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Zur Funktion des politischen Kampfbegriffes vom Extremismus:Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechenvon Dieter LachenmayerZur gleichen Zeit als der amtierende Bundestagspräsident Thierse ganz im Sinne des Bundeskanzlers und des von ihm ausgerufenen "Aufstandes der Anständigen", die Berliner Bevölkerung aufrief, ihre Stadt vor dem "rechten Mob" zu schützen und keine NPD Aufmärsche zu dulden, bemühte sich die Polizei mit Schlagstöcken und Wasserwerfern, die Menschenmenge, die sich dem Nazi-Aufmarsch entgegenstellte, aufzulösen, um der NPD den Weg freizumachen. Was nur läuft schief in diesem Staat, wenn die Regierenden, die über alle Machtmittel des Staates verfügen, nun die Regierten auffordern, etwas zu tun, was die Polizei verbietet? Die Situation ist grotesk. Dennoch ist sie nicht nur Ausdruck eines besonders infamen Doppelspiels der politische Akteure, sondern Ergebnis der fast vollständigen Hilflosigkeit gegenüber faschistischer Ideologie und Politik, in die sich dieser Staat und seine tragenden Kräfte selbst getrieben haben. Diese Wehrlosigkeit ist frappiernd: Die "wehrhafte Demokratie", die angeblich seit der Gründung der Bundesrepublik gepflegt und betrieben wurde, ist keinesfalls in der Lage, den Nazis Widerstand entgegenzustellen. Antitotalitarismus contra Antifaschismus Hauptursache dafür, ist die bis heute geltende Fiktion, die immer gern der DDR unterstellt wird, in Wirklichkeit aber von Beginn an zur Staatsraison der Bundesrepublik wurde: Wir sind eine Demokratie, in der mit wenigen Ausnahmen nur Demokraten leben. Eine Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit und ihrer Auswirkungen in die Gegenwart, die über eine gelegentliche Distanzierung in Sonntagsreden hinausgeht, wurde nie für erforderlich erachtet und ist auch nie erfolgt. Noch nicht mal ein "verordneter Antifaschismus" konnte Fuß fassen. Verordnet wurde stattdessen die Fiktion des Totalitarismus: Die Weimarer Demokratie ging angeblich nicht unter, weil sie den Faschisten zuwenig Kraft entgegensetzte, sondern wegen der "Extremisten" von "rechts und links". Das ist schon deshalb falsch, weil es nicht die Linken waren, die den Kappputsch organisierten, die einen zweiten Versuch mit dem Marsch auf die Feldherrnhalle wagten und die dann dazu übergingen, mittels kasernierter, gut bewaffneter und motorisierter Schlägerbanden, der SA, die Weimarer Straßen zu terrorisieren. Es waren nicht die Linken, die mit einer umfassenden Umverteilungspolitik von unten nach oben die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse durchgreifend destabilisierten und parallel dazu mit Hilfe der Notverordnungen die Demokratie unterhöhlten. Es waren auch nicht die Linken, die die Berufung Hitlers zum Reichkanzler forderten und förderten, sondern das Großkapital, die Großfinanz, die Militärs und die Nationalkonservativen. Links ist nicht Rechts Die Gleichsetzung links = rechts scheitert nicht nur daran, daß ihr die historischen Fakten widersprechen. Sie scheitert vor allem daran, weil sie die Kleinigkeit übersieht, daß die Begriffe rechts und links nicht Himmelsrichtungen angeben, sondern daß sie für philosophische und politische Denkrichtungen stehen, die einen Inhalt haben. Niemand, der sich die Mühe macht, diese unterschiedlichen Inhalte zu überprüfen, kann einen grundsätzlichen Unterschied übersehen: Rechte Politik geht immer von der Ungleichheit der Menschen aus, linke von dem Anspruch auf Gleichheit. Die Erungenschaften einer langen wechselvollen menschlichen Zivilisationsgeschichte wurden in der französischen Revolution in drei Schlagworte gefasst: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Ersetzt man das überholte Wort Brüderlichkeit durch das etwas genauere und übergreifende Wort Solidarität, dann geben diese drei Begriffe den grundlegenden Anspruch wieder, den bürgerliche wie sozialistische Demokratie gemeinsam erheben. Trotz aller Unterschiede und trotz aller zum Teil gravierender Abweichungen im wechselvollen Verlauf