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Nummer 3 / Juli 2000

Ehemalige ZwangsarbeiterInnen warten noch immer:

Nur massiver Druck erzeugt Bewegung

von Alfred Hausser

Dank vieler Initiativen aus Betrieben, Kommunen, Parteien, Organisationen und der Informationen in den Medien ist das lange umstrittene Verfahren zur Entschädigung der Zwangarbeiter vorangekommen. Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes "Entschädigung für Zwangsarbeit" vorgelegt, der von allen Fraktionen der im Bundestag vertretenen Parteien gemeinsam eingebracht wurde. Diese Gemeinsamkeit ist eine Seltenheit in der deutschen Parlamentsgeschichte. Im Klartext ist diese Haltung so zu verstehen, daß alle Parteien die Entschädigung der Zwangsarbeiter bejahen. Es sei daran erinnert, daß vor der Abwahl der Kohl-Regierung mehrfach Anträge von SPD und den Grünen zur Entschädigung der Zwangsarbeiter im Bundestag eingebracht und stets von den Regierungsparteien abgelehnt wurden. Bei der Beratung des Gesetzes wird sich bald zeigen, wie groß die Unterschiede in Detailfragen sind. Die 1. Lesung hat bereits am 14. April stattgefunden, wobei nur Grundsatzreden gehalten wurden. Am 7. Juni hat der Innenausschuss des Bundestages eine Anhörung der Organistionen der Opfer anberaumt, zu der auch die Interessengemeinschaft der ehemaligen Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime eingeladen ist. Wir werden unsere Žnderungen des Gesetzes dabei vortragen.
Der Bundestag will das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschieden. Anschließend muß der Bundesrat zustimmen. Dann könnte theoretisch mit den Zahlungen begonnen werden, was aber zu bezweifeln ist. Zum einen hat die deutsche Wirtschaft trotz vieler Ermahnungen erst die Hälfte der von ihr aufzubringeden Summe von fünf Milliarden DM auf dem Konto der zu gründenden Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" einbezahlt. Ausserdem gibt es erneut Schwierigkeiten wegen den in den USA anhängigen Klagen gegen deutsche Unternehmen. Dieser Streitpunkt sollte durch ein Regierungsabkommen beim Staatsbesuch des US-Präsidenten Clinton am 1. Juni in Deutschland erledigt werden. Aber scheinbar sind noch nicht alle Differenzen ausgeräumt, denn dieser Staatsakt wurde vertagt. Also noch kein Licht in dem langen Tunnel und warten - warten - wie lange noch?


Brief an Freiburger Firmen:
Zur Nachahmung empfohlen
Unabhängige Frauen/Linke Liste, Radio Dreyeckland, Antifa Freiburg und VVN-BdA Freiburg haben sich mit einem Aufruf an Freiburger Firmen und Institutionen gewandt, die noch nicht in den Entschädigungsfonds eingezahlt haben. Wir begrüßen diese Aktion und hoffen, daß sich vielen Organisationen und Personen daran beteiligen. Der DGB hat sich bereits angeschlossen. Im folgenden dokumentieren wir den Aufruf:

