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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
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antifNACHRICHTEN an9710
Nummer 4 / Oktober 1997


Henkel-Herzog-Debatte zum Verfassungsbruch

Wir schützen unsere Verfassung

von Anne Rieger

Wäre der Verfassungsschutz das, was sein Name vorgibt, er müßte sofort aktiv werden. Aber er rührt sich nicht. Und das, obwohl der oberste Chef der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, öffentlich dazu aufgerufen hat, die föderale Struktur und das Verhältniswahlrecht zu schleifen. Sie sind ihm ein Dorn im Auge der Profitmaximierung. Nicht versehentlich oder zufällig, sondern gezielt, innerhalb von einem Monat zweimal, in zwei honorigen Zeitungen mit hohen Auflagen, greift er damit einen Vorschlag Roman Herzogs auf. "Eine Selbstblockade der politischen Institutionen können wir uns nicht leisten", hatte dieser dort im April unter dem Beifall der politischen Eliten in seiner viel beachteten Rede im Hotel Adlon gefordert.

Ein Angriff auf die Bundesländer in unserem Grundgesetz ist nicht nur deswegen verwerflich, weil der Föderalismus zu den Ewigkeitsartikeln unseres Grundgesetzes (siehe Kasten) gehört, sondern auch, weil das vorerst verlangsamte riesige Projekt der Umverteilung von unten nach oben dadurch wieder auf Touren gebracht werden soll. Politisch höchst brisant aber ist dieser Angriff unter historischem Gesichtspunkt. 1928 wurde ein "Bund zur Erneuerung des Reiches" gegründet. 1929 forderte der RDI nicht BDI - Steuervergünstigungen für die Unternehmer und Erhöhung der Massensteuern. 1930 zerbrach daran die Regierung Müller, und ab da regierte Brüning mit Notverordnungen unter weitgehender Ausschaltung des Parlaments.

Gewerkschaften stoppen Umverteilungsprojekt
Mit den weitestgehend erfolgreichen Tarifkämpfen zur Lohnfortzahlung stoppten die Gewerkschaften Ende 1996 das riesige Projekt der Umverteilung von unten nach oben. Der 1996 vollzogene Sozialabbau konnte zwar in seinem Gesamtumfang nicht rückgängig gemacht werden. Aber die von den Gewerkschaften organisierten Massenproteste im Sommer und Herbst 1996 mündeten in der Verhinderung des Abbau der wesentlichen Teile der Lohnfortzahlung. Die Beschäftigten von Daimler Benz, des zweitgrößten Industriearbeitgebers der Bundesrepublik, hatten den bedeutendsten Anteil daran.

Das führte dazu, daß die beiden nächsten Teilprojekte der Umverteilung von unten nach oben, die Steuer und Rentenreform, im Wahljahr 1997 erst einmal zum Stoppen gebracht wurden. Denn SPD und Bundesländer waren nicht bereit, der als "Steuerreform" getarnten Steuerumverteilung im Bundesrat so zuzustimmen, wie die Koalition sie im Interesse der Unternehmer vorgelegt hatte.

Herzog ergreift Partei der Unternehmer
Da fühlte sich Bundespräsident Roman Herzog berufen, von seinem höchsten Staatsamt in die Niederungen der Umverteilungspolitik hinabzusteigen und zugunsten der Unternehmer in den Auseinandersetzung Position zu beziehen. An historischem Ort, wo "vor 90 Jahren das alte Adlon von Kaiser Wilhelm II. eingeweiht" wurde, ließ er uns wissen, daß dieses Land "einen neuen Aufbruch braucht". Er hielt nicht damit hinter dem Berg, wie der auszusehen habe. Er verlangte, es müsse ein "Ruck durch unser Land gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen. ( ... ) Alle, wirklich alle Besitzstände müssen auf den Prüfstand." Er forderte u.a. die Reduzierung der Lohnnebenkosten, Tarifabschlüsse, die "Neueinstellungen möglich machen", "betriebsnahe Tarifabschlüsse" und "flexiblere Arbeitsbeziehungen", Deregulierung, Lohnabstandsgebot bei Sozialhilfeleistungen, Kürzung von Krankenversicherungsleistungen, die Steuerreform. Er wies auch gleich auf die Instrumente hin, mit denen der unbotmäßigen Opposition beizukommen sei: "Eine Selbstblockade der politischen Institutionen können wir uns nicht leisten" (Alle Zitate aus seiner Rede am 26.4.97 im Hotel Adlon).

