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Nummer 4 / Oktober 2001



Stunde der Hardliner

Demokratie verteidigen

von LV

Datenschützer und Menschenrechtler haben Recht, wenn sie vor einer Terroristenhysterie warnen, denn innenpolitische Hardliner versuchen offensichtlich die verständlichen Sorgen und Ängste der Menschen für restriktive und ausländerfeindliche Vorhaben auszunutzen die schon lange in ihren Schubladen liegen und mit den Anschlägen von New York rein gar nichts zu tun haben. Wir dokumentieren (in Auszügen) ein Thesenpapier, das die innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke am 18. September zusammengestellt hat.

Die Angst, die viele Menschen jetzt verspüren, ist verständich. Sie darf aber nicht in Hysterie umschlagen. Wer erinnert sich noch an den "Deutschen Herbst" 1977, als fast hinter jedem Baum ein Terrorist vermutet wurde? Unter den Nachwirkungen, nämlich dem Aufbau eines umfangreichen Repressionsapparates und der massiven Einschränkung von Bürgerrechten durch Sondergesetze, leiden wir heute noch. Die Ängste der Menschen dürfen nicht weiter geschürt werden. Wir sollten deshalb meines Erachtens frühzeitig in der Öffentlichkeit betonen: Militär und Polizei sind strikt zu trennen. Und die Verfolgung von Terroristen wie von anderen Straftätern ist eine polizeiliche Aufgabe, nicht eine des Militärs oder eines Geheimdienstes. Sie hat ausschließlich auf rechtsstaatlicher Grundlage zu erfolgen. Terrorismus und Verbrechen bekämpft man nur erfolgreich, wenn man ihre Ursachen bekämpft - nicht durch Repression. Gerade jetzt gilt es, die gesellschaftlichen Grundwerte - Freiheit Gerechtigkeit und Solidarität zu bewahren und zu verteidigen.
Dazu ein Zitat aus der Rede des Bundespräsidenten:
"Die Mörder und ihre Anstifter sind schwer zu finden und noch schwerer zu bekämpfen. Aber ganz gleich wer sie sind: Sie sind Mörder, nichts sonst - und deshalb müssen sie bestraft werden. Sie stehen nicht für ein Volk, sie stehen nicht für eine Religion, sie stehen nicht für eine Kultur. Fanatismus zerstört jede Kultur. Fundamentalismus ist nicht ein Zeugnis des Glaubens, sondern sein ärgster Feind. Wir werden und wir dürfen uns von niemandem dazu verleiten lassen, ganze Religionen oder ganze Völker oder ganze Kulturen als schuldig zu verdammen."
Deshalb kann die Konsequenz aus den Anschlägen nicht eine Verschärfung des Ausländerrechts bzw. des aktuell diskutierten Referentenentwurfs für ein Zuwanderungsgesetz sein. Unsere Gesellschaft muß sich als ein offenes Gemeinwesen verstehen und dieses Selbstverständnis auch verteidigen. Gegen Verbrechen hilft das Strafrecht das Zuwanderungsgesetz ist hier das falsche Betätigungsfeld. Liberalität beruht auf Selbstbewußtsein. Und Grundrechte gewähren sich gerade in der Krise. Weder die terrorisen noch denjenigen, die die Anschläge für ihre Zwecke auszubeuten versuchen, sollten wir erlauben, die Bürger- und Freiheitsrechte zu ersticken. Wie sagte der Vater der amerikanischen Verfassung, Benjamin Fanklin: "Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeen, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren."
Inzwischen mehren sich demgegenüber die Stimmen in Deutschland, die mehr Sicherheitsvorkehrungen und eine größere Härte gegen Terroristen fordern. Sie wollen bewußt dafür auch Einschränkungen von Bürgerrechten in Kauf nehmen. Konkret werden derzeit sowohl in der Regierungskoalition als auch von CDU/CSU die folgenden Maßnahmenpakete diskutiert. Dabei werden allerdings zum Teil auch sehr alte Vorschläge, die früher gescheitert waren, wieder aus der politischen Mottenkiste hervorgeholt:

Religionsprivileg
Nach Aussage des Innenministers ist die Abschaffung dieses Privilegs notwendig, um radikal-islamische Organisationen besser verbieten zu können. Auch die Grünen stimmen dem zu. Bislang sind solche Gruppen dann geschützt, wenn sie sich selbst als Religionsgemeinschaft bezeichnen. Das Kabinett will die Abschaffung des Privilegs beschließen.
Das ist meiner Meinung nach in doppelter Hinsicht ein völlig falsches Signal an die Öffentlichkeit. Zum einen stellt die Aufhebung des "Religionsprivilegs" alle Religionsgemeinschaftne unter Generalverdacht, etwas mit Terroristen zu tun zu haben. Zum anderen erweckt die Maßnahme den Eindruck, daß "der Islam" ein geradezu mörderisches Glaubensbekenntnis darstellt.

