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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 3 / Oktober 2007



Hartnäckige Kämpferin gegen Faschismus - für Frieden und Solidarität

Gertrud Müller

Anne Rieger

Am 25. Mai 2007 ist Gertrud Müller im Alter von 91 Jahren gestorben. 76 Jahre lang hat sie sich mutig als streitbare Frau, als hartnäckige Kämpferin, eingemischt in alle politischen Auseinandersetzungen gegen Faschisten, für Frieden, Solidarität und demokratischen Fortschritt - immer an vorderster Front.

1992 lernte ich Gertrud beim Osterspaziergang vor dem Haupttor des Daimler Benz Konzerns in Stuttgart Möhringen persönlich kennen. Gertrud betonte in ihrer Rede die Verantwortung für Frieden und Menschlichkeit vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Ich "durfte" ihr das Mikrofon halten und war tief beeindruckt von der 77 jährigen Frau, die selbstbewusst unsere Antikriegsrede vor den Toren des transnational agierenden Konzerns hielt.
Nach diesem Tag erfuhr ich mehr von ihr: Gertrud wurde am 29. November 1915 in Stuttgart in einer Arbeiterfamilie geboren. Nach Beendigung der Volksschule bekam sie eine Stelle an der Städtischen Handelsschule - für eine Höhere Schule fehlte der Familie das Geld.
Schon als 17jährige wurde sie 1933 zum ersten mal verhaftet, weil sie dem kommunistischen Jugendverband angehörte; ein zweites Mal, weil sie ihrem Freund und späteren Mann ins Gefängnis schrieb, dass Hitler mit der Aufrüstung beginne. Als sie 1942 mit ihrem Mann und einem Freund versuchte, hungernden russischen Zwangsarbeiterinen heimlich etwas Essen über den Zaun zuzustecken, wurde sie von einem Wachposten erkannt und verraten. Die Nazis beschuldigten sie "staatsfeindlicher Aktivitäten und des Hochverrats". Es folgten endlose Gestapoverhöre, 13 Monate Einzelhaft im Gefängnis Bad Cannstatt, das "Arbeitserziehungslager" Rudersberg, schließlich das KZ Ravensbrück. Auf ihrer Lagerkarte stand: "Rückkehr unerwünscht". Ein Todesurteil. Der Solidarität der illegalen Lagerleitung verdankte sie ihre Verlegung ins KZ-Lager Geislingen. Sie wurde Blockälteste, später Küchenanweisungshäftling. Sie nutzte ihre Stellung, um das Leben der vorwiegend aus Ungarn verschleppten jüdischen Frauen ein wenig erträglicher zu machen und sie vor dem Hungertod zu bewahren.
Ihre Befreiung am 30. April 1945 erlebte sie im Lager Allach, einem Außenlager des KZ Dachau. Sie kehrte nach Stuttgart zurück und hatte das große Glück, ihre Eltern und ihren Mann, die alle bis zur Befreiung in Haft gesessen hatten, lebend wieder zutreffen.
Gertrud wurde wieder berufstätig, engagierte sich im Arbeitsausschuss Stuttgart-Feuerbach für Arme und Bedürftige, trat der KPD bei, arbeitete bei der KPD-Zeitung "Volksstimme", wurde Gründungsmitglied unserer Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. 1959 verlor sie wegen Betätigung für die inzwischen verbotene KPD ihren Arbeitsplatz.
In den Jahren 1960 und 61 gehörte Gertrud Müller zu den Mitbegründerinnen der Lagergemeinschaft Ravensbrück. Von 1979 bis 1997 war sie Vorsitzende und seitdem Ehrenvorsitzende der Lagergemeinschaft. Sie war Vizepräsidentin des Internationalen Ravensbrückkomitees und Redakteurin der Zeitschrift "Ravensbrücker Blätter". Für diese Arbeit war sie sehr häufig unterwegs.
Viele Jahre war sie Kreisvorsitzende der VVN Stuttgart, und Mitglied des Präsidiums der VVN und des Landesvorstands. Eine Landeskonferenz unserer Organisation ohne Gertrud war nicht denkbar. War sie in Stuttgart, fehlte sie bei keiner antifaschistischen und Friedensdemonstration und -kundgebung. In zahlreichen Vorträgen in Schulklassen, bei alternativen Stadtrundfahrten, Podiumsdiskussionen, in Volkshochschulen, Seminaren, bei Gewerkschaften und Kirchen, als Rednerin auf Kundgebungen und Demonstrationen warnte sie vor dem Wiedererstarken des Faschismus. "Schweigen und Vergessen wäre das schlimmste", betonte sie.
2000 Baden-Württemberger GewerkschafterInnen und AntifaschstInnen blieb ihre beeindruckende Rede auf der Kundgebung gegen den Bundesparteitag der "Reps" in Winnenden im November 2000 in Erinnerung:
"Zwischen uns hier und den Reps in der Winnender Stadthalle liegen nicht nur 150 Meter: Dazwischen liegt der Unterschied zwischen Moral und Unmoral, Menschlichkeit und Unmenschlichkeit, Anstand und Verkommenheit. Es ist der Unterschied zwischen Humanismus und Faschismus!"
Ich bin stolz darauf, dass eine so mutige Frau, mit Zivilcourage und Humor, Mitglied unserer Organisation und eine ihrer GründerInnen war. Widerstand zu leisten gegen Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit hat ihr Leben bestimmt. Wer mehr darüber wissen will, dem seien ihre Erinnerungen empfohlen: "Die erste Hälfte meines Lebens", herausgegeben von der Lagergemeinschaft Ravensbrück Freundeskreis. Zu beziehen bei der Druckwerkstatt Renchen, Weidenstraße 30, 77871 Renchen, für eine Schutzgebühr von 5 Euro.

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