Henkel greift Grundgesetz an
Diesen Tip zur Demontage parlamentarischer Institutionen griff Hans-Olaf Henkel, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie ("Schluß mit der Konsenssoße") sofort auf, ging dabei aber einen Schritt weite. Am 9.7. in der "Woche" forderte er demokratische Elemente unserer Verfassung zu schleifen, demokratische Prinzipien zu liquidieren und damit Instrumente der Opposition zu demontieren. Mit der Begründung, unserer Gesellschaft sei auf dem Weg, "ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren" forderte er eine Debatte zur Veränderung der verfassungsrechtlichen Grundlagen unseres politischen System. Es müsse gefragt werden, "ob ein Land mit unserer f"deralen Struktur, mit 16 Bundesländern, einem Verhältniswahlrecht, überhaupt eine Chance" habe, sich so schnell zu verändern. Er forderte schnellere Entscheidungsabläufe in der Politik, um die "Anpassungsge schwindigkeit an neue Verhältnisse zu erhöhen." Es müsse jemand damit beginnen "über die Fähigkeiten unseres Systems im Wettbewerb mit anderen zu sprechen, (...) die Systemdebatte auf höchster und vor allem kompetentester Stelle anzustoßen. Wer wäre da geeigneter als Bundespräsident Roman Herzog."

"Nur die Diktatur ist schnell"
Der Föderalismus gehört zu den "Ewigkeitsartikeln" unseres Grundgesetzes, die mit keiner Mehrheit des Bundestages geändert werden können (1). So gab es auch sofort einige Gegenstimmen. Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth brachte es auf den Punkt: "In Demokratien brauchen Entscheidungen Zeit. Nur die Diktatur ist schnell" (Frankfurter Rundschau, 14.7.97). Sie bekam Unterstützung von den Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (2) und Hans Eichel (3) und den Verfassungsexperten Heinrich Oberreuter (4) und Günter Frankenberg(4).

Instrumente der Opposition - Opfer auf dem Altar der Umverteilung
Von 1949 bis 1996 verhinderte die Länderkammer rund 50 Gesetze, bei 5166 verabschiedeten Gesetzen sind das nicht einmal 1 %. Kein Grund zur Behauptung also, das föderale System behindere politische Entscheidungen. In Wirklichkeit geht es um die Abschaffung von Instrumenten der Opposition, so wie es an anderer Stelle über die Aushebelung des Flächentarifvertrags gegen die Gewerkschaften geht. Henkel fordert "mehr Selbstbestimmung, statt mehr Mitbestimmung", hält den Flächentarifvertrag für überholt, fordert die Abschaffung betriebsverfassungsrechtlich geschützter Rechte: "Moderne Unternehmen ... kommen blendend ohne Gewerkschaften aus." (Henkel, Wirtschaftswoche 7.8.97)

Es geht um den Abbau demokratisch geschützter Grundpositionen zu einer Demokratie niedriger Intensität in Richtung zu einer stärker autoritären Staatsverfassung. Das Grundgesetz soll weiter geschleift, die Opposition entmachtet und der Einfluß der Länder im Bundesrat weiter zurückgeschraubt werden, um die weiteren Forderungen der Arbeitgeberverbände zur Umverteilung und Systemveränderung ungehindert und schnell durchsetzen zu können. Henkel wird deutlich: "Wir brauchen ein Sofortprogramm mit einer deutlichen Absenkung der Körperschaftssteuer und des Spitzensatzes für gewerbliche Einkommen bei der Einkommenssteuer. Auch die mittelstandsfreundliche Absenkung der Gewerbeertragssteuer sollte noch in dieser Legislaturperiode verwirklicht werden, so wie es die Bundesregierung ursprünglich auch in ihrem Konzept vorgesehen, aber auf Druck der SPD herausgenommen hat." Und für die Sozialpolitik fordert er das "Prinzip der Nachhaltigkeit" also eine nachhaltige Kürzung der Sozialpolitik und Privatisierung sozialer Risiken. Die "Geduld der Unternehmer" sei "erschöpft. Es reicht jetzt." Seine Vision für das Jahr 2010 sind Arbeitszeiten von 40 50 Stunden einerseits und Teilzeit und Arbeitslosigkeit andererseits. Als Grund dafür gibt er an, der Export laufe "langsamer als der Welthandel. Wir verlieren also Marktanteile" (ebenda und siehe auch (6)).

