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Nummer 3 / November 2009



Gedenkstätte und Dokumentationszentrum:

Gespräch und Interview mit Silvester Lechner am 19.6.2009 im DZOK

Sabina Fischer-Hampel
Klaus Hampel


Am 28.6.2009 wurde der langjährige Leiter des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg (DZOK) Dr. Silvester Lechner, offiziell durch die Stadt Ulm in den Ruhestand verabschiedet. Als Silvester Lechner im Jahre 1991 als erster hauptamtlicher Historiker des DZOK angestellt wurde, entstand eine halbe Stelle, der Trägerverein hatte damals 60 Mitglieder.
Heute, im Jahr seines Abschieds, verfügt das DZOK über 2,5 Stellen und hat ca. 400 Mitglieder. Es verfügt außerdem seit zwei Jahren über umfangreiche Räumlichkeiten mit Bibliothek, Archiv, Veranstaltungs- und Ausstellungsräumen sowie Geschäftsräumen, durch die uns Silvester Lechner nicht ohne Stolz führt und dabei die umfangreichen Aktivitäten des DZOK erklärt. Das DOZK hat sich als "Bürgerprojekt" in der Ära Lechner vom Mauerblümchendasein in das Zentrum des demokratischen Lebens in Ulm emporgearbeitet. Folgende Arbeitsschwerpunkte sind hervor zu heben:
  • Gedenkstättenarbeit in der KZ-Gedenkstätte Fort Oberer Kuhberg mit dem Leitgedanken "Die Würde des Menschen ist unantastbar", d.h. das Historische mit der Gegenwart zu verbinden; ca. 7000 Besucher jährlich, davon ca. 5000 Schüler in 250 Gruppen.
  • Regionales Info- und Service-Zentrum über die NS-Zeit im Stadtzentrum Ulms in der Büchsengasse 13. Es hat z. Zt. etwa 2000 Besucher jährlich zu verbuchen und vermittelt Geschichte speziell an die Jugend im Kontext gegenwärtiger politischer Kultur.
  • Die historischwissenschaftliche Arbeit bezieht sich auf die NS-Zeit in der Region und hat folgende Schwerpunkte: Verfolgung und Widerstand, KZ-System, NS-Apparat, HJ, Weiße Rose, Judenverfolgung, "Euthanasie, Erbhygiene", Wehrmacht. Das Archiv umfasst ca. 60.000 Dokumente, davon ca. 5000 Fotos. Die Bibliothek weist ca. 5000 Titel aller Medien auf.
  • Jugendarbeit: Neben der pädagogischen Arbeit mit den Schülern, die im Klassenverband kommen, ist ein Schwerpunkt die arbeit mit jugendlichen Multiplikatoren. So wurde vor etwa 11 Jahren eine Jugendgruppe, die "dzokkis" - abgeleitet von DZOK - gegründet, die bis heute etwa 80 Jugendliche durchlaufen haben. Das Wesentliche an der Gruppe ist, dass hier Jugendliche instand gesetzt werden, künftig als Multiplikatoren die historisch-politische Bildungs- und Kulturarbeit fort zu setzen.


    Interview mit Silvester Lechner:

    "Die Mauer muss es gegen die Nazis geben!"

    Welche Motive haben sie als Historiker dazu bewegt, 1991 die geschäftsführende Leitung des DZOK zu übernehmen?
    S.L.: Ich habe am 1. Oktober 1991 hier angefangen. Da kannte ich die antifaschistischen Autoritäten Hans Gasparitsch und Alfred Hausser bereits. Das waren für mich als 68er glaubwürdige Väter. Was die mir erzählt haben, das kam an und was mich damals bewegt hat, das waren einfach die Schicksale der Opfer. Ich war auch immer schon empört, dass bestimmte Opfergruppen so marginalisiert werden.
    Meine hauptsächlichen politischen Prägungen habe ich in meiner Jugendzeit in einem katholischen, teils protestantischen, jedenfalls nicht-nazistischen Umfeld und dann als Student in München in der 68er Bewegung erhalten. In Ulm habe ich im Oktober 1974 nach der 28-jährigen Amtszeit von Inge Aicher-Scholl an der damals historisch-politisch engagiertesten Volkshochschule der Bundesrepublik die Stelle als pädagogischer Mitarbeiter der politischen Bildung angetreten. Damals habe ich immer mehr gemerkt, Vorträge allein bringen`s nicht. Man muss die Leute in Arbeitsgruppen und Bürgerinitiativen für ihre eigene Sache aktiv und kompetent machen. Aus der VH-Arbeit hat sich auch mein damaliges Engagement für Psychiatrie-Patienten entwickelt.

