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Nummer 3 / November 2009



Land und Stadt haben die Stuttgarter Gestapo-Zentrale zum Abriss freigegeben:

Hotel Silber muß ein Lern- und Gedenkort werden!

Ingrid Bauz

Seit mehr als einem Jahr kämpft die "Initiative Gedenkort Hotel Silber" in Stuttgart für den Erhalt des ehemaligen Hotel Silber in der Dorotheenstraße. In dem Gebäude befand sich von 1936 bis 1945 die Zentrale der Gestapo von Württemberg-Hohenzollern. Deshalb soll dieser authentische Ort erhalten und NS-Dokumentationszentrum, Lern- und Gedenkort werden.

Die Stadt Stuttgart hat in gewohnter Manier, allen Protesten zum Trotz, anders entschieden. Am 13.10.2009 teilte Baubürgermeister Matthias Hahn dem Städtebauausschuss mit, dass der Architekturwettbewerb auf den Weg gebracht wurde und die Erhaltung des Hotel Silber kein fester Bestandteil dieses Wettbewerbs sei. Die Initiative und mit ihr alle kritischen Stimmen wurden mit der Zusage vertröstet, der Keller des Gebäudes würde für einen Gedenkort erhalten und im Eingangsbereich des Erdgeschosses werde ein Zugang für einen rund einhundert Quadratmeter großen Eingangsbereich für eine Gedenkstätte geplant. Dafür soll es einen gesonderten Gestaltungswettbewerb geben.

Investoren bestimmen was wo gebaut wird
Die Verantwortung für diese Entscheidung tragen das Land Baden-Württemberg und das Haus Breuninger als Auslober des Wettbewerbs und die Mehrheit des Stuttgarter Gemeinderates als Verantwortliche für das Baurecht am Karlsplatz. Die Kommunalwahl liegt noch kein halbes Jahr zurück. Viele Stuttgarterinnen und Stuttgarter haben im Juni den Grünen, der SÖS und der Linken ihre Stimme gegeben. Das war eine unmissverständliche Antwort gegen Stuttgart21 und der Wunsch nach einer anderen Politik. Stuttgart braucht nicht noch mehr Luxushotels und noch mehr Kaufhäuser. Was wirklich fehlt ist Wohnraum, vor allem bezahlbarer Wohnraum.
Aber es wird weiter gemacht wie bisher. Jetzt wurde das nächste Investorenprojekt abgenickt. Auf dem Areal zwischen Dorotheenstrasse und dem Kaufhaus Breuninger sollen ein 5-Sterne Luxushotel und riesige Verkaufs- und Büroflächen gebaut werden. Die Investoren haben noch immer das Sagen, denn sie wollen nicht auf Fläche verzichten und der Erhalt des ganzen Gebäudes in der Dorotheenstrasse hätte Verzicht bedeutet. Ein Keller wirft nicht viel ab und die fehlenden hundert Quadratmeter im Erdgeschoß lassen sich auch noch verkraften.
Und Stadt und Land wollen auch kein NS-Dokumentationszentrum. Wofür auch! Das kostet nur und die paar mehr Touristen, die es vielleicht deshalb nach Stuttgart zieht, werden kaum im 5-Sterne-Hotel schlafen und in den Luxusgeschäften einkaufen.

Fauler Kompromiss
Als die ersten Bebauungspläne mit dem Namen "Da Vinci" bekannt wurden, sprach noch niemand vom Erhalt des Kellers. Die jetzige Zusage, ihn zu erhalten, ist ein fauler Kompromiss, der auf eine Befriedung der Kritikerinnen und Kritiker zielt und von der Hoffnung getragen ist, dass wieder Ruhe in Stuttgart einkehrt und die Negativschlagzeilen endlich ein Ende haben. Denn auch die überregionale Presse hat sich inzwischen des Themas angenommen. Die "Zeit" kommentierte den geplanten Abriss der ehemaligen Gestapozentrale mit den Worten "Stuttgart erblindet". Und sogar in der FAZ war man der Meinung, dass es in Stuttgart genug "Gründe für eingehendes Erinnern gibt, denn als ‚Stadt der Auslandsdeutschen' spielte Stuttgart keine unbedeutende Rolle im ‚Dritten Reich'.

