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Nummer 4 / April 2000

Emanzipation oder Militarisierung?

Von der Gleichberechtigungsfalls in die Dienstpflicht

von Anne Rieger

Ist der Zugang zum Dienst an der Waffe wirklich "die Nagelprobe auf die Akzeptanz der Unteilbarkeit von BürgerInnenrechten" wie Christa Schenk (PDS) es sieht, ein "weiterer Schritt zum Abbau rechtlicher Benachteiligung von Frauen" (Deutsche Frauenrat). Liegen darin "neue berufliche Entwicklungsmöglichkeiten in technisch anspruchsvollen Jobs" (Ursula Engelen-Kefer, DGB)?

Soldat(in) sein - das Abgerichtet werden zum Töten auf Kommando - ist kein Beruf wie jeder andere! Kann frau die gleichberechtigte "Lizenz zum Töten" tatsächlich als höchste Stufe weiblicher Emanzipation verstehen oder sollte frau angesichts dieses Schritts zu gleichen Diensten nicht der Jubel im Halse stecken bleiben? Es ist schwer nachvollziehbar, dass es ein Fortschritt für die Frauen aus den USA gewesen sein soll, in den Kriegen in Korea, Vietnam am Golf und anderswo zu töten und getötet zu werden.

Emanzipation dank Bundeswehrverband?
Natürlich ist es höchste Zeit, Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen auf allen Ebenen unserer Gesellschaft herzustellen. Aber waren das auch die Beweggründe des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV) als er 1996 Tanja Kreil seine Hilfe anbot? Frau Kreil hatte sich beim Elektronik-Instandsetzungsdienst der Bundeswehr beworben und war abgelehnt worden, da die damit verbundene Waffenausbildung für Frauen dem Grundgesetz widerspricht. Der DBwV stellte daraufhin Tanja Kreil Rechtsschutz und seinen Vertragsanwalt zur Verfügung. Mit dessen Unterstützung klagte sie vor dem Europäischen Gerichtshof (EUGH) auf die Einhaltung der Gleichbehandlungsrichtlinie des Europäischen Rates aus dem Jahre 1976 bezüglich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg. Sie klagte mit Erfolg: Unter großer öffentlicher Beachtung verkünden die Richter im Januar: "Frauen haben in Deutschland Zugang zum Dienst mit der Waffe." Der Vorsitzende des DBwV, Oberst Bernhard Gertz, jubelte: "Hier ging es um die Beseitigung eines Berufsverbotes."
Noch am gleichen Tag veranlasste Peter Wichert, Staatssekretär im Verteidigungsministeriums, die Bildung einer Steuergruppe "Frauen in den Streifkräften" die einen Entwurf zum Handlungs- und Entscheidungsbedarf vorlegen soll. Minister Rudolf Scharping, der bereits im Juli 1999 ankündigte, Frauen auch im Wachdienst, also "mit der Waffe" einzusetzen, begrüßte das Urteil und versprach einen abgestimmten Gesetzentwurf zur Kabinettsbehandlung noch vor der Sommerpause. "Eine historische Entscheidung zugunsten der Frauen in Europa, insbesondere aber in Deutschland", fasste Peter Dreist in "Bundeswehr aktuell" das Ergebnis zusammen.
Bei so viel männlicher Unterstützung in der Gleichberechtigungsfrage wundert frau sich! Noch immer sind die Beschlüsse des EUGH zur Lohngleichheit und gegen mittelbare Diskriminierung von Frauen in der Bezahlung in der Bundesrepublik nicht umgesetzt, noch immer kann von Chancengleichheit im zivilen Bereich, in Familie, Beruf und Gesellschaft keine Rede sein. Vor wenigen Tagen erst rügte der Anti-Diskriminierungsausschuss der UN die Tatsache, dass Frauen in Deutschland nach wie vor in vielen Bereichen diskriminiert werden: Sie erhalten nur 77 Prozent des Durchschnittsverdienstes von Männern, haben mehr als 90 Prozent der prekären und unzureichend bezahlten Teilzeitjobs inne und, obwohl mehr Frauen als Männer ein Studium beginnen, besetzen sie nur neun Prozent aller Professorenstellen. 94 Prozent der höchstdotierten Posten in Wirtschaft und Wissenschaft sind von Männern besetzt. An dieser Situation hat sich seit zehn Jahren kaum etwas geändert. Hier wird gemauert, doch wenn es um die Bundeswehr geht, werden "einflussreiche" Männer plötzlich schwach und entdecken die Gleichberechtigung. Das ist mehr als merkwürdig und legt den Schluss nahe, dass hier der Wunsch und das Recht von Frauen auf technisch anspruchsvolle Arbeitsplätze zur Legitimation der Bundeswehr und zur Militarisierung der Gesellschaft missbraucht werden sollen. Denn für den betrieblichen Bereich verkündet einer der mächtigsten Männer der Bundesrepublik, der Präsident der Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt vier Tage nach dem internationalen Frauentag: "Frauen brauchen keine Förderung".

