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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 3 / Oktober 2008



Kriegsverbrecher-Prozess gegen Gebirgsjägerkameraden:

"Solang die Mörder leben auf der Welt"

Dietrich Schulze

München: Gino Massetti, einziger Überlebender eines Wehrmachtmassakers 1944 an italienischen Zivilisten in Falzano di Cortona, sagt vor dem Strafgericht im NS-Kriegsverbrecherprozess aus, in dem die Mordanklage gegen Josef Scheungraber, Kompaniechef eines Gebirgsjägerbataillons, verhandelt wird.

Gespannte Stille im voll besetzten Saal A 101 der Strafkammer des Landgerichts München I in der Nymphenburger Str. 16 am 7. Oktober 2008. Der 79-jährige Zeuge der Anklage Gino Massetti, damals 15 Jahre alt, spricht über das abscheuliche Kriegsverbrechen der faschistischen Wehrmacht an der Zivilbevölkerung in Falzano di Cortona (Toskana) am 27. Juni 1944: "Ich war nur ein Kind und hatte Angst. ... Wir mussten in das Bauernhaus und wurden eingesperrt, dann fand die Sprengung statt. ... Als wir eingeschlossen wurden, hat einer gesagt, jetzt werden wir alle umgebracht. ... Viele weinten, weil sie die Explosion in einem Nachbarhaus damit in Verbindung brachten. [Die Munitionskisten für die Sprengung wurden in den 1. Stock des Hauses getragen]. Wir hörten Schritte die Treppe hinaufgehen und wieder herunter und dann noch einmal Schritte, wie einer hochging. Das erste Mal hatte es nicht funktioniert. Beim zweiten Mal stürzte das Haus zusammen. Ein Balken schützte mich vor den Trümmern. Ich wurde durch den Körper eines unglücklichen Kameraden geschützt, der durch die Luft flog und auf mich stürzte. [Einige der 10 tödlich Verletzten stöhnten und schrieen.] Die Deutschen schossen. Es wäre besser gewesen, sie hätten getroffen. Ich wäre auch lieber getroffen worden, weil ich keine Luft bekam. Fünf Minuten später wäre ich tot gewesen." Die Bäuerin, der das Haus gehörte, suchte nach der Sprengung ihren Hund und entdeckte Gino, der gerettet werden konnte und starke Verbrennungen und bleibende Schäden an der Wirbelsäule davongetragen hatte.
Zwei Soldaten des Gebirgs-PionierBataillons 818 aus der Kompanie von Wehrmachtleutnant Josef Scheungraber aus München-Ottobrunn waren beim Versuch, ein Pferd zu stehlen, von italienischen Partisanen erschossen worden. Aus Rache wurden 14 italienische Zivilisten (s. Kasten) von der Einheit abgeschlachtet. Scheungraber wurde für dieses Verbrechen im September 2006 vom italienischen Militärgerichtshof in La Spezia in Abwesenheit wegen 14-fachen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Weil Deutsche zur Vollstreckung des italienischen Urteils nicht ohne ihre Zustimmung ausgeliefert werden, läuft der Mörder frei herum. Das könnte sich jedoch bald ändern. Die Münchener Staatsanwaltschaft hat gegen ihn Anklage wegen Mordes in 14 Fällen erhoben. Scheungraber bestreitet, mit der Tat irgendetwas zu tun zu haben.
