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Moral." Am Ende seiner mit viel Beifall bedachten Rede richtete er an die Kirchentagsbesucher die Bitte, die Forderung nach Entschädigung der Zwangsarbeiter zu unterstützen.

Auch Bundestagspräsident Thierse forderte eine rasche Entschädigung, denn es sei "bereits beschämend spät". Der geplante Fonds der deutschen Wirtschaft müsse endlich kommen, denn "folgenloses Erinnern ist zu billig".

Auf dem Gelände wurde eine Tafel angebracht, die künftig an armenische ZwangsarbeiterInnen erinnert.

Großes Interesse am Stand der VVN-BdA

Entschädigung für ZwangsarbeiterInnen war auch ein zentrales Thema am Stand der VVN-BdA im Markt der Möglichkeiten des Kirchentages. Weitere Schwerpunkte - wie könnte es anders sein - der Krieg gegen Jugoslawien und der Kampf gegen Neofaschismus. Die Austellungstafeln und das ausgelegte Infomaterial stießen auf reges Interesse vieler Kirchentagsbesucher. Ein besonderer Renner war die "Kriegsausgabe" der Antifa-Nachrichten und ein aktuelles Flugblatt zur Einstellung der Bombenangriffe. Die Sympathie für die Informationen und Argumentationen der VVN-BdA war jedoch auf dem Kirchentag nicht ungeteilt. Unsere Ausstellung zum Neofaschismus wurde von Unbekannten bereits in der ersten Nacht abgerissen und beschädigt. Auch daß einst vom evangelischen Kirchentag in Hamburg wichtige Impulse für die Friedensbewegung ausgingen, war in Stuttgart kaum zu spüren. Beifall und Pfiffe für Kriegsminister Scharping hielten sich bei seinem Auftritt auf dem Killesberg die Waage. Die StandbetreuerInnen der VVN-BdA wurden mehrfach "zu Milosevic" geschickt, weil sie gegen den Krieg argumentierten. Unsere Beteiligung am Kirchentag war gerade auch deshalb eine lohnende Unterstützung der vielen christlichen Friedensgruppen.


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