Paragraf 129 b Strafgesetzbuch
In der Kabinettsitzung soll außerdem die Einführung eines neuen Paragrafen 129 b Strafgesetzbuch beschlossen werden, der eine Verfolgung von Mitgliedern und Unterstützern von internationalen kriminelle Vereinigung vorsieht. Der 1976 eingeführte Paragraf 129 a stellt Bildung, Mitgliedschaft, Unterstützung sowie Werbung für terroristische Vereinigungen im Inland unter Strafe. Damit wird das System der Sondergesetze, das sich auch - und vor allem - gegen friedliche Oppositionelle richten kann, nicht aufgelöst, sondern vielmehr noch ausgeweitet.

Zuwanderungsrecht
Bayerns Innenminister Günther Beckstein hat gefordert, künftig alle Zuwanderer einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz zu unterziehen. Schily nannte das einen vernünftigen Vorschlag. Die Regelanfrage sei dazu geeignet, das Einsickern von Terroristen zu verhindern.
Wir kennen die Regelanfrage bereits aus dem Einbürgerungsrecht. Hier wie dort ist die Folge eindeutig: Migratinnen und Migranten werden pauschal als potentielle Kriminelle oder Verfassungsfeinde abgestempelt. Mit einer offenen, zivilen Gesellschaft ist dies nicht zu vereinbaren. Eine weitere Forderung ist, die Straftäter schneller abzuschieben. Hier setzt aber das Völkerrecht eine Grenze. Im übrigen ist zur Ahndung von Straftaten das Strafrecht da. Eine ausländerrechtliche "Doppelbestrafung" ist meines Erachtens verfassungswidrig.

Bundeswehr
Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber und Bundesinnenminister Otto Schily wollen die Bundesehr künftig auch im Inneren zur Sicherung von Flughäfen oder herausgehobenen Einrichtungen einsetzen. Hier wird die Debatte geradezu extrem verfassugnswidrig:
Vor dem Hintergrund, daß in Kaiserreich, Weimarer Republik und "Drittem Reich" das Militär immer wieder zur Niederschlagung und Verfolgung der Opposition eingesetzt worden ist, haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes eine eindeutige Trennung von Polizei und Militär vorgesehen. In einem Rechtsstaat haben Soldaten bei polizeilichen Aufgaben, für die sie auch nicht ausgebildet sind, nichts zu suchen.
Verfassungsfeindlich ist auch der Vorschlag des SPD-Verteidigungsexperten Helmut Wieczorek, Einheiten von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz in enger Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten zu einer "neuen Art von Nationalgarde" zusammenzufassen. Zu einem Rechtsstat gehört, daß Geheimdienste keine polizeilichen Aufgaben übernehmen. Sonst kommen wir schnell auf einen Weg, der uns zu einer neuen Geheimen Staatspolizei führen könnte...

Fingerabdruck im Pass
Auf seinen Vorschlag, zur besseren Identifizierung im Pass künftig zusätzlich einen Fingerabdruck festzuhalten, hat Schily bislang kaum positive Resonanz bekommen. Zum Glück, denn damit würde jede Bürgerin und jeder Bürger unter eine Art "Generalverdacht" kommen.

Datenschutz
Schily hat auch Lockerungen beim Datenschutz angedeutet. "Vielleicht haben wir auch in Deutschland beim Datenschutz übertrieben", sagte er laut Agenturberichten. Es könne nicht sein, daß Terroristen nicht unter Kontrolle gebracht werden, weil "wir betimmte Datenbestände nicht nutzen". Damit will er erneut der Sammelwut von Polizei und Geheimdiensten Tür und Tor öffnen. Erneut erweist sich der Bundesinnenminister damit als Verfassungsgegner. Denn mit dem vom Bundesverfassungsgericht formulierten Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung ist eine Ausweitung der Kompetenzen von Sicherheitskräften beim Sammeln, Verarbeiten und Weiterverarbeiten nicht vereinbar.

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