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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 3 / Oktober 2007



Zehntausendfach in Tübingen:

nonpd und nojn - Nazis unerwünscht!

Jens Rüggeberg

Den größten Naziaufmarsch in Tübingen seit der Befreiung vom Faschismus sollte es am 21. Juli 2007 geben. Tatsächlich marschierten mehr als 200 Jungnazis unter dem Motto "Keine Freiräume für linksextreme Gewalttäter - nationale Freiräume erkämpfen", allerdings nur in unmittelbarer Bahnhofsnähe. Etwa 10.000 Bürgerinnen und Bürger protestierten dagegen. Angesichts dieser machtvollen Gegendemonstration hofft man in Tübingen, dass die Nazis nicht wiederkommen.

Am 3. Juli erhielten zahllose Bürgerinnen und Bürger, Einzelpersonen, Vereine und Initiativen, eine Email des neuen Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer: Die "Jungen Nationaldemokraten" hätten einen Aufmarsch angemeldet, er beabsichtige aber, ihn zu verbieten, und fordere alle Bürgerinnen und Bürger auf, gegen die Nazis mobil zu machen. Für den 6. Juli lud er zu einem Koordinationstreffen ein - das sehr gut besucht war; über 200 Tübinger/innen erschienen und machten phantasievolle Vorschläge für Gegenaktionen.
Die Tübinger VVN hatte bereits unmittelbar nach Bekanntwerden des Nazivorhabens eine Kundgebung für den 21. Juli vor der Stiftskirche angemeldet. Diesem Beispiel folgten viele andere Gruppen und Organisationen, so dass sich für den Tag Sternmärsche von den Stadtteilen, Kundgebungen, vielfältige Aktionen und ein Bürgerfest für Toleranz und gegen die Neonazis in der gesamten Altstadt abzeichneten. Und die IG Metall plante eine Kundgebung vor dem Bahnhof, genau dort, wo die Neonazis ihren Aufmarsch beginnen wollten.

Verbot der Stadt vor Gericht gescheitert
Den Antrag der Nazis - deren Versammlungsleiter sollte der JN-Landesvorsitzende Lars Gold werden - lehnte die Stadt ab und verbot die Versammlung. Begründung: Ein vielstündiger Naziaufmarsch kreuz und quer durch die Altstadt gefährde unmittelbar die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Gegen das Verbot rief die JN, was zu erwarten gewesen war, das Verwaltungsgericht in Sigmaringen an (Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der JN gegen die Verbotsverfügung der Stadt). Kurz vor dem 21. Juli stand das Ergebnis fest: Die Nazis durften auf dem Bahnhofsvorplatz demonstrieren und auf der sich anschließenden Europastraße auf einer Strecke von weniger als 500 Metern, während die Gewerkschaften den Platz gegenüber dem Bahnhof zugewiesen bekamen (Europaplatz).

Vielfalt statt Einfalt - internationales Bürgerfest
Der 21. Juli, ein Sonnabend, begann mit Sternmärschen aus den Stadtteilen und einer Auftaktkundgebung vor dem Rathaus. So voll hatte man den Marktplatz seit Menschengedenken nicht mehr gesehen. Etwa 3.000 bis 5.000 Menschen hörten dem Oberbürgermeister, der evangelischen Dekanin und einem Vertreter der Universität zu und applaudierten, als Boris Palmer und der Professor ein Verbot der NPD und ihrer Nebenorganisationen forderten. Im Anschluß daran zog die Menschenmenge, angeführt von einer Musikkapelle und VVN-Vertretern mit einem Transparent "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen", durch die Gassen der Altstadt zum Europaplatz. Währenddessen begann in allen Teilen der Altstadt das Bürgerfest. Die geplante Kundgebung der VVN vor der Stiftskirche war überflüssig geworden, denn entscheidend war nun unsere Anwesenheit vor dem Bahnhof. Und außerdem sollte ein VVN-Vertreter dort auf der Gewerkschaftskundgebung sprechen.

