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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

VVN-BdA Baden-Württemberg
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Nummer 4 / Oktober 1998


Vierter Jugendkongreß der VVN-BdA:

Rechtsradikalismus, Militarismus, Demokratieabbau und antifaschistische Gegenwehr

von Tom Ladewig

Vom 6.-9- August 1998 fand in Stuttgart Sillenbuch (Clara Zetkin Haus) der 4. Jugendkongreß der VVN-BdA Jugend statt. Insgesamt 22 TeilnehmerInnen aus den Kreisvereinigungen Offenburg, Karlsruhe, Leonberg, Rems-Murr und Hannover, einer autonomen Antifa Gruppe aus Marbach, sowie der AG Junge GenossInnen in und bei der PDS Ludwigsburg kamen zu diesem Treffen zusammen.

Der Kongress begann bereits am Donnerstag Mittag mit Zeltaufbau und dem Einkauf für das abendliche Grillen. Dort konnte man in entspannter Atmosphäre zusammensitzen, alte Bekannte begrüßen, alte und neue Geschichten austauschen oder neue Unbekannte kennenlernen. Kurzum ein gemütlicher Einstieg in die nächsten Tage.

Nach dem Frühstück am Freitagmorgen versammelten wir uns im Konferenzraum. Alfred Hausser war extra für die Begrüßungsrede angereist in welcher er uns kurz über die Geschichte des Clara Zetkin Hauses informierte und dem Kongreß ein gutes Gelingen wünschte.

Antifaschismus und Rechtsradikalismus
Als erstes Thema stand Antifaschismus und Rechtsradikalismus auf der Tagesordnung. Schwerpunkt war hierbei die Entwicklung der NPD/JN in den letzten Jahren.

Das Referat befasste sich ausführlich mit dem sogenannten Ethnopluralismus, der von rechten Parteien als Grundlage ihrer Hetze verwendet wird. Die Grundthese dieser menschenverachtenden Einstellung ordnet die Menschen aufgrund ihrer blutsmäßigen Abstammung einer Ethnie, einem Volk zu, das sich in Abgrenzung zu den anderen, ohne "Vermischung" eigenständig entwickeln muß.

Ein weiterer Teil des Referats umfaßte den sog. Progressiven Nationalismus, eine Strömung innerhalb der rechten Szene, die sich vor 2 - 3 Jahren entwickelte aber z.B. von der NPD/JN wieder aus deren Reihen gedrängt wurde. Hauptkennzeichnung dieser Strömung ist, daß kein offener Revisionismus mehr betrieben wird und teilweise Bündnisse mit anderen, auch linken Gruppen gegen das System oder z.B. den Verfassungsschutz angestrebt wurden.

Im weiteren Verlauf des Vortrags wurde auf die "national befreiten Zonen" eingegangen. Dabei handelt es sich um Wohngegenden, in denen vornehmlich Rechte wohnen oder Gegenden die von Rechten "kontrolliert" werden. Ausländische MitbürgerInnen, Punks und Linke müssen dort mit körperlicher Gewalt rechnen. Aus diesen Darstellungen entwickelte sich ein lebhafte Diskussion um die Frage wie allgemein gegen Rechte vorgegangen werden kann. Verschiedenste Meinungen und Ansätze wurden dabei diskutiert.

Ein zentraler Punkt war auch die Frage nach Bündnissen. Hierin liegt eine wichtige Grundlage auf der antifaschistische Arbeit zum Tragen kommen muß. In diesem Zusammenhang war es erfreulich, daß auch einige Mitglieder der autonomen Antifa Marbach am Jugendkongress der VVN-BdA teilnahmen und dadurch einen Schritt auf uns zugegangen sind.

Bündnisarbeit bedeutet immer, auch Kompromisse einzugehen. Es muß gut überlegt werden, mit wem ein Bündnis eingegangen wird. Es darf aber keine allgemeine Vorschrift geben, mit wem Bündnisse zu schließen sind und mit wem nicht. Auch der Verfassungsschutz kann uns dies nicht vorschreiben.

In einer Diskussionspause sangen wir Santiago, dem Wirt des Waldheims, der an diesem Tag seinen 50. Geburtstag feierte, mit vereinten Kräften ein Geburtstagsständchen. Und zwar das Einheitsfrontlied, welches ihm sichtlich Freude bereitete.