der Geschichte: Die drei Grundsätze der Parole der französischen Revolution bilden das Bezugssystem an dem sich Demokraten messen lassen müssen. Freiheit, Gleichheit, Solidarität Dieses Bezugssystem, das aufklärerische und humanistische Gedankengut, wie es in der französischen Revolution zum Ausdruck kam, findet sich in allen revolutionären, emanzipatorischen und demokratischen Bewegungen, die seitdem entstanden sind wieder. In der russischen Oktoberrevolution ebenso wie in den Verfassungen aller demokratischen Staaten. Es sind auch die Leitgedanken des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Links war nun seit der deutschen Revolution von 1848, als der Begriff entstand, jene Politik, die gegen die Vorrechte des Adels, des Klerus und des Bürgertums ankämpfte, die für die Menschen nicht nur gleiche Rechte im juristischen Sinne, sondern darüber hinaus auch gleiche materielle und soziale Bedingungen erstrebte. Rechts dagegen standen die, die am Vorrecht der Reichen festhielten, soziale Unterschiede als unerlässlich, gottwollt und/oder Moment des Fortschritts betracheteten. Bei allen Unterschieden und bei allen gravierenden Abweichungen in der historischen politischen Praxis: Die Grundgedanken von Aufklärung und Humanismus, Freiheit, Gleichheit und mehr oder weniger auch die Solidariät, bilden seither die Eckpunkte, zu der sich jede Politik in der Demokratie zumindest verbal bekennt. - Jedenfalls so lange, bis es rechts, ganz rechts zum Bruch kommt. Faschismus ist der Bruch mit der Zivilisation Dieser Bruch ist der Übergang zum Faschismus. Faschismus bedeutet die offene Abkehr von den Errungenschaften der menschlichen Zivilsationsgeschichte. Faschistische Ideologie stellt sich dem in Jahrhunderten des Christentums und der Aufklärung gewachsenen Humanismus bewußt entgegen. Die Werte Freiheit, Gleichheit und Solidarität der Menschen werden nicht nur einfach mißachtet, sondern in ihr Gegenteil verkehrt. Was in allen auch nur halbwegs demokratischen Gesellschaften als Verbrechen gilt, wird der faschistischen Ideologie zur Tugend. Das Verbrechen wird zur Politik.
Dabei handelt es sich beim Faschismus keineswegs um ein geschlossenen philosophisches Weltbild, sondern in der Regel um ein auf die jeweiligen politischen Bedingungen zugeschnittenes Sammelsurium von Ideologemen, Parolen und weltanschaulichen Versatzstücken. Ziel der jeweiligen faschistischen Ideologie ist es, die Menschen moralisch und ideologisch, darauf vorzubereiten, die jeweils geplanten Verbrechen zu akzepzieren und an ihnen teil-zunehmen. Faschistische Politik setzt diese Verbrechen dann in die Tat um. Karl Jaspers hat das so ähnlich formuliert: Der faschistische Staat ist ein Verbrecherstaat. Das unterscheidet ihn von einem Sataat der auch Verbrechen begeht. Merkmale faschistischer Ideologie Gemeinsame Charakteriska dieser zum Teil sich unterscheidenden faschistischen Ideologien sind:
Die Blutige Spur des Faschismus Das alles sind keine Praxisfremden Großsprechereien. Überall, wo der Faschismus seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts zur Macht gekommen ist und immer auch auf dem Weg dorthin, setzte er die oben genannten Bestandteile seiner Ideologie auch in seine politische Praxis um. Überall, ob in Italien, Spanien oder Chile, kam es zu einem brutalen und blutigen Terror gegen die inländische Opposition, allen voran gegen die Arbeiterbewegung. Überall wurden die bis dahin geltenden Verfassungen und Gesetze de jure, zumindest aber de fakto außer Kraft gesetzt. Überall wurden die sozialen Rechte der Menschen systematisch abgebaut mit Lohnkürzung, Einführung von Arbeitsdiensten o.