Er bedient sich dazu dreier Rechtsanwälte - Goebel, Stünkel, Thesen - mit einschlägigen Beziehungen zum Neonazi-Spektrum (s. Kasten) und gibt den Unbeteiligten. Ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen Aktivitäten. Er ist Mitglied des "Kameradenkreises der Gebirgstruppe e.V." und Träger von dessen "Goldener Ehrennadel". Der Kreis hat 6000 Mitglieder, darunter 2000 ehemalige Wehrmachtsoldaten. Seit 2002 Jahr für Jahr protestiert die demokratische Öffentlichkeit in Mittenwald/Oberbayern auf Initiative des "Arbeitskreises Angreifbare Traditionspflege" und der VVN-Bund der Antifaschisten gegen das größte ewiggestrige Soldatentreffen, das von diesem "Kameradenkreis" veranstaltet wird. Thesen erwirkte in allerjüngster Zeit für den "Kameradenkreis" eine einstweilige Verfügung (Hauptverhandlung 2. Dezember) gegen den Bundessprecher der VVN-Bund der Antifaschisten, Ulrich Sander, beim Landgericht Nürnberg. Unter Androhung eines Bußgelds von 250.000 Euro oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten darf dieser öffentlich das Soldatentreffen, an dem solche NS-Kriegsverbrecher wie Scheungraber teilnehmen, nicht in pauschaler Gleichsetzung als das "größte Kriegverbrechertreffen" bezeichnen.
Zurück zum Prozess. Die Verteidigung versuchte im Gericht, den Zeugen in Widersprüche zu verwickeln und das Verbrechen einer italienischen SS-Einheit in die Schuhe zu schieben. Bei der Inaugenscheinnahme von Wehrmacht- und SS-Uniformen am Richtertisch mischte sich Scheungraber derart rücksichtslos ein, dass ihn der Richter ermahnen musste.
Der Zeuge des Massakers richtet am Schluss einen dramatischen Appell an das Gericht. "Ich möchte nichts mehr mit der Presse und weiteren Zeugenaussagen zu tun haben." Sechsmal hat er im Laufe der Jahre über das Verbrechen aussagen müssen. Das lässt ahnen, unter wie großem psychischen Druck sich Gino Massetti befindet. Seit 64 Jahren versucht er, die furchtbaren Erlebnisse zu vergessen. "Sobald ich die deutsche Sprache nur hörte, bin ich davongelaufen. ... Heute geht es mir gut. Ich habe einen Sohn, der in Deutschland lebt. Ich bin hierher gekommen und habe ganz wunderbare Menschen kennen gelernt."
Der Prozess wird in Italien und weltweit beachtet. Der Bürgermeister von Cortona, Andrea Vignini, war eigens zum Prozess angereist. Gegenüber der Presse erklärte er, dass das Urteil von La Spezia keine Rache der italienischen Justiz, sondern ein klares Signal für Gerechtigkeit und Verantwortung sei. Mit seiner Teilnahme möchte er das fortdauernde Engagement seiner Stadt und die enge Verbundenheit mit den Familien der Opfer ausdrücken, die Gerechtigkeit erwarten und Krieg und Gewalt ablehnen.
Dem Münchener Prozess, der am 13. Oktober fortgesetzt wird, kommt große Bedeutung für die staatsanwaltschaftliche Verfolgung anderer NS-Kriegsverbrechen zu. Wie Rechtsanwältin Gabriele Heinecke aus Hamburg als Vertretung von 19 italienischen Nebenklägern betont, sei der Strafantrag der Münchener Staatsanwaltschaft auf Mord aus niederen Beweggründen und Grausamkeit abgestellt. Genau darum drückt sich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft seit Jahren im Falle der ebenfalls in La Spezia verurteilten zehn NS-Kriegsverbrecher, die für das Massaker in Sant'Anna di Stazzema (Toskana) im August 1944 verantwortlich gemacht werden (s. an-tifa-Nachrichten 8-2006). Dort war von der 16. Panzergrenadier-Division "Reichsführer SS" ein ganzes Dorf, vorwiegend Frauen und Kinder, ausgelöscht worden. Die VVN-Bund der Antifaschisten Baden-Württemberg hatte dazu im November 2006 in Gegenwart von Claudia Buratti, einer Angehörigen der Opfer, im Justizministerium 2240 Unterschriften mit der Forderung nach Erhebung der Anklage gegen die Täter übergeben. Wie lange noch will Staatsanwalt Häußler die Anklage verschleppen?

