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antifNACHRICHTEN an200110
Nummer 4 / Oktober 2001



Ökonomische und geostrategische Interessen an Mazedonien

Deutschland drängelt nach vorn

von Anne Rieger

Nachdem die UCK sich entwaffnet, ja sogar aufgelöst hat, und somit das Gewaltmonopol des mazedonischen Staates wiederhergestellt sein müsste, brauchen Bundesregierung und NATO plötzlich Schutztruppen für die zivilen Beobachter in diesem Land.

Es sei sogar der "schwierigste Teil ihrer Mission",(1) lässt die NATO verlauten. Um die militärische Führung der schwierigen Mission hat sich die Bundesregierung gerissen und als Voraussetzung daran geknüpft, dass es sich um ein "belastbares" Mandat handeln müsse(2). Verwunderlich, denn ständig jammern Militärminister und CDU-Opposition, die deutsche Truppe habe eine veraltete Ausrüstung und einen kläglichen Einsatzzustand, sei unterfinanziert.
Es ist schon hammerhart, was die Bundesregierung und große Teile der Presse uns an Unlogik zumuten, nur um mit einem jeweils neuen - scheinbar humanitären - Argument ihre Truppen in Mazedonien mit Zustimmung des Bundestages und der Bevölkerung dauerhaft stationieren zu können. Denn keineswegs musste Deutschland "Bündnisverpflichtungen" nachkommen, wie Bundeskanzler Schröder die Abgeordneten einzuschwören suchte(3). Im Gegenteil, der Guardian berichtete, dass die Britische Armee versuchte, Deutschlands Beteiligung am Mazedonien-Einsatz zu verhindern(4), worüber sich Scharping in britischen Zeitungen beschwerte.
Was also sind die wirklichen Interessen der deutschen Eliten auf dem Balkan und in Mazedonien? Interessen, für die der bei Sozialausgaben sonst kompromisslose Sparkommissar Eichel bereits eine zusätzliche Viertel Milliarde DM (163 Mio. DM für den ersten Monat, 79 Mio. DM für drei weitere Monate) aus seinem Etat allein für diesen Bundeswehreinsatz locker zur Verfügung stellt. (Für den 2002 ist eine weitere Erhöhung der Militärausgaben um 1,5 Mrd. DM beschlossen.)

Humanitäre Gründe?
Warum drängelt sich der Nato-Musterschüler nach vorn? Was macht den Einsatz so "wertvoll"? Warum müssen in der Nachfolgemission 600 der 1000 NATO-Soldaten Deutsche sein?
Es geht eben nicht um
  • das freiwillige Einsammeln von Waffen, (dazu hätte man Container wie beim Kleidersammeln aufstellen können),
  • das Verhindern eines Bürgerkrieges (40 000 hochgerüstete NATO-Soldaten im Kosovo hätten das Eindringen von UCK-Kämpfern nach Mazedonien verhindern können, wenn sie den politischen Auftrag dazu gehabt hätten und die EU hätte den Geldhahn der UCK über Drogen- und Menschenhandel schließen können),
  • den Schutz internationaler Beobachter (dann hätten nicht nur 3500 antike Waffen sondern alle hochmodernen 100 000 Waffen der UCK abgenommen werden müssen und ihr nicht ständig neue geliefert werden dürfen, wie z.B. amerikanische moderne Nachtsichtgeräte der 3. Generation).
  • Es geht auch nicht um die Verfassungsänderung. "All diese Debatten sind nicht so wichtig"(5), erklärt Gezim Ostreni, Kommandeur der UCK. Über die Verhandlungen im Parlament mache er sich keine Sorgen: "Das Parlament wird am Ende seine Aufgabe erfüllen."(6) Premierminister Ljubco Georgievski bestätigt, dass "wir nun gezwungen sind, unsere Verfassung unter dem Druck einer militärischen Aggression zu ändern."(7) Dafür wurde ihnen von Außenminister Joseph Fischer als Zuckerbrot 59 Mio DM Wirtschaftshilfe für die nächsten zwei Jahre versprochen, gerade mal 25% der Militärausgaben für 4 Monate.

