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Nummer 4 / Dezember 2009



Rassismus und Neofaschismus - ein europäisches Problem:

Europa rückt nach rechts

Ingrid Bauz

Am 29. November 2009 haben sich 53,5 Prozent der schweizerischen Bevölkerung bei einem Volksentscheid gegen den Bau von Minaretten ausgesprochen. Die Abstimmung wurde von der rechten "Schweizer Volkspartei" (SVP) initiiert. Einen Tag davor betitelte die Stuttgarter Zeitung einen Artikel über den Wahlkampf zu den Regionalwahlen in Frankreich mit der Überschrift "Sarkozy spielt mit dem Feuer des Rassismus". Der französische Präsident will die Wählerstimmen des rechten Randes und greift dafür auf nationalistische und rassistische Parolen zurück. In England wird im kommenden Frühjahr gewählt und man rechnet dort mit einer deutlichen Kräfteverschiebung nach rechts.

Nicht nur in Frankreich mangelt es an einem entschlossenen Vorgehen gegen die neofaschistische, nationalistische, rassistische, antisemitische und islamfeindliche Parteien und Gruppierungen. Die konservative politische Klasse hat auch heute noch vor allem ein taktisches Verhältnis zur politischen Rechten. Vielerorts werden rechte Themen von konservativen und neoliberalen Kreisen aufgegriffen und in Politik transformiert. Besonders offensichtlich gern geschieht dies in den Bereichen "Innere Sicherheit", Ausländergesetzgebung und Flüchtlingspolitik. Dieses Zusammenspiel ist mit ein Grund dafür, dass rechte politische Themen inzwischen in den meisten europäischen Länder in der öffentlichen Meinung dominieren. Entsprechend haben sich die Gesellschaften im Laufe der Jahre verändert. Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und antiislamischen Ressentiments sind alltäglich geworden und in der gesellschaftlichen Mitte angekommen. Alltäglich nicht nur in Form einer reaktionären Sicht auf die Welt, sondern alltäglich auch in gewalttätigen Angriffen gegen Menschen.