Bedenklich
Wir halten die Herzog Henkel Diskussion für außerordentlich bedenklich für den Erhalt unserer demokratischen Republik und sind der Meinung, daß wir sie nicht einfach übergehen dürfen. Erstens bekommen Henkel und Herzog Unterstützung aus breiten Kreisen der sogenannten "Eliten", erinnern wir nur das öffentliche Lob, das Herzog für seine Rede im Hotel Adlon erfuhr. Zweitens weist die Debatte fatale Ähnlichkeiten zu den 30ger Jahren der Weimarer Republik auf, wie auch die Stuttgarter Zeitung schreibt (siehe unten).

Unterstützung durch politische Eliten
Bundesjustizminister Edzard-Schmidt Jortzig setzte im Justizbereich nach. Am 10.8. sprach er sich für die Abschaffung von drei Gerichts-Instanzen aus. Es gebe zu viele Prozesse in Deutschland, Ursache sei das "föderative System der Bundesrepublik." Die Länder hätten bisher jedoch jeden Versuch blockiert, den Instanzenweg zu reformieren. Nach seiner Auffassung seien nur zwei Instanzen "zwingend". "Auch das System der Rechtsmittel, das heißt der Möglichkeiten, überhaupt in die obere Instanz zu kommen, muß reformiert werden - und zwar dahingehend, daß vorhandene Ausuferungen beschnitten werden."

Heinrich Weiss, früherer Präsident des BDI, sagt am am 31.7.97 in der "Welt", worum es geht. Seiner Meinung nach fehlen Politiker mit Führungsstärke, die "bereit wären, auch unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen." Mit verschiedenen Argumenten stimmen zu: Paul Kirchhof, Verfassungsrichter und Steuerexperte des höchsten deutschen Gerichts (7), Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble (8), FDP-Chef Graf Lambsdorff (9), Paul Friedhoff, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion (10). Niemand aber wird deutlicher als Finanzminister Theo Waigel. Während der Debatte zur Haushaltspolitik verlangt er, "das System des Föderalismus zu renovieren" (11). Nichts zeigt klarer, als dieses Verlangen des Finanzministers "mit Blick auf die Probleme der Steuerreform" (Stuttgarter Zeitung, 10.9.97), daß es um bessere Voraussetzungen für eine schnellere Umverteilung geht - um nichts anderes.

Neue Auslegung des Grundgesetzes gefordert: Keine unbedingte Ablehnung zeigen Ernst Schwanhold, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, "Henkels Forderungen hörten sich zwar gut an, seien aber mit der Verfassung nicht vereinbar" (FAZ 8.8.97). Dieter Weidemann, Vize des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, warnt den BDI-Chef davor, "das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ein solcher Ansatz geht mit zu weit" (AZ 11.7.97), Bundeskanzler Helmut Kohl sieht dafür "keine Mehrheiten" (11). Rupert Scholz, CDU-Rechtsexperte, sprach sich gegen eine Grundgesetzänderung aus, verlangte aber eine "vernünftige Auslegung".

Schweigende Zustimmung hingegen bei den Repräsentanten der Wirtschaft wie DIHT-Präsident Hans-Peter Stihl, Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt u.a.. Der BDI nennt das Scheitern der Steuerreform am 1.8.97 in den Stuttgarter Nachrichten ein "steuerpolitisches Fiasko". Ebenfalls dort äußert sich DIHT-Präsident Hans Peter Stihl: "Lafontaine stützt Deutschland in die Kreisklasse". Am gleichen Tag die Top-Meldung : der Daimler Benz Konzern habe sein Betriebsergebnis in der ersten sechs Monaten dieses Jahres gegenüber 1996 mehr als verdoppelt, es stieg auf 1,8 Mrd. an (Vorjahr 0,8 Mrd. DM).

