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Nummer 2 / April 2001



Aussteigerprogramm für Neofaschisten:

Absurder Holzweg

von Reinhard Hildebrandt

Im 16. Jahrhundert wurde Italien von der Zunft der Bravi verunsichert, das waren Banditen, die zügellos das Leben und die Sicherheit der Bürger bedrohten. Bei Tage und bei Nacht hörte man von den Bravi nichts anderes als vorsätzliche Verwundungen, Raub, Mord und Missetaten aller Art. Der Fürst drohte strenge Strafen an und zur Vollziehung seines Befehls ordnete er außerordentliche umfassende und unbegrenzte Gewaltmittel an. Aber im folgenden Jahr sah er, dass die Städte dessenungeachtet voll von Bravi waren, welche, ohne ihre Weise geändert oder an Zahl abgenommen zu haben, ganz auf dieselbe Art lebten wie früher. Also ersann der Fürst andere Mittel, er versprach ihnen Belohnungen, Geld und ein Häuschen mit Garten, und das war schön, sie wurden friedliche Bürger. Der erste Teil der Geschichte ist wahr, der letzte Satz ein Märchen.

Im Jahre 2001 hat die neofaschistische Gewalt erschreckend zugenommen. In Baden-Württemberg gibt es laut Landespolizei-Präsident Erwin Hettger derzeit rund 750 Jugendliche mit einem "rechtsextremistischem Potential", darunter seien etwa 30 Intensiv- und Wiederholungstäter. Aussteigern verspricht die Polizei ein neues Leben. "Das kann im extremen Ausnahmefall bis hin zu einem Umzug, der Suche nach einem Arbeitsplatz oder sogar Identitätsveränderung gehen", sagte Hettger (Stuttgarter Nachrichten, 29.1.2001). Auch die Bundesregierung hat die Katze aus dem Sack gelassen: Mit 100 000 Mark pro Kopf will sie "Top-Neonazis" aus der Szene herauslösen. Für die Anleitung zu Volksverhetzung, Holocaustleugnung und Anstachelung zum Rassenhass gibt es jetzt neue Wohnungen, Ausbildungs- oder Arbeitsplätze und im Zweifelsfall auch finanzielle Hilfe. Als völlig absurd bezeichnete der Marburger Politikwissenschaftler Reinhard Kühnl dieses geplante Aussteigerprogramm. Ich meine: Wie im Märchen wird das nicht funktionieren. Die Absicht ist, neofaschistische Gruppierungen zu zerschlagen. Die "Top-Neonazis", also die Drahtzieher, wie etwa der Millionär Christian Worch (Organisator vieler neofaschistischer Aufmärsche) werden so nicht erreicht; er wird nur müde lächeln und weiterhin für neofaschistische Aufmärsche, Publikationen und die Verbreitung faschistischer Propaganda sorgen. Nicht Aussteiger müssen belohnt werden, sondern wer in einer neofaschistischen Organisation bleibt, muss bestraft werden. Es muss alles getan werden, um die Entfaltung dieser Kräfte zu hemmen und ihren politischen Einfluss zurückzudrängen. "Alles" kann aber nicht heißen, die Täter mit Steuergeldern zu bestechen.

Zuerst: Durchsetzung des Rechts
Die Finanzierung neofaschistischer Parteien wie die NPD, DVU und REP durch Steuergelder, ermöglicht durch sogenannte Protestwähler, ist verhängnisvoll genug, ist ein Skandal. Denn Neofaschismus ist eben nicht irgendeine Weltanschauung und irgendeine Organisation wie alle anderen auch, sondern er repräsentiert die radikale Verneinung alles dessen, was eine menschenwürdige Gesellschaft ausmacht: Freiheit und Demokratie, Humanität und Toleranz, Frieden und Völkerverständigung. Unsere Organisation, die VVN-BdA, hat immer wieder darauf hingewiesen: Das erste Ziel ist, diesen politischen Charakter der Neofaschisten in der Öffentlichkeit immer wieder und bei jeder Gelegenheit deutlich zu machen: Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen! Wie ist der Neofaschismus weiter zu bekämpfen? Das zweite Ziel ist, die Neofaschisten zu isolieren. Es muss klar sein, dass ihre Repräsentanten außerhalb des demokratischen Spektrums stehen, dass sie nicht dazugehören. Drittens müssen die bestehenden Rechtsnormen voll angewendet und durchgesetzt werden Nach dem Grundgesetz gilt: "Jeder nazistischen und militaristischen Betätigung und Propaganda ist vorzubeugen". Das gilt nicht erst für terroristische, sondern auch schon für propagandistische Aktivitäten. Sie sind nach geltendem Recht untersagt - und die Pflicht der staatlichen Organe wäre es eigentlich, sie zu unterbinden. Die Bundesrepublik verweist vor der UNO darauf, dass in der Bundesrepublik nazistische Aktivitäten verboten seien. Wort und Tat klaffen aber weit auseinander. Der Verbotsantrag gegen die NPD ist richtig, allerdings wäre auch ein anderer Weg als ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht möglich gewesen.