    In welcher politischen Situation übernahmen sie 1991 die Aufgabe als Leiter des DZOK?
    S.L.: In Ulm dominierte noch die Situation des kalten Krieges und Ulm war - auch von der Geschichte her Militärstadt. Und auf Grund dessen, dass ein großer Anteil der Häftlinge im KZ Kuhberg Kommunisten waren, waren wir z.B. auch in Stuttgart bei der Ministerialbürokratie als Kommunistennest verdächtig. Von daher war die Skepsis von bürgerlicher Seite uns gegenüber sehr groß.

    War Ivo Gönner schon Bürgermeister, als sie anfingen?
    S.L.: Dass überhaupt damals von der Stadt das Geld kam für eine halbe Stelle, das hat noch sein CDU-Vorgänger Ernst Ludwig entschieden. Zwei Monate, nachdem ich hier begonnen habe, wurde Ivo Gönner gewählt und er hat immer über unsere Arbeit seine Hand gehalten.

    Welche Konzeption verfolgten sie und in welche Richtung hat sich die Konzeption des DZOK im Laufe der Jahre verändert?
    S.L.: Mein Ansatz war, das Thema Nationalsozialismus ist ein Thema für alle Bürger. Die Erarbeitung der Familiengeschichte und der Stadtgeschichte muss ein Ding der ganzen Stadt sein.
    Kern unserer Arbeit bleibt natürlich die Gedenkstätte auf dem Kuhberg. Das ist der authentische Ort. Es gibt keine Menschen mehr, die dort oben Häftlinge waren. Aber das Gebäude, die Beängstigung durch das Gebäude, der Geruch - man kann die Mauern anfassen und sich vorstellen, da sitz ich drin und bin völliger Willkür ausgeliefert - besteht und das ist der Kern unserer Arbeit.
    Aber mir ist auch klar geworden, das ehemalige frühe Konzentrationslager, das knappe zwei Jahre bestand, ist ja nur ein Mosaikstein des Systems NS. Wie die anderen deutschen Städte auch war eigentlich ganz Ulm ein Tatort. Damals hat man halt diesen Tatort Kuhberg raus gegriffen und schaut ihn sich an und von dort das NS-System. Wir dürfen aber nicht stehen bleiben bei dem Thema dieses frühen kurzfristig angelegten KZs, sondern wir müssen uns bemühen um ein insbesondere regionales Bild von der Vorgeschichte, dem Verlauf und der Nachgeschichte der NS-Zeit.

    Welches "Erbe" hinterließ der damalige Trägerverein, der aus der Lagergemeinschaft Heuberg-Kuhberg-Welzheim hervorging und dessen wichtigste Aktivisten Schätzle, Hausser, Gasparitsch, Aicher-Scholl, Fried und Dick waren?
    S.L.: Das ist die Basis, das Fundament gewesen. Die Lagergemeinschaft hat sich über Julius Schätzle und v.a. auch Alfred Hausser in Ulm durchgesetzt und hat fertig gebracht, dass die erste Gedenktafel für ein ehemaliges KZ in Württemberg 1960 am Kuhberg erschien. Hinter sie stellten sich auch auch Inge Aicher-Scholl und Peter Finck.
    Ein weiterer Glücksfall war in Ulm der nach Deutschland zurückgekehrte Ulmer Jude Alfred Moos. Er war die prägendste Figur für mich.

    Was verband sie mit Hans Gasparitsch, der neben Alfred Hausser und Gertrud Müller zu den herausragenden Repräsentanten der VVN-BdA gehörte?
    S.L.: Hans Gasparitsch war immer eine große Autorität für mich. Er war von seinem 16. bis zu seinem 26. Lebensjahr im KZ und deshalb eine tief gezeichnete Persönlichkeit. Ich habe zu seinem 80. Geburtstag noch einen sehr schönen halbstündigen Film über ihn gemacht.

