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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

VVN-BdA Baden-Württemberg
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antifNACHRICHTEN an9805
Nummer 5 / Mai 1998


Landesdelegiertenkonferenz der VVN-BdA in Ulm:

Gemeinsam Handeln gegen Rechts!

von Dieter Lachenmayer

Unter dem Motto: "Antifaschismus heute: Zusammenstehen für Arbeitsplätze, soziale Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie!" fand am 21. und 22. März die 32. Landesdelegiertenkonferenz der VVN - Bund der Antifaschisten Baden-Württemberg in Ulm statt.

Ulm erwies sich als eine gute Wahl für die Landesdelegiertenkonferenz der VVN - BdA. Das zeigte sich nicht nur an den nahezu optimalen Möglichkeiten, die der von der IG Metall zu Verfügung gestellte Mohrensaal den KonferenzteilnehmerInnen bot. Das zeigte sich auch an der Anerkennung, die die Arbeit der VVN - BdA in dieser Stadt genießt.

Wachsam sein!
Bereits zur Eröffnung wies der Ehrenvorsitzende der VVN-BdA, Alfred Hausser, auf die antifaschistischen Traditionen der Stadt hin. Insgesamt 171 Ulmerinnen und Ulmer wurden in der Zeit von 33 - 45 als Nazigegner verfolgt. In Ulm wuchsen die Geschwister Scholl auf, die in der "Weißen Rose" Widerstand leisteten. In Ulm leistet seit 1970 das KZ-Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg eine unentbehrliche Arbeit zur Aufarbeitung und Vermittlung der Geschichte von Widerstand und Verfolgung.

Nach der Ehrung der Toten, begrüßte der Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner die Delegierten im Namen der Stadt Ulm. Er wünschte, daß ihnen auf dieser Konferenz Albert Einsteins Geist zur Verfügung stehe. Die Naziherrschaft sei nicht vom Himmel gefallen, sie sei auch nichts Schicksalhaftes, gegen das man sich nicht wehren kann, gewesen, den die Nazis hätten früh öffentlich gemacht, was sie vorhaben. Heute gelte es wachsam zu sein gegen Entwicklungen, die in eine ähnliche Richtung führen. Es sei die Aufgabe jeder Generation antiaufklärerischen Tendenzen entgegen zu treten. Das Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg bezeichnete der OB als wichtigen Ort in der Stadt Ulm, der die Botschaft "Nie wieder Faschismus" verbreite. Daß die VVN-BdA noch immer im Verfassungsschutzbericht auftaucht sei "blamabel und unwürdig für eine Demokratie", sagte der Oberbürgermeister.

Auch der Landtagsabgeordnete Thomas Oelmayer (Bündnis 90 / Die Grünen) ging auf den Verfassungsschutzbericht ein. Es sei ein Anachronismus und es könne nicht angehen, "daß Menschen, die sich gegen Faschismus wehren, im Verfassungsschutzbericht stehen". Der SPD-Abgeordnete Eberhardt Lorenz verurteilte den "rassistischen Geist", der die Gesellschaft durchzieht und dem "immer mehr nachgegeben" wird. In Zusammenhang mit diesem rassistischen Geist ging Eberhard Lorenz auch auf seine "Kollegen", die Reps im Landtag ein. Aus dem täglichen Umgang und der Auseinandersetzung mit ihnen zog er unter dem Beifall der Delegierten noch am Rednerpult die Konsequenz: Den Beitritt in die VVN - BdA, den er sich schon lange vorgenommen habe.

Auch das Grußwort des VVN-BdA Mitglieds und Bundestagsabgeordneten der PDS, Winfried Wolf, wurde von den Delegierten ebenso mit Beifall aufgenommen wie die Begrüßung der Vertreterin der Ulmer Naturfreunde, Monika Stegmeier.

Die Reps, die Eberhard Lorenz den letzten Anstoß zum Eintritt in die VVN - BdA gegeben hatten, spielten auch im mündlichen Rechenschaftsbericht der Landessprecherin Anne Rieger eine wichtige Rolle. "Unser Ansatz muß die Aufklärung darüber sein, daß es rechts von der Koalition keine Protestpartei gibt, sondern nur fremdenfeindliche Sozialabbauparteien, die das Geschäft der Unternehmer auf noch menschenverachendere Weise machen wollen als die herrschenden Parteien. Dabei müssen bei uns in Baden-Württemberg die Reps und ihr sozialdemagogisches Programm im Mittelpunkt stehen." Anne Rieger rief dazu auf, dies zu einer der wichtigsten Aufgaben im kommenden Bundestagswahlkampf zu machen.