Verbot statt Aussteiger-Belohnung
In West-Berlin war die neofaschistische NPD von den Alliierten verboten. Was die Alliierten in West-Berlin verboten, ließ die Bundesregierung zu. Zu fragen ist, welche Kreise ein Interesse daran haben, dass die Neofaschisten politische Aktivitäten entfalten konnten und können. Gegen die Forderung nach einem Verbot wurde auch in unseren Reihen eingewendet, dass Verbotsmaßnahmen das Gegenteil dessen bewirken, was sie bewirken sollen: Sie drängen die verbotenen Kräfte in den Untergrund, wo sie überhaupt nicht mehr kontrollierbar und also um so gefährlicher sind. Dieser Einwand ist nachweislich falsch. Alle geschichtliche Erfahrung beweist, dass der Faschismus größere politische Wirksamkeit nur dann entfalten kann, wenn er Massen anzusprechen und zu mobilisieren vermag. Eben deshalb ist "Legalität", ist die Duldung durch die Staatsorgane so wichtig - wie auch Adolf Hitler seit 1925 immer wieder betonte. Verbotsmaßnahmen, die ernsthaft durchgeführt werden, machen jeder Chance auf größere Wirksamkeit ein Ende.

Gesellschaftliche Alternativen unterstützen!
Natürlich ist die Reichweite von Verbotsmaßnahmen begrenzt. Sie können gesellschaftliche und politische Alternativen nicht ersetzen. Daran fehlt es. Die sogenannte "akzeptierende Jugendarbeit" wird zurecht als letztendliches Gewährenlassen der rechten Umtriebe kritisiert. Für die Entwicklung schulischer Handlungsmöglichkeiten oder gar die Förderung selbstverwalteter demokratischer Jugendeinrichtungen wird nach wie vor kein Geld zur Verfügung gestellt. Antifaschisten werden noch immer von den Staatsschutzbehörden kriminalisiert und als "Linksextremisten" diffamiert.
Das Verlassen neofaschistischer Organisationen ist auch ohne Aussteigerprogramm möglich. Es gibt Beispiele. Jörg Fischer machte eine steile Karriere in NPD und DVU. Er leistete Aufbauarbeit für die NPD, gehörte zu den handverlesenen Gründern der DVU als Partei, arbeitete in Gerhard Freys Münchner Partei- und Medienzentrale und half zum Schluss, eine neue rechtsextreme Sammlungsbewegung zu organisieren. Dann stieg er aus. Auch der Neonazi Ingo Hasselbach schaffte den Ausstieg. Er zog eine schonungslose Bilanz seines beinahe verpfuschten Lebens, seine Schlussfolgerung: Der Kampf gegen die rechte Szene, deren Mitglieder man nicht pauschal abschreiben darf, muss bitter ernst genommen werden.

Literaturhinweise:
Jörg Fischer: "Ganz rechts. Mein Leben in der DVU" (Rowohlt-Verlag 1999).
Ingo Hasselbach: "Die Abrechnung". Ingo Hasselbach: "Die Bedrohung. Mein Leben nach dem Ausstieg aus der rechten Terrorszene" (Aufbau-Verlag 1996).
Reinhard Kühnl: Die extreme Rechte in Europa.


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