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Nummer 3 / Juli 2001



Geschichte und Neugestaltung KZ-Gedenkstätte Oberer Kuhberg:

Zusammenhänge sind wichtiger als Fakten

von Reinhard Hildebrandt

Die neue Dauerausstellung in der Ulmer KZ-Gedenkstätte im Fort Oberer Kuhberg geht einher mit der Neugestaltung der gesamten Gedenkstätte: der Außenbereich und die Eingangszone mit der darunterliegenden Arrestzelle im Keller der ehemaligen Kommandantur, die Kasematten-Quartiere der Häftlinge und die Arrestzelle für prominente Gefangene im Inneren des Forts sollen einen "offenen Lernort" bilden. Eröffnet wird die neugestaltete Gedenkstätte am 30. Juni 2001.

Von der Lagergemeinschaft zum Dokumentationszentrum
Am Anfang der Ulmer Gedenkstättengeschichte stand die im Juni 1948 von ehemaligen württembergischen Häftlingen gegründete "Lagergemeinschaft Heuberg-Kuhberg-Welzheim", benannt nach den beiden "frühen Konzentrationslagern" Heuberg und Kuhberg sowie dem von 1935 bis 1945 in Regie der Landes-Gestapo in Stuttgart stehenden kleineren Lager im Polizeigefängnis Welzheim. Das war damals ein ausgesprochenes Politikum, da die Lagergemeinschaft von der VVN propagiert worden war, die zu diesem Zeitpunkt, mit Beginn des Kalten Krieges, als "kommunistische Hilfsorganisation" diffamiert wurde.
1968 findet ein erstes Gespräch des VVN-Vorsitzenden von Ulm, Otto Hornischer, mit dem Oberbürgermeister über die Errichtung einer Gedenkstätte auf dem Oberen Kuhberg statt. Ein Jahr später besprechen 16 ehemalige KZ- Häftlinge der "Lagergemeinschaft Heuberg - Kuhberg - Welzheim" in Ulm den Plan einer öffentlichen Gedenkstätte. Dieser Kreis wurde 1971 mit der Gründung des Kuratoriums "Mahn- und Gedenkstätte Oberer Kuhberg" durch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens erweitert. Als geschäftsführender Vorstand wurden gewählt: Rolf Dick, Inge Aicher-Scholl, Kurt Fried, Julius Schätzle, Hans Gasparitsch, Alfred Hausser.
Im März 1974 lehnt die Landesregierung den Antrag von MdL Rolf Dick ab, auf dem Oberen Kuhberg eine zentrale Gedenkstätte einzurichten.
1977 wird ein Trägerverein gegründet, der sich "Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, Ulm - KZ-Gedenkstätte e.V." nannte. Vorsitzender wird Julius Schätzle. Ernst Rohleder macht die ersten Führungen von Schulklassen, Jugendgruppen und Bundeswehrangehörigen durch die Kasematten des Forts. 1982 wird Hans Gasparitsch als 1. Vorsitzender gewählt.
Im Dezember 1982 beginnt Dr. Walter Wuttke in zweijähriger Arbeit eine erste Ausstellung konzeptionell und inhaltlich vorzubereiten. Sie wird im Mai 1985 eröffnet und zeigt am Beispiel von elf exemplarischen Biographien nicht nur die Realität des Lagers, sondern vor allem auch die Kultur des (Arbeiter-)Widerstands und das politisch-soziale Umfeld der NS-Verfolgung.
Diese Ausstellung wurde am 8. Mai 1995 durch eine neue Ausstellung ersetzt, mit anderen inhaltlichen Schwerpunkten: Vorgeschichte und Verlauf der NS-Herrschaft in der Region Ulm, Alltag in Ulm 1933-1945, Formen des Widerstands, Formen des Rassismus, Die 'Soldatenstadt Ulm', Krieg und Kriegsfolgen.
Vom 30. Juni bis 13. November 1994 war in der Gedenkstätte eine Sonderausstellung mit dem Titel "Doch die Freiheit, die kommt wieder - NS-Gegner im Württembergischen Schutzhaftlager Ulm 1933-45" zu sehen, gestaltet durch das "Haus der Geschichte Baden-Württemberg".
Die Leitung der Gedenkstätte liegt seit 1991 in den Händen von Dr. Silvester Lechner. Seit Beginn der Führungen auf dem Oberen Kuhberg haben weit über 100 000 Menschen die Gedenkstätte besucht. In den letzen Jahren waren es jährlich etwa 7000 bis 8000 Personen.
Ganz überwiegend kommen die Besucher in Gruppen. Der überwiegende Teil sind SchülerInnen, also Jugendliche und junge Erwachsene.

