VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 10.01.2000
antifNACHRICHTEN an200001
Nummer 1 / Januar 2000


Asylpolitik

Die Abschaffung eines Grundrechtes - letzter Akt?

von Reinhard Hildebrandt

Die neofaschistischen "Republikaner" jubeln, denn Regierungspolitiker sind dabei, ihre Forderungen zu erfüllen. Die REP loben den FDP-Bundesvize und Wirtschaftsminister Doring für seine Forderung nach Abschaffung des Individualrechts auf Asyl. Einen Monat zuvor sagte Bundesinnenminister Schily in einem "Zeit"-Interview: Das deutsche Asylrecht lässt sich nicht halten. Diese Meinung brachte er vom EU-Gipfel im finnischen Tampere mit, bei dem es um Einwanderung und Asyl ging. Das Menschenrecht auf Asyl sei ein Storfaktor bei der Bildung eines europäischen Rechtsraumes.

Das geeinte Europa ist für viele Menschen das Symbol für Wohlstand, Freizügigkeit und unkomplizierten Waren- bzw. Reiseverkehr. Andere müssen ihre Hoffnung auf Zutritt zu diesem "gemeinsamen Haus" schnell begraben, als Nicht-EuropäerIn oder Nicht-EU-BürgerIn scheitern sie oftmals bereits an einer der festungsartig gesicherten Grenzen. Um sich nach außen abzuschotten, wurden auf europäischer Ebene zahlreiche Kontroll- und Sicherheitsabkommen vereinbart.

38 Tote an deutschen Grenzen
Seit 1997 wurden an den Grenzen der Bundesrepublik, vor allem an den Ostgrenzen, 38 Menschen getotet. Sie wurden Opfer von Schüssen des Bundesgrenzschutzes, sie ertranken beim Durchqueren von Grenzflüssen oder erstickten in Containern. Die innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke, erklärte:
"38 Menschen starben vermutlich bei dem Versuch, trotz Verbot und hochgerüsteter Abschottung die deutsche Grenze zu überwinden. Zahlreiche weitere Menschen wurden durch Mittel des unmittelbaren Zwangs und durch Verfolgung verletzt. Diese hohe Zahl der Toten ist das Ergebnis einer rigiden Asylpolitik, die die Asylsuchenden immer mehr dazu zwingt, unter Gefahr von Leib und Leben die Grenzen illegal zu übertreten und/oder sie in die Hände von Schlepperbanden treibt. Heute ist ein legaler Grenzübertritt kaum noch moglich."
Die deutsche Ostgrenze ist die Außengrenze der Festung Europa und wird deshalb mit deutscher Gründlichkeit total überwacht. Die BRD unterhält hier eine kleine Armee zur Abwehr von Flüchtlingen, die mit modernster Abwehr- und Aufklärungstechnik ausgestattet ist. Mehr als 6000 BGS-Beamte, die im Radius von 30 Kilometern über erhohte Kompetenzen verfügen, Zollbeamte, die ebenfalls mit Fahndungs- und Zugriffsbefugnissen ausgestattet sind, dazu etwa 1000 HilfspolizistInnen und einige Einheiten der Bundeswehr sind im Einsatz. Mit denselben Methoden versucht die EU auch ihre südlichen Grenzen abzuriegeln. Spanien als Vorposten im Norden Afrikas hat sich hinter einem sieben Kilometer langen und vier Meter hohen, doppelten Eisendrahtzaun verschanzt. In Griechenland soll mit bundesdeutscher Schützenhilfe die "Schleuserkriminalität" (O. Schily) "nahe am Ausgangsherd" (M. Kanther) bekämpft werden.
Technisch perfektioniert wird das Ganze unter anderem durch das Schengener Informationssystem (SIS). Dort sollen z.B. jede/r abgewiesene AsylbewerberIn gespeichert werden, um nach dem Motto "One chance only" - zu verhindern, dass ein zweiter Asylantrag in einem Schengen-Staat gestellt wird (das sind Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande., Luxemburg, Spanien und Portugal seit 1995, Dänemark, Schweden und Finnland seit 1996 und Italien, Griechenland und Österreich nach dem Beweis der ausreichenden Abschottung ihrer Grenzen). Zudem enthält das SIS eine Art "schwarze Liste" für Flüchtlinge und MigrantInnen, denen von vornherein die Einreise verweigert werden soll, weil sie beispielsweise aus einem "sicheren Drittstaat" kommen. Jedes Mitgliedsland verfügt über eine SIS-Verbindungsstelle - in der BRD das Bundeskriminalamt - , die ihre Daten in den Zentralrechner in Straßburg einspeist. Von dort werden die Informationen an alle nationalen SIS weitergeleitet, bis sie an den Schengen-Außengrenzen in mehr als 30 000 Computerterminals verfügbar sind.

Festung Europa
Schengen war von Anfang an lediglich als Modell für eine gemeinsame Innen- und Sicherheitspolitik in der Europäischen Union verstanden worden und so wurde im Maastrichter Vertrag von 1993 die Zusammenarbeit der Innen- und Justizminister rechtlich vereinbart. In den Kompetenzbereich der Ministergruppe fallen unter anderem Maßnahmen für die Aufhebung der Binnengrenzkontrollen, die Vereinheitlichung der Außengrenzkontrollen, der Asyl- und Abschiebeverfahren und die polizeiliche Zusammenarbeit. Dies alles unter Ausschluss des Europäischen Parlaments, es kann lediglich angehort werden. Der Amsterdamer Vertrag von 1997 regelt endgültig die šberführung des Schengener Abkommens in EU-Recht.

