VVN-Logo 17.05.1998
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

VVN-BdA Baden-Württemberg
Telebus-Logo

antifNACHRICHTEN an9805
Nummer 5 / Mai 1998


Gedenktag für die Opfer des Faschismus im Landtag:

"Es darf keinen Schlußstrich geben"

von Hans Gasparitsch

Es war ein umfangreiches und gelungenes Programm, das die zweite Veranstaltung seit der Erklärung des 27. Januars zum zentralen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus auszeichnete. Der Plenarsaal des Landtags war bis auf den letzten Platz gefüllt mit Abgeordneten - außer den Reps -, mit ehemaligen Verfolgten und mit Jugendlichen aus den Stuttgarter Schulen. Auch die Zuschauer-Ränge waren voll. Das Programm begann vormittags mit Begrüßung und Einführung durch den 1. stellvertretenden Landtagspräsidenten Frieder Birzele. Er forderte eindringlich die Verantwortlichkeit aller Deutschen, sich den Tatsachen und Konsequenzen aus der Nazi-Tyrannei zu stellen, ein.

Als Hauptredner sprach dann Prof. Steinbach, wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin und designierter Nachfolger von Prof. Jäckel an der historischen Fakultät der Uni Stuttgart. Sein internationales Renommee erwarb er sich u.a. durch seine Ausstellung im Museum des Widerstandes, als er trotz Anfeindungen rechtskonservativer Kreise auch den Widerstand der Kommunisten mit einbezog. Sein Vortrag über die "Aufarbeitung der Geschichte des Nazismus in der BRD und in der DDR" war praktisch seine Antrittsvorlesung und geriet zumindest für das jugendliche Publikum zu akademisch.

Konkreter waren seine Ausführungen zu der bis heute mangelhaften juristischen Aufarbeitung der Naziverbrechen durch deutsche Gerichte. Die Prozesse gegen die Nazitäter hätten eine zentrale Bedeutung für die Nachkriegsgeschichte. Darum tritt er dafür ein, daß die Ludwigsburger Zentrale für die Verfolgung von NS-Verbrechen zu einem wissenschaftlichen Zentrum umgewandelt wird.

Die anschließende Diskussion nutzten neben Gedenkstättenleitern, Geschichtslehrern, Dr. Lauber von der Landeszentrale für politische Bildung und unsere Kameraden Alfred Hausser, Werner Pfennig, Erwin Holzwarth und Franz-Josef Fischer zu konkreten Nachfragen über die Ursachen und die Hintermänner der Nazi-Inthronisierung im Januar 1933. Alfred Hausser erinnerte an den feierlichen Vorspruch zum Bundesentschädigungsgesetz und wies auf den Widerspruch im Umgang mit den Widerstandskämpfern im politischen Alltag hin. Auf die gezielte Frage von Kamerad Gasparitsch betreffs der Gleichstellung der KZ-Häftlinge und der Internierten nach 1945 wie dies in Buchenwald geschieht, wandte sich Prof. Steinbach eindeutig gegen eine solche Praxis und fügte hinzu, daß er auch die in der Uni Stuttgart publizierte Einschätzung der 1938 hingerichteten Studentin Lilo Herrmann als unhaltbar ansehe und daher verurteile. Lilo Herrmann war dort als Agentin Moskaus bezeichnet worden.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen war ein weiterer Höhepunkt der Feier eine szenische Collage zum Schicksal der Sinti und Roma, die Studenten aus Tübingen vortrugen.

Laut Programm war dann ein "Gespräch mit Zeitzeugen und Vertretern der Opfergruppen" vorgesehen. Im Forum saßen neben Frieder Birzele als Moderator je ein Vertreter der Israelitischen Religionsgemeinschaft, der Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten, eine Angehörige der Sinti, ein Bibelforscher sowie Alfred Hausser für die ehemaligen Zwangsarbeiter und Hans Gasparitsch für die VVN-BdA. Leider kam es zu keinem Gespräch, sondern nur zu Statements der Zeitzeugen, weil der erste Sprecher so ausgedehnt über sein Schicksal berichtete, daß am Ende unsere beiden Kameraden sich sehr kurz fassen mußten. Durch eine bessere Regie hätte dies vermieden werden können. Aber der Beifall für Hausser und Gasparitsch zeigte doch, daß ihre Ausführungen eine starke Resonanz fanden.

Eilends mußte dann aufgebrochen werden, um rechtzeitig zum Mahnmal am Karlsplatz zu kommen, wo nach den Ansprachen des Präsidenten des Landtags, der Israelitischen Religionsgemeinschaft und des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma die Kränze der Opfergruppen niedergelegt wurden. Landtagspräsident Straub sprach dort aus, was wir von der VVN-BdA schon immer forderten: " Es darf keinen Schlußstrich geben!" Das Programm entsprach dem in zwei Vorbesprechungen mit den Vertretern aller Opfergruppen diskutierten Vorschläge.

Trotz der zeitlichen Bedrängnis infolge der Programmfülle betrachten wir von der VVN-BdA diese Veranstaltung als insgesamt gelungen. Der Gedenktag wurde nicht nur würdig, sondern auch lebendig gestaltet. Aus dem verunglückten Gespräch zwischen Zeitzeugen und Jugend sollte gelernt werden, daß solche Gespräche Zeit brauchen, die eingeplant werden muß.

Für die VVN-BdA war dieser Tag eine Wiedergutmachung für die bei der Feier im Januar 1997 praktizierte Ausladung unserer Organisation. Nach dem Glückwunschschreiben und den Dankesworten von Ministerpräsident Erwin Teufel und Alt-Oberbürgermeister Rommel an Alfred Hausser für seinen jahrzehntelangen Einsatz für Demokratie und Menschenrechte wäre dies auch wohl unentschuldbar. Auf Einladung von Landtagspräsident Birzele trafen sich am 26.3.1998 die Vertreter aller beteiligten Organisationen und Behörden zu einer Rückschau auf diese Gedenkfeier. Dabei wurde unsere Einschätzung bestätigt. Wir haben diese auch in der Aussprache benannt.

Mehrfach wurde die Beteiligung von Zeitzeugen als besonders wertvoll bezeichnet. Die mangelhafte Berichterstattung in der Tagespresse wurde kritisiert. Die Gestaltung der Feier im Jahr 1999 im Landtag soll in einer weiteren Zusammenkunft besprochen werden.

Hans Gasparitsch



antifaNACHRICHTEN werden herausgegeben von der VVN/BdA Baden-Württemberg.
V.i.S.d.P.: Dieter Lachenmayer.

VVN-LOGO VVN-BdA Baden-Württemberg
http://www.vvn.telebus.de
Böblinger Strasse 195
D-70199 Stuttgart

Tel. 0711 / 60 32 37 Fax 0711 / 60 07 18
e-mail: vvnbda.bawue@planet-interkom.de

© 1998 J. Kaiser