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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 3 / Oktober 2008



Bundesweite Demo in Berlin und Stuttgart:

Truppen raus aus Afghanistan

Dieter Lachenmayer

Am 20. September demonstrierte die Friedensbewegung in Berlin und Stuttgart gegen den Krieg in Afghanistan und die bevorstehende Entscheidung des Bundestages, die Mandate für die Bundeswehr zu verlängern und auszuweiten.

Das Wetter meint es gut mit Stuttgart und der Friedensbewegung. Zwar weht ein frischer Wind, aber die Sonne scheint, als sich die Stuttgarter Lautenschlagerstr. langsam mit Friedensdemonstranten zu füllen beginnt. Es ist schon kurz vor zwölf und - wie am Beginn fast jeder Demo - geben die ersten Häuflein von Demowilligen Anlass zur Skepsis: Können das schon alle sein?
Wir wissen es vom letzten Jahr: Die Mehrheit der Bevölkerung will keinen Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Dennoch sind die Chancen, eine Verlängerung und Ausweitung der Kriegsführungsmandate im Bundestag zu verhindern angesichts der dortigen Mehrheitsverhältnisse gering und die Menschen haben auch noch andere Sorgen. Gerade heute versuchen die Rassisten Europas sich in Köln ein Stelldichein zu geben und dort sind Widerstand und Gegenwehr genauso notwendig und dazuhin noch direkter wirksam als hier in Stuttgart, das so weit weg liegt vom Krieg und vom Bundestag, der darüber entscheidet.
Zurück zur Stuttgarter Lautenschlagerstr.. Die Auftaktkundgebung hat begonnen. Die erste Rednerin ist Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung (IMI). Sie schildert die Geschichte dieses Krieges und des deutschen Kriegseinsatzes. Sie weist auch darauf hin, dass dieser Krieg gar nicht so weit weg ist von Stuttgart. Das Kommando Spezialkräfte (KSK), die gefährlichste, geheimste (und rechtswidrigste) Sondereinheit der Bundeswehr aus dem nahen Schwarzwaldstädtchen Calw, war dort von Anfang des US -Krieges im Rahmen der von Bundeskanzler Schröder postulierten "uneingeschränkten Solidarität" am Krieg beteiligt.
Mittlerweile ist der Platz überfüllt. Man hört es auch am Beifall, den Claudia Haydt für ihren Beitrag bekommt. Ebenfalls großen Beifall erntet der ehemalige GI Chris Capps, der für seine Gruppe der "Irak Veteranen gegen den Krieg" auch die Grüße der usamerikanischen Friedensbewegung überbringt. Er ist aus der US-Army desertiert als er zum Einsatz nach Afghanistan geschickt werden sollte. Neben der US-Regierung, so Chris Capps, spielt die deutsche Regierung eine Schlüsselrolle, sowohl im Krieg gegen Afghanistan als auch im Krieg gegen den Irak. "Richtet Eure Aufmerksamkeit darauf, dass dieser Aggressionskrieg von Eurem Land aus geführt wird!", ruft er unter großem Beifall den FriedensdemonstrantInnen zu.
Dann setzt sich die Demo in Bewegung. Der Zug ist lang und bunt geworden. Busse und TeilnehmerInnen sind tatsächlich aus ganz Süddeutschland gekommen: Frankfurt, Darmstadt, Nürnberg, München ... .
Heike Hänsel, seit vielen Jahren im Koordinationskreis des Friedensnetzes und seit kurzem auch Bundestagsabgeordnete, gibt als Moderatorin auf dem Schlossplatz unter großem Beifall die Teilnehmerzahlen des Demonstrationstages bekannt: 30000 in Köln, denen es gelungen ist, den Rassistenkongress zu verhindern. 8000 Friedensdemonstranten in Berlin und 6000 hier auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Nein, verstecken müssen wir diese Zahlen nicht.
Zum Höhepunkt der Kundgebung wird die Rede von "Zoya". Sie ist als Mitglied der "Revolutionary Association of the women of Afghanistan", eigens zu unseren Demonstrationen nach Deutschland gekommen. Wir bitten Presse und Teilnehmer, sie nicht zu fotografieren. Zur Sicherheit trägt sie eine dunkle Brille. Auch ihr Name ist ein Pseudonym. Sie will nicht erkannt werden, weil es lebensgefährlich ist, sich in Afghanistan als Aktivistin für Frieden und Menschenrechte zu erkennen zu geben. Zoya berichtet von der Situation in Afghanistan. "Es wird täglich schlechter. Drogen, Kriminalität und Menschenrechtsverletzungen nehmen zu. Die Lage wird sich nicht verbessern, solange die herrschenden Kriegsherren militärisch unterstützt, statt entmachtet und entwaffnet sind. Statt der Militäreinsätze bedarf es Unterstützung für demokratische Strukturen und zivile Hilfe. Zoya bedankt sich für unsere Aktivitäten und sie ruft auf, nicht nachzulassen beim Kampf um Frieden in Afghanistan und anderswo.
Reinhard Voss, der ehemalige Generalsekretär der katholischen Friedensbewegung Pax Christi setzt sich mit den Beschwörungsformeln auseinander, mit denen der Kriegseinsatz in Afghanistan begründet wird: "In den letztjährigen Bundestagsdebatten zur Verlängerung dieses Doppel-Mandats hatte ich oft den Eindruck, keine Debatten über Militärstrategien, sondern über Entwicklungshilfe zu hören ... Krieg ist keine Abstützung des Zivilaufbaus... Dieser kriegerische Anti-Terror-Einsatz muss nicht ergänzt - er muss abgelöst werden durch konsequenten Friedensaufbau. Bernd Riexinger, Geschäftsführer von ver.di Stuttgart setzt sich mit den Kosten des Krieges auseinander : "Die Kosten des Afghanistan-Krieges werden auf knapp 100 Milliarden geschätzt. Umgerechnet auf jeden Einwohner in Afghanistan bedeutet das 3.000 Euro. Das jährliche Bruttoinlandsprodukt Afghanistans liegt bei 228 Euro pro Kopf. ...Wenn ihr der Bevölkerung helfen wollt, dann schickt keine Panzer und Soldaten, Flugzeuge und mobile Einsatzgruppen! Gebt Geld und Hilfe direkt - das wäre deutlich humaner und billiger!"
Die Sonne hat mit kleinen Unterbrechungen bis zum Schluß durchgehalten, die Demonstranten auch. Wer Lust hat, bleibt noch auf dem Schlossplatz, wo mit Musik und Infobeiträgen die Jugendorganisationen der Friedensbewegung die gute Stimmung verlängern. Alles in allem, dieser gemeinsame Demotag in Berlin und Stuttgart war eine erfolgreiche Generalprobe für weitere Aktionen im Süden Deutschlands: Im Frühjahr 09 kommt die Nato nach Strasbourg und Kehl. Die Friedensbewegung kommt auch.

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