Bundesgrenzschutz auf dem Vormarsch
Nach dem Mittagessen stand dann das Thema Innere Sicherheit zur Debatte. Ein Schwerpunkt war dabei der Bundesgrenzschutz, der 1951 mit 9.000 Mann gegründet wurde und dem Innenministerium untersteht. Er wurde geschaffen zur Sicherung der deutsch-deutschen Grenze und der Grenzen der BRD. Bereits im Jahre 1952 wuchs die Stärke auf 20.000 Mann. 1972 wurden die Aufgaben des BGS erweitert, um die Länderpolizeien zu unterstützen. Man war jetzt in der Lage innerhalb von 3 Stunden 300 Mann überall in die BRD zu bringen. 1995 umfaßt die Stärke 28.000 Mann und die Kosten belaufen sich auf 2 Mrd. DM jährlich. Von Jahr zu Jahr wurden die Aufgaben des BGS erweitert, so daß heutzutage auch folgende Punkte dazugehören: Einsatz von V-Leuten, technische Überwachung und Observation von vermeintlichen Straftätern, die Vollziehung von 4 Tagen Unterbringungsgewahrsam wegen Landfriedensbruchs oder gemeinsam begangener Nötigung (ein beliebtes Mittel gegen DemonstrantInnen), funktionstechnische Unterstützung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes beim "Kampf gegen Kriminalität". Terrorismus und Gewaltbereitschaft dienen meist als Vorwände, um Abhören zu können oder auf andere Weise die persönlichen Freiheitsrechte des Einzelnen zu beschneiden. Als neueste Aufgabenerweiterung ist es dem BGS gestattet jede Person kurzzeitig anzuhalten und eine Ausweiskontrolle vorzunehmen. Dies wird als "verdachtsunabhängige Kontrolle" tituliert und kann auf Bahnhöfen, in Zügen und Flughäfen stattfinden.

Verdachtsunabhängige Kontrollen denen ein subjektives Urteil des Beamten zugrundeliegt werden dann zur Diffamierung von "anders" aussehenden eingesetzt. Konkrete Verdachtsmomente (die ohne weiteres geschaffen werden können - wenn das gewollt ist) erlauben zusätzlich das Durchsuchen von Sachen oder das Festhalten von Personen und deren Mitnahme zur Wache. Hier wird eindeutig der Willkür Vorschub geleistet, um alle die nicht der gewünschten Norm entsprechen diffamieren zu können. Auch bei der Aktion "Saubere Innenstädte" spielt der BGS eine große Rolle. Durch die Privatisierung der Innenstädte, eine "Neuordnung" des öffentlichen Raumes ist der BGS ermächtigt im "Interesse" der "Gemeinschaft der Wohlanständigen" (Bahnwerbeslogan) Hausverbote und Platzverweise zu erteilen. Durch das von M. Kanther initiierte "großstädtische Modellvorhaben der Aktion Sicherheitsnetz" ist der BGS nun auch auf kommunaler Ebene auf dem Vormarsch.

"Verfassungschutz" blickt nach links
Ein weiterer Hauptpunkt zum Thema Innere Sicherheit ist der Verfassungsschutz (VS). Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes wurde gleichzeitig der VS ins Leben gerufen. Bereits vor der Gründung des Verfassungsschutzes bestand eine "Organisation Gehlen" die ohne gesetzliche Grundlage sog. Verfassungsfeinde unter Beobachtung nahm. Gehlen war unter Hitler Chef der 12. Abteilung des Generalstabs des Heeres und der Abteilung fremde Heere Ost. Dieser Nazi wurde später Leiter des Bundesnachrichtendienstes, was wiederum sehr deutlich die Kontinuität zeigt, in der Nazis in führende Positionen der BRD etabliert wurden. Die Aufgabe des VS und der Landesämter für VS ist die Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstiger Unterlagen, die eine Aufhebung, Änderung oder Störung der Demokratie zum Ziel haben. Polizeiliche Befugnisse stehen dem VS nicht zu, er darf keine Verhaftungen vornehmen, keine Durchsuchungen durchführen und auch keine Gegenstände beschlagnahmen. Gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz besteht ein Recht auf Akteneinsicht, welches in sämtlichen Polizeigesetzen der Länder und in fast allen Verfassungsschutzgesetzen verankert ist. In der Praxis wird dieses Recht aber immer wieder vorenthalten. Die Bundes- oder Landesregierung zeigt sich von entsprechenden Initiativen zugunsten von mehr Ämtertransparenz unbeeindruckt. Eine Doppelmoral zeigt sich sehr deutlich in Bezug auf die Einsicht von Akten der Staatssicherheit, die ohne Probleme gerne und häufig eingesehen werden sollen/wollen. Betrachten wir die Berichte des VS aus den letzten Jahren, ist deutlich zu erkennen, daß aus der Sicht des Staates der Feind links steht. Nur so ist zu erklären, daß das Gewicht der Tätigkeit des VS vor allem im Bereich linker Aktivitäten liegt.

Immer wieder werden Anwerbeversuche, Erpressungen und Geldangebote gegenüber Linken bekannt, um angeblich an Beweismaterial zu kommen. Der große Lauschangriff wirkt sich nun für den Verfassungsschutz wie Wasser auf dessen Mühlen aus.

Am Abend gab es ein Konzert der Revolverrocker von Kunststoff die gleichzeitig ihren ersten "short cut movie" vorstellen durften. Aufgrund des kleinen Raumes und der Lautstärke sah sich die Band gezwungen vor dem Auftritt Klopapier für die Ohren der Anwesenden zu verteilen. Der Auftritt hat Spaß gemacht und alle Beteiligten waren sehr zufrieden. Nach dem Konzert ging das Fest feuchtfröhlich weiter. Es wurde Musik gehört, Arbeiter- und Widerstandslieder gesungen und viele Gespräche geführt. So verging die Nacht und manche waren ganz geschockt als plötzlich das Tageslicht vor der Türe stand.