Gleichberechtigte"Lizenz zum Töten"
Nichts zeigt klarer, um was es geht: Gleichberechtigung nur dann, wenn es passt. Mit unserer Zustimmung - mit der uralten Forderung der Frauenbewegung nach Gleichberechtigung - soll der Widerstand der Friedensbewegung gegen die Auf- und Umrüstung der Bundeswehr, gegen die neue Nato-Strategie aufgespalten und geschwächt werden. Emanzipation hat aber nichts mit Macho-Gleichstellung in Militärmaschinerien zu tun. Emanzipation heißt Selbstbestimmung. Diesem Interesse dient aber kein Militär der Welt. Nach innen ist es undemokratisch, nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam organisiert, nach außen ist es ein Instrument der Unterdrückung, der Zerstörung von Mensch und Natur. Es dient der Aufrechterhaltung von Macht und der Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen. "Frieden ist der Ernstfall" hieß der Auftrag der Bundeswehr noch vor 10 Jahren. Doch spätestens seit den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1993 gehört zum "Ernstfall", "die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt". Die militärische Ergänzung zum politischen und ökonomischen "Weltmachtstreben". Die Bundeswehr soll weltweit eingesetzt werden können um gegebenenfalls diese Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Dazu werden die sogenannten Krisenreaktionskräfte hochgerüstet.
Der "Zweck von Waffen ist es, genutzt zu werden", erklärt Boeing-Sprecherin Karen Vanderloo. Wozu? Um Kriege zu führen, denn das ist die Aufgabe von Armeen, dazu werden Soldaten und Soldatinnen ausgebildet. Das gilt auch für die deutsche Armee und zwar jetzt "out of area", d.h. gegebenenfalls weltweit und nicht nur zur Verteidigung. Ich wehre mich aber dagegen, dass in unserem Land noch mehr Menschen zum Töten ausgebildet werden sollen und dass in unserem Namen Angriffskriege geführt werden. Angesichts unserer Geschichte, angesichts der schrecklichen Sonderrolle, die Deutschland bei den Kriegen dieses Jahrhunderts gespielt hat, kann für mich der Waffendienst für Frauen in anderen Ländern kein Beispiel sein.

Nicht Frauen- sondern Friedensfrage
Auch der Blick in die amerikanische Armee bietet keine Sicht auf Emanzipation. Dort, wo sich mit 14 % der höchste Frauenanteil in der Nato findet, ergab eine Untersuchung, dass zwei Drittel der Frauen brutaler Unterdrückung durch sexuelle Belästigung, Nötigung bis zu Vergewaltigungen ausgesetzt sind. Militärdienst - Aufrechterhaltung der Macht der Männer über die Frauen. Ebenso gibt die soziale Zusammensetzung der Soldatinnen in den USA zu denken: schwarzen Frauen sind in der "Truppe" deutlich in der Mehrzahl, während angesichts einer florierenden Wirtschaft sich insbesondere die weißen Frauen vom Militär abwenden um sich im zivilen Bereich nach berufliche Alternativen umzusehen. Dass sich bei uns vor allem in Ostdeutschland zunehmend Frauen bei der Armee bewerben, sagt denn auch weniger aus über die Berufswünsche junger Frauen, als über ihre Perspektivlosigkeit auf dem zivilen Arbeitsmarkt angesichts der gewaltigen Massenarbeitslosigkeit.
Es hat auch wenig mit Gleichberechtigung zu tun, wenn frau als Lückenbüßerin Personaldefizite füllen soll. Seit dem ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr wollen sich immer weniger Zeitsoldaten für zusätzliche Jahre verpflichten. Es fehlen 1000 Unteroffiziere und 2000 Offiziere; die Zahl der Kriegsdienstverweigerer hat das historisches Hoch von 174 348 erreicht. Der Begriff "Reservearmee" bekommt da einen neuen, einen makabren Klang.

Soziales Billigjahrfür alle?
Wehrdienstarmee oder Berufsheer - die sozialen Folgen dieses Streits sollen ebenso auf dem Rücken der Frauen ausgetragen werden. Gibt es keine "billigen" Wehrdienstverweigerer mehr, die soziale Dienste überall dort leisten, wo tarifgerecht bezahlte Fachkräfte (qualifizierte Frauenarbeitsplätze) abgebaut wurden führt Mann das soziale Billig-Jahr für alle ein. Auch hier hat die Bundeswehr schon nachgedacht: Die Einführung einer militärischen und sozialen Dienstpflicht wurde bereits im September 1991 auf dem "Fürstenfeldbrucker Symposium für Führungskräfte aus Bundeswehr und Wirtschaft" gefordert. Der Bundeswehrverband forderte bereits 1981 die Gemeinschaftsdienstpflicht für alle "um die Verteidigungsfähigkeit zu sichern". Und General a.D. Gerd Schmückle, von 1978-1980 Stellvertretender Oberster Alliierter Befehlshaber für Europa, überlegt am 13.1.2000, zwei Tage nach dem EUGH-Urteil in der FAZ, dass bei freiwilligen Soldatinnen in der Armee den Frauen natürlich auch der Zivildienst geöffnet werden müsse. "Sonst wäre die Gleichberechtigung wieder gekippt. Solche Aussichten", so Schmückle, "müssen Frauen natürlich gegen die Bundeswehr aufbringen. Hoffentlich wird dies alles nicht gestreut, um den Richterspruch aus Luxemburg zu entwerten."
Natürlich bin ich für Gleichberechtigung. Der Zugang von Frauen zur Waffe ist für mich in erster Linie keine "Frauenfrage" sondern eine friedenspolitische. Statt in die Gleichberechtigungsfalle zu tappen gilt es sich gegen die weitere Militarisierung der Gesellschaft zu wehren. Weder Frauen noch Männer in die Bundeswehr!

Unterschriftenliste

Frauen ans Gewehr - Wir sagen Nein



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