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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
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Nummer 4 / Oktober 1997


Polizeieinsatz gegen Heß-Gedenkmarsch

Demokratieabbau und Meldepflicht helfen nicht gegen Nazis

von Dieter Lachenmayer

Wer erinnert sich nicht an den Nazi-Aufmarsch in Fulda? 1993 zogen dort mehrere Hundert Stiefelfaschisten unbehelligt durch die Innenstadt und veranstalteten ihre "Rudolf-Heß-Gedenkkundgebung". Die Polizei war mit starken Einsatzkräften unterdessen vollkommen damit ausgelastet, linke Gegendemonstranten vor der Stadt aufzuhalten und zu verhaften.

In diesem Jahr war fast alles anders: In der ganzen Republik verhinderte ein koordiniertes Polizeiaufgebot zahlreiche Naziaufmärsche und Aktionen, die auch heuer wieder anläß-lich seines 10. Todestages zur Verherrlichung des Kriegsverbrechers Rudolf Hess geplant waren. Bundesweit wurden an Autobahnzubringern, Rastplätzen, Bahnhöfen Polizeikon-trollen errichtet, die bei den mobilen Nazitrupps Waffen und waffenähnliche Gegenstände, Megafone und Propagandamaterial zu Hauf beschlagnahmt. Mit Hubschraubern eingeflogene Polizeihundertschaften schritten blitzartig ein, wo sich Nazis zu Marschkolonnen formierten. Dreihundert Nazis im gesamten Bundesgebiet wurden vorübergehend festgenommen.

Der nahezu martialische Polizeieinsatz wurde öffentlich zelebriert und der Erfolg gefeiert: Alle größeren Naziaufmärsche wurden verhindert. Gut so!

Das Selbstverständliche wird zur Sensation
In diesem Jahr hat die Polizei also zum ersten mal gegen drohende Naziaufmärsche einen Aufwand getrieben, der vergleichbar ist mit dem, was bei jedem Castortransport, bei den alljährlichen kurdischen Newroz-Feiern und bei vielen antifaschistischen Aktionen seit Jahren zu ihren leichtesten Übungen zählt.

Der Hauptunterschied zu frühenen großangelegten Polizeiaktionen bestand darin, daß sich Innenministerien und Polizei beim Vorgehen gegen die Rudolf-Heß-Märsche zum ersten mal an ihren vefassungsmäßigen Auftrag hielten. Währen Proteste gegen Atomanlagen, gegen Nazis und gegen den Krieg in Kurdistan nämlich erlaubt und vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ausdrücklich gedeckt sind, ist das Gedenken an und die Verherrlichung von Kriegsverbrechern, die Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker, das Zeigen von Nazisymbolen, die Aufstachelung zum Rassenhass, die Volksverhetzung u. vieles andere, was die Nazis so treiben, nämlich ausdrücklich verboten.

Wenn Öffentlichkeit und Medien nun Polizei und Innenministererien dafür loben, daß sie getan haben, wozu sie gesetzlich verpflichtet sind und auch bezahlt werden, zeigt dies, daß in diesem Land noch immer außerordentlich ist, was selbstverständlich sein müsste.

Risiken und Nebenwirkungen
Deshalb empfiehlt sich auch ein Blick auf die Risiken und Nebenwirkungen, die diesen gelungenen Polizeieinsatz begleiten.

Da sind zunächst die vielen antifaschistischen GegendemonstrantInnen, die anläßlich der Verhinderung der Rudolf-Hess- Märsche gleich mitverhaftet wurden. Wo immer sich AntifaschistInnen zusammenfanden um sich den Naziaufmärschen entgegenzustellen, kam es auch unter ihnen zu Festnahmen. Nicht die Durchsetzung des gesetzlichen Verbots nazistischer Betätigung war also Leitlinie des Polizeieinsatzes, sondern das Festhalten an der Fiktion, daß rechts = links bleibt und daß, wer demonstriert, per se verdächtig ist.

Vorbeugehaft und Meldepflicht
Da sind vor allem aber auch die neuen Methoden, die nun zum ersten Mal gegen Nazis ausprobiert wurden und bei denen sich vor allem die baden-württembergische Polizei besonders hervorgetan hat.

Bereits im Vorfeld der Rudolf-Heß-Märsche kündigte der badenwürt-tembergische Polizeipräsident an, man werde "mit flexibler Polizeitaktik konsequent agieren". Die Polizei werde mit strengen Meldeauflagen für registrierte Rechtsextremisten martialische Aufmärsche schon im Ansatz ersticken. "Wer sich nicht an die Meldeauflagen hält, wird in Vorbeugehaft genommen." Tatsächlich erhielten mehr als 100 "registrierte Rechtsradikale" vom Innenministerium in Baden-Württemberg, die Auflage, sich am Heß-Wochendende 2 - 3 mal täglich auf dem Polizeirevier ihres Heimatortes zu melden.

