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Nummer 3 / Juli 2000

Ostermarsch in Stuttgart:

"Den nächsten Krieg verhindern!"

vom Landesvorstand

Ostermontag, 12 Uhr mittags. Es regnet. Seit Stunden schon. An dem Lastwagen, der die Auftaktbühne abgeben soll, werden noch Plakate befestigt. Das Transparent "Wer Frieden will, darf keinen Krieg führen" - es stammt noch vom Vorjahr - hängt bereits. Aus dem Lautsprecher ertönt, krächzend ein wenig, das alte Lied: "Unser Marsch ist eine gute Sache...". Die ersten Ostermarschierer treffen ein, stehen in Grüppchen zusammen. Man kennt sich. Eine Art Familientreffen. Regenfeuchte Flugblätter wechseln den Besitzer: "Willkommen zum Ostermarsch 2000 in Stuttgart".

Mißbrauch des Gesundheitwesens
Doch allmählich wird es voller vor dem Bühnenlaster. Als die Auftaktkundgebung fast pünktlich um 13 Uhr beginnt, sind es sicher ein paar hundert Menschen, die fröstelnd unterm Regenschirm stehen. Bärbel Illi von der Stuttgarter Friedensinitiative begrüßte die Ostermarschierer und stellt die Redner vor. Volker Mörbe, ÖTV-Gewerkschafter und im Bereich Gesundheitswesen engagiert, spricht als erster. Im Mittelpunkt seiner Rede steht eine noch weithin unbekannte Variante der Militarisierung der Gesellschaft: Der Zugriff der Bundeswehr auf zivile Krankenhäuser. So soll ziviles medizinisches Personal bei kriegsbedingten "Personalausfällen" - die Bundeswehrmediziner folgen den Krisenreaktionskräften beim out-of-area-Einsatz - in Bundeswehrkrankenhäusern eingesetzt werden. "Freiwillig" dürfen künftig in besonders dringenden Fällen auch zivile Mediziner unter Bundeswehrkommando und in Uniform Verwundete behandeln. Die "zivil-militärische Zusammenarbeit" ist bereits weit gediehen: Die Karlsruher Klinikumsbeschäftigten sollen demnächst als Personalreserve für das in Calwer Kommando Spezialkräfte herhalten. Der geplante Mißbrauch des zivilen Gesundheitswesen für künftige Kriegseinsätze, stößt - so Volker Mörbe - auf zunehmenden Widerstand bei den Beschäftigten der betroffenen Kliniken. Winfried Wolf, für die PDS im Bundestag, geht in seiner in seiner Rede nochmals auf das Lügengebäude ein, das die Bundesregierung zu Rechtfertigung des Krieges gegen Jugoslawien errichtet hat. Entschieden wendet er sich auch gegen das Vorgehen der russischen Armee in Tschetschenien.
Nach der Auftaktkundgebung sind es über 1000 Menschen, die durch die Stuttgarter Innenstadt zur Hauptkundgebung auf dem Marktplatz demonstrieren. Dort werden die Ostermarschierer mit heißen afrikanischen Rhythmen empfangen. "Bewegen für den Frieden - ohne Krieg ins neue Jahrtausend" lautet das Motto dieses Stuttgarter Ostermarsches und so steht es auch auf dem Transparent über der Hauptbühne, auf der die Musiker der Gruppe ValÜre Hiobi & BAOBAB ihren Trommelinstrumenten heftig in die Beine fahrende Töne entlocken. Ein Angebot zur Bewegung, das von den jüngeren Friedensdemonstranten gerne angenommen wird. Ausgelassen tanzen sie zu den Reggaeklängen.

