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01.07.1997
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

Baden-Württemberg



antifNACHRICHTEN an9707

Heft Nummer 3/1997


Ostermarsch 1997 in Calw

Mit neuem Selbstbewußtsein gegen die neue Bundeswehr

von Elke Günther


Der Wettergott meinte es gut mit den OstermarschiererInnen am 31. März in Calw. Kräftig wie lange nicht mehr strahlte der Planet am Ostermontag vom fast wolkenlosen Himmel und lockte ins Freie. Sicherlich auch mit ein Grund, daß so viele Friedensbewegte nach Calw gekommen waren, um gegen die dort stationierte neue Eliteeinheit der Bundeswehr, das Kommando Spezialkräfte (KSK) zu demonstrieren.

Mehrere Tausend Menschen drängten sich bei der Auftaktkundgebung vor dem zur Bühne umfunktionierten LKW in Sichtweite der Graf-Zeppelin-Kaserne, auf dem die Songgruppe "Kehrwoche" spielte und der Calwer Pazifist Hans Bay die DemonstrantInnen begrüßte. "Ein Krieg kommt nicht aus dem blauen Himmel herunter. Er muß vorbereitet werden. Er bedarf der Pflege und Mitwirkung vieler, um möglich zu werden", zitierte der Weltkriegsteilnehmer Hans Bay, der aus dem Grauen des 2. Weltkriegs für sich die Konsequenz "nie wieder Krieg" gezogen hat, den in Calw geborenen Dichter Hermann Hesse. "Im Windschatten der Globalisierungs- und Standortdebatte wird, kaum bemerkt von der Öffentlichkeit, eine Interventionsarmee aufgebaut, die in der Lage sein soll, auch dort deutsche Interessen mit der Waffe in der Hand kämpfend zu vertreten, wo die Politik der Dumping-Löhne des Scheckbuches und der Finanzmärkte versagen könnten" sagte Renate Wanie, Vorsitzende der deutschen Sektion der Helsinki Citizens' Assembly und Geschäftsführerin der Werkstatt für gewaltfreie Aktion. "Hier in Calw werden die zukünftigen Supermänner der Bundeswehr herangezüchtet, die Rambos der Republik, kalt wie der Terminator, tödlich wie Roboter. Dieser global einsetzbare Rambo wird keine demokratische Legitimation für sein Tun brauchen mehr brauchen. Vielmehr erhält er seine Legitimation im Kämpfen selbst..." charakterisierte sie die neuen Berufs-Elitekämpfer der Bundeswehr. Den so Bezeichneten dürften allerdings kaum die Ohren geklingelt haben. Und dies nicht deshalb weil die Lautsprecheranlage längst nicht bis zur Kaserne reichte. Der Oberkommandierende des KSK, General Schulz hatte seinen tropen- und arktistauglichen, in 90-Stunden-šbungen mit bewußtem Schlafentzug und Nahrungsmangel gestählten Mannen nämlich Osterurlaub befohlen, vermutlich um jegliche "Feindberührung" mit der Friedensbewegung auszuschließen...

Es war ein großer bunter Zug, mit vielen Transparenten und Fahnen der sich nach der Auftaktkundgebung langsam in Richtung Calwer Innenstadt in Bewegung setzte. "Unser Marsch ist eine gute Sache..." tönte etwas blechern die Stimme von Fasia Jansen vom Lautsprecherwagen. Lieder aus der Zeit der allerersten Ostermärsche in den 60er Jahren. Da mochte bei alten Ostermarschierern - und nicht wenige waren in Calw wieder mit dabei - schon ein wenig Nostalgie aufkommen. Auch wenn den vielen jungen DemonstrantInnen einige Melodien antiquiert vorgekommen sein mögen, das Anliegen, das die 5000 Menschen in Calw zusammengeführt hatte, ist es jedenfalls nicht.

Druck verstärken!