Die politische Rechte im EU-Parlament
Im Juni dieses Jahres waren 500 Millionen Wahlberechtigte in 27 Ländern zur Wahl für das EU-Parlament aufgerufen. Zur Wahl gestellt haben sich auch 27 der insgesamt 76 rechten Parteien. Nicht allen gelang der Einzug ins EU-Parlament. Trotzdem werden 55 Abgeordnete dieser Parteien (siehe Kasten) die EU-Politik in den kommenden fünf Jahren mitbestimmen.
In Dänemark, Finnland, Italien und den Niederlanden verzeichneten rassistische Parteien einen starken Stimmenzuwachs, in Ungarn, Rumänien und Bulgarien siegte die Rechte und erstmals werden auch zwei britische Faschisten ins Europäische Parlament einziehen.
Da die Wahlbeteiligung bei Europa-Wahlen gewöhnlich viel niedriger ausfällt, als bei Landes- oder Kommunalwahlen, lassen sich aus dem Ergebnis nur sehr bedingt Rückschlüsse auf die politische Situation in den jeweiligen Ländern ziehen. Ein Indikator sind sie auf jeden Fall, denn bezüglich des EU-Parlaments bestätigt sich ebenso wie in den jeweiligen Mitgliedsländern, dass die Rechte ein inzwischen ein stabiler politischer Faktor geworden ist. Die Kräfteverschiebung im EU-Parlament nach rechts hat sich konsolidiert. Rechte, neoliberale und konservative Parteien verfügen über eine stabile Mehrheit von 462 der insgesamt 736 Sitze. Und auch wenn man die beiden politischen Lager nicht einfach in einen Topf werfen kann, so ist dennoch davon ausgehen, das dieses Lager weiterhin die politische Entwicklung in Europa maßgeblich gestalten wird
. Wie stark die Rechte die EU-Politik mitbestimmen wird, hängt nicht zu letzt davon ab, ob es den Parteien gelingt, eine Fraktion zu bilden. Der Fraktionsstatus ermöglicht ihnen die Mitarbeit in Ausschüssen, eine längere Redezeit und bringt mehr Geld. Frühere Versuche in diese Richtung sind schnell wieder gescheitert. So zum Beispiel die Fraktion "Identität, Tradition, Souveränität" (ITS). Sie gab es von Januar bis November 2007. Darin vertreten waren unter anderem Andreas Mölzer von der FPÖ, die italienische Neofaschistin Alessandra Mussolini, der Franzose Bruno Gollnisch vom Front National sowie Abgeordnete des belgischen Vlaams Belang, der Großrumänien-Partei und der bulgarischen Ataca.
Im Juli 2009 bildete sich die Fraktion ECR (European Conservatives and Reformistes Group), in der acht Parteien und Gruppen zusammen arbeiten. Das politische Bindeglied zwischen der britischen "Konservativen Partei", der polnischen Partei "Gesetz und Ordnung", der tschechischen "Zivildemokratischen Partei", der belgischen "Liste Dedecker", dem ungarischen "Demokratische Forum", der lettischen Partei "Für Vaterland und Freiheit", der litauischen Wählervereinigung "Polen in Litauen" und der niederländischen "Christliche Union" ist ein ausgesprochener EU-Skeptizismus. Diese Fraktion ist beispielhaft dafür, wie fließend die Übergänge von konservativen zu explizit rechten Parteien sein können. Denn eine Zusammenarbeit der britischen "Torries" mit der lettischen Partei LNNK, die vor noch nicht allzu langer Zeit im lettischen Parlament staatliche Vergünstigungen für Veteranen der Waffen-SS gefordert hat, ist möglich.
Am 24. Oktober 2009 wurde in Budapest die "Europäische Nationale Bewegung" ins Leben gerufen. Bisherige Mitglieder sind die ungarische Jobbik-Partei, die französische und die belgischen Front National, das italienische Movimento Soziale - Fiamma Tricolore und die schwedischen Nationaldemokraterna. Interesse an einer Mitgliedschaft bekundeten bereits die British National Party, die Freiheitliche Partei Österreich, die Partido Nacional Renovador (Portugal) und die spanische Democracia Nacional. Aus der ENB soll eine Europapartei werden und sollte dies gelingen, dann ist der Weg zu einer Fraktionsbildung im EU-Parlament geebnet. Besonders agil in Sachen internationale Vernetzung und Organisierung war bisher der österreichische EU-Abgeordnete der FPÖ, Andreas Mölzer. Ihm schwebt eine "Nationale Internationale" vor und wenn sich die ENB zu einem dauerhaften politischen Bündnis entwickelt, dann könnte er diesem Ziel zumindest im europäischen Raum einen großen Schritt näher gekommen sein.

Verbindende Themen rechter Ideologien
Die im folgenden genannten Themen rechter Ideologie sind ein Minimalkonsens der zahlreichen und unterschiedlichen rechten Parteien und Gruppen in Europa. Für alle steht die Identität mehr als je zuvor im Zentrum ihrer Ideologie. Sie verfolgen das Ziel, eine "homogene Gemeinschaft" auf der Basis biologischer Reinheit zu erschaffen. Gemeint ist eine Gemeinschaft, die auf dem Konzept der Blutsbande beruht und nicht auf einem Staatsangehörigkeitsrecht.
Anders als zu Zeiten der Nazifaschisten, in deren ideologischem Verständnis die slawische Bevölkerung in die Kategorie der "Untermenschen" fiel und entsprechend brutal behandelt wurde, ist die heutige rechte Weltanschauung nicht slavophob. Sie schließt Süd-Ost-Europa und Russland ausdrücklich mit ein. Die heutigen Verbindungen stützen sich auf die Zugehörigkeit zur einer sogenannten "weißen Rasse" und zum "abendländischen Kulturkreis". Entsprechend wird ein panarischer Rassismus und Antisemitismus vertreten. Es geht der Rechten nicht um den Schutz der Nation, sondern um den Schutz der von "Überfremdung" und "Islamisierung" bedrohten Angehörigen der "weißen Rasse". Desgleichen wird eine Bedrohung seitens des internationalen Großkapitals ausgemacht, das als jüdisch dominiert gilt.
Vor allem in Nord- und Westeuropa sind Muslime inzwischen zur populärsten Feindgruppe der Rechten avanciert (Proteste gegen den Bau von Moscheen), gefolgt vom Antiziganismus, der in manchen Ländern Süd-Ost-Europas häufig bedrohliche Formen annimmt, und dem Antisemitismus. Ein weiteres rechtes Kernthema ist der autoritäre Staat - der Polizeistaat - der als Alternative zur Demokratie und zu den "korrupten Politikerinnen und Politiker" gesehen wird. Die Rede ist häufig von einem "nationalen und sozialen Staat". Sozial natürlich nicht für alle, das weiß man aus der Zeit des Nazifaschismus.

