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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

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antifNACHRICHTEN an9810
Nummer 4 / Oktober 1998


Nach der Wahl

Kohl geht: Unsere Forderungen bleiben

von Dieter Lachenmayer

Ein Alpdruck ist vom Land abgefallen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik haben die Wähler eine amtierende Regierung abgewählt. Eine Regierung, die seit 16 Jahren einen Kurs der Umverteilung von unten nach oben, des Abbaus demokratischer Rechte und des Ausbaus der Welt- und Militärmacht Deutschland betrieb, ist endlich abgelöst.

Seit Jahren lähmte die beharrliche Arroganz der amtierenden Rechtsregierung jede Vision von einer besseren, einer friedlicheren und gerechteren Gesellschaft. Was blieb, war die Notwendigkeit von Abwehrkämpfen. Immer weiter mußten die demokratischen Bewegungen ihre Positionen zurückstecken. Aus der Hoffnung auf die Friedensdividende wurde der Widerstand gegen Kriegseinsätze. Aus dem Eintreten für das Asylrecht wurde der Widerstand gegen das offene Auftreten neofaschistischer Organisationen. Aus dem Bündnis für Arbeit der Kampf gegen die Streichung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Trotzdem behauptete die Regierung ihren Kurs gegen die Interessen der Mehrheit. Und trotzdem gelang es ihr immer wieder auf nahezu unerklärliche Weise die Wählerstimmen dieser Mehrheit zu gewinnen.

Neue Mehrheit!
Damit ist nun endlich Schluß. Von vielen kaum wahrgenommen hat sich in der Bevölkerung gegenüber früheren Bundestagswahlen nun doch ein Stimmungswechsel vollzogen. Das Ergebnis der Bundestagswahlen 1998 ist unter vielen Gesichtspunkten ein Traumergebnis, das den in den letzten Monaten grassierenden Pessimismus gerade in den Reihen der demokratischen Bewegungen widerlegt.
Alte Skepsis?
Dazu kommt, daß auch die faschistischen Parteien, REP, NPD und DVU, weit weniger Stimmen erhalten haben, als nach den Landtagswahlergebnissen zu befürchten stand. Dazu haben wir Antifaschisten mit zahlreichen Aktivitäten im Wahlkampf beigetragen. Dennoch bedeutet dies keine Entwarnung!

Trotz eines Ergebnisses, daß in seinen wesentlichen Elementen also kaum hätte besser sein können, ist die Freude verhalten. "Bei uns würde das ganze Land auf der Straße feiern", wunderte sich ein griechischer Kollege in der Wahlnacht. Daß es in der Wahlnacht überall absolut ruhig blieb, liegt wohl nicht nur am mangelnden mediteranen Temperament der BundesbürgerInnen.

Der fehlenden Feierlaune in der Wahlnacht ging schon eine fehlende Aufbruchstimmung im Wahlkampf voraus. Der Kanzlerkandidat der SPD und seine Partei haben alles getan, um den Eindruck zu vermeiden, daß die künftige Regierung eine inhaltlich grundsätzliche Alternative zur bisherigen werden könne. Das gipfelte in der Vorstellung eines neuen Wirtschaftsministers, der die Konzepte des alten vertritt.

Kein Wunder, wenn das "Ändern wird sich ja doch nichts", eine verbreitete Stimmung im Wahlkampf war. Vieles spricht dafür, daß wir dieses Wahlergebnis also nicht so sehr den Hoffnungen verdanken, die die Menschen auf Schröder setzen, sondern den Erfahrungen, die sie mit Kohl gemacht haben.

Das Ergebnis der Bundestagswahl ist zweifelsohne auch ein Erfolg für die außerparlamentarischen Bewegungen in der Bundesrepublik, die Gewerkschaften, die Friedens-, die Antifabewegung und vieler anderer. Sie alle waren nicht nur im Wahlkampf auf der Straße. So beharrlich die Regierung ihren Rechtskurs betrieb, so beharrlich organisierten diese Bewegungen den Widerstand gegen diese Politik. Sechzehn Jahre lang führten sie nicht nur Abwehrkämpfe, sondern organisierten darüberhinaus z.B. in der Flüchtlings- und Solidaritätsarbeit auch die Solidarität mit den Opfern der neoliberalen Regierungspolitik. Wo die parlamentarische Opposition, den Vorgaben dieser Regierung Schritt für Schritt nachgab, hielten die außer-parlamentarischen Bewegungen an der Forderung nach einer anderen Politik fest.

