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Nummer 4 / Oktober 2000



Treffen der ehemaligen 999er auf dem Heuberg:

Erinnern, gedenken, mahnen, informieren und wachsam bleiben

von Alfred Ströer

Unter diesem Motto trafen sich am 16. und 17. September 2000 ehemalige Angehörige der "Afrika-Brigade 999" und Angehörige aus Deutschland und Österreich auf dem Heuberg. Veranstalter war die Arbeitsgemeinschaft ehemaliger 999er in Deutschland und Österreich.

Ort der Begegnung war das ehemalige Konzentrationslager Heuberg und späterer Truppenübungsplatz in Stetten am Kalten Markt. An jenem Ort, an dem vor 58 Jahren einige tausend Männer aus allen Teilen des ehemaligen Deutschen Reiches zur militärischen Ausbildung einberufen wurden. Es waren Männer mit dem "Blauen Schein", "Wehrunwürdige", die zu Soldaten ausgebildet wurden und für Adolf Hitler kämpfen sollten. Sie kamen aus den Konzentrationslagern, oder, wie es damals hieß, aus Zuchthäusern; darunter waren auch Männer, die ihre Strafe bereits verbüßt hatten. Alle wurden am Lagereingang von Angehörigen der Feldpolizei empfangen und auf den Appellplatz geführt. Unter den Teilnehmern der oben erwähnten Begegnung waren Männer, die im Dezember 1942 und im Januar 1943 eine harte militärische Ausbildung ertragen mussten. Nicht alle überlebten die Tortur. Einige verweigerten den Eid auf Hitler, andere lehnten es ab, eine Waffe zu tragen und einige versuchten zu flüchten, weil sie an dem von den Nazifaschisten entfachten Krieg nicht teilnehmen wollten. 39 von ihnen wurden während der Ausbildungszeit aus den oben angegebenen Gründen erschossen. Zur Abschreckung wurden die Angehörigender jeweiligen militärischen Einheit der zum Tode Verurteilten gezwungen, an der Erschießung teilzunehmen.

"Denn gedacht soll ihrer werden - zum Gedenken an alle, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus auf dem Heuberg gequält und geschunden wurden" ist die Inschrift des Denkmals auf dem Heuberg, an dem zum Gedenken an die Ermordeten von ehemaligen Angehörigen der "Afrika-Brigade 999" Kränze niedergelegt wurden, ebenso am Gedenkstein für die 999er. In den Gedenkansprachen wurde an die schrecklichen Verbrechen des Hitler-Regimes erinnert und die Überlebenden aufgerufen, alles zu tun, damit sich derartiges in der Zukunft nicht wiederholt.

Das erste KZ auf dem Heuberg

Reinhard Hildebrandt, der Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten, erinnerte in seiner Ansprache an die Errichtung des ersten Konzentrationslagers durch die Gestapo Ende März 1933. "Die Gefangenen, rund 2000, setzten sich aus Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftern, Arbeitersportlern, Mitgliedern des Reichsbanners und des Antifaschistischen Kampfbundes - unter ihnen auch zahlreiche Juden - zusammen." In seiner Rede erinnerte Hildebrandt, stellvertretend für alle Gefangenen, daran, dass sich unter den Häftlingen auch der SPD- Landtagsabgeordnete und Reichstagsabgeordnete Kurt Schumacher befand, von 1933 - 1935 im KZ Heuberg und Oberer Kuhberg inhaftiert, dann im KZ Dachau und KZ Neuengamme. Nach 1945 war er SPD-Vorsitzender und Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag. Er erinnerte an den Kommunisten Julius Schätzle aus Stuttgart; beide kamen seit ihrer ersten Verhaftung 1933 nicht mehr frei bis 1945. Der Leidensweg von Julius Schätzle führte durch die KZ Heuberg, Oberer Kuhberg, Emsland, Welzheim, Dachau, Flossenbürg, Mauthausen, Neuengamme. Am 3.5.1945 überlebte er die englischen Bombenangriffe auf die Häftlingsflotte der Cap Arcona in der Lübecker Bucht. 1946 war er Abgeordneter der KPD im württembergischen Landtag.

