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Nummer 4 / Dezember 2007



Über die Militarisierung der Bundesrepublik und die "innere Sicherheit":

Der Krieg an der Heimatfront

Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA

Mit "Anti-Terror"-Kampfparolen und -gesetzen machen CDU-Minister Schäuble und Jung immer wieder Schlagzeilen. Mit ihrem massiven Einsatz von Polizei und Militär gegen Demonstranten beim G-8-Gipfel in Heiligendamm haben sie uns einen Vorgeschmack auf Kommendes gegeben. Im Schatten solcher Medien-Highlights formiert sich - ohne große Öffentlichkeit, aber staatlich unterstützt - die größte rechtsextreme Bewegung für den "Krieg an der Heimatfront".

In seiner "Kaiserlichen Botschaft" zur Schaffung der Bismarckschen Sozialgesetze formulierte Kaiser Wilhelm am 17. November 1881: "die Heilung der sozialen Schäden" dürfe "nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen" gesucht werden, "sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter". Nachdem nun die 125jährige Sozialgesetzgebung umkehrbar gemacht wurde, steht auch wieder an, "die Heilung der sozialen Schäden" vor allem "im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen" vorzunehmen. Und dies mit Polizei und allen militärischen Waffengattungen, wie wir in Heiligendamm erlebt haben. Ohne Abstimmung im Bundestag wurde die angebliche "Parlamentsarmee" in ein weiteres Land zu einem Kampfeinsatz entsandt: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Panzerwagen, Kriegsschiffen und Tornado-Flugzeugen. Der verfassungswidrige Einsatz im Innern anlässlich des G8-Gipfels kostete die Steuerzahler laut Pressemeldungen zehn Millionen Euro - zusätzlich zu einem gewaltigen Rüstungsetat. Und er kostet Freiheitsrechte der Bürger ...

Inlandseinsatz gegen "Chaosgruppen"
In Bundeswehrblättern wie "Information für die Truppe" wird seit Jahren auf den Inlandseinsatz gegen den Terror und das heißt "Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner" (IfdT 3/2002) eingestimmt. Per Reservistengesetz vom Februar 2005 wurden noch unter Rot-Grün über eine Million ehemalige Soldaten zusätzlich für die "Zivil-Militärische Zusammenarbeit ZMZ Inneres", d. h. für den Einsatz im Innern bereitgestellt. Rund fünf Millionen Reservisten stehen nun ständig zur Verfügung. Man hatte einfach das Reservistenalter von 45 Jahren auf 60 aufgestockt. Nach welchen Maßstäben die Bundeswehr ihre Einsätze gegen die Bevölkerung des jeweils besetzten Landes - also auch des deutschen Landes - ausrichtet, wird in dem Buch "Geheime Krieger" des rechtsextremen Generals a. D. und ehemaligen Gebirgsjäger- und KSK-Kommandeurs Reinhard Günzel ausgeplaudert: nach denen der Wehrmachts - Antiterroreinheit Division Brandenburg. Diese "Brandenburger" waren u. a. im Juni 1941 in Lwow/Lemberg dabei, als 7000 Juden in wenigen Stunden von deutschen und ukrainischen Wehrmachtsangehörigen ermordet wurden. Und eine solche Bundeswehr steht nun den zivilen Dienstellen "zur Seite"! In sämtlichen 426 Landkreisen und kreisfreien Städten wurden in den Rathäusern und Landratsämtern Kommandozentralen ZMZi geschaffen.