Siemens kauft Kroatien
Es geht um die ökonomische, politische und militärische Vorherrschaft in der Region. "Wir werden dort das Sagen haben"(8), verkündete Bundeskanzler Schröder im Juni 1999. Tatsächlich wird auf dem Balkan mit "unserm" Geld, der DM bezahlt: Sie ist offizielle Währung in Montenegro und Kosovo, Zweitwährung in Bosnien-Herzegowina. Bulgarien und Mazedonien haben ihre Währungssouveränität verloren, sie sind an die DM gekoppelt. Schröder drückte seinen Freund(9) und wichtigsten Mann, Bodo Hombach nur einen Monat nach Gründung des Stabilitätspaktes für Südosteuropa im Juli 1999 als EU-Sonderkoordinator gegen scharfen Gegenwind aus fast allen EU-Büros und -Gremien(10) durch. 112 Projekte hat dieser in einem Jahr(11) von seinem Dienstsitz Brüssel aus angestoßen, darunter Straßenbau und Wirtschaftsförderung. Als Leuchtturmprojekt bezeichnet er die Verbesserung des Geschichtsunterrichts an den Schulen und der Geschichtsbücher in den Ländern der Region.
Bodo Hombach wechselt nun von Brüssel als Geschäftsführer des WAZ-Konzerns nach Essen. Die WAZ-Gruppe besitzt allein 22 Zeitungen, 50 Zeitschriften und setzt mehr als drei Milliarden DM pro Jahr um. Der als hochprofitabel geltende Konzern hat zur Zeit auf dem Balkan in etlichen Ländern Beteiligungen an Medienhäusern aufgekauft. Nachdem sich das Unternehmen in Ungarn, Bulgarien und Mazedonien niedergelassen hat, wird nun stark an Projekten in Jugoslawien gearbeitet. Bodo Hombach hat da mit seinen ausgezeichneten Kontakten geholfen. Es gilt als sicher, dass er sich auch in Zukunft um diesen neuen Markt kümmern wird.(12)
Der WAZ-Konzern ist ein Beispiel für die ökonomischen Interessen der deutschen Wirtschaftskonzerne in der Südosteuroparegion. Hombach hat die Weichen gestellt. Er nimmt kein Blatt vor den Mund: "Die Mobilisierung privaten Kapitals und privaten Engagements ist jetzt Schwerpunkt des Stabilitätspakts."(13) Er schwärmt von der "künftigen Boom Town Europas" und stellt die Verbindung von Ökonomie und Militär klar: "NATO und Euro-Atlantischer Partnerschaftsrat gehören zu den Schlüsselpartnern des Stabilitätspakts für Südosteuropa. Unsere Strategischen Ziele sind identisch, wir ziehen am gleichen Strang:... Integration der Länder Südosteuropas in die euro-atlantischen Institutionen ... ohne politische und wirtschaftliche Gräben.(14) Was das heisst, titelte schon 1993 die kroatische Zeitung "Danas" in ihrer letzten Ausgabe: "Siemens kauft Kroatien".

Politische Kleinstaaterei
Die deutsche Regierung ist nicht Getriebene auf dem Balkan, sondern eigenständiger Akteur. Politisch stellte bereits 1991 Außenminister Genscher die Weichen. Die Bundesrepublik erkannte Slowenien und Kroatien als eigenständige Staaten an und zwang damit die Bündnispartner 1992 zum gleichen Schritt. Seitdem ist die jahrzehntelange politische Beruhigung der Region zerstört. Politisch und ökonomisch machtlose Kleinststaaten - unter der Vorherrschaft der Deutschland-EU - wurden in der Region installiert. Gernot Erler, nahm in einem Interview zur Perspektive Mazedoniens und des Kosovo Stellung. "Gibt es so etwas wie Strategie und Konzept?" erkundigte sich der Moderator des Morgenmagazins. Die Antwort des SPD-Politikers war bemerkenswert. In Anbetracht des "albanischen Strebens nach Separation in Mazedonien und im Kosovo" müsse man "nach der Zukunft der Grenzen in dieser Region (fragen), ob sie eigentlich für uns unantastbar sind, oder ob man bereit wäre, diese zum großen Teil ja willkürlich gezogenen Grenzen in irgendeiner Weise, natürlich nach einem entsprechenden politischen Prozess, zu verändern". "Die albanische Frage ist offen", sekundiert Außenminister Fischer das Zersplitterung-Geschehen auf dem Balkan.
So ist Hombachs politische und ökonomische "Arbeit auf dem Balkan noch längst nicht abgeschlossen"(15), aber sein Vertrag mit der EU läuft am Jahresende aus, und ein ehemals französisches Regierungsmitglied soll neuer EU-Koordinator werden. Umso wichtiger scheint da der Regierung die Militärpräsenz auch in Mazedonien. Damit wären ca. 7500 deutsche Soldaten auf dem Balkan stationiert. Ökonomische und politische Interessen können so militärisch abgesichert werden.