Solang die Mörder leben auf der Welt

In jenen Nächten, da die Flammen lohten
Und Ofenzug durch meine Asche fuhr,
Stieg ich als Rauch empor aus Dachaus Schloten
Und sank herab lebendig auf die Flur,
Ich wollt mich rächen, meinem Tod entstiegen,
An Manchem, der mich noch für Asche hält,
Wie kann ich ruhig in der Erde liegen,
Solang die Mörder leben auf der Welt!
Die Hölle ist schon vollgepfercht mit Sündern,
Doch fehlt dort manche zünftige Figur,
Da ruft mein Lied die Opfer jener Schinder
Und bringt sie den Verbrechern auf die Spur,
Geht fahnden durch Gedränge und Gewimmel,
Gehr ahnden rasch, von heißem Hass erhellt,
Wie kannst Du ruhig leuchten, blauer Himmel,
Solang die Mörder leben auf der Welt!
Steht auf, ihr Kinder, die ihr schon vor Jahren,
Von Henkersknechten totgemartert seid.
Ergreift die Mörder, richtet in Talaren
Im Namen aller Kinder künftger Zeit,
Und Ihr, die Ihr noch lebt aus diesen Tagen,
In Warschau, Minsk, Paris, am Rhein, am Belt,
Erinnerung soll aus dem Schlaf euch jagen,
Solang die Mörder leben auf der Welt!

Text eines Liedes gesungen von Ernst Busch

Die Verteidiger

Rainer Thesen (Nürnberg)
2006 beklagte er in einem Beitrag der Zeitschrift des "Kameradenkreises" vehement, dass die Wehrmacht heute als weitgehend willfähriges Gewaltinstrument des Unrechtsstaates betrachtet werde, und aus staatsoffizieller Sicht keine Tradition begründen darf. Das sieht der Reserveoffizier der Bundeswehr aus Nürnberg und eifrige Leserbriefschreiber für die rechtsradikale "Junge Freiheit" ganz anders: "Die Wehrmacht ist Teil unserer Geschichte." Folgerichtig beklagte er im heutigen Selbstbild der Bundeswehr eine "Verengung" der Tradition auf "politisch korrekte Taten", was es in anderen Ländern so nicht gebe.

Christian Stünkel (Jena)
Mitglied der schlagenden Verbindung Halle-Leobener-Burschenschaft Germania (Halle/Saale). Seit 2005 in Thüringen/Sachsen-Anhalt Rechtsbeistand von organisierten Neonazis. Verteidigte vier Tage nach Eröffnung des Scheungraber-Prozesses am 19. September den NPD-Kreistagsabgeordneten im Kreis Harz Michael Schäfer, der dort wegen Beleidigung ei-nes Mitgliedes der Partei Die Grünen angeklagt ist. Stünkel verteidigte in einem Strafverfahren Emanuel Reuter von der Wernigeroder Aktionsfront (WAF), den JN-Landesvorsitzenden Thüringen, Marcus Großmann, und Danny Rieche wegen eines Brandanschlags auf die Asylbewerberunterkunft Sangerhausen.

Klaus Goebel (München)
Am 18. Juli enthüllte die Süddeutsche Zeitung, dass ihm enge Verbindung zur 1951 gegründeten "Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte" nachgesagt werden. Er hatte sich bereits als Verteidiger des SS-Schlächters Anton Malloth und des Holocaust-Leugners David Irving engagiert. Wenn es eine Organisation gibt, die für sich das Verdienst in An-spruch nehmen kann, dass Aber-tausende von Wehrmachtsoffizieren und SS-Schergen niemals für ihre Verbrechen vor den Richter gestellt wurden, dann war es die "Stille Hilfe".

Quelle: Flugblatt des Arbeitskreises Angreifbare Traditionspflege "Das schwarz-braune Schattenreich des Gebirgsjägerkameraden Josef


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