Auf dem historischen Calwer Marktplatz erwarteten die Ostermarschierer Lieder des Ernst-Bloch-Chors aus Tübingen. Danach sprach der Landesbezirksvorsitzende des DGB Baden-Württemberg, Siegfried Pommerenke. Der Gewerkschafter, der sich schon in den 80er Jahren stark in der Friedensbewegung engagiert hat, forderte den Druck auf die Politik durch eine außerparlamentarische Bewegung zu verstärken, sich "einer Entwicklung entgegenzustellen, die den Auftrag und das Einsatzgebiet der Bundeswehr Schritt für Schritt ausweitet." Das Kommando Spezialkräfte bezeichnete er als Symbol einer neuen Außenpolitik. "Wir stehen heute an einer Wendemarke von einer Politik der Kriegsvermeidung zu einer Politik der Kriegführung - wie immer dies von Militärs und Politikern auch bezeichnet wird. Ob 'friedenserhaltende' oder 'friedensstiftende' Maßnahmen, immer handelt es sich um Krieg", stellte Siegfried Pommerenke fest. Er forderte dazu auf, nicht zuzulassen, "daß aus dem 'Nie wieder Krieg' eine Politik wird nach der Parole 'Nie wieder Krieg ohne uns." Heute schon müsse jeder Bundesbürger 1133 DM für das Militär bezahlen. Während bei den Sozialleistungen Milliardenbeträge zusammengestrichen werden, werde ein riesiges Beschaffungsprogramm für die Bundeswehr aufgelegt. Als Beispiel dafür nannte er den Eurofighter der ingesamt weit über 30 Milliarden DM verschlinge. Pommerenke warnte davor, sich die Scheinalternative "Zuschauen oder eingreifen" aufdrängen zu lassen. "Wir fordern, daß endlich Ernst gemacht wird mit dem Bekenntnis zur Prävention und Kriegsverhütung. Wir wollen Frieden schließen statt weltweit schießen. Wir wollen das Militär abbauen und nicht den Sozialstaat. Wir wollen für eine Welt kämpfen, in der nicht die wirtschaftlichen Interessen des Nordens mit Gewalt gegen die Länder des Südens durchgesetzt werden."

Für ein friedliches Europa!

Tobias Pflüger von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) bezeichnete es als Teilerfolg der Friedensbewegung, daß das Thema Kommando Spezialkräfte inzwischen breit diskutiert wird, denn die Bundeswehrführung hätte die neue Elitekampftruppe gerne heimlich, still und leise einsatzbereit gemeldet. "Das Kommando Spezialkräfte hier in Calw ist das Symbol und Beispiel der neuen Bundeswehr. Hier kann die neue Bundeswehrstrategie ab morgen ganz konkret umgesetzt werden." Das KSK, so Pflüger sei eine reine Kampftruppe dessen Aufgaben laut Verteidigungsministerium "Einsätze im gegnerischen Gebiet, einschließlich Lähmung und Zerstörung wichtiger Objekte" umfasse. Die behauptete Aufgabenstellung, "Befreiung und Rettung festgehaltener Personen", also Geiselbefreiung, sei dabei lediglich ein Nebenaspekt der der Akzeptanz in der Bevölkerung diene, betonte der Militärexperte. Pflüger forderte deshalb die sofortige Auflösung des KSK. Die Friedensbewegung rief er dazu auf, "die derzeitige Militarisierung stärker zu thematisieren! Tragen wir die Diskussion über die neue Bundeswehr in die Betriebe, in die Schulen, in die Kirchengemeinden, in die Partei- und Gewerkschaftsveranstaltungen! Thematisieren wir immer mehr, daß hier Geld ausgegeben wird, für Militär und Rüstung und dort Sozialabbau betrieben wird. Wir sind wieder am Anfang, aber der heutige Ostermarsch hat mir Mut gemacht, die Friedensbewegung ist wieder im Kommen!"

Daniel Durand vom Movement de la Paix überbrachte die Grüße der französischen Friedensbewegung. Er rief dazu auf, gemeinsam daran zu arbeiten, daß ein friedliches Europa entstehen kann, in dem Konflikte friedlich und solidarisch gelöst werden.

Der Ostermarsch der 5000 in Calw hat Mut gemacht und Kraft zum Weitermachen gegeben. Er war ein Fest und entschiedene politische Demonstration zugleich. Und er hat eindrucksvoll gezeigt: Die Friedensbewegung, oft totgesagt, sie lebt und sie ist handlungsfähig. Es ist möglich, Menschen auch für komplexere, nicht sofort eingängige Themen zu gewinnen und zu mobilisieren. Man muß es eben nur tun.

Elke Günther


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