ä., dramatische Senkung aller sozialen Standards. Die Freiheit der Profiteure von Ausbeutung wurde dagegen immer schrankenloser. Fast überall, in Kroatien, in Ungarn, in Rumänien gab es Verfolgung und Pogrome gegen fast immer rassische oft auch religiöse Minderheiten: Serben, Orthodoxe, Sinti und Roma, Juden ... Überall triumphierten Militarismus und Aufrüstung. Fast überall diente die Aufrüstung der Unterstreichung von Gebietsansprüchen und führte entweder zu neuen Eroberungskriegen wie im Fall von Italien in Äthiopien und Albanien oder zu einer Brutalisierung der bereits existierenden kolonialen Unterdrückung. Überall wo Faschismus herrschte, agierte das grosse Kapital frei von allen seinen Fesseln, galt nicht das Recht der Menschen, wurde der angestrebte Profit mit blutiger Gewalt realisiert. Singularität des deutschen Faschismus Am konsequentesten setzte der deutsche Faschismus, die faschistischen Ideologeme in die politische Praxis um. 60 Millionen Menschen kostete der von ihm geführte Eroberungskrieg das Leben, das ist mehr als die Bevölkerungszahl des heutigen Frankreich. Allein 6 Millionen Juden wurden systematisch und fabrikmäßig ermordet. Das entspricht fast der Bevölkerungszahl des heutigen Österreichs. Ungezählt die Opfer der Erschießungskommandos bzw. der Kommandoeinheiten, die Massaker an sogenannten Partisanen, Geiseln oder an Menschen, die sich als zufällig anwesende Zivilisten dafür eigneten, anrichteten. Der deutsche Faschismus hat - in Erfüllung seiner Ideologie - keine Brutalität und keine Grausamkeit ausgelassen, die sich menschliche Hirne ausdenken können. Die Gefahr entsteht rechts Es ist dieser Blick in die Geschichte, der angesichts der eingangs geschilderten selbstverschuldeten Hilflosigkeit der deutschen Politiker gegen neofaschistische Gewalt so zornig macht. Wer kann, nachdem er nur einen Blick in ein Geschichtsbuch geworfen hat, noch behaupten, das Verbrechen rassistischer Gewalt entspringe nicht dem Faschismus, sondern einer irgendwie extremistisch betriebenen Politik, die es rechts tatsächlich gibt, die aber gleichzeitig dem eigenlichen Feindbild links wahrheitswidrig angedichtet wird? Eine in diesen Dimensionen verbrecherische Politik, gab es immer nur rechts, weil es sie nur dort geben kann, wo die Gleichheit der Menschen mißachtet wird. Das Verbrechen der systematisch und fabrikmäßig betriebenen Ausrottung von Menschen aus rassistischen Gründen hat es nur einmal gegeben: ausgeübt von den Faschisten. Das Feinbild bleibt links Statt das Verbrechen Faschismus, zu erkennen, zu benennen und zu bekämpfen, eieren die deutschen Mehrheitspolitikern an formalen Lösungen herum: Das Versammlungsrecht soll nun für Rechte wie für Linke gleichermaßen eingeschränkt werden, für Faschisten ebenso wie für Demokraten. Der Verfassungsschutz, der vielleicht, wäre er anders angelegt (und zusammengesetzt) faschistische Betätigung überwachen und im Vorfeld erkennen könnte, muß jeden Bericht von einer tatsächlich geschehenen faschistischen Gewalttat gegen Menschen, mit dem Hinweis ergänzen, daß auch Linke schon Fensterscheiben eingeworfen hätten, damit nur ja nicht das Bild aufkömmt, die Gefahr drohe von rechts. Die Polizei muß angemeldete antifaschistische Demonstranten von ihren Fahnenstangen und Benzinkanistern befreien, als ob es nicht unangemeldete faschistische Banden wären, die mit Brandbeschleunigern und Baseballschlägern gegen Menschen vorgehen. Schlag nach im Grundgesetz Das alles ist grotesk. Dabei könnte es so einfach sein, wenn sich die Verantwortlichen in Behörden und Politik endlich von dem Feindbild "links" lösen würden, das aus der Zeit des Faschismus in die Zeit des kalten Krieges übernommen wurde und bis heute gilt. Das Grundgesetz, auf das sie ihren Amtseid geschworen haben kennt dieses Feindbild nicht. Seine Schöpfer wußten noch, woher die Gefahr droht: Von rechts. Jedes der oben geschilderten charakteristischen Merkmale des Faschismus steht in eklatantem Widerspruch zu den Werten und Bestimmungen des Grundgesetzes. Jede Tat, mit der diese Ideologie in die Praxis umgesetzt wird, muß nach dem Strafgesetzbuch geahndet werden.
Wenn Politik, Polizei und Justiz diese Bestimmungen ernst nehmen würden, dann bräuchte kein Versammlungsrecht für Demokraten eingeschränkt werden. Eine faschistische Versammlung im Freien oder in der Halle, die sich daran hält, muss nämlich erst noch erfunden werden. | |||
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