Kriege sind vermeidbar
Gerald Fangmeyer vom Friedensnetz Baden-Württemberg kündigt den ersten Redner, Pfarrer Peter Häußer aus Tübingen an. "Kriege sind vermeidbar, Gewalt kann überwunden werden. Frieden ist möglich durch die Kreativität und Solidarität der Menschen. Das wollen wir heute gemeinsam bekräftigen." Den Krieg gegen Jugoslawien bezeichnete Peter Häußer als "militärische und politische Katastrophe", der vor Gericht muß, "weil wir wollen, daß das Recht gestärkt wird." Vor Gericht stehen inzwischen freilich andere: KriegsgegnerInnen, die Soldaten aufgefordert haben, sich diesem völkerrechtswidrigen Krieg zu verweigern. Die Richter, die KriegsgegnerInnen heute verurteilen, "als sei die Funktionsfähigkeit der Armee oberste Priorität und wichtiger als die Verfassung" charakterisiert der Redner mit dem Begriff "Blockwartenkel". Er bezeichnete es als "haarsträubend", daß man zwar sofort in der Lage sei 30 000 Militärs in den Kosovo zu schicken, es aber nicht fertig bringe 6000 Verwaltungsleute oder Polizistien dorthin zu schicken. "Die gesamte UN-Mission im Kosovo kostet im Jahr soviel wie ein halber Tag der Bombardierungen." Es sei scheinheilig, über die Schwächen der UN zu klagen und gleichzeitig alle zu tun, um sie zu schwächen. "Die Rede von der militärischen Gewalt als ultima ratio, als letzen Ausweg ist eine wertlose Ausrede und bleibt unglaubwürdig, solange nicht ausreichende Mittel für eine wirksame Konfliktbearbeitung bereitgestellt werden". Am Ende seiner mit viel Beifall aufgenommenen Rede forderte der Theologe Peter Häußer dazu auf, die Kirchen beim Wort zu nehmen. 1948 habe der Ökomunische Rat formuliert: "Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!" Zwischen den Reden Kultur. Das Straßentheater ZAK aus Tübingen produziert mit seinem gekonnt dargebotenen Kabarettkurzprogramm Lacher, die im Halse stecken bleiben.
Empörung wird laut, als Moderator Gerald Fangmayer von Polizeiübergriffen gegen die am Vormittag stattgefundene Blockadeaktion vor dem EUCOM, der europäischen Befehlszentrale der NATO, in Vaihingen berichtet. Während der Aktion, bei der mehrere Teilnehmer festgenommen wurden, war ein Blockadeteilnehmer von einem Polizeipferd getreten und schwer verletzt worden. Fast eine eine halbe Stunde mußte vergehen, bis der Verletzte ärztlich betreut und in ein Krankenhaus gebracht werden konnte. Einige Tage zuvor war das Büro von Ohne Rüstung Leben, dem Veranstalter der schon traditionellen EUCOM-Aktion, von der Polizei durchsucht worden.

