VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 12.05.2009
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 1 / Mai 2009



Ostermarsch und Anti-Nato-Aktionen:

Wir kommen wieder!

Christina und Klaus Lipps, Ulla Ermen, Dieter Lachenmayer

Kreisende Hubschrauber, abgesperrte Autobahnabfahrten, eingestellter Zugverkehr, zugeschweißte Kanaldeckel, Bus- und Personenkontrollen von anreisenden Demonstranten, Polizei- und Wasserwerferkolonnen auf den Straßen - Kriegszustand am Rhein. Wozu das alles? Die Nato feierte ihr sechzigjähriges Bestehen mit einem Galadiner, Fototermin und Gipfeltreffen. Die Vertreter der Mächtigen der NATO-Staaten trafen sich - strikt getrennt von der Öffentlichkeit. Sie haben mit Macht gezeigt, wie sie diese fürchten. Wer soviel Blut an den Händen hat, fürchtet sich vor denen, die darauf aufmerksam machen.

Die europäische Friedensbewegung hatte unter dem Motto "Nein zum Krieg. Nein zur NATO" zu Protesten gegen die NATO anlässlich der geplanten Jubiläumsfeier und zu einer großen Demonstration am 4. April in Strasbourg aufgerufen. Deshalb sollte der baden-württembergische Ostermarsch am 4. April über die Europabrücke von Kehl nach Strasbourg führen, um sich den Protesten anzuschließen. Es kam aber anders ...
Die Auftaktkundgebung musste auf dem Festplatz Läger, am Rande Kehls stattfinden, statt wie von den Demonstranten gewünscht auf dem Marktplatz. Weil viele anreisende Demonstranten aufgehalten wurden oder erst gar nicht ankommen konnten, verzögerte sich die Auftaktkundgebung. Erst nach dem vorgesehen Beginn um 11 Uhr begann sich der Platz zu füllen. Trotz aller Polizeischikanen, Abschreckungsversuchen und den an die Wand gemalten Gewaltszenarien - es kamen viele. Der Ostermarsch 2009 wurde mit ca. 8000 Teilnehmern der größte seit vielen Jahren - aber auch der denkwürdigste.

Von Staubwedeln und Klobürsten
Das begann mit der langen Latte der kleinlichen und schikanösen Auflagen wie sie es noch nie auf einer Friedensdemo in Baden-Württemberg gegeben hat, und die auch noch vorab verlesen werden mussten.
Statt der beabsichtigten Einschüchterung rief die Verlesung große Heiterkeit hervor.
Der Versammlungsleiter der Friedensbewegung, hatte die Friedensbewegung "auf einen friedlichen Verlauf der Versammlung hinzuweisen" und auch beispielsweise darauf, dass es verboten sei, sich mit Staubwedeln und Klobürsten den Polizisten weniger als anderthalb Meter zu nähern. Aber wirklich witzig war auch das nicht.
Mit der Rapgruppe Qult aus Freiburg begann der Ostermarsch.
Andreas Kirchgäßner begrüßte als DGB-Vorsitzender die Demonstranten im Namen auch der Friedensgruppen der Region. Die Friedenslok aus NRW, die sich der Kehler Anti-Nato-Demo angeschlossen hatte, begrüßte Willi Hoffmeister für den Ostermarsch Ruhr. Für die baden-württembergische Friedensbewegung sprach der Europaabgeordnete und Mitbegründer der Informationsstelle Militarisierung (IMI) Tobias Pflüger. Nachdem bekannt wurde, dass es in Strasbourg schon zu Ausschreitungen gekommen ist, betonte er in seiner Ansprache, dass "wir uns nicht in gute und böse Demonstranten einteilen lassen, nach dem Motto, teile und herrsche. Wir werden in Würde für unsere Rechte demonstrieren."
Als sich die der Demonstrationszug mit zirka achttausend Friedensaktivisten endlich in Bewegung setzen konnte, stellte die Polizei in Aussicht, dass die Brücke trotz einiger noch anstehender "Probleme" bei unserer Ankunft frei sein würde und ein gewohnt bunter Ostermarsch zog mit Friedensparolen und Liedern durch Kehl auch wenn durch ein gewaltiges Polizeiaufgebot und Unmengen von sogenannten Antikonflikteams der Polizei, den Kehlern der Blick auf die Antikonfliktdemo Ostermarsch massiv versperrt wurde.