"Sehr geehrte Damen und Herren,
Ende März haben sich die Bundesregierung, die deutsche Wirtschaft und die Anwälte der Opfer auf die Zahlung von 10 Milliarden DM in einen Stiftungsfonds für ehemaligen ZwangsarbeiterInnen geeinigt. Bis heute beteiligen sich ca. 2000 Firmen an dem Fonds (Stand 15.5.00), die zu erreichende Summe von 5 Milliarden DM wurde bis zum jetzigen Zeitpunkt bei weitem nicht erreicht. Deshalb fordern wir Sie auf, die Firmen der Region wie auch die Stadt Freiburg, sich an der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft für ehemalige ZwangarbeiterInnen finanziell zu beteiligen - wie es einige Firmen der Region schon zugesagt haben.
Zur historischen Erinnerung:
Nahezu 10 Millionen Frauen und Männer, darunter ein Großteil Kinder und Jugendliche, wurden aus ihren von der deutschen Wehrmacht besetzten und zerstörten Ländern zwischen 1939 und 1945 nach Deutschland verschleppt, etwa 10 000 auch in die Region Freiburg. In Freiburg selbst waren es ca. 4000 ZwangsarbeiterInnen. Insbesondere die aus Polen und den Ländern der Sowjetunion Verschleppten lebten und arbeiteten unter schlimmsten Bedingungen. Sie waren rechtlos, oft bei kleinsten Verstößen mit dem Tod bedroht und während der Bombenangriffe häufig schutzlos. Viele hungerten und lebten unter schlimmsten hygienischen Bedingungen.
Es ist bekannt, daß nicht nur die größeren Industriebetriebe wie Mez, Rhodia, Daimler Benz und Fortschritt, von ZwangsarbeiterInnnen lebten und profitierten. Es profitierten auch fast alle landwirtschaftlichen Betriebe, viele Handwerksbetriebe und Privathaushalte sowie die Kommunen - und damit fast alle Deutschen. Die ZwangsarbeiterInnen haben nicht nur die Kriegswirtschaft und die Versorgung der deutschen Bevölkerung im Krieg aufrecht erhalten. Sie haben durch ihre Sklaven-Arbeit auch mit den Grundstock gelegt, auf dem sich nach dem Krieg in unglaublich kurzer Zeit das deutsche "Wirtschaftswunder" entwickeln konnte, von dem wir alle bis heute profitieren. Wissenschaftler bezeichnen den Gewinn an der Zwangsarbeit mit 180 Milliarden Mark. Andererseits leben die Opfer der Zwangsarbeit in ihren Heimatländern teilweise bis heute in Armut und leiden an den körperlichen wie seelischen Folgen ihrer Verschleppung.
Bis in die 80er Jahre war das Thema Zwangsarbeit weitestgehend unbeachtet. Erst am 16.1.1986 hat das Europa-Parlament einstimmig in einer Entschließung festgestellt, daß ZwangsarbeiterInnen "einen moralischen und materiellen Anspruch auf Entschädigung haben" und zugleich die Betriebe aufgefordert, diesen Anspruch umgehend zu erfüllen.
Die im letzten Jahr geführten Verhandlungen diskriminierten jedoch durch ihre Art und Weise die Opfer der Zwangsarbeit. So stand die Rechtssicherheit der deutschen Firmen im Vordergrund, nicht das Leiden der Opfer. Die Verhandlungen machten deutlich, daß mit dem Fonds ein Schlusstrich gezogen werden soll: So sollen Ansprüche aller NS-Opfer umfassend und endgültig abgegolten sein. Einbezogen in den Fonds werden auch die Ansprüche der Opfer der Arisierungspolitik, des Ausverkaufs jüdischen Eigentums, obwohl der Umfang des Raubs noch lange nicht lange ist. Es ist ein Skandal, dass erst heute, nach mehr als 50 Jahren konsequenter Verweigerungshaltung von Justiz und Wirtschaft, sich Betriebe zur Zahlung bereit erklärten. Angesichts der Leiden derZwangsarbeiterInnen und der daraus folgenden Profite der Wirtschaft und der Gesellschaft sind die Zahlungen viel zu niedrig und kommen zu spät. Jeden Monat sterben tausende ZwangsrbeiterInnen.
Obwohl wir dies alles kritisieren, sind wir dennoch der Auffassung, daß sich Betriebe und Städte jetzt umfassend und unverzüglich am Fonds beteiligen müssen, so daß den noch lebenden Opfern schnell und unbürokratisch Geld ausgezahlt werden kann. Wir fordern alle Firmen der Region, wie auch die Stadt Freiburg auf, sich freiwillig und unabhängig von nachweisbarer Schuld mit einer angemessenen Summe am ZwangsarbeiterInnen-Fonds zu beteiligen. Unabdingbar erscheint uns die öffentlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte der ZwangsarbeiterInnen. Deshalb fordern wir Sie auf, Archive zu öffnen und die Dokumentation der Geschichte der ZwangsarbeiterInnen finanziell zu unterstützen. Die Zahlungen an den Fonds können kein Schlussstrich sein, sondern nur ein Anfang der Auseinandersetzung mit der Situation der ZwangsarbeiterInnen. Das (Ver)Schweigen der Täter ermöglichte erst den skandalösen Umgang mit der Geschichte der ZwangsarbeiterInnen. Es muß auch für Freiburg deutlich gemacht werden wie stark es in die Versklavung von Menschen involviert war und wie sehr die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft von dieser Zwangsarbeit profitiert haben.
Wir bitten Sie uns über ihre Beteiligung zu informieren, da wir die Presse über unseren Aufruf und die Reaktion darauf informieren wollen."


Denken mit dem A...
REPs hetzen gegen Entschädigung
Die Landtagsfraktion der Rep hat sich mit einem Schreiben an Betriebsräte von Betrieben gewandt, die dem Fond für die Entschädigung der ZwangsarbeiterInnen bereits beigetreten sind. Ihre Zumutung, die Betriebsräte sollten sich bemühen, Zahlungszusagen wieder rückgängig zu machen, dürfte wohl eher im Interesse der Betriebsleitungen denn der Belegschaften liegen. Das Ziel dieses Schreibens, die betroffenen KollegInnen gegen die positive Haltung ihrer Gewerkschaften zur Entschädigung aufzuhetzen, dürfte wohl in den allermeisten Fällen scheitern.
Die Reps, allen voran Herr Krisch, denken halt weder mit dem Kopf, noch mit dem Bauch. Was sie "denken" nennen besorgen andere mit dem Hinterteil:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
einem Rundschreiben des Wirtschaftsministeriums entnehmen wir, daß Ihr Haus sich an der Stiftungsinitiative "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" beteiligt und eine Zahlung leistet. Nun wissen wir nicht, ob das eine Entscheidung der Geschäftsleitung mit Zustimmung des Betriebsrates war. Aber wir fragen, ob diese Entscheidung im Interesse der Belegschaft sein kann. ... Zu viele Befürworter handeln aus dem Bauch, nicht mit dem Kopf ... Könnten Sie zustimmen, daß der Bauch oft ein schlechter Berater ist? Wolf Krisch MdL"

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