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01.07.1997
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

Baden-Württemberg



antifNACHRICHTEN an9707

Heft Nummer 3/1997


Rückführung und Abschiebung bosnischer Flüchtlinge

Dort so unerwünscht wie hier

Gastbeitrag ovn Gari Pavkovic


Nach seinem letzten Besuch in Sarajevo kritisierte der deutsche Außenminister Kinkel die bosnische Regierung, daß sie nicht genügend für die Rücknahme und Wiedereingliederung der Flüchtlinge tue. Obwohl diese Kritik zutrifft, ist nicht klar, wen Herr Kinkel meint. Meint er den als Kriegsverbrecher gesuchten Serbenchef Radovan Karadzic, der über seinen offiziellen Vertreter in dieser Pseudoregierung (Krajisnik) seine gewaltsame Vertreibungspolitik fortsetzt? Meint er Franjo Tudjman, der über den Ableger seiner kroatischen Regierungspartei HDZ in der Herzegowina die ethnische Teilung des Landes mit dem Segen der EU zementiert (Beispiel Mostar)? Oder meint er den "Drittelpräsidenten" der bosnischen Muslime, Alija Izetbegovic, der sich mit der nationalistischen Vertreibungs- und Teilungspolitik in zwei Dritteln Bosniens arrangiert hat, und der nun selbst die von ihm kontrollierten Teile von Justiz, Armee, Polizei usw. "säubert"?

Die deutschen Innenminister der Länder haben in ihrem Erlaß vom Dezember 1996 v.a. die von Izetbegovic kontrollierten Territorien als sicher eingestuft: Kanton Una Sana, Sarajewo, Ost-Mostar u.a. Gemeinden, die überfüllt sind mit Binnenflüchtlingen aus anderen Gebieten des gewaltsam geteilten Landes.

"Deserteuere und Verräter"

Diejenigen Flüchtlinge, die im Ausland Schutz gesucht haben, gelten in Bosnien-Herzegowina als Nutznießer des Krieges auf Kosten jener, die im Land geblieben sind. Sie sind bestenfalls "schlechte Patrioten", die in der Heimat unerwünscht sind. Häufiger jedoch gelten sie als Deserteure und Verräter, die sich ihre neuen Platz in Bosnien teuer erkaufen müssen. Die bosnischen Behörden wollen nicht ihre Sachkompetenz und ihre Bereitschaft zum Wiederaufbau. Das Einzige was man von ihnen erwartet, ist ihr Geld: Geld für das Erstellen von Bescheinigungen, ohne welche eine Wiedereingliederung nicht möglich ist; Geld für das Bereitstellen von Wohnraum; Geld für das Ermöglichen von Arbeit.

Deshalb kehren auch über ein Jahr nach dem Dayton - Abkommen nur wenige Bosnier freiwillig in ihr Herkunftsland zurück. Bei den freiwilligen Rückkehrern handelt es sich überwiegend um Personen, die verfügbaren Wohnraum und das nötige Startgeld haben. Alle anderen sind auf provisorische Flüchtlingsunterkünfte und humanitäre Hilfe angewiesen, ohne Ausicht auf bezahlte Arbeit. Die Mehrheit der Kriegsflüchtlinge will zu zum jetzigen Zeitpunkt nicht zurückkehren, weil sie realistisch einschätzt, daß die notwendigen Mindestvoraussetzungen für das Überleben von niemandem garantiert werden kann. Haupthindernisse für eine freiwillige Rückkehr sind Angst vor massiver Diskriminierung und vor dem Wiederaufflammen des Krieges in anderen Landesteilen, nachdem die meisten immer noch nicht in ihre Heimatorte zurückkehren dürfen.

Die Opfer sind selber schuld

All diese Schwierigkeiten sind der deutschen Regierung gut bekannt. Doch in der neuen Zeit des Sozialabbaus und der "Reformen" (Kürzungen im Gesundheitsbereich, bei den Renten etc.) sind die bosnischen Kriegsflüchtlinge zu einem innenpolitischen Finanzproblem geworden. Man will nun auch sie im Zuge der Umverteilung der Mittel zu Lasten der Geringverdienenden "abbauen".

Somit hat die Kritik des Außenministers an der bosnischen Regierung mit der repressiven Abschiebungspolitik der Innenminister der Länder ab Mai 1997 eines gemeinsam: sie macht in erster Linie die Opfer dieses Vertreibungskrieges für ihren Zustand verantwortlich: die bosnischen Flüchtlinge und ihre Vertreter tun zu wenig für den Wiederaufbau.

Das knüpft an die Vorwürfe der Kriegsjahre an, als Außenminister Kinkel die "Konfliktparteien" ermahnte, sie sollen endlich miteinander Frieden schließen, wohl wissend, daß die Menschen gerade deshalb vertrieben wurden, weil sie ja Frieden, Demokratie und ethnisches Zusammenleben wollten.

Diese Flüchtlinge und Vertriebenen müssen sich aber nun wie ihr "Drittelpräsident" Izetbegovic mit all dem arrangieren, das der Preis für einen faulen Dayton-Frieden war: Legalisierung von Völkermord und ethnischen Säuberungen, konservativer Nationalismus, Kriegschauvinismus, Apartheid und Diskriminierung von Minderheiten, Oppositionellen und Frauen. Deutschland stand als eines der fünf Vermittlerstaaten in der sogenannten Kontaktgruppe bei diesem Kuhhandel Pate. Der Pate sieht nun seine Pflicht für erfüllt an und überläßt mit der massiven Rückführung der Flüchtlinge das Patenkind dem freien Spiel der gewaltsamen Teilungskräfte.

Die Alternativen zu einer solchen kurzsichtigen Politik wären ein im Ernstfall sorgfältig geprüftes Bleiberecht, bis die Mindestvoraussetzungen für das Überleben gesichert sind und das Schaffen solcher Mindestvoraussetzungen durch gezielte Aufbauhilfen für Gemeinden, die all ihre Bürger aufnehmen - Hilfen, die auch den Rückkehrern selbst zum Teil als konkrete Starthilfe zur Verfügung stehen. Gleichzeitig muß die EU spürbare Wirtschaftssanktionen gegen die verantwortlichen Vertragspartner erheben, die weiterhin sowohl die Auslieferung der Kriegsverbrecher als auch die Rückkehr der Vertriebenen in deren Heimatorte verhindern. Hier besteht Handlungsbedarf für Außenminister Kinkel.


Gari Pavokvic lebt seit langem in Stuttgart und engagiert sich in der Friedensarbeit bezüglich Ex-Jugoslawien und Bosnien. Er berät u.a. Flüchtlinge, die zur Rückkehr aufgefordert sind.


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