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Nummer 3 / Juli 2000

Verdiente Ehrung für Hans Gasparitsch und Gerhard Dürr:

Bundesverdienstkreuz für zwei Antifaschisten

vom Landesvorstand

"Eher geht ein Kamel durch's Nadelöhr, als daß ein Vertreter des kommunistischen Widerstandes das Bundesverdienstkreuz erhält" lautet ein leicht abgewandeltes und bisher jederzeit verifizierbares biblisches Gleichnis. Am Freitag, dem 26. Mai ist es passiert: Hans Gasparitsch hat die höchste Auszeichnung der Bundesrepublik Deutschland erhalten.

Er ist damit mit dem Kameraden Fritz Bringmann, der in Hamburg vor wenigen Wochen diese Auszeichnung erhielt, einer der allerersten VVN-BdA Mitglieder und Angehörigen des Widerstands, dem eine solche Anerkennung verliehen wurde. Noch vor wenigen Jahren, hatte Bonn diesem Kreis immer wieder jede Anerkennung verweigert. In einer Feierstunde im Stuttgarter Rathaus überreichte Oberbürgermeister Schuster namens und im Auftrag des Bundespräsidenten unserem Kameraden Hans Gasparitsch das Verdienstkreuz erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Eine Aufgabe, der sich Stuttgarts CDU-Oberbürgermeister womöglich noch ein wenig hölzerner als sonst entledigte. Zäh kaute er an der Bezeichnung "sozialistisch orientiertes Elternhaus". Fast unaussprechlich für Dr. Schuster schließlich das Wort "kommunistisch" ohne das das Leben des Widerstandskämpfers Hans Gasparitisch aber nicht darzustellen ist.
Hans Gasparitsch hat das Bundesverdienstkreuz erhalten, weil er sich, so OB Schuster, "für Freiheit und Menschenwürde in umfassender und kritischer Weise" einsetzt. "Sie haben sich dadurch ausgezeichnet, daß Sie sich nicht gleichschalten ließen und bei Ihrer eigenen Überzeugung blieben", umschrieb OB Schuster den Widerstand des damals 16-jährigen Hans Gasparitsch.
Er habe sich die Aufklärung der jungen Generation über die nationalsozialistische Zeit zur Aufgabe gesetzt und engagiere sich seit 1980 für die antifaschistischen Stadtrundfahrten. Vielen tausend Jugendlichen hat Hans Gasparitsch seine Erfahrungen aus dem Widerstand vermittelt.
Ohne Zweifel, Hans Gasparitsch hat diese Auszeichnung, die ihn so spät erst erreichte, verdient, wie kaum ein anderer. Daß er aber nicht der Einzige ist, darauf wies Hans selber hin: Dieses Kreuz gebühre ebenso jenen anderen, die die selben Verdienste erworben hätten wie er selbst. Er wies auf Alfred Hausser und Gertrud Müller, die beide anwesend waren, und der OB kam nun nicht umhin, beiden statt einer Auszeichnung wenigstens einen Händedruck zu reichen. Wann auch sie und andere die gleichermaßen verdiente Auszeichnung erhalten, steht indes in den Sternen.
Als freudige Überraschung stellte sich der zweite Bundesverdienstkreuzträger des Tages heraus: Gerhard Dürr, Pfarrer i.R., engagiert im Arbeitskreis Asyl und VVN-BdA-Mitglied. Gerhard Dürr, der 10 Jahre lang für die SPD im Stuttgarter Gemeinderat saß, erhielt das Bundesverdienstkreuz für seine "integrierende" Arbeit mit "ausländischen Mitbürgern". Ihm sei es mit zu verdanken, so OB Schuster, daß es in dieser Stadt wenig Spannungen und Konflikte mit hier lebenden Flüchtlingen gegeben habe. Daß ihm sein engagiertes Eintreten für in Stuttgart lebende politisch verfolgte Kurden auch schon Strafanzeigen eingebracht hat, wurde bei dem feierlichen Ereignis aus naheliegenden Gründen nicht erwähnt.
Wir gratulieren unseren beiden Bundesverdienstkreuzträgern ganz herzlich!


