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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 1 / April 2008



Vor 70 Jahren hingerichtet:

Lilo Herrmann - eine Kommunistin im Widerstand

Lothar Letsche

Sie war eine Gegnerin der Nazis, eine junge Kommunistin aus gut bürgerlichem Haus. Sie war früher als viele andere davon überzeugt, dass Hitler zum Krieg führt. Sie wollte mit ihren politischen Freunden den Krieg verhindern und setzte dafür ihr Leben ein. Am 20. Juni vor 70 Jahren wurde sie hingerichtet. Am 14. März wurde in der Stuttgarter Hölderlinstr. ein Stolper-stein für sie verlegt. Am 15. Juni wird die VVN-BdA im Rahmen ihrer Landeskonferenz einen Kranz am Gedenkstein an der Uni Stuttgart niederlegen

Liselotte Herrmann wurde am 23. Juni 1909 in Berlin geboren. Die gesicherte Existenz ihres Vaters als angesehener Ingenieur schuf die Grundlage dafür, dass trotz des Ersten Weltkrieges ihre Kindheit weitgehend behütet und sorglos verlief. Ihre Schulausbildung fand von 1927 bis 1929 an der Viktoria-Luise-Schule in Berlin-Willmersdorf ihren Abschluss. In ihrem letzten Schuljahr trat Lilo dem Kommunistischen Jugendverband und dem Sozialistischen Schülerbund bei.
Nach einem Praktikum begann Lilo im Wintersemester 1929/30 an der Technischen Hochschule Stuttgart ein Chemiestudium. So wie sie es in Berlin erlebt hatte, versuchte sie auch hier einer Schülergruppe des SSB auf die Beine zu helfen. Aber hier im schwäbischen Milieu gelang das weder ihr noch anderen.
In Stuttgart hat Lilo vier Semester studiert. Sie war an der Roten Studentengruppe beteiligt, die in jenen Jahren um die 25 Mitglieder gezählt haben mag. Einem Gestapo-Aktenvermerk aus dem Jahr 1935 zufolge war Lilo in ihrer Stuttgarter Studienzeit, "als rührige Kommunistin aktenmäßig bekannt." Ihr wird von der Polizei bescheinigt, sie habe "sich ... in der kommunistischen Jugend durch Plakatankleben, Broschürenverkauf und andere Propaganda rege betätigt. Dabei hat sie öfters ein freches und anmaßendes Benehmen an den Tag gelegt".
Unter 111 Studierenden der Berliner Universität, die am 11. Juli 1933 von einem weiteren Studium ausgeschlossen wurden, war auch Liselotte Herrmann.
Im August 1933 war der untergetauchte kommunistische Funktionär Fritz Rau bei ihr einquartiert, den sie aus Stuttgart kannte. Sie wurde von ihm schwanger. Kurz darauf wurde Fritz Rau verhaftet. Am 20. Dezember 1933 wurde er wahrscheinlich in seiner Zelle totgeschlagen. Die offizielle "Selbstmord"-Version der Nazis glaubte niemand.
Am 26. September 1934 verließ Lilo Herrmann Berlin und ging mit dem Kind nach Stuttgart. Hier fand sie in der elterlichen Wohnung Hölderlinstr. 22 Aufnahme und im Ingenieurbüro ihres Vaters Arbeit als Stenotypistin. Lilo lebte mit dem Baby in der Wohnung der Eltern sehr unauffällig und zurückgezogen, sie bemühte sich aber hinter dieser Tarnung, Kontakt zu Angehörigen des antifaschistischen Widerstandes aufzunehmen.

Illegale Untergrundarbeit und Prozess
Ein Jahr wirkte Lilo in Stuttgart im illegalen Widerstand. In den frühen Morgenstunden des 7. Dezembers 1935 wurde sie in der Wohnung verhaftet.
Die Gestapo fand bei der Haussuchung Druckschriften der KPD, marxistische Literatur, ein "Statut des Sozialistischen Schülerbundes, Ortsgruppe Berlin" sowie die Abhandlung "Was will der Sozialistische Schülerbund?". Zum Verhängnis wurde ihr allerdings dieser hinter einem Spiegel ihres Zimmers versteckte Plan einer unterirdischen Munitionsfabrik Nach und nach gewann die Geheime Staatspolizei ein Bild von der illegalen Arbeit der Kommunistischen Partei gegen die Nazis, in die Lilo Herrmann sich eingegliedert hatte.
Vom 8. bis 12. Juni 1937 tagte dann in Stuttgart der 2. Senat des nationalsozialistischen Volksgerichtshofes. Die Richter waren extra aus Berlin angereist. Dieses Gericht war 1934 neu geschaffen wurden. Gegen seine Urteile war keine Berufung möglich. Gleichzeitig war das Gesetz gegen den Hochverrat drastisch verschärft worden. Verhandelt wurde gleichzeitig gegen Lilo Herrmann und vier Männer, Kommunisten und überzeugte Gegner des Nationalsozialismus, die bis zu ihrer Verhaftung aktiv am Widerstand teilgenommen hatten: Josef Steidle, Alfred Grözinger, Stefan Lovász und Artur Göritz.
Die fünf, die 1937 gemeinsam vor Gericht standen, bildeten vorher keine Gruppe. Göritz ist den anderen außer Steidle nie zuvor begegnet. Was hatten diese Menschen getan? Da drei von ihnen schwiegen und die Gestapospitzel vieles nicht wussten, konzentrierte sich das Gerichts-verfahren auf die Tätigkeit der Spitze der illegalen Bezirksorganisation der KPD und auf die Übermittlung von geheimen Informationen über Kriegsvorbereitungen des Dritten Reiches ins Ausland. In beide Strukturen war - als einzige der fünf Angeklagten - Lilo Herrmann eingebunden.

