VVN-Logo VVN-Logo
15.03.1997
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

Baden-Württemberg



antifNACHRICHTEN an9604

Heft Nummer 4/1996


Verfassungsschutzbericht: Die politische Diskriminierung der VVN-BdA muß endlich aufhören

Antifaschisten wichtiger denn je

von Anne Rieger, VVN-Landessprecherin


Alljährlich werden die Steuergelder damit vergeudet, die VVN-BdA vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Um uns politisch zu diskriminieren, werden wir im Verfassungsschutzbericht aufgeführt.

Wir fordern den Ministerpräsidenten und den Innenminister des Landes Baden-Württemberg auf, uns unverzüglich aus dem Verfassungsschutzbericht heraus zu nehmen. Wir sind eine international geachtete Organisation der religiös, rassisch und politisch Verfolgten des Naziregimes. Als "parteiübergreifender, überkonfessioneller" und generationsübergreifender Zusammenschluß von Antifaschistinnen und Antifaschisten "entfalten" wir unsere "Tätigkeit auf dem Boden des Grundgesetzes", so wie es unserer Satzung entspricht.

Unsere Proteste sind friedlich

Wir weisen die Diffamierungen aus dem Verfassungsschutzbericht 1995 zurück, innerhalb der VVN-BdA befinde sich ein "gewaltbereites Mitgliederpotential". Wir wählen ausschließlich politisch-demokratische Formen der Auseinandersetzung und des friedlichen Protestes. Wenn der Verfassungsschutz etwas anderes behauptet, stellt er die Realität wissentlich falsch dar. Offensichtlich ist, daß er keinerlei Tatsachen oder Beweise für seine Verleumdungen hat. Der politische Rufmord, der an unserer traditionsreichen, international hoch geachteten antifaschistischen Organisation geübt werden soll, muß sofort beendet werden. Wir lassen die Vorbereitung einer Kriminalisierung der VVN-BdA nicht zu.

Unsere Jugend ist Teil von uns

Besonders empört weisen wir die Versuche des Verfassungsschutzberichtes zurück, die Jugendlichen in und um die VVN-BdA und damit unsere gesamte Vereinigung in eine verfassungsfeindliche Ecke zu stellen. Die Organisation hat es sich gerade zur Aufgabe gemacht, "die geistigen und moralischen Werte der Widerstandsbewegung an die junge Generation weiterzugeben" (Satzung).

In einer Zeit, in der erfüllt es unsere WiderstandskämpferInnen mit Zuversicht, daß sich zunehmend mehr Jugendliche der antifaschistischen Arbeit der VVN-BdA zuwenden: gerade deswegen mit, weil andere demokratische Organisationen über Organisationsfeindlichkeit und Politikmüdigkeit der Jugend klagen.

Die Zusammenarbeit mit der jungen Generation lassen wir uns vom Innenministerium nicht vermiesen und auch nicht verbieten. Das aber genau scheint Ziel des Verfassungsschutzberichtes 1995 zu sein, in dem es heißt:

"Die beiden Kreisvereinigungen Karlsruhe und Offenburg ... nehmen ... derzeit eine Sonderstellung ein. Dort haben die anhaltenden Kontakte der überwiegend jungen Mitglieder einer 'VVN-BDA/Jugendantifa' zum linksextremistischen autonomen Spektrum, zu einer Radikalisierung bis hin zur Militanzbereitschaft geführt, die in der Durchführung gemeinsamer 'antifaschistischer Aktionen' ihren Niederschlag findet. Ob sich die Landesvereinigung der VVN-BdA von diesem gewaltbereiten Mitgliederpotential distanzieren wird, oder ob es in der Folge zu einer Abspaltung dieses Personenkreises kommt, bleibt abzuwarten."

Generationsübergreifende Zusammenarbeit ist unser Ziel

Einen Großteil ihrer freien Zeit haben unsere Zeitzeugen aus dem Widerstand gegen den Faschismus in Schulklassen, auf alternativen Stadtrundfahrten und bei KZ-Gedenkstättenbesuchen mit der jungen Generation verbracht. Uns Jüngeren haben sie ihre Erfahrungen und ihr Ziel, eine Welt des Friedens, der Demokratie, der Freiheit und der Völkerverständigung, vermittelt. Jugendarbeit war also schon immer Kern der Arbeit der VVN. Das zeigte auch die Öffnung der VVN für die jüngere Generation von NichtVerfolgten, die Erweiterung zum Bund der Antifaschisten. Die Stafette des Antifaschismus wurde und wird weitergegeben - heute an die Enkel-Generation.

Es ist das Anliegen gerade der aktiven Jugend, in vielfältigen Veranstaltungen und Aktionen - natürlich gemeinsam mit anderen - auf neofaschistische Tendenzen und auf die Ursachen von Rassismus und Antisemitismus aufmerksam zu machen. Ebenso will sie über Ursachen und Folgen des Hitlerfaschismus aufklären - und den Widerstand dagegen nicht vergessen lassen.

Was ist verfassungsfeindlich an uns?