Bundesrat schuld an Arbeitslosigkeit?
Bundesweit haben wir gleichzeitig die höchste Arbeitslosigkeit der Geschichte. Dazu H. Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 9./10.8.97: "Regierungspolitiker geben neuerdings dem Föderalismus die Schuld an der deutschen Bilanz. ... Graf Lambsdorff und Wolfgang Schäuble "tun so, als sei der Bundesrat Schuld an der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland." Er fährt fort: "Am Rande bemerkt, der Föderalismus war die Abwendung vom zentralistischen Staatssystem, das den Absolutismus gekennzeichnet hat. Einen neuen Bonn/Berlin Absolutismus brauchen wir nicht" (11).

Es geht nicht um Reform, um Fortschritt - es geht um das zurückdrehen von Entscheidungsprozessen allein im Sinne der Wirtschaft. Die FAZ warnt am 8.8.97 vor überhastetem Vorgehen: "Nach den Erfahrungen der Vergangenheit ist man in Deutschland noch empfindlicher als in anderen Ländern, wenn pauschal und abwertend klingende Kritik an politischen Institutionen geübt wird." Grundsätzlich ist die FAZ aber einverstanden: "Zum wiederholten Male hat Henkel jetzt Politik und Gewerkschaften scharf angegriffen und ihnen vorgeworfen, die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben. Zumindest in den Unternehmen, möglicherweise sogar in weiten Teilen der Gesellschaft (!! A.R.) dürfte der BDI-Präsident mit seiner Forderung nach mehr Selbstbestimmung des Privaten und mit seiner Kritik an der gewerkschaftlichen Arroganz Zustimmung finden. Doch selbst wenn seine Kritik inhaltlich berechtigt ist, muß Henkel doch aufpassen, daß er den Bogen nicht überspannt. Das Wort von der "Entmachtung" des Bundesrates war schon ungeschickt und überflüssig. Wenn Henkel jetzt nach einer Verfassungskommission ruft, die die Verantwortlichkeiten im föderalen Staatswesen neu regeln soll, so schafft er sich in allen politischen Parteien Gegner."

Stuttgarter Zeitung erinnert an 1930
Die Stuttgarter Zeitung vom 1. 8. 97 weist auf die erschreckenden Ähnlichkeiten zur Deutschen Geschichte hin: "Man sollte auch keine unziemlichen Vergleiche ziehen, aber die parteipolitisch verschuldete Unbeweglichkeit in Bonn erinnert doch ein wenig an die Endphase der Weimarer Republik. Es war die Unfähigkeit der republikanischen Politiker, ihre Parteiinteressen hinter die Bewahrung der parlamentarischen Ordnung zu stellen. Das führte dazu, daß der Reichstag 1930 seine legislative Gewalt an die Regierung abgab. Wir haben heute eine andere Situation. Aber daß die erste deutsche Demokratie an mangelndem Pragmatismus der Parteien zugrunde ging, sollte immerhin als Warnung dienen."

1928: Bund zur Erneuerung des Reiches
Wir ziehen nicht den gleichen Schluß wie die Stuttgarter Zeitung aus den Ereignissen um das Jahr 1930, sondern wir rufen die damaligen Ereignisse in Erinnerung: 1928 wurde ein "Bund zur Erneuerung des Reiches" gegründet. Im Dezember 1929 hat der Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) seine Denkschrift "Aufstieg oder Niedergang" vorgelegt: "Ausgangspunkt für alle Maßnahmen der Wirtschafts, Finanz- und Sozial-politik ist unter den für die deutsche Wirtschaft gegebenen Umständen die Förderung der Kapitalbildung.." Wenige Tage danach legte Reichsfinanzminister Rudolf Hilferding ein Programm zur Sanierung der Reichsfinanzen vor. Es kam den Forderungen des RDI weit entgegen. Es sah eine Erhöhung der Massensteuern und Steuervergünstigungen für die Unternehmer vor. Der Reichstag nahm das Programm mit der Mehrzahl der sozialdemokratischen Stimmen an.

