VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 16.07.2000
antifNACHRICHTEN an200007
Nummer 3 / Juli 2000

Jahrestagung der LAG Gedenkstätten:

Die Erinnerungskultur stabilisieren!

von Reinhard Hildebrandt

35 Gedenkstätten existieren in Baden-Württemberg, zusammengeschlossen in der "Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen" (LAG). 150 000 Menschen besuchen jährlich diese Einrichtungen. Mit 6000 Gästen ist die KZ-Gedenkstätte Oberer Kuhberg in Ulm Spitzenreiter. Rund 45 Mitglieder der LAG trafen sich zur Jahrestagung vom 31. 3. bis 2. 4. 2000 im Haus auf der Alb in Bad Urach, damit verbunden war ein Besuch der Gedenkstätte Grafeneck.
Zwei Landespolitiker nahmen Stellung zur aktuellen Situation in der Gedenkstättenarbeit. Einig waren sich die die Sozialdemokratin Birgit Kipfer und Paul-Stefan Mauz von der CDU darin: Die Arbeit der Gedenkstätten ist unverzichtbar und notwendig. Denn, so die Landtagsabgeordnete Kipfer, "die Menschen sollen nicht Opfer von Vorurteilen werden, sondern selbständig und kritisch über das Thema nachdenken." Dabei sei eines notwendig: "Man darf die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus nicht als Zeigefinger-Pädagogik verstehen, sondern muß eine persönliche Auseinandersetzung ermöglichen." Doch gerade ein solches didaktisch-pädagogisches Konzept erfordert Geld - und das fließt nach wie vor nicht reichlich. Im Gegenteil: Die Mitarbeiter und Leiter der baden-württembergischen Gedenkstätten haben die Befürchtung, daß mit der Zusage von Bundesmitteln künftig die Landesförderung gekürzt wird - sie brauchen aber für eine gute Arbeit Planungssicherheit. Entsprechende Zusagen konnten die beiden Landespolitiker nicht geben, aber die Bedeutung des Themas unterstrichen sie immer wieder: "Wir müssen die Erinnerungskultur stabilisieren", erklärte Birgit Kipfer. Ihrer Ansicht nach muss es sogar so weit kommen, daß die Gedenkstättenarbeit ein Teil kommunaler Kultur wird, des Sich-Kümmerns vor Ort im Sinne eines bürgerschaftlichen Engagments. Doch das ist nach Ansicht der Mitglieder der Landesarbeitsgemeinschaft nicht möglich, wenn die Gedenkstätten in erster Linie als Orte schulischer Pflichtbesuche gesehen werden. Eine Hauptforderung heißt deshalb, die außerschulische Bildung und die Erwachsenenbildung wesentlich zu fördern.
Der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Dr. Volkhard Knigge, sprach über die KZ-Gedenkstätten und den Umgang mit der Vergangenheit. Als Kernaufgaben deutscher Erinnerungskultur auf nationaler Ebene nannte er:
  • Die Einrichtung des 27. Januars als Gekenktag für alle Opfer des Nationalsozialismus;
  • der Beschluß des Deutschen Bundestages zur Erstellung eines Holocaust-Mahnmals in Berlin
  • Die erstmalige Förderung der dezentralen Gedenkstättenarbeit.
  • Die Förderung nicht nur der KZ-Gedenkstätten sondern auch der Gedenkstätten für die Opfer des Stalinismus und des SED-Unrechts.
Bemerkenswert war, daß Knigge seine frühere Haltung zur Totalitarismus-Theorie revidierte. Er kritisierte, daß es zwar eine Enquete-Kommission zur Untersuchung des SED-Unrechts gab, aber nie eine Enquete-Kommission zur Untesuchung des NSDAP-Regimes gab. Den Terminus "Opfer der Gewaltherrschaft" bezeichnete er als "Leerformel", die von gesichtslosen Opfern ausgehe, den Nationalsozialismus als vom Himmel gefallene Naturkatastrophe darstelle und den Unterschied zwischen Opfern und Tätern verwische. Die Auseinandersetzung um die nationalen Mahn- und Gedenkstätten der DDR Buchenwald und Sachsenhausen, bezeichnete er als Wiederkehr des Kalten Krieges im Osten. Buchenwald als Ort des Totalitarismus darzustellen, knüpfe an die "banale Totalitarismus-Theorie der 50er Jahre an", an den "reflexhaften Anti-Totalitarismus", wenn an NS-Verbrechen erinnert werde, müsse man gleichzeitig die Kommunisten, die DDR und und die Sowjetunion bekämpfen. "Dieser reflexhafte Antikommunismus war für Deutschland schon immer fatal", sagte er und kritisierte, daß die meisten Bundestagsabgeordneten noch nie in einer KZ-Gedenkstätte gewesen seien und im Zusammenhang mit der Diskussion über den Bericht der Enquete-Kommission keine Ahnung hätten, über was sie da redeten. Der Satz "im Tode sind alle gleich" zerstörte Bildung, die ein Leben vor dem Tode voraussetzt und Teil des kulturellen Gedächtnisses ist. Gegen die Verleugner der Geschichte und der NS-Verbrechen, gegen das Nicht-Wissen-Wollen, ist Erinnerung wichtig, reiche aber nicht aus. Notwendig sei heute die Arbeit an einem kognitiv nicht verengten Geschichtsbewußtsein. Diese Arbeit könne nicht durch eine Totalitarismus-Theorie, auch nicht durch eine differenzierte ersetzt werden, sagte Knigge. Die Erinnerungskulturen waren in der DDR und der Bundesrepublik verschieden. Im Westen folgte nach Kriegsende eine schleppende Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen. Das Thema wurde laut Knigge mit einem "Friedhofsgedanken" überblendet. "Erst ab Ende der 80er Jahre hat sich die Arbeit der Gedenkstätten im Bewußtsein der Bevölkerung etabliert." Statt zu verdrängen, setzte man sich dagegen im Osen mit der NS-Geschichte auseinander - als Gechichte des Widerstandes. Das "3.Reich" wurde als abgeschlossenes Kapitel der Geschichte betrachtet, der Besuch der Gedenkstäte war Pflicht für die Menschen in der DDR.
Die Widerstandskämpfer wurden idealisiert, als Vorbilder dargestellt, um eine Identifikation mit dem neuen besseren Deuschland zu ermöglichen. "Eine westdeutsche Variante der DDR-Politik ist heute, die Berliner Republik als die bessere darzustellen", sagte Knigge. Zur Vergangenheitsbewältigung meinte er: Wichtig ist nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, bedeutend ist auch zu zeigen, wie nach dem Krieg damit umgegangen wurde."
Die Wahlen zum Sprecherkreis der LAG erbrachten folgendes Ergebnis: Gewählt wurden Jost Grosspietsch, Freundeskreis ehemalige Synagoge Sulzburg; Christine Glauning, KZ-Gedenkstätte Bisingen; Martin König, KZ-Gedenkstätte und Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, Ulm; Thomas Stöckle, Gedenkstätte Grafeneck; Klaus Schubert, ehemalige Synagoge Haigerloch; Ulrike Scheurich, KZ-Gedenkstätte Mannheim-Sandhofen.

VVN-Logo http://www.vvn.telebus.de © 2000 J. Kaiser