Die Gestapo - Kern des NS-Terrorapparates
Die Gestapo stand exemplarisch für den Terror des Nazistaates, nicht nur im damaligen Reich, sondern in ganz Europa. Die Aufgaben der Gestapo wurden von Werner Best - dem theoretischen Kopf - 1936 folgendermaßen umrissen: Sie hat den "politischen Gesundheitszustand des deutschen Volkskörpers sorgfältig zu überwachen; jedes Krankheitssymptom rechtzeitig zu erkennen und die Zerstörungskeime fest zu stellen und mit jedem geeigneten Mittel zu beseitigen. Das ist die Idee und das Ethos der Politischen Polizei im völkischen Führerstaat unserer Zeit."
Nicht zufällig enden die Verfolgungsspuren sämtlicher Opfergruppen immer bei der Gestapo. Egal ob ein Stolperstein für politisch Verfolgte, für Sinti und Roma, für Jüdinnen und Juden, für Homosexuelle, für die "Zeugen Jehovas", oder für kritische Christinnen und Christen der beiden großen Kirchen verlegt wird. Aber auch die damals als "Asozial" verfolgten - die Nazis nannten sie Bettler, Landstreicher, Arbeitsscheue, Zuhälter, Versager, Schmarotzer, Störenfriede, auch sie waren Opfer der Gestapo.
Alle Opfer wurden in einem ersten Schritt von fleißigen Gestapobeamten erfasst, später fest genommen und in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert.
Der Gestapo unterstanden die politischen Abteilungen in den Konzentration- und Vernichtungslagern in ganz Europa. In Auschwitz genauso wie in Dachau. Sie war Teil des KZ-Lagersystems, führte Karteien und Akten über Häftlinge und verhörte sie. Die sogenannten Arbeitserziehungslager waren reine Gestapo-Lager.
In keiner anderen Behörde waren Partei und Staat so sehr ineinander verschmolzen, wie bei der Gestapo. Nicht nur, weil Heinrich Himmler sowohl Chef der Polizei als auch SS-Führer war, sondern vor allem, weil die menschenverachtende Naziideologie - in den Worten von Werner Best "Idee und Ethos der politischen Polizei im völkischen Führerstaat" war. Damit war sie staatlicher Arbeitsauftrag.

Polizei und Geheimdienst in einem
Die Gestapo war Polizei und Geheimdienst in einem. Sie verfügte über ein weit verzweigtes Spitzelnetz, bestehend aus bezahlten Spitzeln und aus vielen Denunziantinnen und Denunzianten, die nicht Geld antrieb, sondern häufig Neid, Eifer und Gehorsam. Die umfassenden Erfassungsdateien der genannten Opfergruppen sind mit ein Produkt der Denunziantenfreudigkeit der Bevölkerung. Inzwischen ist bekannt, dass mehr als 50 Prozent aller antijüdischen Anzeigen aus der Bevölkerung kamen.

Tragende Säule des faschistischen Staates
Die Gestapo war auch - heute würde man sagen - im Auslandseinsatz. Dort operierte sie gänzlich ohne gesetzliche Grundlage, denn es gab kein Gestapo-Gesetz für das Ausland. Sie war in allen von der Wehrmacht überfallenen und besetzten Länder zivile Verfolgungsbehörde und erfüllte dort den selben Arbeitsauftrag wie im Inland. Dieser wurde jedoch - je nach Opferland und Nazidefinition - wie zum Beispiel in Polen auf die gesamte polnische Intelligenz - ausgeweitet. Und die Gestapo war Teil der Einsatzgruppen und mit ihnen nahezu an jedem Kriegsschauplatz unterwegs. Dort führte sie den Vernichtungskrieg vor und hinter den Fronten.
Um bei der politischen Polizei zu arbeiten, musste man nicht im Besitz eines NSDAP-Mitgliedsbuches sein - gefragt waren Gehorsam und Skrupellosigkeit. Ein Blick auf das Führungspersonal im Jahr 1938 - damals wurden sehr viele Stapoleitstellenleiter ausgewechselt - ist sehr aufschlussreich. Alle Neuen waren bei ihrem Eintritt in den Dienst der Gestapo keine 30 Jahre alt. Da bekannt war, dass zügige Beförderungen bei der Gestapo die Regel waren und man eine schnelle Karriere machen konnte, waren die Arbeitsplätze beliebt.
Der Großteil der - im heutigen Sprachgebrauch - mittleren Führungsebene kam aus mehr oder minder gutsituierten völkischnational gesinnten Beamtenfamilien; 95 % besaßen Abitur und 87 % hatten Jura studiert, die Hälfte war promoviert. Die meisten von ihnen konnten ihre Karriere nach der Befreiung fort setzen. Beim Aufbau der Geheimdienste, des Bundeskriminalamtes und bei den verschiedenen Länderpolizeien. Dort brachten sie ihre Erfahrungen ein und arbeiteten ungestört bis zur Rente weiter.
Die Gestapo war nicht irgend eine Nazi-Behörde. Sie war eine tragende Säule des faschistischen Staates und hat die Voraussetzungen für den industriellen Massenmord in den Konzentrations- und Vernichtungslagern geschaffen und ihn damit ermöglicht. Und sie war aktiver Teil des Vernichtungskrieges.

Das letzte Wort ist nicht gesprochen
Deshalb muss der authentische Ort, die ehemalige Gestapozentrale in der Dorotheenstrasse 10, erhalten bleiben und darf weder Luxushotel noch Einkaufsparadies werden. Das Gebäude eignet sich wie kein anderes in Stuttgart für ein NS-Dokumentationszentrum und einen Lern- und Gedenkort.
Die bisherigen Erfolge des Widerstandes gegen den Abriss sind Grund genug für die Annahme, dass, Architektenwettbewerb hin- oder her, das letzten Wort noch lange nicht gesprochen ist. Vorausgesetzt, der Widerstand geht so lange weiter, bis er sein Ziel erreicht hat und das Hotel Silber ein NS-Dokumentationszentrum und ein Lern- und Gedenkort geworden ist.

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