Reichsfinanzminister zum Rücktritt gezwungen Trotzdem wurde Hilferding von Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht zum Rücktritt gezwungen durch die Verweigerung notwendiger Aus und Inlandsanleihen zur Deckung des Reichshaushaltes. Der Streit um den Sozialabbau spitzte sich im Kabinett zu. Im März 1930 trat die Regierung Müller zurück, weil es in der Koalition keine Einigung über die Sanierung der Arbeitslosenversicherung gab, bei der die SPD die für Erhöhung der Beiträge bei Aufrechterhaltung der Darlehenspflicht des Reiches. Sowohl die Erhöhung der Beiträge, als auch die Beihilfen des Reiches wurden von den Unternehmerverbänden und der Deutschen Volkspartei abgelehnt.

Notverordnungen
Die nachfolgende Regierung Brüning regierte mit Notverordnungen, nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung. Die erste Notverordnung erschien im Juli 1930, insgesamt gab es in diesem Jahr 5, 1931 waren es bereits 44, und 1932 66 Notverordnungen.

Im November 1932 kam die Eingabe von Industriellen, Bankiers und Großagrariern an den Reichspräsidenten Hindenburg: "Wir bekennen uns frei von jeder engen parteipolitischen Einstellung. Wir erkennen in der nationalen Bewegung, die durch unser Volk geht ... die unerläßliche Grundlage für einen Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft ... . Wir wissen, daß dieser Aufstieg noch viele Opfer erfordert. (...) Die Übertragung der verantwortlichen Leitung eines mit den besten sachlichen und persönlichen Kräften ausgestatteten Präsidialkabinetts an den Führer der größten nationalen Gruppe wird (...) Millionen Menschen (...) mitreißen."

Zeit zum Aufstehen: Alle Deutschen haben das Recht zum Widerstand
Wir halten es für notwendig, eine breite Initiative zu starten, um unsere Verfassung und unsere demokratische Republik zu schützen und für den Erhalt der Instrumente der Opposition und der Gewerkschaften zu streiten. Das Grundgesetz gibt uns den Auftrag im Artikel 20, Absatz 4: "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."

Es ist Zeit zum Aufstehen, wenn die Justiz schon nicht die Binde von den Augen nimmt, der Verfassungsschutz nicht die Verfassung schützt, zu viele Politiker in Apathie verharren, andere zustimmen. Wir haben in unserer Vergangenheit erlebt, wie gefährlich und verhängnisvoll es endet, wenn begonnen wird, soziale und demokratische Rechte abzubauen und die Demokratie zu demontieren. Es ist unseres Erachtens notwendig, rechtzeitig und nachdrücklich auf solche Absichten und Gefahren hinzuweisen und jeder auch nur ähnlichen Entwcklung energisch entgegenzutreten. 1930 konnten die damaligen Zeitzeugen noch sagen, wenn wir das alles gewußt hätten, was danach gekommen ist, dann hätten wir konsequent Widerstand geleistet. Uns, den heutigen Zeitzeugen, ist diese Ausrede nicht erlaubt.
Anne Rieger

Zitate

(1)"Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundgesetzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung (...) berührt werden, ist unzulässig", Artikel 79 (3) GG.

(2) Edmund Stoiber, Ministerpräsident von Bayern (CSU): "eine Einschränkung der verfassungsmäßigen Rechte des Bundesrates komme nicht in Frage" (FAZ 8.8.97).

(3) Hans Eichel, Ministerpräsident von Hessen (SPD), warf Henkel einen "politischen Amoklauf" vor. "Wer die Entmachtung des Bundesrats fordere, entpuppe sich als ungeeignet, in einer bewährten und vorbildlichen Demokratie als Interessenvertreter der Unternehmer zu handeln. Die Spitze der deutschen Industrie sollte ihre Kreativität und Kompetenz darauf verwenden, die Leistungskraft ihrer Unternehmen zu stärken" (FAZ 8.8.97).

(4) Heinrich Oberreuter, Passauer Politologe. Er hält die Forderung für "einen Hammer. Das ist ungeheuerlich." Henkel versuche die angespannte ökonomische Lage dazu zu benutzen, "das gesamte politische System auszuhebeln und es effizienz-orientierten, ökonomischen Kriterien unterzuordnen." Er frage sich "was passiert morgen, wenn man heute anfängt an solchen Prinzipien herumzunagen? Das nächste ist, wir gucken nach China. Da hat man schlanke Entscheidungsstrukturen. Die Effizienz einer Diktatur ist natürlich ungeheuer. Nur will man das?" (AZ 11.7.97.)

