VVN-Logo 17.05.1998
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

VVN-BdA Baden-Württemberg
Telebus-Logo

antifNACHRICHTEN an9805
Nummer 5 / Mai 1998


30. Januar 1998: Auszug aus der Rede von Rainer Bliesener

Wir brauchen eine andere Politik

Heute vor 65 Jahren begann die dunkelste Epoche der deutschen Geschichte. Reichspräsident Hindenburg ernannte am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler. Es folgten 12 Jahre einer menschenverachtenden Barbarei, die in einer beispiellosen Katastrophe endeten. Das Terrorregime des Faschismus brachte mehr als 50 Millionen Menschen den Tod. ... Wir gedenken der ermordeten Juden. Wir gedenken der ums Leben gebrachten Sinti und Roma. Wir gedenken der Ermordung vieler geistig und körperlich behinderter Menschen ebenso, wie der Ermordung Homosexueller und der Ermordung politisch Andersdenkender. ...

Der Tag der sogenannten "Machtergreifung" Hitlers muß vor allem auch ein Tag der Mahnung für uns sein." Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus."... Wirtschaftkrise, Arbeitslosigkeit, Angst vor sozialem Abstieg bereiteten den Nährboden für Hitlers Parolen. Im Februar 1932 waren rd. 6,3 Millionen Menschen arbeitslos, etwa jeder Dritte lohnabhängig Beschäftigte. Über 20% arbeiteten kurz. Nicht zuletzt die Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning trug zur Krisenverschärfung bei. Durch Notverordnungen kürzte er Sozialleistungen, Löhne und Gehälter. Auch damals wollten die Arbeitgeber die Möglichkeit zum Unterlaufen der Tarifverträge.

Heute fordert BDI-Prädsident Henkel offen zum Tarifvertragsbruch auf. Herr Henkel hat damit wieder gezeigt, daß er eine andere Republik will ... Neoliberale Positionen eines radikalen Umbaus der Gesellschaft sind in wenigen Jahren vom Rand ins Zentrum der Politik vorgestoßen. ... Die Bundesrepublik ist ein reiches Land. Wir sind Exportweltmeister. Die Wirtschaft hat in den letzten Jahren unglaubliche Produktivitätsfortschritte erzielt. Wir haben, verglichen mit unseren wichtigsten Konkurrenten, niedrige Lohnstückkosten. Von einer generellen Kostenkrise in Westdeutschland kann folglich nicht gespchen wroerden. Solange aber die Arbeitslosen und nicht die Arbeitslosigkeit bekämpft wird, kann es keine Besserung geben. ... Wir müssen endlich Abschied nehmen von der scheinbar einleuchtenden Logik, wenn nicht genügend Geld in den Staatskassen vorhanden ist, dann müsse eben gespart werden. Es ist genug Geld da in unserm Land, es ist nur ungerecht verteilt. ... Wir brauchen eine andere Politik und nicht nur eine andere Bundesregierung. Die Politik muß endlich wieder Antworten geben auf die Zukunftsängste der Menschen. Wir brauchen eine andere Politik, die endlich die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpft und die sich auch um das untere Drittel dieser Gesellschaft kümmert. Wir brauchen keine Politik, die Ängste vor Kriminalität schürt, sondern wir brauchen eine Politik die den Menschen das Gefühl sozialer Sicherheit vermittelt. Wir brauchen keine Politik die die Angst vor Ausländern schürt, um mit der Suche nach Sündenböcken vom eigenen Versagen in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik abzulenken. Es muß Schluß sein mit der Diskriminierung von Flüchtlingen, es muß Schluß gemacht werden mit der inhumanen Abschiebepolitik. Die Opfer des Dritten Reiches mahnen uns. Wir brauchen: eine humane Asylpolitik, Einbürgerungserleichterungen mit der Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft und der Einbürgerung per Geburt und ein kommunales Wahlrecht nicht nur für EU-Angehörige. Was mich besonders wütend macht, ist, daß diese Bundesregierung bei Arbeitslosen, Rentnern, Kranken und Arbeitnehmerfamillien schamlos abkassiert und im Gegensatz dazu Milliardenbeträge für eine neue Bundeswehr ausgegeben werden. Von 1996 an sollen laut Bundeswehrplan in den nächsten 20 Jahren etwa 200 Milliarden Mark für mindestens 215 Beschaffungsprojekte der Bundeswehr ausgegeben werden. Mit dem Euro-Fighter ist das teuerste Rüstungsprojekt seit Gründung der Bundeswehr beschlossen worden. Es kostet uns nach Angaben des Bundesrechnunghofs 80 Milliarden Mark! Ein Wahnsinn! Deshalb ist es ein Skandal wenn behauptet wird, für soziale Aufgaben sei kein Geld da. Insgesamt 80 Milliarden DM, 1.133.- Mark pro Kopf der Bevölkerung, mußten wir alle - jeder Einzelne - 1997 für den Militärhaushalt inklusive anderswo versteckter Posten bezahlen. Es ist genug Geld da in dieser Republik. Es ist nur extrem ungerecht verteilt. Statt nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation abzurüsten, sucht die Bundesregierung neue Aufgaben für die Bundeswehr. Ich halte Militäreinsätze nicht für eine Mittel der Außenpolitik. Wir wollen keine Politik die mit Waffen bestimmt, wie eine neue Weltwirtschaftsordnung auszusehen hat. Wir schulden der Welt keine Soldaten und keine Waffen - wir schulden ihr Beiträge zur Lösung sozialer und ökologischer Probleme.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen in diesem Jahr vor entscheidenden Weichenstellungen. Bei der Bundestagswahl am 27. September geht es nicht nur um eine neue Regierung, auch nicht nur um eine neue Politik, sondern letztlich um die Frage "Wohin treibt die Bundesrepublik?" Der DGB wird im Frühjahr 1998 eine Kampagne für Arbeit und soziale Gerechtigkeit starten. Der Slogan der Kampagne lautet:" Deine Stimme für Arbeit und soziale Gerechtigkeit". Wir werden uns in den Wahlkampf einmischen. Wir brauchen Mehrheiten für eine andere Politik. Mehrheiten für mehr Arbeitsplätze, für soziale Gerechtigkeit und für eine sozial-ökologische Reformstrategie. Sorgen wir dafür, daß der Marsch in eine andere Republik gestoppt wird!

Rainer Bliesener



antifaNACHRICHTEN werden herausgegeben von der VVN/BdA Baden-Württemberg.
V.i.S.d.P.: Dieter Lachenmayer.

VVN-LOGO VVN-BdA Baden-Württemberg
http://www.vvn.telebus.de
Böblinger Strasse 195
D-70199 Stuttgart

Tel. 0711 / 60 32 37 Fax 0711 / 60 07 18
e-mail: vvnbda.bawue@planet-interkom.de

© 1998 J. Kaiser