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Nummer 3 / Juli 1999


Neue Auschwitzlüge und alter Revanchismus

Der Balkankrieg und die Entsorgung der deutschen Geschichte

von Reinhard Hildebrandt

Um den Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien zu rechtfertigen wird von Außenminister Joseph Fischer, 'Verteidigungs'minister Rudolf Scharping und Bundeskanzler Gerhard Schröder massiv die Geschichte gefälscht.

Sie besitzen die Frechheit, sich in die Tradition der Internationalen Brigaden zu stellen, die 1936 – 1939 für Spaniens Freiheit ihr Leben eingesetzt hatten. Sie verhöhnen die Ermordeten von Auschwitz indem sie das "Nie wieder Auschwitz" zur Rechtfertigung der Zerstörung von Jugoslawien mißbrauchen.

Die Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano, Kurt Goldstein und der VVN-BdA Bundessprecher Peter Gingold, der auch Mitglied des Auschwitz-Komitees ist, haben mit weiteren jüdischen Überlebenden des Holocaust scharf gegen diese verlogene Kriegspropaganda protestiert. Um in den Medien beachtet zu werden, kauften sie für viel Geld in der "Frankfurter Rundschau" am 23. April einen ganzseitigen Anzeigenplatz. In ihrem offenen Brief an Fischer und Scharping schreiben sie:

Mißbrauch der Opfer des Faschismus

"Der Verteidigungsminister hatte bereits vor der völkerrechtswidrigen Aggression der NATO gegen Jugoslawien, an der die Bundeswehr in verfassungswidriger Weise teilnimmt, bei einem Bundeswehrbesuch in Auschwitz gesagt: Um ein neues Auschwitz zu verhindern, 'ist die Bundeswehr in Bosnien', und daß sie darum 'wohl auch in den Kosovo gehen' wird. In Erklärungsnot geraten, berief sich auch der Außenminister auf die neue Art der Auschwitzlüge, um den verhängnisvollen Verstoß gegen die gerade auf Grund der Lehren von faschistischem Krieg und Holocaust geschaffene UN-Charta zu begründen.

Wir Überlebenden von Auschwitz und anderen Massenvernichtungslagern verurteilen den Mißbrauch, den Sie und andere Politiker mit den Toten von Auschwitz, mit dem von Hitlerfaschisten im Namen der deutschen Herrenmenschen vorbereiteten und begangenen Völkermord an Juden, Sinti und Roma und Slawen betreiben. Was Sie tun, ist eine aus Argumentationsnot für Ihre verhängnisvolle Politik geborene Verharmlosung des in der bisherigen Menschheitsgeschichte einmaligen Verbrechens. Diese Ihre Vorgehensweise soll offenbar einen schwerwiegenden und nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen rechtfertigen. ... Weltfrieden und internationale Sicherheit werden jetzt gefährdet, indem gegen ein Gründungsmitglied der UNO Krieg geführt wird, Krieg von deutschem Boden aus, Krieg gegen ein Land, das größte Opfer im Kampf gegen Hitler erbrachte und Unschätzbares zur Befreiung Europas vom Faschismus leistete. Sich als Begründung für einen solchen Krieg auf Auschwitz zu berufen, ist infam. ..."

NS-Rehabilitierung mit deutschen Bomben?

Die Stimmen der Überlebenden der faschistischen Konzentrationslager haben es schwer, gehört zu werden. Nicht beachtet in den marktbeherrschenden Medien wurde der Leitartikel in der "Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung" vom 15. April 1999:

"Auschwitz im Kosovo ?

Über die Vernichtung der europäischen Juden durch die Deutschen müssen seit 1945 an die eine Million Zeitungsartikel erschienen, zehntausende Bücher geschrieben und rund hundert Dokumentar- und Spielfilme gedreht worden sein. Offenbar hat niemand sie zur Kenntnis genommen. Das wäre jedenfalls eine Erklärung dafür, daß die Bombardierung Serbiens durch die NATO von den Betreibern immer wieder damit gerechtfertigt wird, daß es darum gehe, eine Wiederholung dessen, was während der Schoa schon einmal geschehen sei, diesmal zu verhindern. Von Völkermord, KZs, gar Vernichtungslagern ist die Rede; Szenen wie in "Schindlers Liste" wollen Journalisten gesehen haben; "Nie wieder Auschwitz" wird beschworen. Man hat, wird verkündet, aus der Geschichte gelernt.

Mag sein. Nur müssen es dann wohl die falschen Geschichtsbücher gewesen sein. Denn die Vergleiche mit der Shoa hinken nicht nur, sie sind schlicht falsch. Was derzeit im Kosovo geschieht, ist eine ethnische Vertreibung. Terror gegen die Zivilbevölkerung wird systematisch als Mittel der Kriegsführung eingesetzt. Das ist sicher schlimm. Nur mit Auschwitz hat es nichts zu tun. Auschwitz war keine Vertreibung. Auschwitz war auch kein gewöhnliches Kriegsverbrechen. Auschwitz war die industriell betriebene physische Vernichtung der europäischen Juden, von den Betreibern durchaus korrekt "Endlösung" genannt. Eine derartige Bevölkerungsvernichtung hatte es – sowohl von der Systematik wie von den Ausmaßen her – nie zuvor gegeben; es hat sich seither auch noch nicht wiederholt. Das macht die Schoa einzigartig. Und das unterscheidet sie auch von dem, was jetzt im Kosovo geschieht. ...