(5) Günter Frankenberg, Frankfurter Verfassungsexperte. "Wenn das die Position des Bundesverbandes der Deutschen Industrie ist, könnte man den BDI sogar als verfassungsfeindliche Organisation verbieten. ... Föderalismus ist ein Grundprinzip dieses Staates. Wer das abschaffen will, muß schon eine Revolution veranstalten." An eine reine Neugliederung des Bundesländer habe Henkel offenbar nicht gedacht, denn auch mit fünf oder zehn Bundesländern würden für die Wirtschaft wichtige Entscheidungsprozesse nicht viel schneller ablaufen. Henkels Vorschlag sei "bodenloser Unsinn - und gleichzeitig brandgefährlich. Der Mann will ein System ohne Länder und damit ohne Bundesrat - so stromlinienförmig wie möglich. Diese Gleichschaltungsidee hatten wir schon mal. Im Grunde ist Henkels Vorstoß der Weg in den Führerstaat." Mit seinen Äußerungen "richtet er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Mit der Begründung hat man die KPD verboten" (Abendzeitung 11.7.97).

(6) Henkel fordert eine "Verfassungskommission", die Vorschläge ausarbeiten solle,
"1. für präzisere Verantwortlichkeiten in unserem föderalen Staatswesen,
2. für die Verschlankung des Staates und
3. für die Beschleunigung der Entscheidungsprozesse."
Er hält auch nicht hinterm Berg, wie er mit Gewerkschaftsforderungen umzugehen gedenkt: . Die USA haben sich seiner Meinung nach über innere Reformen saniert: "Ich erinnere mich noch gut an den Mut, mit dem Präsident Reagan die Fluglotsen entließ, die völlig überzogene Gehaltsforderungen stellten. Das war ein wichtiges Signal für die Wende in Amerika." Er spricht von der "Übermacht der Gewerkschaften in unserm Land: Die unterlaufen schlankweg den Willen des Gesetzgebers." Er ist voll des Lobes von gewerkschaftsfreien Zonen: "Moderne Unternehmen wie die 3800 Softwarehäuser kommen blendend ohne Gewerkschaften aus. Und wenn Ostdeutschland einen Standortvorteil hat, dann den, daß man sich dort nicht an Flächentarifverträge hält. Das ist zwar noch massenhafter Gesetzesbruch, weil die Bundesregierung sich fürchtet, den Paragraph 77 Absatz 3 des Betriebsverfassungsgesetzes so zu regeln, wie es die Realität verlangt. Aber das ist nur eine Frage der Zeit. "Nicht die Gewerkschaften vertreten die Arbeitnehmer, sondern vor allem ihre Chefs in den Unternehmen und ihre Betriebsräte" und "Um die Reformbereitschaft zu erhöhen, brauchen wir die Vision einer Gesellschaft, für die es sich lohnt, kurz und mittelfristig den Gürtel enger zu schnallen oder auch die Richtung zu ändern" (Wirtschaftswoche 7./8.8.97).

(7) Paul Kirchhof, Verfassungsrichter und Steuerexperte des höchsten deutschen Gerichts kritisiert gegenüber "Focus", daß die Länderkammer ihre Blockadem"glichkeiten mißbrauche. "Der Zustimmungsvorbehalt des Bundesrates ist ein Vorbehalt in Länderinteressen, nicht in den Bundesinteressen von Landesfürsten." Darüber werde man nachdenken müssen. Er wies darauf hin, daß sich die Situation nur durch eine Verfassungsänderung ändern ließe, wofür eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag nötig wäre. Allerdings teile er nicht die Einschätzung von BDI-Chef Henkel, die föderale Struktur hemme Reformen. "Angesichts der Schwierigkeiten, die Steuerreform zu verabschieden, darf man nicht die Bundesstaatlichkeit in Frage stellen" (Stuttgarter Zeitung 4.8.97).