Flüchtlinge werden zu Schüblingen
Schon vor längerer Zeit einigten sich die für die Einwanderungsfragen zuständigen EU-Minister auf die sehr wirksame Klausel von sogenannten "sicheren Drittländern". Sie besagt, dass AsylbewerberInnen, die von Nicht-EU-Staaten EU-Territorium zu erreichen versuchen, ohne Prüfung ihres Einzelfalles in diese Länder zurückgeschickt werden. Folgen dieser "harmonisierten" Asylpolitik sind Kettenabschiebungen von sicheren Dritt- in Viert- und Fünftsstaaten, so dass sich die Flüchtlinge auf einer ständigen Reise befinden . Für sicher erklärt wurden auch die Länder Mittel- und Osteuropas sowie Teile der Türkei. Mit der Grundgesetzänderung von 1993 verankerte die BRD diese Drittstaatenregelung als erstes Land in ihrem nationalen Recht, so dass es nun für eine/n AsylbewerberIn unmoglich ist, auf dem Landweg die Grenze nach Deutschland zu überschreiten. Diejenigen, die mit einem Flugzeug einreisen, erwartet eine šberprüfung noch am Flugplatz. Sie werden in Sammellagern auf dem Flughafen in Gewahrsam genommen, einem exterritorialen Raum, der nicht zum Hoheitsgebiet der BRD gehort, bis im Schnellverfahren über ihr Einreiserecht entschieden wird. Dieses Verfahren soll in erster Linie gewährleisten, dass Flüchtlinge, im Jargon der Grenzer Schüblinge genannt, problemlos wieder abgeschoben werden konnen.

Von Deutschland in den türkischen Folterkeller
Die Verfolgung von Kurdinnen und Kurden in der Türkei nimmt kein Ende. Schon seit Jahren macht PRO ASYL die Öffentlichkeit und die verantwortlichen Politiker darauf aufmerksam, dass abgeschobene kurdische Flüchtlinge nach ihrer Rückkehr in die Türkei systematischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind. Die jüngsten Beweise finden sich in einer Broschüre, in der 19 Fälle dokumentiert werden. PRO ASYL fordert, dass die bisherige Abschiebepraxis für kurdische Flüchtlinge in die Türkei sofort beendet werden muss. Es darf keine Pauschalablehnungen mit dem Verweis auf die früher vom Auswärtigen Amt behauptete inländische Fluchtalternative mehr geben. Schluss mit der doppelzüngigen Haltung der Politik, der Türkei bei der Diskussion um den EU-Beitritt Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Kurden vorzuwerfen, andererseits aber täglich Kurden in die Türkei abzuschieben.
Als am 8.2.1949 der Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates die Formulierung "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" in das Grundgesetz aufnahm, waren die praktischen Fluchterfahrungen während der Nazi-Diktatur noch vor Augen, dass tausenden von Juden und auch politischen Flüchtlingen aus Deutschland die Moglichkeit verwehrt geblieben war, während dieser Zeit in anderen Ländern Asyl zu erhalten. Deshalb wurde ein umfassender Verfolgungschutz ins Grundgesetz aufgenommen. Seit der faktischen Abschaffung des Asylrechts im Deutschen Bundestag am 26.5.1993 sei die Zahl der jährlich neu hinzukommenden Asylsuchenden von damals rund 400 000 auf unter 100 000 gesunken, sagte Innenminister Thomas Schäuble (CDU) kürzlich im Landtag. Dem REP-Abgeordneten Christian Käs war das zuwenig, er behauptete, dass Deutschland nach wie vor die Hauptlast der Asylgewährung in Europa trage und Deutschland als einziger Staat Europas für Asylbewerber Tür und Tor offne. Dies wies die Grünen -Abgeordnete Renate Thon zurück, bezogen auf 100 000 Einwohner gebe es in den Niederlanden 235 Asylbewerber, in Belgien 162 und in Deutschland 97. Dass 1949 politisch Verfolgten ein universales Recht auf Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zugesprochen wurde; das heißt. dass jedem, unabhängig von seiner Staatsbürgerschaft die Garantie gegeben wurde, bei politischer Verfolgung in der Bundesrepublik Zuflucht zu finden, davon redet heute kein Politiker mehr. Rassistisches und nationalistisches Ziel ist es, sich innerhalb eines reichen "Kerneuropas" durch einen kapitalistischen Schutzwall abzuschotten, um so die mitverursachten Folgen des real existierenden Kapitalismus in großen Teilen der Welt auszugrenzen.

Benützte Quellen:
Stuttgarter Zeitung 29.10. und 26.11.1999, Zeitung zum landesweiten antifaschistischen Bündniskongress vom 19.-21. November 1999 in Duisburg, Dokumentation von PRO ASYL zur Verfolgung kurdischer Flüchtlinge.

VVN-Logo http://www.vvn.telebus.de © 2000 J. Kaiser