Was ist daran verfassungsfeindlich? Schauen wir uns den Kern dessen an, was der Verfassungsschutz unserer Jugend in Karlsruhe und Offenburg vorwirft, warum er ihnen "eine Sonderstellung" innerhalb der VVN-BdA bescheinigen will: Es sind "antifaschistische Aktionen".

antifaschistische Aktionen?

Sprachlos stehen wir vor dem Text. Das, was wir in allen Kreisen und auf Landesebene mindestens einmal jährlich tun, nämlich Aufklärung und antifaschistische Aktionen, das macht unsere Jugend, und damit uns alle, in den Augen des Innenministeriums verfassungsfeindlich. Ist dieser Vorwurf nicht geradezu lächerlich? Wäre die Angelegenheit politisch nicht so ernst, man müßte den Verfassungsschutz auslachen. Aber es ist Ernst. Und dieser Ernst ist perfide. Denn die positive, humanistische Handlung einer antifaschistischen Aktion - einer Aktion gegen Faschisten und damit Aufklärung über sie, gegen faschistische Ansätze, gegen faschistisches Gedankengut, wird - über Zusammenstellung mit diffamierenden Begriffen - in ihr Gegenteil verkehrt. Im Zusammenhang des gesamten Abschnitts gelesen, erscheint die antifaschistische Aktion als etwas negatives. Von ihr sollen wir uns distanzieren. Das aber werden wir niemals tun. Antifaschistische Arbeit und Aufklärung ist das Hauptanliegen unserer Organisation. Deswegen werden wir mit allen, die friedlichen, gewaltfreien antifaschistischen Protest und Aufklärung betreiben, gemeinsame Aktionen durchführen. Sie alle sind unsere natürlichen Bündnispartner. Denn je mehr wir sind, um so erfolgreicher werden wir sein. Überall wo sich Menschen zusammenschließen zur Durchsetzung ihrer Interessen, versuchen sie dies mit möglichst vielen gemeinsam zu tun. Daran ist nichts Verwerfliches.

Gemeinsames Handeln?

Das aber genau ist der zweite Teil des Vorwurfs der Verfassungsfeindlichkeit an unsere Karlsruher und Offenburger Jugend, die "Durchführung gemeinsamer antifaschistischer Aktionen". Fazit: lächerlich und heiße Luft. Jede gesellschaftliche Gruppe - bis in die Regierung hinein - tut nichts anderes. Wir stellen fest, die "Durchführung gemeinsamer antifaschistischer Aktionen" rechtfertigt die Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht nicht. Das muß auch dem Innenministerium aufgefallen sein. Deswegen legt es ein Gespinst von diffamierenden Worthülsen um diesen Tatbestand.

selbstbestimmtes Leben?

Die erste wird entwickelt, bei der Frage, mit wem die Aktionen gemeinsam durchgeführt werden. Mit einem "autonomen Spektrum". Diesmal stellt sich die Frage: Was ist ein Spektrum? Das beantwortet uns der Verfassungsschutzbericht auch nicht. Allerdings kann er uns auf S. 106 sagen, was er unter "Autonomen" versteht: " ... ein breit gefächertes, schwer eingrenzbares Protestpotential, das sonst kaum über einheitliche ideologische Grundlagen verfügt. Ein diffuses, tendenziell anarchistisch ausgerichtetes Weltbild, vor allem jedoch das Bestreben, selbstbestimmt zu leben ...".

Warum es politisch anrüchig ist, mit Menschen, die selbstbestimmt leben wollen, gemeinsame Aktionen zu machen, bleibt das Geheimnis des Verfassungsschutzes. Ebenso, wieso es uns verdächtig macht, wenn wir mit einem "Spektrum eines breit gefächerten, schwer eingrenzbaren Protestpotentials" antifaschistische Aktionen machen. Wir sind nicht festgelegt auf bestimmte politische Richtungen. Der gemeinsame Nenner für Aktionen und Aufklärung mit anderen ist der Antifaschismus. Wir sind gerade für einen breit gefächerten Antifaschismus - nicht für einen Schmalspur-Antifaschismus. Unsere Stärke ist die Toleranz. Und das soll verfassungsfeindlich sein?

linksextremistisch?

Ist es wohl nicht, deswegen die zweite diffamierende Worthülse: "linksextremistisches autonomes Spektrum". Als erstes attestiert uns der Verfassungsschutz, daß sich der "linksextremistische Einfluß auf Kreis- und Ortsebenen auch 1995 weiter verringert" habe. Formuliert ist es, als ob es etwas Positives sei. Sollen wir darüber froh sein? Vielleicht - vielleicht aber auch nicht.

Des Pudels Kern ist nämlich, was ist linksextremistisch? Es ist auf jeden Fall kein Begriff aus unserem Grundgesetz. Ebensowenig ist er definiert. Auch in den letzten vier Verfassungsschutzberichten steht eine Definition nicht drin (die Autorin ist seit 1992 interessierte Leserin dieser Broschüre des Innenministeriums). So bleibt die Vermutung, daß nur der Verfassungsschutz es weiß, dieses Wissen aber nicht preis gibt. Damit wird der Begriff im gegebenen Kontext zur Diffamierung. Nur dazu dient er, und zu gar nichts anderem. Denn wenn ich jemanden z.B. als Weißwäscher diffamiere, ihm aber nicht sage, was darunter zu verstehen ist, kann er sich auch nicht gegen die Diffamierung wehren.