(8) Wolfgang Schäuble, Vorsitzender der Unions-Fraktion: "Ich finde Überlegungen richtig, daß die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes tendenziell etwas zurückgenommen werden sollte, aber dafür der Zuständigkeitsspielraum der Länder für eigengesetzliche Regelungen erweitert wird" (Südkurier, 8.8.97).

(9) FDP-Chef Graf Lambsdorff, forderte nach dem Scheitern der Steuerreform im Bundesrat, den Ländereinfluß auf die Bundesgesetzgebung zurückzudrängen (Süddeutsche Zeitung 9./10.8.97).

(10) Paul Friedhoff, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Er begrüßte Henkels ökonomische Forderungen. Sie richteten sich jedoch gegen die SPD und nicht gegen die Koalition. ... Für den Rest der Legislaturperiode bleibe die Verfassung so wie sie sei." - Und danach?

(11) "Die Kompetenz von Bund und Ländern bei der Steuergesetzgebung müßten so gestärkt werden, daß sie ihre politischen Konzepte autonom durchsetzen könnten, verlangte der Minister mit Blick auf die Probleme bei der Steuerreform", so die (Suttgarter Zeitung vom 10.9.97 über Theo Waigels Forderung "das System des Föderalismus zu renovieren."

(12) Helmut Kohl: "Erstens halte ich eine Diskussion für ziemlich unnötig, weil es dafür keine Mehrheit gibt." Zweitens habe der Bundesrat seinen öfesten Platz in unserer Verfassung. Und im Prinzip ist die Teilung Bundestag und Bundesrat ja vernünftig. Die hat sich im großen und ganzen auch bewährt" (Südkurier 9.8.97).

(13) Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 9./10.8.97 zu Recht: Regierungspolitiker "geben neuerdings dem Föderalismus die Schuld an der desolaten Bilanz .(...) Graf Lambsdorff und Wolfgang Schäuble (...) tun so, als sei der Bundesrat Schuld an der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland. Lambsdorff will dem Bundesrat gar alles wegnehmen, was die Qualität dieses obersten Bundesorgans ausmacht: Er kann Gesetzesvorlagen einbringen, er kann gegen beschlossene Gesetze Einspruch einlegen und bei Zustimmungsgesetzen die Zustimmung verweigern". Er fährt fort: "Am Rande bemerkt, war der Föderalismus die Abwendung vom zentralistischen Staatssystem, das den Absolutismus gekennzeichnet hat. Einen neuen Bonn/Berlin Absolutismus brauchen wir nicht. Und wer an dieser Stelle auf Frankreich verweisen will: Der Einheitsstaat dort ist keineswegs Ausdruck der freiheitlichen Ideen von 1789, die ja einen gegliederten Staatsaufbau vorgesehen hatten, sondern eine Verirrung der jakobinischen und napoleonischen Herrschaft, die dann fortgeschrieben worden ist. Es ist nun überhaupt nicht so, daß die Verfassung keiner Reform bedürfte und daß nicht der Föderalismus auf den Prüfstand müßte, der freilich, wenn man die Geschichte der Bundesrepublik betrachtet, jahrzehntelang nicht gestärkt, sondern abgebaut wurde. Das Merkwürdige und Entlarvende an der gegenwärtigen Debatte ist aber, daß es vor wenigen Jahren die institutionalisierte Chance gegeben hätte, die Verkrustungen von Jahrzehnten zu lösen und dem Grundgesetz neu Kraft zu geben. Doch die konservativen Kräfte haben die Verfassungsreform nach der deutschen Einheit kräftig behindert unter dem Beifall der Interessenvertreter der Industrie, die sich vor sozialen Staatszielen fürchteten. Die Union setzte sich mit ihrem damaligen Motto "Weiter so. Deutschland" verfassungsrechtlich durch. Wenig später wollte sie dann nicht mehr "so" weitermachen die Debatte über den Umbau des Sozialstaats begann. 1992/94 wurde das Grundgesetz quasi unter Denkmalsschutz gestellt. Heute bedauern die Denkmalsschütze von gestern die Schwierigkeiten, die sich jetzt beim Umbau des Hauses ergeben. Deshalb kommen sie jetzt mit der Abrißbirne. Ist das die große Wende, die Helmut Kohl 1982 angekündigt hat?"



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