Krieg als Fortsetzung der Politik
Am Samstag stand das letzte Thema des Kongresses an. Militarismus. Die Eingangsthese lautete, daß Militarismus untrennbar mit Kapitalismus verbunden ist. Hierzu eine grobe Zusammenfassung. Zwei Aufgaben des Militärs wurden dabei genauer betrachtet. Zum einen die Aufgabe im "Inneren". Dabei geht es um eventuelle Aufstände die dann "befriedet" werden sollen. Zusätzlich hält die Bundeswehr auch Manöver für den Fall eines Bürgerkrieges ab. Nach "Außen" stellt sich für die Bundeswehr eine andere Aufgabe dar. Großkonzerne und ihre Vertreter (die Regierungen) stehen auf der ganzen Welt in Konkurrenz untereinander, um Rohstoffquellen und Absatzmärkte. Solange die Aufteilung der Märkte noch "friedlich" abläuft, wird bereits eine Art Wirtschaftskrieg (Geheimabkommen, Waffenlieferungen, unter Preis anbieten, Entwicklungshilfe kürzen, IWF-Kreditbedingungen) geführt. Wenn der Markt aufgeteilt ist, wird der Kapitalismus kraft seiner Logik auch in die Märkte anderer Kapitalisten eindringen müssen und hierbei kommt der jeweiligen Armee die entsprechende Rolle der Kriegsführung zu. Beste Beispiele dafür sehen wir u.a. in der Geschichte des I. und II. Weltkrieges, welche das deutsche Großkapital zur Eroberung neuer Märkte, zur Expansion nutzen wollte. Die Welt war vor dem I. Weltkrieg aufgeteilt in Kolonien einzelner imperialistischer Staaten und Deutschland war dabei zu kurz gekommen, um im Konkurrenzkampf mit anderen imperialistischen Staaten bestehen zu können. Zusammenfassend ist Krieg, was die Durchsetzung wirtschaftlicher Ziele angeht also durchaus die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Die Rüstungsindustrie steigert durch Kriege ihre Gewinne erheblich. Aber nicht das Rüstungskapital und die Rüstungsindustrie an sich führt zu Krieg, sondern die oben beschriebene Logik des Kapitals. Wobei die Rüstungsindustrie einen besonders aggressiven Teil des Kapitals darstellt. In der nachfolgenden Diskussion wurde auf die Rolle des deutschen Kapitals in den vergangenen Jahren eingegangen. Die europäische Vormachtstellung Deutschlands, die Rolle im Jugoslawienkrieg und die neuen Richtlinien der Bundeswehr nach 1989 (inkl. KSK) waren dabei einzelne Diskussionspunkte.

Begegnung mit dem Widerstand von damals
Für den Abend hatten wir Hans Gasparitsch eingeladen. Mit ihm sahen wir den Film "Nackt unter Wölfen", nach dem gleichnamigen Roman von Bruno Apitz, an. Hierbei ging es um das Verstecken eines Kindes im Konzentrationslager Buchenwald und die Selbstbefreiung des Lagers. Nach dem Film war die Ergriffenheit der Anwesenden deutlich zu spüren. Hans Gasparitsch hielt noch eine kurze Ansprache und die Möglichkeit zur Diskussion war gegeben. Auf Vorschlag von Hans Gasparitsch vereinbarten wir eine Pressemitteilung des Jugendkongreßes bezüglich der jüngsten Schändung des Mahnmals im ehemaligen KZ Buchenwald. Danach wurden von einigen in gemeinsamer Runde Widerstands- und Arbeiterlieder gesungen und wiederum andere wollten lieber alleine sein, um die Eindrücke des Films auf sich wirken zu lassen. Der Abend klang dann mit vielen interessanten Gesprächen über den Film und dessen Eindrücke auf die einzelnen Leute aus.

Am nächsten Morgen versammelten wir uns zum Abschlußplenum, beschlossen die Pressemitteilung und besprachen das weitere Vorgehen. Der Kongress beschloss ein Treffen tschechischer und deutscher AntifaschistInnen in der Tschechischen Republik zu unterstützen. Danach wurde erstmal ein Fußballspiel abgehalten, das trotz starker Ozonbelastung recht zügig voran ging. Die Halbzeiten wurden kuzfristig angesetzt und nach dem Match waren alle k.o.. Auf jeden Fall hat aber die Mannschaft mit den meisten Leonbergern (nein, keine Hunde...) gewonnen.

Zum Abschluß wurde den BetreiberInnen des Clara Zetkin Hauses noch Blumen überreicht und ein weiteres Gesangsständchen vorgetragen. Die Bewirtung und die Bedingungen für den Kongreß waren optimal. Herzlichen Dank noch einmal von dieser Stelle. Dank auch an alle die an der Organisation und dem reibungslosen Ablauf des Kongresses beteiligt waren. Dank vor allem auch den SpenderInnen, insbesondere Ilse Werner und Alfred Hausser, deren beträchtlicher Betrag diesen Jugendkongreß erst möglich gemacht hat. Bis nächstes Jahr.

Tom Ladewig



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