"Antikriegspropaganda"
Lilo Herrmann hat Texte und Flugblätter für den Bezirksleiter getippt und eigene Ausarbeitungen erstellt. Als Stenotypistin im Büro ihres Vaters konnte sie dies unauffällig tun.
Den Plan der Munitionsanstalt, den man bei ihr fand, hatte sie von Steidle erhalten, damit er auf einer Lichtpausmaschine verkleinert und ins Ausland geschafft werden konnte. Die Arbeit für ihren Vater verschaffte ihr Zugang zu entsprechenden technischen Geräten - damals gab es ja noch keine Fotokopierer - und war mit Reisen in die Schweiz verbunden. Sie besaß einen Pass, den man damals dafür brauchte. So konnte sie unverdächtig solche Aufgaben erfüllen.
Was aus solchen Kanälen ins Ausland sickerte, machte es möglich, dass im Ausland Enthüllungsbücher erschienen, so zum Beispiel im Verlag des emigrierten Kommunisten Willi Münzenberg. Hinter verschiedenen Pseudonymen verbarg sich der KPD-Militärpolitiker Albert Schreiner aus Stuttgart. Er stützte sich nicht nur auf eine Auswertung nazistischer Fachliteratur, sondern ausdrücklich auch auf "interne Berichte von illegalen Kämpfern in Deutschland".
Für die Nazis waren solche Enthüllungen "Landesverrat". Darauf stand die Todesstrafe. In den Prozessunterlagen wird festgestellt: "Zum Zwecke der sogenannten Antikriegspropaganda verwendet die KPD in ihrer internationalen Hetzpresse ganz planmäßig geheime, den Stand der Rüstung aufzeigende Nachrichten aus deutschen Rüstungsbetrieben und knüpft hieran die Behauptung, die Reichsregierung bereite einen Angriffskrieg vor."
Darum ging es. In der Begründung des Urteils heißt es, in Verfahren gegen Angehörige der KPD seien "vielfach Schriften der zentralen Leitung beschlagnahmt worden, die teilweise Zusammenstellungen über den Stand und die Art der deutschen Rüstungen aus fast allen Teilen Deutschlands enthielten." Und irgendwo her mussten diese "Zusammenstellungen" ja kommen.
Am 12. Juni 1937 Uhr wurde das Urteil verkündet. Vier Todesurteile - drei wegen "Landesverrats", eines wegen "Hochverrats unter erschwerenden Umständen" und bei einem Angeklagten 12 Jahre Zuchthaus wegen "Vorbereitung zum Hochverrat"

Internationale Solidarität
Zwischen den Todesurteilen und ihrer Vollstreckung verstrich über ein Jahr. Lilo kam ins Berliner Frauengefängnis in der Barnimstraße und verbrachte ihre letzten Wochen in der Todeszelle im Zuchthaus Berlin-Plötzensee. Frauen, die mit ihr dort waren, und der Gefängnispfarrer berichteten später, dass sie sehr gefasst war und den anderen Häftlingen Kraft gab.
20. Juni 1938, morgens um 5 Uhr wurde Lilo Herrmann und ihre Mitverurteilten hingerichtet.
Trotz Geheimhaltung und Sicherheitsmaßnahmen waren der Prozess gegen die Stuttgarter Antifaschisten und die Todesurteile und Hinrichtungen im Ausland bekannt geworden.
Zu Recht wurde in diesem Prozess eine neue Qualität der Unterdrückung in Nazideutschland gesehen. Hier waren förmlicheTodesurteile ausgesprochen worden. Die Zeitgenossen waren vor allem auch über die Verurteilung der jungen Mutter Lilo Herrmann empört - der ersten im Widerstand tätigen politischen Gegnerin der Nazis, der etwas derartiges widerfuhr. Dieser Mordmaschinerie Einhalt zu gebieten, wurde ein gemeinsames Anliegen von Antifaschisten verschiedener Länder. Es gab einen Sturm des Protestes und der Entrüstung. Komitees zur Rettung der Verurteilten bildeten sich in Belgien, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, der Tschechoslowakei, Schweden und der Schweiz.
Sie organisierten Briefe, Postkartenaktionen, Unterschriftensammlungen, Resolutionen. Deutsche Antifaschisten verfassten Flugblätter, die zum Teil auch illegal in Deutschland verbreitet wurden.
Zu Beginn der "Europäischen Konferenz für Recht und Freiheit in Deutschland" am 13. und 14. November 1937 wurde ein symbolisches Ehrenpräsidium gewählt, bestehend aus Carl von Ossietzky, Ernst Thälmann, Carlo Mierendorff, Kaplan Joseph Rossaint und Lilo Herrmann - oder mit anderen Worten: das waren zu jener Zeit die fünf bekanntesten deutschen An-tifaschisten, die von den Nazis ins Gefängnis geworfen worden waren..
Die Verurteilten bekamen Post ins Gefängnis - die ihnen natürlich nie ausgehändigt wurde.