Zuvor hatte sie eine Bilanz der Arbeit der letzten beiden Jahre gezogen: Die vielen Veranstaltungen zum 50. Gründungstag der VVN und auch die Feier des 85. Geburtstages unseres Ehrenvorsitzenden Alfred Hausser. Diese Veranstaltungen machten nicht nur die große Anerkennung sichtbar, die die VVN - BdA bei den demokratischen Kräften im Lande genießt, sondern erweckten auch große öffentliche Aufmerksamkeit für unsere antifaschistischen Anliegen. Anne Rieger erinnerte auch an die vielen anderen Aktivitäten und Bündnisinitiativen der VVN - BdA in den letzten beiden Jahren: Aktionen und Demos gegen die Reps z.B. in Stuttgart, Wehr, Dettingen u. Schwäbisch Hall, Aktionen gegen die NPD-Villa in Eningen, die Kundgebungen und Veranstaltungen zum 30. Januar, zum 3. Oktober, zu den Antikriegstagen, die vielen Veranstaltungen zur Erinnerung an die Opfer des Faschismus und zur Bewahrung des Erbes des Widerstandes.

Optimismus und langer Atem
Anne Rieger hob die Vielfalt der Aktionen der demokratischen und sozialen Bewegungen, zu denen die VVN-BdA ihren Beitrag geleistet hat, hervor. "Es ist keine Frage, Widerstand und Protest reichen noch bei weitem nicht, um diese Regierung hinwegzufegen und eine neue Regierung zu zwingen, Politik in unserem Sinne zu machen. Aber immerhin, die Regierung wankt. ... Wir dürfen in diesen Zeiten, wo wir mit dem Rücken an der Wand stehen, nicht die kleinsten Erfolge übersehen: Ohne diese vielen Protest- und Widerstandsaktionen wären die Herrschenden mit ihren Kürzungs- und Raubplänen voll durchgekommen. Nur unser Druck von unten zwingt sie zurückzustecken."

Als besonders positiv hob sie die Mitgliederbilanz der VVN - Bund der Antifaschisten in Baden-Württemberg hervor. Im Ergebnis der Arbeit der Kreisvereinigungen ist es zum erstenmal nach vielen Jahren gelungen, den Mitgliederrückgang zu stoppen und wieder einen, wenn auch bescheidenen, Mitgliederzuwachs zu verzeichnen. Sie rief dazu auf, auf diesem Wege durch verstärkte Mitgliederwerbung auch in den kommenden Jahren fortzufahren. Am Schluß rief sie unter großem Befall aus: "Der Blick nach vorn macht unsere Organisation attraktiv, der Blick zurück selbstbewußt. Unseren Optimismus und unseren langen Atem holen wir aus Geschichte und Gegenwart - vor allem aber aus dem Widerstand unserer Gründungsväter und -Mütter."

Demokratieabbau und Grundrechtsdemontage
Einen Höhepunkt der Konferenz bildete das Gastreferat von Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner zum Thema "Innere Sicherheit: Demokratieabbau und Grundrechtsdemontage". Rolf Gössner wies nicht nur auf den großen Lauschangriff als öffentlich wahrgenommener deutlicher Schritt des Abbaus von Grundrechten hin, sondern auch auf die vielen kleinen Schritte in Polizeigesetzen und Alltagspraxis von Polizei und Justiz, die seit einigen Jahren, zunehmend demokratische Rechte unterhöhlen. Deutlich wurde dabei, daß sich die VVN - BdA in der kommenden Zeit mit diesen Fragen mehr als bisher beschäftigen muß. (Wir werden das Referat von Rolf Gössner in der nächsten Zeit veröffentlichen). Der Schwerpunkt, den Anne Rieger bereits im Rechenschaftsbericht auf das Einmischen in den Bundestagswahl- kampf gesetzt hatte, spiegelte sich auch in der Antragsberatung wider.

Bundestagswahl: Zeit zum Einmischen
Zum Thema "Die VVN-BdA im Wahljahr - Positionen und Vorhaben" hatte der Landesvorstand einen umfangreichen Antrag vorgelegt, der die in den letzten Jahren erarbeiteten Positionen und Forderungen unserer Organisation als Grundlage für unsere Eingreifen in den Bundestagswahlkampf zusammenfasste. Diese Zusammenfassung stieß auch in der Diskussion weitgehend auf die Zustimmung der Delegierten. Kontroverse Diskussionen gab es allerdings zu einer Reihe von Punkten, die als Ergänzung vorgeschlagen wurden.

Hier machte sich ein struktureller Mangel einer zweitägigen Konferenz bemerkbar. Die Zeit reichte eigentlich nicht aus, um völlig neue Vorstellungen, die bisher weder in den Kreisvereinigungen noch in den Landesgremien zur Diskussion standen, so zu erarbeiten, daß am Ende nicht Mehrheit und Minderheit, sondern eine inhaltliche fundierte Übereinstimmung entsteht. Am Schluß der Beratung zu diesem Antrag ersetzte eine Mehrheitsabstimmung über ein von der Antragskommision vorgelegtes Gesamtpaket die inhaltliche Diskussion und Entscheidung einiger einzelner strittiger Fragen. So entstand als Ergebnis ein Papier, das in seinem größten Teil den in der VVN-BdA erarbeiteten Konsens zu wichtigen Fragen antifaschistischer Politik widerspiegelt, in einzelnen Punkten aber erklärtermaßen von manchen Mitgliedern und Funktionsträgern der VVN - BdA nicht mitgetragen wird.