Das Konzept der Neugestaltung
Was hat sich in den vergangenen Jahren verändert? Die Zeitzeugen stehen nicht mehr zur Verfügung. Die alte Ausstellung entspricht nicht mehr den heutigen Seh- und Rezeptionsgewohnheiten der Besucher. Der größere zeitliche Abstand zur NS-Terrorherrschaft verändert die Perspektive. Die Frage, ob man aus der Vergangenheit lernen kann, muss präzisiert werden: Wer kann was und unter welchen Bedingungen daraus lernen und mit welchem Ziel? Gedenkstätten und Gedächtnisorte sind Teile der öffentlichen Erinnerungskultur. Sie vereinigen in sich Funktionen von Denkmal, Ausstellung, Museum, Archiv, Schule und Begegnungsstätte. Ausgehend von dem Vermächtnis der Opfer, der ehemaligen Häftlinge, die die Gedenkstätte initiiert und mitbestimmt haben, steht die Arbeit des Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg (DZOK) in einer Tradition des Erinnerns, Gedenkens, Besinnens und Mahnens. Seit 1997 besteht im DZOK Konsens, die neue Dauerausstellung topographisch und zeitlich ganz auf den Ort bzw. die relativ kurze Geschichte des KZ Oberer Kuhberg zu konzentrieren. Die neue Ausstellungsgestaltung zielt auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen sinnlich-affektiver und handlungsermöglichender Präsentation und gestaffeltem historisch-wissenschaftlichem Informationsangebot. Der pädagogische Auftrag - Lehren und Lernen - soll im Vordergrund stehen. Myrah Adams, die das Konzept der neuen Ausstellung erarbeitete, schreibt dazu:
"Wichtiger als die Vermittlung von Fakten ist die von Zusammenhängen. So ist z.B. die Funktionsweise der NS-Terrorinstrumente darzustellen oder das Zusammenwirken von Terror und Verführung. Aufzuzeigen sind die Mechanismen und Verhaltensmuster, mit denen das Nebeneinander und die Verwobenheit von bürgerlicher Normalität und Verbrechen funktionieren konnte. Ziel ist es, den Blick zu schärfen für Parallelen und Kontinuiäten zwischen Gestern und Heute. ... Heute allzu leicht für selbstverständlich erachtete Werte wie Rechtsstaat, Demokratie und Gewaltenteilung, Aufklärung, Humanismus und Humanität, Schutz der Menschenrechte, Toleranz, persönliche Freiheit, Individulität der Lebensstile treten in der Konfrontation mit ihren Gefährdungen und Negierungen durch totalitäre Ansprüche in der Vergangenheit klarer zu Tage."

Die neue Ausstellung
Die Ausstellung arbeitet statt mit textorientierter Informationsfülle überwiegend mit Bildern. Sie will kein "Buch an der Wand" sein wie die Ausstellung von 1985. Das wichtigste Textmaterial liefern 52 mehr oder weniger umfangreiche ganz oder teilweise auf das KZ Kuhberg bezogenen Häftlingsberichte aus der Zeit nach 1945. Auszüge daraus, die sich auf den Häftlingsalltag in den Kasematten beziehen, werden von der Ausstellung von 1994 übernommen. Die Biographiealben befinden sich im Gruppenraum.
Eine mit einer Karte der Herkunftsorte gekoppelte Häftlingsliste ist an einem Computerterminal abrufbar. Es werden Hörstationen eingerichtet, die einmal Häftlingsberichte über die Haftzeit auf dem Kuhberg als Tondokumente beeinhalten, zum anderen Ausschnitte aus einer Lesung zum Thema "Frauen und Kinder der Häftlinge".
Es gibt keinen verbindlichen Rundgang. Der Besucher wird angeleitet, sich selbst seine Informationskette zusammenzustellen. Er selbst bestimmt Umfang, Spektrum und Reihenfolge der aufgenommenen Informationen, entscheidet, zu welchen Teilaspekten er seine Kenntnis vertieft. Beabsichtigt sind Eigentätigkeit, Interaktivität und entdeckendes Lernen der Besucher.
Die Themeninseln sind in der Grundform eines Kubus (Urbild "Zelle") angeordnet. Ihre Inhalte sind:
  • "Lagertopographie" - Grundriss zum Rundgang im Fort
  • "Machtergreifung" und frühe Konzentrationslager
  • Soziales Milieu der Häftlinge und Gründe für die Haft auf dem Kuhberg
  • Geistige Selbstbehauptung unter der Lagerordnung
  • Terror und Inszenierung - Versprechen und Drohung - Faszination und schöner Schein
  • Die Täter und ihre Handlanger: Institutionelle Verantwortung und Wachmannschaften
  • Fortbestehen politischer Opposition trotz des frühen NS-Terrors (Solidarität, Flucht und Exil)
  • Häftlingsschicksale nach der Schließung des Lagers auf dem Kuhberg
  • Der Umgang mit der Vergangenheit - Geschichte und Gegenwart der Gedenkstätte
An die Stelle der chronologischen und kausalen Logik historischer Zusammenhänge tritt die Präsentation in thematisch selbständigen Blöcken, diese sind untereinander mittels Querverweisen ähnlich der "links" des Computers vernetzt. Der Ausstellung ist zu wünschen, dass dieses Konzept angesichts einer zunehmenden Geschichtsvergessenheit Erfolg hat.

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