Und dennoch wird in Sachen Kosovo von Politik und Medien tagtäglich die, hier paßt der Walsersche Begriff ausnahmsweise wirklich, "Auschwitzkeule" geschwungen. Mag sein, daß diese Instrumentalisierung der Schoa bewußte Geschichtsfälschung ist, Kriegspropaganda eben. Schlimmer, weil naheliegender, ist aber ein anderer Verdacht: Womöglich glauben Schröder, Fischer, Scharping und die deutschen Kriegskommentatoren ihrer eigenen Rhetorik. Das würde nämlich gut auch ins Konzept der "Berliner Republik" passen. Denn wenn Kosovo gleich Auschwitz ist, dann war die Schoa auch nicht einzigartig, dann ist Deutschland postum rehabiliert als im Grunde ganz normaler Staat mit – wie andere auch – ein paar historischen Schattenseiten. Und die werden derzeit ja entsorgt. Mit Bomben auf Belgrad ist Auschwitz wiedergutgemacht. Und damit wäre das lästige Thema dann endgültig abgehakt."

Soweit die Schlußfolgerung der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung.

Endlich Krieg für's Heimatrecht?

"Kosova war überall" titelte "DIE ZEIT" ein fünfseitiges Dossier über Vertreibungen in Europa (Nr. 18 vom 29. April 1999). Endlich sind wir so weit, daß die Geschichte neu geschrieben wird. Die Richtung gab der Vertriebenenpolitiker Herbert Hupka in einem Leserbrief in der FAZ vom 17.4. an: "Auf dem Kosovo wiederholt sich ... was den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg ... widerfahren ist." Er begrüßte, daß die NATO das Recht auf die Heimat mittels Bombardierungen durchsetzt und forderte: "Wer vertrieben worden ist, hat einen berechtigten Anspruch auf die Wiederherstellung des ihm durch die Vertreibung geraubten Rechtes auf die Heimat". "Die Welt" widmete den Leserbriefen ehemaliger deutscher Heimatvertriebener zwei komplette Seiten, auf denen verglichen werden durfte zwischen der Ankunft deutscher Vertriebener aus den Ostgebieten 1945 und dem Exodus von Kosovo–Albanern. Auf dem 50. Sudetendeutschen Tag in Nürnberg verglichen die Vertriebenen ihr Schicksal mit dem der Kosovaren und leiteten daraus politische Forderungen an die Bundesregierung ab, kräftig unterstützt von CSU-Chef Stoiber, das Thema Vertreibung dürfe nicht als "abgeschlossenes Kapitel der Geschichte" bezeichnet werden und "einen staatlichen Verzicht" auf private Vermögensansprüche könne es nicht geben. Tschechien müsse gerade jetzt, wo das Land als NATO-Mitglied in Kosovo für das "Recht auf Heimat" Krieg führe, auch die Ansprüche der Sudetendeutschen anerkennen. (FR 25.5.99). Die gleichen Forderungen erhob die neofaschistische Monatsschrift " Nation & Europa", dort wurde die Vertreibung der Albaner mit der "Entrechtung der Sudetendeutschen durch die Benes-Dekrete" verglichen und deren Aufhebung in Tschechien und der Slowakei gefordert. Die Rechtsnormen über die Aussiedlung sollen widerrufen und das Selbstbestimmungsrecht den Sudetendeutschen wiedergegeben werden (Heft 5/99).

Verbrechen an den Deutschen oder deutsche Verbrechen?

Bundesinnenminister Otto Schily verkündete am 29. Mai im Berliner Hohenzollern-Dom in seiner Rede beim "Tag der Heimatvertriebenen" die neue Denkweise: eine aberwitzige Gleichsetzung der Vertreibung von Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges mit der Vertreibung der Albaner zu Beginn des Kosovokrieges. Damit hat sich die rot-grüne Regierungskoalition die Sicht bestimmter konservativer und rechtsnationaler Kreise zu eigen gemacht. Wenn die Vertreibung von Albanern Grund für einen Angriffskrieg bietet, dann waren auch die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz 1945 ein Kriegsverbrechen, denn sie bestimmten die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien und dem Sudetenland. Schily nannte sie ein "Vertreibungsverbrechen", ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Die Menschenrechtspolitik wird von den Vertriebenenverbänden als Türöffner benützt, um alte revanchistische Forderungen durchzusetzen. Die Ergebnisse der Potsdamer Konferenz als offene Frage, völkerrechtlich die Bundesrepublik nicht bindend zu behandeln, wird in Polen und Tschechien von der Bevölkerung als versteckte Drohung verstanden. Dort befürchtet man, wenn Polen und Tschechien erst einmal in der EU sind, könnten die Vertriebenen unter Berufung auf das Niederlassungsrecht zurück in die alte Heimat kommen und in Brüssel Entschädigungen für die Enteignungen einklagen. Bereits heute gäbe es Vertriebenen-Aktionen vor dem Gebäude des Europarates in Straßburgs, wo sie als Opfer von Raub und Entrechtung das Selbstbestimmungsrecht einforderten.

Das Potsdamer Abkommen legalisierte die Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa. Der im Abkommen vorgeschriebene "ordnungsgemäße und humane Transfer" blieb aber Fiktion. Deshalb kann ein Heinz Nawratil in einem "Schwarzbuch der Vertreibung 1945 – 1948. Das letzte Kapitel unbewältigter Vergangenheit" (München, 1999) seitenlang Grausamkeiten zusammentragen.

Krieg tilgt kein Verbrechen

Aber alle Aufrechnungen, Vergleiche und Forderungen können nicht vergessen lassen, daß Flucht und Vertreibung aus dem alten deutschen Osten eine Reaktion waren, eine Folge des Vernichtungskrieges der Wehrmacht. Am Anfang standen die Verbrechen Hitlerdeutschlands. Es ist heute wieder notwendig, an die Worte des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in seiner berühmten Rede zum 8. Mai 1985 zu erinnern: "Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Kriege führte. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen."



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