Kein Friede ohne soziale Gerechtigkeit!
Als nächster Redner kommt Bernd Riexinger von der Gewerkschaft HBV auf die Bühne. Er bezeichnet die Beteiligung der Bundesrepublik am Krieg gegen Jugoslawien als "schlimmste Zäsur der deutschen Nachkriegspolitik". Nach und Nach erfahre die Öffentlichkeit, daß sie systematisch fehl informiert und belogen wurde. So sei der behauptete Völkermord, dem angeblich 500 000 ethnische Albaner zum Opfer gefallen sind, auf die Zahl von 2018 geschrumpft. "Das sind immer noch 2018 zuviel, aber mit Völkermord hat das nichts zu tun". In diesem Krieg sei es zu keinem Zeitpunkt um Menschenrechte gegegangen, stellt Bernd Riexinger fest und betont, daß es Frieden ohne soziale Gerechtigkeit nicht geben kann. "Die neoliberale Form der Globalisierung" bezeichnete er als "eine der zentralen Ursachen für die Zunahme von Kriegen und Bürgerkriegen, weil sie die Kluft zwischen Arm und Reich immer mehr vergrößert und dadurch den Zerfall gesellschaftlicher Ordnung in vielen Ländern der Welt beschleunigt und die sozialen Gegensätze verschärft". 80% der Länder der Welt gehören den Verlierern der Globalisierung und sind heute ärmer als vor 10 Jahre. Dafür haben 200 der reichsten Dollarmilliardäre der Welt mehr Geld zur Verfügung als über 50% der Menschheit in den armen Ländern, zitiert Bernd Riexinger eine jüngst erschienen UNO-Studie. Fast unerträglich sei es, "wenn wir heute mit ansehen müssen, daß als Folgen des Bürgerkrieges und der Aufrüstung in Žthiopien und Eritrea Millionen Menschen hungern, während die Hälfte der Nation wie gebannt auf die Entwicklung der Aktienkurse starrt." Am Schluß seiner Rede zitiert der Gewerkschafter aus dem aktuellen DGB-Grundsatzprogramm: "Soziale, ökonomische und ökologische Konflikte müssen auf zivilem Wege ohne militärische Gewalt gelöst werden" heißt es da. "Dafür werden wir uns stark machen: Gewerkschaften und Friedensgruppen gemeinsam in der Friedensbewegung."
Der nächste Kulturbeitrag beschäftigt sich mit Thema "Frauen in die Bundeswehr". Musikalisch und in Textbeiträgen macht die Gruppe klar, daß in der Armee dienen zu dürfen, alles andere als ein Beitrag zur Emanzipation ist. "Großmutter hat einem Großgrundbesitzer gedient, Mutter hat einem Fabrikherren gedient und ich soll in der Armee dienen...." Unterdessen werden an Infoständen und auf dem Platz Unterschriften unter den Aufruf: "Frauen ans Gewehr - wir sagen nein" gesammelt.
"Ich habe mich immer gewundert, wie wenig wahrgenommen worden ist, daß die Entscheidung zum Krieg eine fundamentale Žnderung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik bedeutet hat" zitiert VVN-BdA Landesgeschäftsführer Dieter Lachenmayer den Bundeskanzler, der damit ausgedrückt habe, daß Krieg wieder Mittel der deutschen Aussenpolitik geworden ist. Dabei könne es keine höhere Verantwortung eines deutschen Politikers vor den Menschen, vor der Geschichte geben als "Frieden zu halten". Die rot-grüne Regierungserklärung, in der es heißt "Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik" bezeichnet der Redner als "größte Täuschung und Enttäuschung. Die Tinte war noch nicht trocken, als diese Regierung ohne Rücksicht auf Grundgesetz und Völkerrecht der Bombardierung Belgrads ihren Segen gab." Er fordert dazu auf, all die großen und kleinen Lügen im Gedächtnis zu behalten, die in die Welt gesetzt wurden, um "die knappe Hälfte der Bevölkerung zu diesem Krieg zu erpressen".

Schluß mit der "Zerissenheit"!
Die Friedensbewegung sei "weder überflüssig noch hilflos". Ihren zahlreichen Aktionen während des Bombenkrieges sei es zu verdanken, "daß es in diesem Lande keine mehrheitliche Zustimmung zum Krieg gibt." Eindringlich appellierte Dieter Lachenmayer an SPD-Mitglieder und Grüne, "an alle, die sich über diesen Krieg getäuscht haben oder getäuscht wurden: Jetzt wisst auch ihr, daß dieser Krieg kein Verbrechen verhindert, kein Problem gelöst hat. Jetzt muß ein Ende sein mit der Zerrissenheit. Jetzt brauchen wir Eure Entscheidung. Euer Platz ist an der Seite der Friedensbewegung!" Denn, so der Redner, neue Kriege würden vorbereitet. Schon stelle der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr Klaus Naumann die prophetische Frage: "Was machen wir besser im nächsten Krieg, der kommen wird?" Darauf gebe es nur eine Antwort: "Dieser nächste Krieg muß verhindert werden!" Dieter Lachenmayer bekommt viel Beifall für seine Rede. Beifall auch für die Mitglieder des Theodorakis-Chors, die das extra für den Stuttgarter Ostermarsch umgedichtete Lied "Imaste dio" (wir sind zwei) des berühmten griechischen Komponisten Mikis Theodorakis vortragen. Begeistert singen die Ostermarschierer mit:
"... und mach jetzt mit es ist die Zeit um aufzustehen
wir wollen hier jetzt demonstrieren für Völkerrecht und Menschlichkeit
es liegt an uns - dann kommt die Zeit..."

Dann steigen hunderte blauer Friedenstaubenluftballone in den regengrauen Himmel auf. Noch einmal spielen ValÜre Hiobi & BAOBAB. Ein gelungener Ostermarsch der Mut gemacht und Kraft gegeben hat zum Weitermachen, geht zu Ende.

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