Die Meinung der Mitte
Die schweizerische Abstimmung gegen Minarette hat gezeigt, wie leicht es der Rechten gelingen kann, gesellschaftlich virulente Vorurteile zu mobilisieren und darüber die Politik eines Landes nachhaltig zu beeinflussen. Die europäische Rechte hat über den Ausgang der Abstimmung gejubelt und Vorurteile gibt es überall. Erfolge treiben an und man darf gespannt sein, wann irgendwo die nächste Ausgrenzungskampagne folgt.
Wie weit sich rechte Themen vielerorts inzwischen in den Köpfen gesellschaftlicher Mehrheiten festgesetzt haben, oder vielleicht ist es zutreffender zu sagen, wie viele Dämme inzwischen gebrochen sind, geht aus einer aktuellen Studie hervor, die im November von der Amadeo Antonio Stiftung veröffentlicht wurde. Die Ergebnisse der Studie stützen sich auf eine repräsentative Umfrage über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Europa. Gefragt wurde nach Vorurteilen und Diskriminierungen in Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Portugal, Polen und Ungarn. Heraus gekommen ist, dass in all diesen Ländern mehr als die Hälfte der Befragten (50,4%) negative Einstellungen gegenüber ImmigrantInnen teilt und der Aussage zustimmt: "Es gibt zu viele Einwanderer." 31,1 % sind der Meinung, dass es "eine natürliche Hierarchie zwischen schwarzen und weißen Menschen" gäbe. 24,5 % sind der Meinung, dass "Juden zu viel Einfluss" haben. Antimuslimische Vorurteile sind in ost- und westeuropäischen Ländern besonders weit verbreitet, denn jede/r Zweite/r (54,4 %) nimmt den Islam als "Religion der Intoleranz" war. Eine Mehrheit von 60,2 % will Frauen auf traditionelle Geschlechterrollen festlegen und die ökonomische Ungleichheit befördern. 42,6 % verneinen gleiche Rechte für homosexuell orientierte Personen und betrachtet Homosexualität als unmoralisch.
Diese Umfrage bestätigt, wie zahlreich die Überschneidungen zwischen rechter Ideologie und gesellschaftlicher Mehrheitsmeinung sind. Und die Umfrage belegt ebenso, dass allein der Stimmenanteil rechter Parteien bei Wahlen wenig darüber aussagt, wie meinungsmächtig rechte Inhalte in einer Gesellschaft sind.