Militarisierung auf neuem Niveau
Die Militarisierung des Landes erreicht mit dem neuen Reservistenkonzept und der neuen "Zivilmilitärische Zusammenarbeit Inneres" und ihre Anwendung beim G8-Gipfel einen neuen Stand. Eine neue extrem rechte Organisation entsteht, - zusätzlich zum Wirken alter und neuer Rechtsextremer in der Bundeswehr. Und das ist die Reservistenbewegung. Zur Instrumentalisierung der Bundeswehr zum Einsatz im Innern kommt die ideologische extrem rechte Beeinflussung der Bevölkerung: In rund fünf Millionen Familien gibt es Reservisten, zu denen die Bundeswehr laufend Kontakt hält. Die militaristischen Traditionsverbände und die Reservistenverbänden erhalten immer mehr Macht - und Geld der Steuerzahler.
Die Kriege zur Rohstoffsicherung und Energieversorgung der westlichen Industriestaaten - und darum handelt es sich im Kern bei den heutigen "weltweiten Einsätzen" - haben das öffentliche Leben in diesen Staaten, auch in unserem, entscheidend verändert. Neue Runden im Wettrüsten stehen bevor. Die Dämonisierung des Iran, die Stigmatisierung Russlands und Chinas als undemokratische, auf Weltherrschaft sinnende Regimes sollen die Bevölkerung einschwören auf mehr Rüstung, mehr Militär und offensive Zielsetzungen der Militärdoktrinen. Dies betrifft einmal die Atomrüstung und das Setzen auf die Erringung der Erstschlagskapazität durch die USA (neue Raketensysteme in Mitteleu-ropa, d.h. in Tschechien und Polen). Auch wenn dies heute noch vor allem Drohkulissen sein mögen, so rückt die Welt damit doch näher an ein atomares Fiasko heran. Wir stehen vor einer Welle internationaler Einsätze. Der Krieg soll unter dem Stichwort "militärischer Humanismus" zum Alltag werden. Dementsprechend werden widersprechende Regeln des Völkerrechts außer Kraft gesetzt.
Und das geschieht in unserem Lande vor allem durch faktische Beseitigung der grundgesetzlichen Bestimmungen zum Verbot des Angriffskrieges und seiner Vorbereitung und durch faktische Streichung der Bestimmung, dass die Bundeswehr nur zur Verteidigung dient (Artikel 26 und 87a). Anstelle des Grundgesetzes tritt die Militärdoktrin der EU, ob mit oder ohne EU-Verfassung, die den grundgesetzlichen Rahmen überwölben - sprich ihn aushebeln - soll.

Die zwei Seiten der Rechtsentwicklung
Zur Militarisierung des Landes gehört der Abbau der demokratischen Rechte. Dies ist ein schneller werdender Prozess. Die Gefahr einer Rechtsentwicklung ist offensichtlich. Sie fällt in zwei Teile:
  • Anwachsen des Neofaschismus, Duldung und Förderung der Neonazis als mögliche gesellschaftliche Reserve durch den Staat einerseits und
  • Abbau der Demokratie durch den Staat, dies auch durch zunehmende Militarisierung und Ausbau des Überwachungsstaates andererseits.
    Das Konzept von Schäuble vom 9. 7. 07 (Spiegel) besagt:
  • Beseitigung des verfassungsmäßig nicht veränderbaren Artikels 1 des Grundgesetzes (Schutz der Menschenwürde und des Lebens) - darum geht es auch bei Jungs Vorstoß für das Abschießen von zivilen "verdächtigen" Flugzeugen,
  • Einsperren von "Verschwörern und Gefährdern" in Lager,
  • gezielte Tötungen von Regimegegnern,
  • Kommunikationsverbote für politisch Missliebige und ganze Bevölkerungsgruppen,
  • Hausdurchsuchungen ohne Anwesenheit von Zeugen und Betroffenen, denn das sind die geheimen Onlinedurchsuchungen privater Computer
  • Einsatz von Militär mit Waffen gegen Demonstranten und
  • umfassende Bespitzelung der Bürger durch Polizei und Geheimdienste (Rasterfahndung).
    Das ist Schäubles extrem rechter Katalog, - er macht jedem faschistischen Umsturzplan alle Ehre. Und Merkel ermutigt Schäuble: Keine Denkverbote im Kampf gegen den Terror. Merkel sagt: Die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ist "von gestern", um zum Vorgestern zurückzukehren. Nun also wieder Krieg nach außen und innen! Ihre Partei nennt es in ihren Dokumenten "Verteidigung am Hindukusch und in Hindelang".
    Zu den weiteren Schäuble-Plänen gehören: Fingerabdrücke aller Bundesbürger werden bei der Passbehörde gespeichert, Mautdaten werden für Fahndungszwecke verwendet. Sodann sollen erfolterte Geständnisse verwendet werden. Es soll Vorratsspeicherungen der Verbindungsdaten aller Arten elektronischer Kommunikation geben.
    Doch das sind Absichten, wenn auch sehr reale, sehr bedrohliche. Weniger beachtet sind: die Sicherheitsüberprüfung der Arbeiter und Angestellten in vielen Bereichen der Wirtschaft und der Verwaltungen. Schaffung der AntiTerror-Datei, die "erstmals seit der Nazizeit wieder Erkenntnisse von Polizei und Geheimdiensten vereint" (Süddeutsche Zeitung 31.3.07).
    Mittels Hartz IV werden Millionen Menschen Grundrechte genommen: Arbeitszwang für unverschuldet arbeitslose Personen. Junge Menschen werden in die Armee gepresst, sonst droht ihnen Mittellosigkeit. Darauf laufen die Bundeswehraktionen in den Agenturen für Arbeit hinaus - die z.T. mit Feldjägern abgesichert werden. Zugleich: Millionen Reservisten werden in Dateien erfasst und können mir nichts dir nichts einberufen werden. Besonders Polizisten möchte Schäuble zu Auslandseinsätzen zwingen - und die Bundeswehr soll polizeiähnlicher werden. Wie auch die Polizei militärähnlicher werden soll. Schon sorgt eine internationale Polizeitruppe marineähnlich für die Sicherung und Kontrolle der EU-Außengrenzen an den Küsten. Die EU bekämpft damit die Flüchtlinge, die auf das europäische Territorium gelangen wollen. Wir sehen: Das Gewaltkonzept des "Krieges gegen den Terror" und der damit zusammenhängenden Militärdoktrinen richtet sich keineswegs nur gegen auswärtige "Feinde". ..

