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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

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Nummer 4 / Oktober 1998


Neue Spezialeinheit der Polizei:

"Deutsche Polizisten schützen die Faschisten"

von Reinhard Hildebrandt

Sogar manchem linken Demonstranten geht dieser Spruch auf den Nerv, scheint die Aussage doch allzu platt zu sein. Ein Blick hinter die Kasernenmauern der Böblinger Bereitschaftspolizei zeigt die Realität dieses Satzes.

Wie die Stuttgarter Zeitung am 8. Juli 1998 unter der Überschrift "Statt Steine fliegen nur Tennisbälle" berichtete, verfügt die Einsatzabteilung der Böblinger Bereitschaftspolizei über eine neue Spezialeinheit, die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE). Solche Einheiten sind auch an den anderen vier Standorten der Bereitschafspolizei in Baden-Württemberg aufgebaut worden. Die Angehörigen dieser neuen Spezialeinheit durften zum Abschluss ihrer Ausbildung zeigen, was sie gelernt hatten. Szenario der Übung: Eine Antifa-Gruppe demonstriert gegen eine Nazi-Veranstaltung. "Nazis raus!" rufen die jungen Leute immer wieder, schwenken ihre Fahnen und machen mit ihren Trillerpfeifen einen gehörigen Lärm. Eine Gruppe von Bereitschaftspolizisten, in schwerer Montur und mit Schutzschild und Schlagstock ausgestattet, nähert sich dem Demonstrationszug. Die Polizeischüler der sogenannten "Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit" griffen zu, festgenommen wurden jedoch keine Neofaschisten, sondern es wurde die Antifa-Gruppe auseinandergeschlagen!

Zunehmender Terror von Rechts
Da nimmt in diesem unserem Lande der neofaschistische Terror zu. Da kann der bekannte Neofaschist Manfred Roeder als Direktkandidat für die NPD in Stralsund antreten. Schon 1980 verübten seine "Deutschen Aktionsgruppen" insgesamt sieben Brand- und Sprengstoffanschläge. Bei einem dieser Anschläge wurden zwei vietnamesiche Flüchtlinge ermordet. Roeder wurde 1982 wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung zu 13 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Indem die die NPD Roeder als Kandidaten aufstellt, bekennt sie sich eindeutig zur neofaschistischen Ideologie und zum neofaschistischen Terror. Da kann die "Deutsche Stimme", das Organ der NPD, menschenverachende Rhetorik, ausländerfeindliche und rassistische Sprüche und Parolen verbreiten. Da kann die DVU-Presse antisemitische Kampagen betreiben und den Juden die Mitschuld am faschistischen Völkermord geben. Da förderte DVU-Chef Gerhard Frey die "Wehrsportgruppe Hoffmann". Dort durchlief auch Gundolf Köhler, der 1980 den Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest verübte, seine paramilitärische Ausbildung. Die Bilanz dieses Terrors: 13 Tote und 200 zum Teil schwer verletzte Menschen.

Da gab es im vergangenen Jahr 11 720 Gewalttaten mit neofaschistischem Hintergrund. Weitere 937 in den ersten sechs Monaten des Jahres 1998, wie das Bundeskriminalamt registrierte, dabei handelte es sich um 10 Brandanschläge, 156 Angriffe gegen Personen sowie 771 sonstige Straftaten und 203 Verletzte. Darüberhinaus werden für das 1. Halbjahr 1998 vom BKA 399 antisemistische Straftaten verzeichnet, davon 9 Körperverletzungen, 25 Fälle von Störung der Totenruhe, 25 Sachbeschädigungen und 340 sonstige antisemitische Straftaten. Da schreibt die Stuttgarter Zeitung am 31. August 1998: "Rechtsextremisten werden brutaler. Zahl der Mitglieder nimmt wieder zu — Verfassungsschutz warnt vor Bedrohung der Demokratie".

Repressionen gegen links
Doch die Landesregierung reagiert mit Gleichgültigkeit. Und das Bundesinnenministeriums weigert sich standhaft, das ganze Ausmaß der neofaschistischen Gewalt zu erfassen und öffentlich zu machen — ganz zu schweigen von einer wirksamen Bekämpfung oder Prävention neofaschistischer Gewalt.

Und die Polizei? Übt den Bürgerkrieg gegen diejenigen, welche sich gegen die Nazis wehren!

Und die Presse? Veröffentlicht kritische Leserbriefe nicht! Unser Kamerad Hans Gasparitsch schrieb an die Leserbrief-Redaktion der Stuttgarter Zeitung zum Artikel über die Polizeiübung in Böblingen vom 8.7.98:

Nun ist für jeden Leser optisch eindeutig erkennbar: Die "Antifa"-Leute, die "Nazis raus!" schreien, sind die Menschen, die unseren Staat bedrohen und vor denen die Bevölkerung geschützt werden muss. Nicht die Skinheads, NPD-Anhänger und sonstigen Rechtsextremisten, die Ausländer jagen, Asylantenheime anzünden, Friedhöfe schänden und Fremdenhass predigen sind militant in unserem Land. Nicht für sie sind in Baden-württemberg die neuen Spezialeinheiten an fünf Standorten aufgebaut worden. Kein Wort dazu im ganzen Bericht über die Schauübungen in Böblingen. Das Foto vermittelt, dass die Taten und Traditionen der Widerstandskämpfer gegen Hitler nicht nachahmenswert sind. Denn sie sind "gewalttätige Störer", gegen die besondere Beweissicherungs- und Zugriffstaktiken geübt werden, wobei es "nicht gerade zimperlich" zugeht. Die Rechtsextremen können sich ins Fäustchen lachen, eine bessere kostenlose Wahlhilfe hätten sie sich nicht erträumen können.

Neue Aufgaben für die Polizei!
Aus der Übung wurde Wirklichkeit. Am Samstag, den 5. September 1998 schützten 1500 Polizisten den NPD-Aufmarsch in Göppingen. Etwa 1000 Gegendemonstranten versuchten , den Zug der knapp 100 Neofaschisten durch die Innenstadt zu blockieren und zwangen ihn mehrmals zum Stopp. Daraufhin ging die Polizei massiv gegen die Antifaschisten vor, um der NPD den Weg frei zu machen. "Polizei schützt 120 Rechtsextreme..." ist die Überschrift des Berichts der Stuttgarter Zeitung vom 7.9.98.

Der Wahlerfolg der DVU in Sachsen-Anhalt, Aufmärsche der Neofaschisten, "national befreite Zonen", monatlich über 700 Gewalttaten mit neofaschistischem Hintergrund — bedarf es noch weiterer Warnsignale aus jüngster Zeit? Die Signale stehen auf Alarm! Stoppt die Rechten, bevor es zu spät ist! Wir fordern eine Offensive gegen den Rechtsextremismus! Wir fordern das Verbot aller neofaschistischen Parteien und Organisationen!

Reinhard Hildebrandt



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