Gebt die Brücke frei!
Vor der Europabrücke endete die Demonstration auf der deutschen Seite dann vor einer martialischen Polizeisperre. Die beiden Demonstrationszüge konnten nicht, wie vorgesehen, auf der Rheinbrücke zusammentreffen. Auch die Lautsprecher-LKWs, die wie vereinbart auf der Europabrücke oder halt davor hätten stehen sollen, waren nicht zu sehen. Sie waren von Anfang an auf dem Auftaktplatz festgehalten worden. Keine Chance also, die Wartezeit mit einer Kundgebung der Friedensbewegung zu überbrücken.
Stattdessen gab es die Hinhaltetaktik der Polizei. Eine Delegation der Demonstranten solle sich von der Unpassierbarkeit der Brücke überzeugen. Die Delegation sah aber nur eine freie Brücke, zugestellt nur von hunderten von gepanzerten Polizisten und mindestens einem Dutzend Wasserwerfern. Schließlich die Meldung, die französische Polizei, sei bereit die Brücke freizugeben. Aber die deutsche Seite wollte die Brücke nicht räumen. Dann wie bestellt: Das ohnehin zum Abbruch vorgesehene französische Zollhaus geht in Flammen auf. Der französische Präfekt sperrt endgültig den Grenzverkehr.

Debakel für die Versammlungsfreiheit
Immer wieder mahnen wir unsere Lautsprecher LKWs an. Immer wieder wird zugesagt sie seien schon unterwegs, dann werden sie aber irrtümlich von der Verkehrspolizei zurückgeschickt, dann auf die falsche Strassenspur gelotst. Dann darfs nur einer sein - aber welcher? Lautsprecher oder Verstärker? Kaum wurde eine neue Zusage gemacht, gabs wieder ein neues Bedenken, ein neues Missverständnis.
Unterdessen werden die Demonstranten ohne vernünftige Kommunikation und Information nervöser. Es kommt zu Rangeleien an der Absperrung. OrdnerInnen und erfahrene OstermarschiererInnen schieben sich vor die Polizeisperre und beruhigen. So gut es geht werden Informationen, Lieder und Redebeiträge über die kleinen Lautsprecher-PKWs und Megafone weitergegeben. Dann schließlich nach Stunden, längst ist klar, dass wir nicht über die Brücke gelassen werden sollten, dass die Friedensdemonstration in Strasbourg unter den Tränengasangriffen der dortigen Polizei zu einem weit schlimmeren Debakel für Versammlungsfreiheit und Demokratie geworden ist, als hier in Kehl, werden unser Lautsprecher durchgelassen und eine improvisierte Abschlusskungebung wird möglich.
"Die französische Polizei hat die Demonstration in Strasbourg verhindert, die deutsche Polizei hat die Überschreitung der Brücke verhindert", was vorher durch die kleinen Magafone weitergegeben wurde, jetzt wird es für alle hörbar ausgesprochen.

Das Gesicht der NATO …
Anne Rieger, Gewerkschafterin und aktive Ostermarschiererin, die eigentlich die internationale Begegnung auf der Brücke hätte begrüssen sollen, rief noch mal in Erinnerung, wem wir das hier alles zu verdanken haben. "Es geht um die Sicherung der Rohstoffquellen und der Märkte, wofür die NATO Kriege führt, nicht um die Verteidigung demokratischer Rechte. Auf der französischen Seite haben Unbekannte ein Bild für die Medien geschaffen. Das Verbot, die Brücke zu überschreiten, entgegen der Zusage, haben wir der NATO zu verdanken und den Konzernen.
Die NATO steht für militärische Durchsetzung westlicher Interessen, sie ist und wird immer mehr ein Kriegsführungsbündnis und rüstet sich auf breiter Front für künftige Kriege. Von einer atomarer Erstschlagstrategie über die Eskalation der Aufstandsbekämpfung in Afghanistan bis hin zur institutionellen Runderneuerung:
60 Jahre nach der Gründung, 20 Jahre nach der Auflösung des Warschauer Vertrages, 10 Jahre nach dem völkerrechtswidrigen selbst mandatierten Krieg gegen Jugoslawien, 7 Jahre nach dem Beginn des Krieges in Afghanistan ist die NATO überflüssig wie am ersten Tag.
Deswegen: Die NATO muss aufgelöst werden."
… und das der Friedensbewegung
Ein Vertreter der US-Friedensbewegung grüßt die Demonstranten, im Namen aller, die zur gleichen Zeit in den USA für Frieden und Abrüstung demonstrieren. Und er erinnert an die lange Geschichte der US - Bürgerrechts- und Friedensbewegung. Und er stimmt das Lied an, dass sie und uns all die Jahre begleitet hat: We shall overcome.
Und dann singt Jane Zahn ein anderes Lied, das zu diesem Tag gehört, das alte Ostermarschlied der 60er Jahre und Hennig Zierrock ein neues "Wir sind zu zwein, wir sind zu drein wir sind 1000 …"
Trotz aller Behinderung im Vorfeld durch die Polizei haben insgesamt über dreißigtausend Menschen gegen den NATOGipfel demonstriert. Auf deutscher Seite verlief die Demonstration, wie sie auch für die französische Seite geplant war, "friedlich", aber nicht dank der Polizei und ihres Antikonfliktteams sondern dank vieler, vor allem älterer, Teilnehmer, die drohenden Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und aufgebrachten Jugendlichen entgegenwirkten. Trotz Hinhaltetaktik der deutschen Polizei, die fast vier Stunden lang verhinderte, dass die Lautsprecherwagen der Friedensbewegung zu den vor der Brücke ausharrenden Demonstranten gebracht werden konnten, blieb die aufgehaltene Demonstration, was sie sein sollte: eine bunte, vielfältige Manifestation der Friedensbewegung, die allen Schikanen friedlich trotzte.
Sie wollten uns den Schneid abkaufen und uns entmutigen. Aber das ist nicht gelungen.
Während eine Mauer von bewaffneten und gepanzerten Polizeikolonnen Assoziationen an Krieg und Bürgerkriegt weckte, hat die Friedensbewegung gezeigt, was sie will und was sie kann. Solang es Rüstung und Krieg gibt werden wir wiederkommen. Auch nach Kehl und Strasbourg!