    Militaristische "community"
    Es gibt eine militaristische "community" im Lande, wie ich sie mal nennen möchte. Vorne weg: Der Reservistenverband. Er hat laut eigenen Angaben 138 000 Mitglieder, die in etwa 2 500 "Reservistenkameradschaften" gegliedert sind. Insgesamt werden im Bundesverteidigungsministerium 9,6 Millionen deutsche Bürger als ehemalige Soldaten (Wehrpflichtige und Berufssoldaten) geführt; 1,9 Millionen von ihnen haben bisher an Wehrübungen teilgenommen, können also jederzeit wieder einberufen werden. Ein Apparat von 500 Hauptamtlichen des Reservistenverbandes wird von der Bundeswehr bezahlt.

    Zivil-militärische Zusammenarbeit
    Nun gibt es einen Aufschwung: Im Rahmen von ZMZ(i) - Zivilmilitärische Zusammenarbeit im Innern - wurden bis zum Sommer dieses Jahres unter dem Kommando von schnell mobilisierbaren 5500 Reserve-Offizieren Tausende Reservisten in Bereitschaft versetzt. Ausdrücklich heißt es in Bundeswehrpublikationen, diese Bundeswehreinsätze im Innern dienten nicht nur der Bekämpfung von Naturkatastrophen und der Hilfe bei Unglücksfällen, sondern auch dem Kampf gegen den Terrorismus, worunter das Vorgehen gegen die außerparlamentarische Opposition, zu verstehen ist. Ein Bild in der "Europäischen Sicherheit" 2/2007 zeigt "Soldaten des JgBtl 292 bei der Ausbildung gegen Demonstranten"; die Demonstranten haben Arbeitskleidung an. Entgegen dem Wortlaut von Artikel 35 GG werden die Anlässe des Einsatzes der Truppe im Innern "Großschadensereignisse" genannt. Die Reservisten werden für ihren Einsatz im Innern bezeichnenderweise vor allem an Feldjägerschulen ausgebildet. Per "Amtshilfe" wird die Bundeswehr der Polizei beigeordnet. Sie wird entgegen der Verfassung eingesetzt.
    Dieser Entwicklung liegt folgender Plan zugrunde: In den Struck´schen VPR von 2003 (Verteidigungspolitischen Richtlinien) steht: "Zum Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereithalten." Es geht dabei um den "Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie kritischer Infrastruktur ... durch die Bundeswehr." "Grundwehrdienstleistende und Reservisten kommen dabei in ihrer klassischen Rolle, dem Schutz ihres Landes und ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger, zum Einsatz." (Diese Formulierungen finden sich auch im Weißbuch 2006 wieder.)
    CDU/CSU-Sprecher kommentierten erfreut: Das sei Heimatschutz, Verteidigung nicht nur am Hindukusch im fernen Gebirge, sondern auch bei Hindelang in den deutschen Alpen. In einem Papier der CDU/CSU, abgefasst vom heutigen Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswehrministerium und ultrarechten Gebirgsjäger Christian Schmidt nach den Anschlägen in Madrid im März 2004, wird die Schaffung eines neuen "Organisationsbereichs im Verteidigungsministerium mit dem Titel ´Landesverteidigung und Heimatschutz´" angekündigt, dessen Aufgabe der Aufbau von bis zu 50 vernetzten "Regionalbasen Heimatschutz" mit einer Stärke von bis zu 500 Soldatinnen und Soldaten in allen größeren Städten Deutschlands sein soll. Bei einem Einsatz sollen die betreffenden Regionalbasen durch Reservisten auf eine Stärke von bis zu 5 000 Soldaten aufgestockt werden können. Die "Heimatschutztruppe" soll zu 80 Prozent aus Wehrpflichtigen und zu 20 Prozent aus Berufs- und Zeitsoldaten als deren Führungspersonal bestehen. Die größte rechtsextreme Bewegung entsteht somit - ohne große öffentliche Erörterung. In einer stark verbreiteten Soldatenzeitung, finanziert vom Verteidigungsministerium, wird geschickt die Verbindung von der heutigen militaristischen Community zur früheren hergestellt: "Vor 60 Jahren waren mehr als 18 Millionen Deutsche aus fast allen Familien Angehörige der Wehrmacht. Sie werden derzeit zunehmend verunglimpft und pauschal als Verbrecher beschuldigt. Der Einsatz unserer Bundeswehr heute ist nur zu verantworten, wenn deren Pflichterfüllung von der Gesellschaft unvoreingenommen mitgetragen wird. Das setzt Fairness gegenüber der vorigen Soldatengeneration voraus." (loyal 10/99, Reservistenverband)
    Das heißt: Geschichtsdiskurse, auch revisionistische, halten die militaristische Community zusammen. Auch Streitfälle aus der Geschichte, zum Beispiel Kriegsschuldfragen zum Ersten wie Zweiten Weltkrieg, werden in den Traditionsverbänden noch immer lebhaft erörtert. Antifaschismus wird empfunden "als Vehikel kommunistischer Diktaturen", der "insbesondere in der stalinistischen Zeit, eine üble Rolle spielte." Und so wird auch die deutsche Kriegsschuld am Zweiten Weltkrieg vorsichtig geleugnet. Die Gewerkschaften, einst führend im Kampf gegen die Notstandsgesetze und gegen die Bundeswehreinsätze im Innern -und Äußeren-, nehmen sich nur zögernd dieses Themas an. Peter Strutynski, der Sprecher des Friedensratschlages, hat zum 1. September den Aufruf des DGB zu diesem Antikriegstag und die Aktionen der gewerkschaftlichen Basis gewürdigt, zugleich aber ausgeführt: "Die Bundeswehr aus Afghanistan zurück zu holen, den Umbau der ursprünglich als reine Verteidigungsarmee konstruierten Bundeswehr in eine weltweit eingreiffähige Interventionsarmee zu stoppen, ´Abrüstung statt Sozialabbau´ zu fordern, die Pläne des Innenministers Schäuble zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu bekämpfen - all das sind Forderungen, die dem DGB auch heute gut zu Gesicht stehen würden."

    (Aus einem Vortrag bei einer Veranstaltung Ende September in Minden.)

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