Aber, werden einige sagen, es ist doch klar, was linksextremistisch ist. Ist es das wirklich? Was ist extrem? Zum Beispiel ein Streik. Er ist überhaupt nichts normales. Er ist das äußerste Mittel, das abhängig Beschäftigte verwenden, und zwar sehr selten, im äußersten Notfall. Sind Gewerkschaften, sind verzweifelte Belegschaften deswegen extremistisch, gegebenenfalls linksextremistisch?

So bleibt vom Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit übrig: Wir seien "linksextremistisch" (aber weniger als vor einem Jahr) und unsere Karlsruher und Offenburger Jugend führe mit einem linksextremistischen autonomen Spektrum antifaschistische Aktionen durch. Was das ist, wird nicht definiert. Und ebensowenig werden Taten benannt, die uns zu "Linksextremisten" machen. Was bleibt ist der Makel der Diffamierung wegen nicht genannter Taten.

Militanzbereitschaft, Gewaltbereitschaft?

Die letzten Worthülsen: die Jugend radikalisiere sich "bis hin zur Militanzbereitschaft" - was immer der Verfassungsschutz auch darunter versteht - er definiert und belegt es nicht mit einem einzigen Fakt. Ebensowenig sagt er, was er unter einem "gewaltbereiten Mitgliederpotential" versteht. Was Schlimmes muß es schon sein, so klingt es jedenfalls - aber Indizien fehlen, Beweise liefert er nicht.

Er erklärt auch nicht, wie er die "Bereitschaft" zur Militanz oder zur Gewalt erkennt. Verrät vielleicht das Tragen einer VVN-Fahne in den Augen des Verfassungsschutzes "Gewaltbereitschaft"? Fast muß man das glauben, wenn wir uns erinnern, daß einem Mitglied von uns, die VVN-Fahne von der Polizei von der Stange geschnitten und als potentielle Schlagwaffe deklariert wurde. Geschehen am 31.10.1993 anläßlich der Demo in Rastatt gegen den Reps-Parteitag. Ein Armutszeugnis für das Innenministerium, wenn es Waffen und Fahnen - ein "Besitz- und Zusammengehörigkeitszeichen" (Meyers Enzyklopädie) nicht auseinanderzuhalten vermag. Für uns ist das Tragen von Fahnen jedenfalls kein Zeichen von Gewaltbereitschaft - höchstens das Zerschneiden unseres Eigentums durch den Polizisten.

Kurz und gut, der Verfassungsschutz gibt keine Aufklärung darüber, wie er "Bereitschaft" zu Militanz und Gewalt erkennt - oder zu erkennen vermeint.

Ebensowenig verrät er uns, was ein "Mitgliederpotential" ist. Sind es Mitglieder? Oder sind es potentielle Mitglieder? Wenn der Verfassungsschutz letztere bereits kennt, bitten wir um umgehende Nachricht. Wir werden dann sofort mit Aufnahmescheinen bei ihnen anrücken.

Wir schützen die Verfassung!

Im Dunkeln bleibt, was uns der Verfassungsschutz nun eigentlich an verfassungsfeindlichen Taten vorwirft. Jedenfalls gibt es keine Fakten und logisch nachvollziehbar ist seine Argumentation auch nicht. So können die Vorwürfe nur eine Funktion haben: Solange mit Dreck zu schmeißen, bis vielleicht doch etwas hängen bleibt.

Dagegen wehren wir uns. In unserer Zusammenarbeit mit den antifaschistischen Jugendlichen aber fühlen wir uns bestärkt. Denn wer sich gegen eine Politik der Vernichtung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, gegen Umverteilung und Rechtsentwicklung, gegen Rassismus und Ausländerhaß wehrt, wer die Taten und Ideale der Widerstandskämpfer über Generationen hinweg aufrecht und im Bewußtsein hält, darf nicht als gewaltbereit diffamiert und als verfassungsfeindlich überwacht werden, denn er schützt die Verfassung. Dort heißt es: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und sie zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. ... Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat."

Diese Grundsätze wurden durch die Inhumanität des Faschismus gröblich mißachtet. Deswegen bekämpfen wir mit friedlichen, gewaltfreien Mitteln jeden Ansatz von faschistischem Gedankengut, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und die Gewalttaten der Neonazis.

Wir wollen, daß das akzeptiert und anerkannt wird.
Wir wollen raus aus dem Verfassungsschutzbericht.


antifaNACHRICHTEN werden herausgegeben von der VVN/BdA Baden-Württemberg.
V.i.S.d.P.: Dieter Lachenmayer.


VVN-LOGO VVN-BdA Baden-Württemberg
http://www.vvn.telebus.de
Böblinger Strasse 195
D-70199 Stuttgart

Tel. 0711 / 60 32 37 Fax 0711 / 60 07 18
e-mail: vvnbda.bawue@planet-interkom.de

© 1998 J. Kaiser