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Nummer 3 / Juli 2001



Nazi-Prozeß in Ravensburg:

Mörder mit Bundesverdienstkreuz

von Janke Kluge

In Ravensburg wurde zwischen Dezember und April einer der letzten Prozesse gegen einen Nazi-Verbrecher geführt. Angeklagt war der inzwischen 82-jährige Waffen-SS-Offizier Julius Viel. Ermöglicht wurde das Verfahren, weil der Kanadische Professor für Volkswirtschaft Adalbert Lallier nach 50 Jahren sein Schweigen gebrochen hat.

Lallier erinnerte sich noch genau an das damalige Geschehen. Von seiner Einheit sind 10 Häftlinge aus dem 6 km entfernten Gestapo-Gefängnis "Kleine Festung" in Theresienstadt abgeholt worden. Die Häftlinge mußten dann Panzerschutzgräben ausheben. Am zweiten Tag hat Viel die in der Grube schuftenden Häftlinge erschossen. Lallier erinnerte sich vor dem Gericht: "Er hat einen Karabiner aus seiner Gewehrpyramide gegriffen, zehn Schüsse auf jüdische Zwangsarbeiter abgegeben und sieben von ihnen getötet."(1) Lallier stand als Wachposten nur wenig hinter Viel.
Nach eigenen Angaben sei es für ihn schon unfassbar gewesen, daß seine Einheit die Häftlinge abholen mußte. Vor Gericht sagte er dazu: "Wir waren doch keine KZ-Wächter".(2)
Lallier war damals gerade 19 Jahre alt, als Offiziersanwärter auf der Funkerschule der Waffen-SS in Leitmeritz. Zwei Jahre zuvor war er als Ungar, der von den Nazis aber als "Volksdeutscher" anerkannt wurde, zwangsrekrutiert worden und in die 7. SS-Gebirgsdivision "Prinz Eugen" eingezogen worden. Sein erster Einsatz war der Balkan. Damals so Lallier, habe man "oft nicht gewußt, was Recht, was Unrecht ist".(3)
Vor Gericht sagte er auch aus, warum er so lange geschwiegen habe, obwohl ihn das Geschehen seit Jahrzehnten belastet hat. Er war 1996 als Experte für Volkswirtschaft in Tschechien und hielt dort mehrere Vorträge. Damals besuchte er auch die Gedenkstätte in Theresienstadt. Dieser Besuch habe ihn so stark beschäftigt, daß er sich entschloss, eine "große Beichte" abzulegen. Bevor er seine Aussagen bei der Staatsanwaltschaft machte, schrieb er an Otto Kumm, den früheren Kommandanten seiner SS-Division. Er wollte von ihm wissen, ob das Schweigegebot noch immer gelte, und ob "Kameradenverrat gerechtfertigt sei". Kumm habe ihm zurückgeschrieben, "daß Kameradschaft aufhöre, wo Kriegsverbrechen beginnne".(4)
Bereits in den sechziger Jahre gab es wegen der Erschießungen im Panzergraben Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Viel, die damals allerdings eingestellt wurden, weil ihm die Tat nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte. Viel selbst gab bei diesem Prozess vor Gericht an, sich an gar nichts mehr erinnern zu können. So wußte er angeblich nicht mehr, ob er Mitglied der NSDAP gewesen war und konnte sich "überhaupt nicht vorstellen", wie Unterlagen aus dem Bundesarchiv in Koblenz zustande gekommen sind, die ihmn die Mitgliedsnummer 5031847 zuwiesen. Vergessen hat er auch, daß er 1937, als er im KZ Dachau eingesetzt war, in die NSDAP eingegetreten war. Auch in anderer Hinsicht zeigte Viel beachtliche Wissenslücken. Noch ein halbes Jahr nach der Befreiung von Majdanek und wenige Wochen nach der Befreiung von Auschwitz will der SS-Mann nichts von der Existenz des Ghettos in Theresienstadt und von den Zuständen im Gestapo-Gefängnis "Kleine Festung" gewußt haben. Er blieb bei dieser Aussage, obwohl nachgewiesen werden konnte, daß Häftlinge regelmäßig in die SS-Kaserne gebracht worden sind, um dort zu schuften. "Ich habe die Häftlinge am Tor abgeholt, was dahinter war wußte ich nicht"(5) war nur eine der vielen Aussagen, mit der Viel versucht hat, das Gericht für dumm zu verkaufen. "Wenn ich gewußt hätte, daß mich im Jahr 2000 jemand nach diesen Dingen fragt, hätte ich alles aufgeschrieben"(6), erklärte er trotzig.
Besonders eindringlich waren die Zeugenaussagen von Richard Löwy. Er war der einzige Überlebende des Gestapo-Gefängnisses "Kleine Festung", der vor Gericht aussagte. Er war mit 16 Jahren von den Nazis inhaftiert worden und bildete zusammen mit jungen Russen ein "Karren-Kommando" am Panzergraben. Sie mußten die erschossenen, erschlagenen oder einfach an Erschöpfung und Unterernährung gestorbenen Häftlinge abtransportieren. "Die Häftlinge mußten sich gegenseitig schlagen bis einer umfiel oder totgeschlagen war"(7) erinnerte er sich vor Gericht. "Die meisten Häftlinge hatten Schußverletzungen" ergänzte er dann. Er erinnerte sich auch daran, daß er einmal sechs oder sieben Tote auf seinem Karren wegschaffen mußte. Die Ermordnung selbst hatte er zwar nicht gesehen, konnte aber ergänzen: "So wie es die Häftlinge schilderten, war es Viel und kein anderer".(8)
Nach dem Krieg hat Viel als Journalist bei der "Stuttgarter Zeitung" (1948 - 1972) und der "Schwäbischen Zeitung" (1973 - 1984) als Redakteur für das Politikressort gearbeitet. Für diese Arbeit hat er, als er in den Ruhestand ging, das Bundesverdienstkreuz erhalten. Am Ende des Prozesses wurde Viel zu 12 Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es trotz einiger Widersprüche, die bei den Aussagen der Zeugen vorkamen, als erwiesen an, daß Viel die Häftlinge erschossen hat. Nach der Urteilsverkündung war aus dem tschechischen Außenministerium Erleichterung über das Urteil zu hören. Der Ressortleiter Jiri Sitler sagte gegenüber dpa: "Es macht auch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg Sinn, die damaligen Ereignisse objektiv aufzuarbeiten."(9) Wie nicht anders zu erwarten war, hat die Verteidigung Viels Revision angekündigt.

1) Schwäbische Zeitung vom 14.12.2000
2) Ebenda
3) Ebenda
4) Ebenda
5) Südwestpresse Ulm vom 5.12.2000
6) Schwäbische Zeitung vom 5.12.2000
7) Schwäbische Zeitung vom 21.12.2000
8) Ebenda
9) Neues Deutschland vom 4.4.2001

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