Schmerzvolle Erinnerung
Die Freude, daß es diesesmal die richtigen getroffen hat, kann die Erinnerung nicht unterdrücken. Die Stichworte des Polizeipräsidenten "Vorbeugehaft" und "Meldeauflage", sind vor allem noch jenen im Gedächntis, die damit vor nunmehr fast 65 Jahren zu tun hatten. Vorbeugend wurden damals Antifaschisten ins KZ eingesperrt und einer täglichen "Meldeauflage" unterlagen diejenigen, die aus dieser Hölle entlassen wurden. Daß antifaschistischer Widerstand bereits damals "im Ansatz erstickt" werden sollte, bestärkt am Rande den Verdacht auf Verwandschaft von Sprache und Denken.

Schlag nach im Grundgesetz
Man muß aber gar nicht so weit zurückgehen, um bei diesen neuen Polizeimethoden das Haar in der Suppe zu finden. Tatsächlich hat die Polizei bei ihrem Vorgehen gegen die HessMärsche tief in ihre Instrumentenkiste gegriffen, deren Inhalt Demokraten schaudern läßt:

Vorbeugehaft, Beseitigungsgewahrsam und andere Varianten des aus dem Polizeigesetz abgeleiteten Freiheitsentzuges sind nicht nur demokratietheoretisch höchst bedenklich, sie widersprechen auch dem Grundgesetz, das in Artikel 104, 2 eindeutig festlegt: "Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden." und weiter, Absatz 3 "Der Richter hat entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen."

Meldepflicht Instrument der Polizeiwillkür
Daß der Richter eine Meldepflicht verhängen kann, scheidet das Grundgesetz also aus. Folgerichtig wurden die neuen Meldeauflagen in Baden-Württemberg auch nicht von einem Richter, sondern von der Polizeibehörde ausgesprochen. Damit wurde ein neues Instrument polizeilicher Maßnahmen kreiiert, das bisher weder im Grundgesetz noch im Polizeigesetz zu finden ist.

Wie immer Juristen darüber befinden mögen: Ein Betroffener von der Auflage, sich zu festgelegten Zeiten mehrmals täglich auf einer Polizeiwache zu melden, wird nicht daran zweifeln, daß es sich dabei um eine Variante von Freiheitsentzug handelt. Spätestens wenn er seinem Arbeitgeber seine Abwesenheit erklären oder auch nur seinen Sonntagsausflug ausfallen lassen muß, liegt dies auf der Hand. Bei solch gravierenden Folgen für die Betroffenen wird die Meldepflicht zum Instrument polizeilicher Willkür.

Wird registriert, wer demonstriert?
Erschrecken löst auch eine andere Frage aus: Woher weiß die Polizeibehörde, wer ein "registrierter Rechtsradikaler" ist. Welcher Registratur bedient sie sich dabei? Wer führt sie und wer entscheidet darüber, wer dort aufgenommen wird? Das ist nicht nur ein Fall für den Datenschutzbeauftragten sondern für alle: Wo es eine Registratur für "Rechtsradikale" gibt, gibt es auch eine für "Linksradikale" ... und da es um vorbeugende Demonstrationsverhinderung geht, ist auch eine Registratur für KernkraftgegnerInnen, KurdInnen, HausbesetzerInnen, FriedensdemonstrantInnen, GewerkschafterInnen und viele, viele andere nicht weit.

Die Gesetze reichen aus
Dieses neue Polizeiinstrument wurde diesesmal an Rechten ausprobiert. Seine demokratische Qualität wird aber nicht dadurch besser, daß es nun zu dem guten Zweck der Verhinderung der Naziaufmärsche eingesetzt wurde. Dieser Zweck ist jederzeit auch ohne Demokratieabbau zu erreichen. Wer Rassen und Völkerhaß predigt, Nazischriften vertreibt, Volksverhetzung betreibt, braucht nicht als "rechtsradikal" registriert zu werden, er gehört nach den geltenden Gesetzen abgeurteilt. Eine konsequente Umsetzung dieser rechtsstaatlichen Selbstverständlichkeit, würde mit Sicherheit mehr Nazis von RudolfHeß und anderen Märschen fernhalten als alle Meldeauflagen. Daß die Polizei auch ohne solche Meldeauflagen, Demonstrationen verhindern, ja hunderte von DemonstrantInnen jederzeit einkesseln und festnehmen kann, hat sie viele Male bereits gezeigt, als es nicht gegen verbotene, sondern um erlaubte Meinungsäußerungen ging. Warum also sollte sie zum Kampf gegen rechts neue Instrumente benötigen? Was sie braucht ist einfach den entschlossenen Willen der zuständigen Politiker, endlich konsequent die geltenden Gesetze gegen den wabernden NaziSumpf anzuwenden.

Solange ein solcher Wille nicht durchgehend zu erkennen ist, bleibt der Verdacht, daß die wenigen Male, wo Politik und Polizei Stärke gegen rechts demonstrieren, nur dazu dienen, an der Fiktion rechts = links festzuhalten. Eine Verschärfung der Polizeigesetze hatte in allen Phasen der deutschen Geschichte immer nur ein Ziel und eine Folge: Kampf gegen links und Demokratieabbau.
Dieter Lachenmayer



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V.i.S.d.P.: Dieter Lachenmayer.

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