"Bewährungseinheit"

Im Oktober 1941 wurde auf dem Truppenübungsplatz die "Bewährungseinheit 999" aufgestellt. Die großen Verluste der Wehrmacht sollten dadurch ausgeglichen werden, dass bislang als "wehrunwürdig" geltende Männer eingezogen wurden und auf dem Heuberg eine kurze Ausbildung erhielten. "Unter ihnen waren viele Antifaschisten und unsere heute anwesenden Kameraden aus Österreich, Berlin, Stuttgart und anderen Orten" sagte Hildebrandt. "Die Grundhaltung unserer Kameraden, die hier auf dem Heuberg vom Naziregime verfolgt waren, war vom unzerstörbaren Glauben an die Menschenrechte bestimmt, sie kämpften dafür und standen mit allen ihren Kräften dafür ein, eine Gesellschaftsordnung zu erringen, in der der Einzelne und die Völker das gleiche Recht erhalten, am Aufbau einer glücklichen Welt mitzuwirken. Dort, wo Demokratie lebendig ist, ist für Nazis kein Raum. Dafür haben sie die Haft und die Folterungen in den Konzentrationslagern oder den Tod erlitten. Dies je zu vergessen, wäre ein schamloser Verrat, wie es einmal der sozialistische Schriftsteller Oskar Maria Graf ausdrückte." Reinhard Hildebrandt fuhr weiter fort: "Die Antifaschisten verbinden das Erinnern und Gedenken mit den Aufgaben für heute. Das heißt die Durchsetzung des Verbots aller neonazistischen Gruppierungen und Parteien und ihre Auflösung, ebenso das Verbot der neofaschistischen Propaganda."

Der Mut von damals - Vorbild heute

Nach der Gedenkfeier traf man sich im Naturfreundehaus Donautal, das Grußwort sprach der Ehrenpräsident der VVN/BdA Alfred Hausser. Die VVN-Jugend aus der Ortenau brachte ein Programm mit antifaschistischen Liedern. In längeren Gesprächen wurde von den Teilnehmern die Rolle der 999er erörtert und dabei an den Mut jener Männer erinnert, die trotz großer Gefahren, auch als sie als Bewährungssoldaten Uniform tragen mussten, ihren Kampf gegen das Hitler-Regime fortsetzten, obwohl viele von ihnen dafür ihr Leben lassen mussten. Die an dem Treffen beteiligten Frauen und Männer beschäftigten sich auch mit der Tätigkeit rechtsextremer Politiker, Gruppen und Parteien, die mit rechtswidrigen Mitteln versuchen, demokratische Einrichtungen zu zerstören. Die Antwort auf diese Bedrohungen kann nur lauten: "Wachsam bleiben, alles zu tun um unsere demokratischen Einrichtungen vor ihren Feinden zu schützen. "Das", so meinen die 999er, "sind wir den Ermordeten und Gefallenen schuldig."

Sie verurteilten den offenen und versteckten Rassismus, jede Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Dazu gehören die Umtriebe und Gewalttaten neonazistischer Schlägerbanden. 55 Jahre nach der Zerschlagung des Nazireiches kommt es in mehreren Ländern Europas - auch in Deutschland und Österreich - zu solchen Taten. Unter dem Tarnmantel rechtspopulistischer Parteien wuchern Rechtsextremismus und Alltagsfaschismus. Dazu kommt das Drängen nach Regierungsbeteiligung.

Niemals wieder!

Die ehemaligen Zwangssoldaten der Strafdivision 999 wissen aus eigener leidvoller Erfahrung, dass rassistischen und chauvinistischen Erscheinungen von Anbeginn entschieden entgegengetreten werden muss, um das Wiedererstehen faschistischer Gewaltregime im Keime zu ersticken.

Die Verbände der Widerstandskämpfer treten dafür ein, dass ein breites Bündnis aller aufrechten Demokraten zustande kommt, um Menschenwürde, friedliches Zusammenleben und Demokratie zu verteidigen. Als überlebende Zeitzeugen des NS-Terrors vermitteln sie, besonders der jungen Generation, Erfahrungen und Lehren aus der Geschichte.

Alfred Ströer, selbst ehemaliger 999er, dankte im Namen seiner Leidensgenossen aus Österreich für die Einladung zu dieser würdevollen Gedenkveranstaltung auf dem Heuberg. Er schilderte Erlebnisse, die er während der Zeit auf dem Heuberg im Dezember 1942 und Januar 1943 und als Soldat in Belgien, Frankreich und auf der Insel Rhodos hatte und er warnte vor den Gefahren, die von Unbelehrbaren und Vereinfachern, die sich in rechtsextremen Gruppen und Parteien sammeln, ausgehen.

Die Teilnehmer an dieser Gedenkfahrt, überwiegend ehemalige 999er und Hinterbliebene von ermordeten Bewährungsoldaten, waren vom Ablauf der Gedenkfahrt, trotz schmerzlicher Erinnerungen, tief beeindruckt.

Alfred Ströer, Vorsitzender des Bundes sozialdemokratischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus, Wien / Österreich (von der Redaktion geringfügig ergänzt).

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