Was beim ersten Antrag nicht funktionierte, gelang allerdings bei allen weiteren Anträgen, die auf der Konferenz behandelt wurden. Nach engagierten und kontroversen Diskussionen konnte immer ein Ergebnis erarbeitet werden, daß am Ende die nahezu einstimmige Zustimmung aller Delegierten fand.

Solidarische Kontroversen
Besonders bemerkenswert war dieses Ringen um eine gemeinsame Lösung, als es um die Finanzen der Vereinigung ging. Im Bundesausschuß war gefordert worden, daß der Beitragsanteil des Bundes zu Lasten der Landesvereinigung nahezu verdoppelt werden müsse, um die Finanzierung der Bundesgeschäftsstelle zu sichern. Für die Landesvereinigung würde das bedeuten, daß dann die Landesgeschäftsstelle nicht mehr zu finanzieren wäre. Eine Entscheidung zwischen Bund und Land wurde dennoch nicht getroffen. Die Delegierten suchten in gemeinsamer Verantwortung eine Lösung, die die Finanzsituation in allen Bereichen unserer Vereinigung verbessern muß. Natürlich wurde der Stein des Weißen auf der Konferenz nicht erfunden, aber am Ende einstimmig ein Weg gewiesen, der Hoffnung auf eine gemeinsame Lösung der Probleme macht.

Neue Gesichter im Landesvorstand
Einstimmigkeit herrschte auch bei einem Antrag, den schwarzen Journalisten Mumia Abu Jamal als Ehrenmitglied der VVN-BdA aufzunehmen. Mumia Jamal, der seit Jahren aufgrund einer offenkundig konstruierten Anklage aus rassistischen Gründen in den USA in der Todeszelle eingesperrt ist, soll auf diese Weise die Solidarität der deutschen Antifaschisten erwiesen werden.

Eine komplizierte Situation ergab sich noch einmal bei den Wahlen zum Geschäftsführenden Landesvorstand. Anne Rieger, die seit langen Jahren, zunächst als stellvertretende Landesvorsitzende und dann als Sprecherin der VVN - BdA Baden-Württemberg die Arbeit unserer Landesvereinigung mit großem Engagement mitgeprägt hatte, stand nicht mehr für eine Kandidatur zur Verfügung. Bis zur Konferenz hatte sich niemand gefunden, der bereit gewesen wäre in ihre, zugegebenermaßen große Fußstapfen zu treten. Begeisterung kam auf, als dann auf der Konferenz, Werner Pfennig, Bundessprecher der VVN-BdA und ehemaliges Mitglied im Geschäftsführenden Vorstand der IG Medien, seine Bereitschaft erklärte, zusätzlich auch für das Amt als Sprecher der VVN - BdA Baden-Württemberg zu kandidieren. Die Delegierten dankten ihm diese Bereitschaft mit einem nahezu einhelligen Wahlergebnis. Mit großer Mehrheit wurden auch die bisherige Landessprecherin Silvia Schulze und der bisherige Landesprecher Reinhard Hildebrandt in ihrem Amt bestätigt. Erfreulich, daß sich an Stelle der weiteren ausscheidenden GLV-Mitglieder junge Kameraden zur Kandidatur bereit erklärten.

Ein eher trauriges Ereignis wurde zu einem weiteren Höhepunkt der Konferenz: Mit stehendem Beifall dankten die Delegierten der ausscheidenden Landessprecherin Anne Rieger für ihre Arbeit für die VVN-Bund der Antifaschisten. Auch Friedhelm Hoffmann, Peter Bökenkröger und Helmut Woda, die ebenfalls aus dem GLV ausschieden wurden mit Blumen und herzlichem Beifall verabschiedet.

Man kann mit uns rechnen
Am Ende einer arbeitsreichen und spannungsreichen Konferenz, die mitnichten ohne Probleme und Reibungen ablief dankte der Ehrenvorsitzende Alfred Hausser, allen Delegierten und besonders allen, die im Hintergrund mitgeholfen haben, die Konferenz erfolgreich zu gestalten.

"Diese Konferenz hat gezeigt, daß sich die VVN-BdA den Problemen stellt, daß sie ihre antifaschistische Aufgabe in der Bundesrepublik ernst nimmt, daß sie mit Optimismus in die Zukunft sehen kann und eine Kraft ist, mit der in unserem Land auch in Zukunft gerechnet werden muß."

Dieter Lachenmayer


antifaNACHRICHTEN werden herausgegeben von der VVN/BdA Baden-Württemberg.
V.i.S.d.P.: Dieter Lachenmayer.

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