Nazis in Tübingen gestoppt
Als der Europaplatz sich gefüllt hatte, begann die Kundgebung mit einer Rede der ver.di-Landesvorsitzenden Leni Breymaier. Während sie sprach, trafen die Jungnazis auf dem Bahnhofsvorplatz ein; Sprechchöre ertönten: "Nazis raus!" Die Aufmerksamkeit aller galt den sich formierenden Nazis, nicht der Rednerin - zumal der "Funmog" der IG Metall, von dem aus sie sprach, an der dem Bahnhof entgegengesetzten Seite des Europaplatzes stand. Schließlich musste Leni ihre Rede abbrechen. Die Kundgebung war faktisch beendet, kaum nachdem sie begonnen hatte.
Zum Glück hatten einige antifaschistische Aktivisten einen weiteren Lautsprecherwagen mitten in den Brennpunkt des Geschehens gestellt. Von dort aus konnten ver.di- und VVN-Vertreter im Bündnis mit den Tübinger Abgeordneten der "Linken", Heike Hänsel und Tobias Pflüger, maßgeblich Einfluß auf das weitere Geschehen nehmen. Es gelang, durch Mobilisierung der anwesenden Bürgerinnen und Bürger so viel Druck aufzubauen, dass die Polizeikräfte die Marschroute der Nazis weiter verkürzten und sie nötigten, bereits kurz nach 15 Uhr Tübingen wieder zu verlassen. Die JN durfte also den örtlichen und zeitlichen Rahmen nicht ausschöpfen, den ihr das Gericht zugebilligt hatte. Bemerkenswert war, dass sich nahezu alle Anwesenden an den Sprechchören gegen die Neonazis beteiligten, obwohl sehr viele von ihnen schon lange nicht mehr oder noch nie (Jugendliche!) auf Demonstrationen gewesen waren. Über Lautsprecher wurde laufend über das aktuelle Geschehen informiert. Deshalb verließen auch die weiter hinten auf dem Platz Stehenden, die nicht sehen konnten, was vorne passierte, den Ort des Geschehens nicht.

NPD-Verbot Jetzt!
Inhaltlich konnten zwei wichtige Akzente gesetzt werden: Die Forderung nach einem NPD-Verbot erhielt lebhaften Beifall, ob sie nun vom Oberbürgermeister vor dem Rathaus oder von der VVN über den Lautsprecherwagen am Bahnhof erhoben wurde. Die große Resonanz, die die Forderung hatte, zeigte sich auch daran, wie viele Menschen den VVN-Aufruf "NPD-Verbot jetzt!" unterzeichneten. Und es gelang, das Augenmerk auf den rechtsextremen Tübinger Grabert-Verlag zu richten. Während überall in der Stadt und vor allem auf dem Europaplatz ein Faltblatt mit Hintergrundinfomationen zum Grabert-Verlag verteilt wurde, forderte der VVN-Redner die Stadt und den Gemeinderat auf, den Grabert-Verlag für unerwünscht in Tübingen zu erklären. Das Faltblatt hatten die Tübinger Geschichtswerkstatt und die Kreisvereinigung der VVN/BdA erarbeitet und in hoher Auflage drucken lassen; es stieß auf reges Interesse und fand reißenden Absatz.

Hechingen schert aus
Die Neonazis fuhren von Tübingen aus allerdings nicht nach Hause, sondern zu einer Spontandemonstration nach Hechingen, wo einer ihrer Gesinnungsgenossen kurz zuvor vor dem Amtsgericht verurteilt worden war. Die dortige Stadtverwaltung hatte signalisiert, dass sie die Spontandemonstration der JN nicht unterbinden werden würde. Den in Tübingen versammelten Polizeikräften - wohl etwa 1.400 Bereitschafts- und Bundespolizisten - war offenbar nicht verborgen geblieben, dass der VVN-Vertreter dazu aufgerufen hatte, nun auch in Hechingen gegen die Nazis zu demonstrieren. Am bekanntgegebenen Treffpunkt für die Abfahrt erschien nämlich überraschend eine - martialisch auftretende - "Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit" der Bundespolizei, was die Abfahrt der meisten Antifaschistinnen und Antifaschisten erheblich verzögerte. Das war wohl auch der eigentliche Zweck des überfallartigen Zugriffs. In Hechingen durften die Neonazis zwar eine kurze Kundgebung abhalten, aber nur auf dem Bahnhofsgelände, das zu verlassen ihnen nicht gestattet war. Als einige von ihnen es trotzdem versuchten, verhinderte das die Polizei - genauso wie sie verhinderte, dass die Nazis auf ihrer Rückfahrt in Tübingen den Zug verließen.
Zwar gelang es in Tübingen nicht, den Naziaufmarsch zu verhindern; er wurde vom Gericht zugelassen, und Blockadeversuche im Bahnhof und am Ende der Route der Nazis blieben weitgehend erfolglos. Auch gab es in der Linken Kritik daran, dass Oberbürgermeister Palmer anfangs gestattet worden war, über den Lautsprecherwagen am Europaplatz zu sprechen. Aber insgesamt zeigte der Verlauf des Tages, dass die Tübingerinnen und Tübinger nicht bereit sind, Naziaufmärsche in ihrer Stadt zu dulden. Es war ein Erfolg für Tübingen - und nicht nur für Boris Palmer, wie Teile der Presse meinten. Maître Pierre Kaldor aus Paris, inzwischen 95 Jahre alt, ein ehemaliger Widerstandskämpfer, Rechtsanwalt und langjähriger Aktivist gegen die Berufsverbote in Deutschland, der als junger Gaststudent 1931 (!) einen Naziaufmarsch in Tübingen gesehen hatte, konnte leider aus Termingründen einer Einladung der VVN nach Tübingen nicht Folge leisten, aber seine guten Wünsche begleiteten uns.