Der Wunsch nach einer solchen anderen Politik hat sich nun auch bei der Bundestagswahl durchgesetzt. Das heißt nicht, daß sich auch schon eine neue Politik abzeichnet.

Noch in der Wahlnacht hielt sich der Kanzlerkandidat der SPD krampfhaft die Option für eine große Koalition offen, auf die die Parteiführung die Wähler schon im Wahlkampf offenkundig vorbereiten wollte.

Kontinuität oder Wechsel?
Auch die drei Schwerpunkte, die Kanzler in spe Schröder in der Wahlnacht für seine neue Regierung setzte, klingen nicht nach einer neuen Politik:
- Wirtschaftliche Stabilität
- Innere Sicherheit
- außenpolitische Kontinuität,
sind exakt die Worthülsen, die die bisherigen Regierungsparteien im Wahlkampf als Argumente für ihren Verbleib in der Mehrheit anführten. Daß Schröder noch als triumphaler Sieger in der Wahlnacht über diese Stöckchen springt und sie nun als Argument gegen seinen künftigen Koalitionspartner Bündnis90/Die Grünen in Ansatz bringt, läßt böses ahnen.

Wirtschaftliche Stabilität heißt eben nicht unbedingt auch soziale Gerechtigkeit.

Innere Sicherheit bedeutet nicht mehr Demokratie.

Und außenpolitische Kontinuität heißt nicht Verzicht auf Kriegseinsätze.

Die Forderungen bleiben
Skepsis ist also angebracht. Aber diese Skepsis macht das Traumergebnis noch lange nicht zum Trauma. Im Gegenteil:

Kohl ist weg und mit ihm all die Gestalten im Ministeramt, die uns die Arroganz der Macht nun lange genug auskosten lassen haben: Rühe, der bis zuletzt noch einen völkerrechtswidrigen Militärschlag vorbereitete, Kinkel, Kanther, Rexrodt, Blüm, Seehofer, Waigel ...

Die Personen sind weg. Nicht verschwunden sind die Ergebnisse und Auswirkungen ihrer Politik. Um auch diese rückgängig zu machen oder wenigstens Schadensbegrenzung zu betreiben ist vor allem der politische Wille der neuen Akteure notwendig.

In einigen Fällen liegen klare Wahlversprechen vor. In ihrem 100 Tage Regierungsprogramm hat die SPD versprochen, einige der krassesten sozialen Untaten der Kohl-Regierung rückgängig zu machen, z. B. bei der Gesundheits- und Rentenreform und der gesetzliche Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. In anderen wichtigen Fragen liegen nur weit vagere Absichtserklärungen oder gar nichts vor.

Wie ernst nimmt die neue Regierung, bzw. die neue Bundestagsmehrheit, das grundgesetzliche Verbot jeder neofaschistischen Betätigung?

Wie steht es mit der Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen und all der anderen vergessenen Opfergruppen?

Wie steht es mit dem Jäger 90 respektive Eurofighter? Was wird aus dem Kommando-Spezialkräfte und den Krisenreaktionskräften der Bundeswehr? Was wird mit dem eindeutig völkerrechtswidrigen Militärschlag im Kosovo? Was wird aus der Kürzung des Rüstungshaushalts?

Wie steht es mit dem Staatsangehörigkeitsrecht? Soll es weiterhin an "deutsches Blut" gebunden, oder endlich allen, die im Lande leben offenstehen? Was ist mit dem Asylrecht und dem großen Lauschangriff? Wird der massive Abbau demokratischer Rechte der letzten Regierung nun rückgängig gemacht? Diese Fragen stellen, heißt schon Zweifel daran anzumelden, ob die neuen Mehrheitsfraktionen im Bundestag nun tun, was sie als Minderheit in der Opposition vertreten haben.

Antifaschistische Arbeit ist wichtig wie zuvor
Die antifaschistischen Forderungen und Positionen die die VVN - BdA vor der Wahl erhoben und vertreten hat, haben sich nicht erledigt, auch wenn es im Bundestag eine neue Mehrheit gibt.

Eine neue Regierung bedeutet nicht im Selbstlauf eine neue Politik. Mit dieser Wahl hat sich vieles geändert nur eines nicht: Die Notwendigkeit einer außerparlamentarischen Opposition, die den für einen politischen Wandel erforderlichen Druck außerhalb des Parlaments macht, ist jetzt genauso groß wie vorher.

Die Arbeit für uns Antifaschisten ist nicht weniger und auch nicht unbedingt leichter geworden. Die Chancen aber, in wenigstens einigen Punkten voran zu kommen, sind gewachsen.

Dieter Lachenmayer



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V.i.S.d.P.: Dieter Lachenmayer.

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