Vergebliches Fanal
Trauer und Empörung riefen natürlich erst recht die vollzogenen Hinrichtungen hervor. Davon künden zahlreiche Proteste, Berichte und Flugblätter. Hier ein Nachruf, der im Namen des ZK der KPD für die damalige Situation aktuelle politische Lehren zu vermitteln versuchte:
"Die Tatsache, dass Lisel Herrmann sterben musste, dass zum ersten Mal eine deutsche Frau wegen antifaschistischer Gesinnung und wegen ihres mutigen Kampfes für die Erhaltung des Friedens enthauptet wurde, beweist: die oppositionellen Kräfte, der sichtbare Ausdruck der wachsenden Unzufriedenheit des deutschen Volkes, seine Kriegsgegnerschaft und die Friedensbereitschaft werden immer stärker. Diese Kräfte will der Hitler-Faschismus auf dem 'Kriegsschauplatz Innerdeutschland' durch gesteigerten sadistischen Terror vernichten. Vergeblich!" "Mögen alle deutschsprechenden Menschen in den Nachbarländern des Dritten Reiches, mögen insbesondere die Bewohner des Sudetengebietes erkennen, dass der Nationalsozialismus nicht Glück und Frieden bedeutet, sondern Mord und Totschlag. Zwischen der Hinrichtung einer deutschen Mutter und den barbarischen Luftbombardements der Nazi-Flieger gegen Frauen und Kinder in Spanien besteht ein unmittelbarer Zusammenhang."

Der Krieg beginnt
Gleichzeitig kämpften in Spanien internationale Brigaden, um in Europa dem kriegerischen deutschen, italienischen und spanischen Faschismus Einhalt zu gebieten;
Das war kurz bevor der britische Premierminister Chamberlain erklärte, durch seine Zustimmung zu Hitlers Zerstückelungsdiktat für die Tschechoslowakei, dem Münchner Abkommen, habe er den "Frieden in unserer Zeit gerettet." Und bevor daraufhin Hitler, leider bejubelt von der übergroßen Mehrheit der Sudetendeutschen, in den Randgebieten der Tschechoslowakei einmarschierte.
Es war das Jahr der Reichspogromnacht, in der im Deutschen Reich die Synagogen brannten.
Kein Jahr später überfielen die Nazis Polen. Der zweite Weltkrieg begann.
In einem im Elsass verbreiteten Flugblatt hieß es schon 1938 vorausschauend und völlig richtig, Liselotte Herrmann sei "hingerichtet worden, weil sie für den Frieden kämpfte, weil sie verhindern wollte, dass ein neuer Weltkrieg die Menschen vernichtet."

Lilos Widerstand wirkt weiter
Die Oppositionskräfte innerhalb Deutschlands waren zu schwach gewesen, um die Auslösung des Krieges zu verhindern. Auch die Verbrechen an anderen Völkern und im Inneren Deutschland, einschließlich der Verbrechen an den Juden, Sinti und Roma konnten sie nicht verhindern. Je klarer wurde, wie groß die Massenbasis der Nazis in Wirklichkeit gewesen war, je mehr dann das deutsche Volk insgesamt mit den Naziverbrechen identifiziert wurde, desto mehr eignete sich das Schicksal einer Frau wie Lilo Herrmann, sie - im Sinne antifaschistischer Bewusstseinsbildung - als "eine wahre Heldin unseres Volkes" darzustellen.
Ein ganz besonderes Anliegen war das dem von den Nazis aus Stuttgart vertriebenen Arzt, Schriftsteller, Juden und Kommunisten Friedrich Wolf. Er begann damit schon 1938 im französischen Exil und 1942 in der Sowjetunion, in Zeitschriften für deutsche Soldaten in Kriegsgefangenenlagern, mit Veröffentlichungen über Lilo Herrmann. Am 17. Mai 1946 hielt er eine eindrucksvolle Rede in Stuttgart: "Der Mut zum Leben - der Mut zur Wahrheit!". Ich zitiere: "Die Ehre des deutschen Volkes wurde durch die unerschrockenen antifaschistischen Kämpfer gerettet. Eine Liselotte Herrmann, die den Nazirichtern auf ihre Forderung nach Verrat ihrer Freunde erwiderte: ‚Eine Tote spricht nicht mehr', ist ein leuchtendes Symbol dafür, dass innerhalb des deutschen Volkes Menschen lebten, die uns die Gewähr für ein neues Deutschland bieten."

Gekürzte Fassung, des Vortrages den Lothar Letsche anlässlich der Stolpersteinverlegung hielt.

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