Zweierlei Bürgermeister:

Erfolg in Horb, Skandal in Freudenstadt

- so lautet das Fazit des 12. Mai 2007. "Junge Nationaldemokraten" und sogenannte "freie Kräfte" wollten an diesem Tag einen Aufmarsch in Horb durchführen. Bürgermeister Michael Theurer ging mit dieser Information frühzeitig an die Öffentlichkeit und regte die Durchführung eines Bürgerfestes gegen Nazis und für Toleranz an. Genauso machte es dann zwei Monate später sein Tübinger Amtskollege Boris Palmer. Organisiert von der Horber Bürgerinitiative gegen Rechts, deren Mitglieder von der WASG bis zum Oberbürgermeister reichen, wurden 1.000 Bürgerinnen und Bürger zu Demonstration, Kundgebung und Bürgerfest gegen die Neonazis mobilisiert.
Die Nazis entschlossen sich kurzfristig, nach Freudenstadt auszuweichen. Dabei dürfte nicht nur der sich machtvoll formierende Bürgerprotest gegen die Nazis eine Rolle gespielt haben, sondern auch der Umstand, dass OB Theurer ihnen nur eine Aufmarschroute von 600 Metern genehmigt hatte. OB Reicherter von Freudenstadt dagegen genehmigte den Nazis anstandslos eine Route quer durch die Stadt und hielt die Anmeldung zudem noch geheim, selbst gegenüber Horbs Michael Theurer. So konnte sich in Freudenstadt nur verhältnismäßig geringer Protest gegen die Nazis formieren. Denn dass die Nazis nach Freudenstadt ausweichen würden, wurde erst in der Nacht zum 12. Mai bekannt.
Schließlich standen in Freudenstadt maximal 300 bis 400 Gegendemonstranten etwa 150 bis 200 Nazis gegenüber. Spontan wurde der von der Kreisvereinigung Tübingen-Mössingen der VVN/BdA gecharterte Bus aus dem Raum Reutlingen/Tübingen nach Freudenstadt umgeleitet, und etliche AntifaschistInnnen, die eigentlich in Horb demonstrieren wollten, zogen weiter nach Freudenstadt. Ein Skandal war das Auftreten der Polizei in Freudenstadt, die den Nazis den Weg an einer Stelle sogar mit einem Knüppeleinsatz freiräumten und ansonsten die Nazis gewähren ließen, selbst als diese gegen Demonstrationsauflagen verstießen. Es kam auch zu mehreren kurzzeitigen Verhaftungen von AntifaschistInnen sowie einer stundenlangen Einkesselung von etwa 50 antifaschistischen Jugendlichen in der Nähe des Freudenstädter Bahnhofs.
Am 21. Juli veranstaltete die Horber Bürgerinitiative wieder eine antifaschistische Kundgebung, weil sie befürchtete, die Nazis würden an diesem Tag spontan von Tübingen nach Horb ausweichen - was sie dann aber nicht taten. Sie zogen weiter nach Hechingen (siehe den nebenstehenden Bericht). Deshalb war Horb auf der Tübinger Gegendemonstration nur durch eine kleine Abordnung vertreten, die aber mit viel Applaus empfangen wurde.

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