    Sie sind bis heute nicht Mitglied der VVN-BdA geworden - dürfen wir sie nach den Gründen fragen?
    S.L.: Ich bin ein hochpolitischer Mensch, aber nicht parteipolitisch und das war wichtig, das zu signalisieren und das war auch der Grund, warum ich nicht z.B. zur VVN gegangen bin. Fast alle Ulmer VVNler waren bei uns und ich hab hier was Neues, was Lebendiges gemacht. Natürlich habe ich zu den fortschrittlichen und linken Parteien sehr gute Beziehungen, aber ich ringe auch um gute Beziehungen mit der CDU.

    Amelie Fried hat vor kurzem den autobiographischen Roman "Schuhhaus Pallas. Wie meine Familie sich gegen die Nazis wehrte" veröffentlicht. Kannten sie ihren Vater Kurt Fried persönlich?
    S.L.: Ja, ich kannte Kurt Fried noch sehr gut, er sprach auch ein Wort bei meiner Anstellung mit. Für mich ist der Höhepunkt in diesem Buch seiner Tochter Amelie ein Gedicht, das sie mit 20 Jahren geschrieben hat über ihren Vater, ein böses Gedicht und sie hatte den Mut dieses Gedicht abzudrucken. Dieses Buch ist psychologisch auch eine Art seelischer Wiedergutmachung mit dem Vater. Amelie Fried wurde erst viele Jahre später bewusst, was der Vater, der ein so genannter Halbjude war, erlebt hat.
    Ende 1945 bekam Kurt Fried - zusammen mit zwei anderen Unbelasteten - durch die Alliierten die Lizenz für die schwäbische Donauzeitung, die Vorläuferzeitung der Südwestpresse.

    Warum und mit welchen Intentionen wurde die Gedenkstätte 2001 neu gestaltet und wer wirkte daran mit?
    S.L.: Im Beirat waren die Landeszentrale für politische Bildung, Hans Gasparitsch (das war seine letzte Präsenz), das Haus der Baden-Württembergischen Geschichte, und Repäsentanten des Vereins. Es ging nicht um eine inhaltliche Veränderung. Es war vorher eine Tafelausstellung, die jetzt eine multimediale Form erhielt.

    Welche Personen, Verbände oder Vereinigungen haben die Arbeit des DZOK besonders unterstützt, wer schoss dagegen?
    S.L.: Im Geist des kalten Krieges schossen natürlich die bürgerlichen Parteien dagegen. Die Jahre 97/98 waren ein Knackpunkt meiner Karriere als Leiter. Für die Ausstellung von 2001 wurde im Ulmer Gemeinderat ein Antrag gestellt, abgesprochen mit dem Land und der Stadtverwaltung, dass zum Haushalt von 450.000 DM Land, Stadt und Verein je ein Drittel beitragen sollten. Den vorgesehenen Beitrag hat der Kulturausschuss zweimal abgelehnt. "Wir zahlen nichts". Noch im Sitzungssaal hatte ich die Idee, durch einen Bürgeraufruf an das Geld zu kommen. Am Montag stand in der Zeitung unter dem Titel "Ulm ist auch anders" eine Erstunterzeichnerliste und der Aufruf, zu spenden. Nach einem halben Jahr hatten wir die 150.000 DM zusammen.

    Wie schätzen sie die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Neonazismus in Ulm ein nach den Provokationen durch NPD und andere Neonazis am diesjährigen 1. Mai?
    S.L.: Was man auf jeden Fall festhalten muss: es ist ein Bündnis gegen Rechts entstanden mit über 80 Institutionen und Aktivitäten. Es waren 20.000 Ulmer Bürger auf den Beinen, Was noch nie bei einem 1. Mai in Ulm der Fall war, noch nie! Und es war eine großartige Kundgebung die der DGB in Ulm organisiert hat.
    Was ein großer Fehler war: die Polizei wurde mit ihrer Strategie allein gelassen. Die Strategie war unangemessen. Die Nazis kommen wohl wieder nächstes Jahr, und da müssen wir dann beitragen, dass die Mauern von Feindlichkeit zwischen Polizei und Autonomen niedriger werden oder gar abgebaut sind.

    Die Mauer muss es gegen die Nazis geben!

    Lieber Silvester Lechner, wir danken für das Gespräch und die freundliche Aufnahme im DZOK!

    Das Interview führten Sabina Fischer-Hampel und Klaus Hampel

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