"autoritärer Kapitalismus"
In Österreich wählen inzwischen über 30 % der Bevölkerung explizit rechts, in Ungarn sind es bereits über 70 %. Die litauische rechte Partei "Ordnung und Gerechtigkeit" ist drittstärkste Partei im Land und ihr Vorsitzender war zweimal litauischer Ministerpräsident. Von der bulgarischen Ataka sitzen 21 Abgeordnete im dortigen Parlament und der Parteivorsitzende Siderow wurden bei der Präsidentenwahl von 27 % gewählt, weil er der Meinung ist, dass "die Juden eine von der Pest verseuchte gefährliche Rasse" seien und weil er versprochen hat, den "Zigeuner-Terror" zu stoppen. In Großbritannien kann sich, laut einer Umfrage vom vergangenen Oktober, inzwischen jeder Fünfte vorstellen, bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2010 für die neofaschistische British National Party (BNP) zu stimmen. Verglichen mit der Situation in diesen Ländern, sind die rechten Parteien und Organisationen in der BRD relativ schwach. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass "Rechtsextremismus ... bezogen auf die Ebene der Einstellungen, ein politisches Problem in der Mitte der Gesellschaft" ist, wie es in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung bereits im Oktober 2008 hieß. Dieses Phänomen scheint nicht allein das Produkt einer starken politischen Rechten zu sein. Die Ursachen dafür sind demnach woanders zu suchen und auch zu finden. Der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer kommentierte die politische Rechtsentwicklung in der BRD unlängst mit den Worten, "dass sich ein autoritärer Kapitalismus herausbildet, der vielfältige Kontrollverluste erzeugt, die auch zu Demokratieentleerungen beitragen, so dass neue autoritäre Versuchungen durch staatliche Kontroll- und Repressionspolitik wie auch rabiater Rechtspopulismus befördert werden."
Die konservativen, neoliberalen und rechten politischen Mehrheiten im EU-Parlament und in den meisten europäischen Länderparlamenten werden diese Entwicklung in den autoritären Kapitalismus politisch weiterhin stützen, wie sie es in der Vergangenheit bereits erfolgreich getan haben. Die gegenwärtige umfassende Krise begünstigt und beschleunigt diesen Prozess. Deshalb sollten Mittel und Wegen gefunden werden, den Gefahren, die in der Mitte der Gesellschaften lauern und von dort drohen, entgegen zu treten. Denn der Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge zog nicht zufällig im Oktober 2008 den historischen Vergleich, als er sagte, dass er zwar keine "Machtübernahme der Rechtsextremisten nach Art des 30. Januar 1933" prophezeie. "Aber es ist schon frappierend, wie ähnlich die Abläufe sind".

Agenda der europäischen Rechtsparteien

Forderungen aus der "Wiener Erklärung", verabschiedet auf einem Treffen der europäischen Rechten in Wien, November 2005:

"...fordern wir, die Vertreter der patriotischen und nationalen Parteien und Bewegungen Europas:
1. Die Schaffung eines Europas der freien und unabhängigen Nationen im Rahmen eines Staatenbundes souveräner Nationalstaaten.
2. Die Abkehr von allen Versuchen, eine Verfassung für einen zentralistischen europäischen Superstaat zu schaffen.
3. Die klare Absage einer schrankenlosen Ausweitung der europäischen Integration auf geographisch, kulturell, religiös und ethnisch nichteuropäische Gebiete Asiens und Afrikas wie etwa der Türkei.
4. Den effektiven Schutz Europas gegen Gefahren wie etwa den Terrorismus, aggressiven Islamismus, Supermacht-Imperialismus und wirtschaftliche Aggression durch Niedriglohnländer.
5. Einen sofortigen Einwanderungsstopp in alle Staaten der Europäischen Union auch im Bereich des sogenannten Familiennachzugs.
6. Eine pronatalistische Familienpolitik, die die Förderung des Kinderreichtums der europäischen Völker in der traditionellen Familie bezweckt.
7. Den solidarischen Kampf der europäischen Völker gegen die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung.
8. Die Wiederherstellung der sozialen Systeme in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und soziale Gerechtigkeit für die europäischen Völker.

Unterzeichnet haben 10 Parteien aus 7 Ländern - u.a. FPÖ (Österreich), Front National (Frankreich), Vlaams Belang (Belgien), Ataka (Bulgarien),Azione Sociale (Italien)

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