Hans Gasparitsch
1935 schrieb er "Hitler = Krieg" an den Sockel einer Statue in der Stuttgarter Stadtmitte. Diese Widerstandsaktion gegen den Krieg, der nicht verhindert werden konnte, mußte er teuer bezahlen: Zweieinhalb Jahre Gefängnis in Ulm, danach - weil das Strafziel nicht erreicht war - die noch schlimmere Qual in den KZs: Welzheim, Dachau, Flossenbürg, Buchenwald. Er überlebte im zweifachen Sinne dank der Solidarität - psychisch, weil er sie brauchte, nahm und gab, um nicht gebrochen zu werden, physisch, weil er durch sie vor dem "Todeskommando Steinbruch" gerettet wurde.
Die gefahrvolle Arbeit im Jugendwiderstand gegen Faschismus und Krieg, das Widerstehen im KZ, das Überleben mit aufrechtem Gang - das alles wäre genug Verdienst für ein ganzes Leben. Aber Hans kehrte zurück in ein Land, das schon wenige Jahre nach der Befreiung diese Verdienste nicht mehr anerkannte, schon deshalb nicht, weil Hans sich treu geblieben war, auch als Kommunist. In der DDR bot sich dem Arbeiterjungen Gelegenheit zu Abitur und Studium als Journalist. In der Bundesrepublik mußte er diesen Beruf wieder aufgeben, weil die Zeitungen Volksstimme und Badisches Volksecho im Zuge des KPD-Verbotes verboten und beschlagnahmt wurden. Eine andere Zeitung, die einen Redakteur mit dieser Vergangenheit eingestellt hätte, gab es nicht. Aber auch Partei- und Berufsverbot können Hans Gasparitsch nicht verbiegen.
Mit einem Milchladen zusammen mit seiner Frau Lilli halten sich beide über Wasser. Mit einem Fernstudium der Architektur baut Hans eine neue berufliche Existenz auf.
Der Schwur von Buchenwald, den er im April 45 geleistet hat, bleibt ihm Verpflichtung. Hans ist aktiv in der VVN. Sein Buch "Die Schicksale der Gruppe G", in dem die Aktivitäten seiner Widerstandsgruppe, ihr Kämpfen und Leiden während des Faschismus berichtet werden, soll aufklären, ermuntern zum erneuten Widerstehen gegen Kriegsvorbereitung und Faschismus. Vor allem der neuen Generation, den Jungen gilt sein Engagement. Immer wieder Besuche in Schulklassen, Führungen durch die Gedenkstätten seiner ehemaligen Qualen, Dachau, Oberer Kuhberg und Buchenwald ..., antifaschistische Stadtrundfahrten in Stuttgart. Eine Schulklasse - nicht ein öffentlich-rechtlicher Fernsehsender - dreht mit ihm den Film Micha, der die Erinnerung festhält, die Erfahrung und die Mahnung weitergibt: Nie wieder Faschismus nie wieder Krieg. Bei der Premiere muß er anonyme Briefe hinnehmen: "Warum ist der Kerl nicht erschossen worden".
Besonders aktiv ist Hans dort, wo er 1935 aufhören mußte: Beim Kampf um den Frieden. Kampf dem Atomtod, Ostermärsche, Nein zu Pershing II, Kein Blut für Öl, Bundeswehr in alle Welt - Wir sagen Nein, Stoppt den Krieg - wo immer die Friedensbewegung aktiv ist, Hans ist dabei.
Die engagierte Auseinandersetzung die er lange Jahre auch als Vorsitzender des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg in Ulm um den Erhalt und Ausbau - in Buchenwald gegen die Verfälschung - der Gedenkstätten führt, seine Arbeit mit den Jugendlichen, die Publikation von "Hanna, Kolka, Ast und andere..." die aktualisierte Neufassung der Gruppe G., das alles dient nicht der Reminiszenz an die Vergangenheit, sondern immer, wie schon damals, der Gestaltung der Zukunft. In seiner alten KZ-Uniform verteilt Hans Flugblätter für die Erhaltung des Asylrechtes und gegen Rassismus und muß sich dabei von Polizisten anrempeln lassen. In der selben Uniform demonstriert er am 8. Mai 1995 gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr.
Auch wenn er seine Partei, die DKP, damals 1990 entäuscht über Fehler und Versagen der kommunistischen Weltbewegung verlassen hat, seiner Überzeugung ist er treu geblieben: Es gilt eine neue Welt zu schaffen, "Eine Welt des Friedens und der Freiheit", wie er es einst auf dem Appellplatz von Buchenwald geschworen hat. Die VVN-Bund der Antifaschisten ist seine Organisation, an ihrer Arbeit nimmt er aktiv wie wenig andere teil und prägt sie; obwohl er weiß, daß diese Organisation - und damit auch Hans - vom Verfassungsschutz beobachtet und als verfassungsfeindlich denunziert wird.
Eine Lebensleistung wie diejenige von Hans Gasparitsch, bemißt sich nicht nach dem Grad der Anerkennung, die sie findet, sondern daran, daß sie beiträgt zum gesetzten Ziel:
"Was ich mir in den Schriften und Büchern der Sozialisten, Pazifisten und Humanisten als meinen Lebenstraum herausgelesen hatte, das wollte ich mir und der ganzen Jugend erhalten: Soziale Gerechtigkeit für alle, Toleranz und Freundschaft mit allen, Kultur und Bildung für jeden - über alle Grenzen hinweg. Und Frieden für alle Völker der Welt. Das ist mein Traum - auch heute noch!" Dieser Traum ist nicht verwirklicht. Aber Hans hat vieles dazu beigetragen, daß er es eines Tages sein könnte.
Deshalb ist es gut, daß der Bundespräsident 55 Jahre nach der Befreiung, die die Gründung der Bundesrepublik erst ermöglicht hat, die Verdienste würdigt, die der antifaschistische Widerstand, die Menschen wie Hans Gasparitsch für Freiheit, Demokratie und Frieden sich und uns erworben haben.

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