Protestauftakt in Baden-Baden

Eine andere Welt ist möglich!

Da die NATO als das größte und erfolgreichste Friedensbündnis aller Zeiten ausgerechnet in Baden Baden gefeiert werden sollte, bildete sich dort das Anti NATO Bündnis, um über den tatsächlichen Charakter dieses Zusammenschlusses informieren. Nach mehreren Infoveranstaltungen und einer Podiumsdiskussion am 26. März bildet die Kundgebung des Anti-Nato-Bündnis am Vorabend der Jubelfeier, den Auftakt der Aktionen gegen den NATO-Gipfel.
Die Stadt glich zu diesem Zeitpunkt schon einem Heerlager mit Tausenden von Polizisten und Gruppen von BundeswehrSoldaten (!)
An diesem Abend des 2. April machten vor dem bunten Attac-Transparent mit der Aufschrift "EINE ANDERE WELT IST MÖGLICH" etwa 250 TeilnehmerInnen von ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch. Sie hatten sich weder von der wochenlangen Propaganda noch von dem massiven Polizeiaufgebot abschrecken lassen
Nach der Bundestagsabgeordneten der Linken, Monika Binder aus Karlsruhe, sprach als Hauptredner Prof. Peter Strutynski vom bundesweiten Friedensratschlag Kassel. Er räumte zunächst auf mit der Gründungslegende der NATO als einem Verteidigungsbündnis gegen die angebliche Bedrohung durch die Sowjet-Union. Weiter erinnerte er an den NATO-Doppelbeschluss von 1979, der darauf abzielte, die UdSSR mit einem atomaren Erstschlag zu "enthaupten". Seit Anfang der 90er Jahre der Warschauer Vertrag aufgelöst wurde, habe die NATO - statt sich ihrerseits aufzulösen - ein neues Feindbild und eine neue Strategie entwickelt: Der neue Feind ist die islamische Welt, die neue Strategie richtet sich darauf, die Interessen der westlichen Welt überall auf dem Erdball auch mit militärischen Mitteln zu sichern und durchzusetzen.
Malalai Joja, Politikerin aus Afghanistan, schilderte die Stimmung in der Bevölkerung ihres Heimatlandes, die Enttäuschung und Wut über die Besatzung durch die NATO und die erneute Unterdrückung der afghanischen Frauen. Der US-amerikanische IrakKriegsveteran Mathis Chiroux berichtete davon, wie er als amerikanischer Soldat den Krieg im Irak erlebte und in der Folge zum Kriegsdienstverweigerer wurde. Frédéric Henry vom Collectif Anti-Otan aus Strasbourg sprach über die dortige Situation am Vorabend des Gipfels und rief zu den internationale Aktionen am Samstag auf. Die Sängerin Marianne Hangstörfer rundete mit Friedensliedern und Rezitationen die Veranstaltung ab.
Die Baden-Badener Kundgebung bot ein buntes, friedliches Bild. Sie war ein großer Erfolg, nicht zuletzt, weil sie überhaupt stattgefunden hat - allen Behinderungen im Vorfeld zum Trotz.

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