Ökonomisches Absahnen
Denn der Balkan ist - innerhalb von 90 Jahren - zum dritten Mal in Folge, äußerst interessant für Deutsches Kapital. 2,4 Mrd. Euro der Finanzkonferenz stehen für ausgereifte Projekte zur Verfügung, an denen sich Akteure aus den Geberländer beteiligen können. "Die Finanzkonditionen, das Verhältnis zwischen Kredit und Zuschuss, sind so gut wie nie zuvor. ... echter Mehrwert ..." wird geschaffen, wirbt Hombach.(16) Neben den direkt zu erobernden Märkten steht außerdem die Kontrolle der Paneuropäischen Korridore und Transeuropäischen Netze auf der Tagesordnung. Dabei handelt es sich um Verkehrs- und Energietransportnetze. "Das Gesamtkonzept aus Paneuropäischen Netzen und Transportkorridoren deckt ganz Europa, vom Atlantik bis zum Ural, sowie die mit der EU assoziierten Mittelmeeranreiner-Staaten des Maghreb ab, mithin einen Wirtschafts- und Verkehrsraum von insgesamt über einer Milliarde Menschen(17). Diesen Korridoren wird für die Zukunft eine große wirtschaftliche Bedeutung beigemessen. Die erforderlichen Infrastrukturkosten allein für die Bahnen bis zum Jahr 2010 wurden mit 200 Milliarden Euro veranschlagt, dazu noch etwa 200 Mrd. Euro für neue Fahrzeuge(18).
Der VIII. von X. Paneuropäischen Korridoren läuft durch Skopje, einige Kilometer von Kosovo entfernt, von Durres an der Adria über Tirana, über Sofia nach Varna am Schwarzen Meer. Der zentrale Knoten, der von den Korridoren VIII., X., und IV gebildet wird, ist ein Dreieck, das von Nis, Skopje und Sofia begrenzt wird. Das Dreieck liegt mitten im Kosovo. Eine Instabilität dort, wäre fatal für das Projekt der Korridore. Der VIII. Korridor beinhaltet eine Besonderheit. Zwar wurde er von der EU mit Brief und Siegel versehen, die Machbarkeitsstudie aber von amerikanischen Firmen durchgeführt wird(19). Die Auseinadersetzung um die Realisierung dieses Korridors und die amerikanische Ambo-Öl-Pipeline sind weitere ökonomische Gründe für das Interesse an Mazedonien ."Wir sind die Leidtragenden des anhaltenden Konflikts zwischen USA und EU", erkennt der mazedonische Verteidigungsminister richtig.
Die Abgeordneten der SPD und von Bündnis 90 die Grünen die dem ersten Mazedonieneinsatz wegen seiner offensichtlich widersprüchlichen Begründung widersprachen lagen richtig. Bei der Nachfolgemission knickten sie ein. Sie wären gut beraten, intensiver nach den ökonomischen Hintergründen des militärischen Einsatzes zu fragen. Gut unterrichtete Kreise ließen durchblicken, dass vor dem Einsatz nach einem Grund gesucht wurde, um einzumarschieren. Um drin zu bleiben, hieß es, würde man schon neue Gründe finden. Als größtes Hindernis galt in Brüssel der Widerstand der mazedonischen Regierung(20). NATO-Generalsekretär Robertson brach den Widerstand. Die NATO bleibt. Und die deutschen Abgeordneten sollten sich hin und wider die Verteidigungspolitischen Richtlinien anschauen. Dort heißt es, dass die "vitalen Sicherheitsinteressen" der Bundesrepublik u.a. sind, die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt ...".

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Anmerkungen:
1 Stuttgarter Zeitung, 28.9.2001
2 Online-Dienst der Mittelbayerischen Zeitung 23.9.2001
3 Spiegel online, 17.8.2001
4 The Guardian, 13.9.2001
5 Financial Times Deutschland, 21.9.2001
6 ebenda
7 Rede vor dem Parlament in Skopje, 7.9.2001 in Blättern für deutsche und internationale Politik, 10/2001
8 Junge Welt, 16.11.2000
9 Der Tagespiegel online 23.9.2001
10 Das digitale Europa 9.6.2001
11 Das Erste Online, 18.5.2001
12 Der Tagesspiegel online, 22.9.01
13 Rede beim Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat, Florenz, 25.11.2000
14 ebenda.
15 Der Tagesspiegel, online, 22.9.01
16 Bodo Hombach zum Stabilitätspakt für Südosteuropa bei der Sitzung der Studiengruppe für Europapolitik des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, 3.7.2000
17 Die zehn Paneuropäischen Korridore, Die Bahn, www.bahn.de/konzern/Holding/ paneuropa_de/dbag_0400_10_korridore.shtml
18 Das Rad-Schiene System in 21. Jahrhundert - Perspektiven der UNION Europäischer Eisenbahn-Ingenieur-Verbände UEEIV, Josef Windsinger
19 Wo verläuft der VIII. Korridor, Matthias George, in www.zeit-fragen.ch/ARCHIV/ZF_82d/ To1.HTM
20 Financial Times Deutschland, 18.9.2001

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