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Nummer 3 / Oktober 2007



Erste Stolperstein-Verlegung in Mannheim:

Ein Geschenk für die Stadt

Elke Kammigan

Nach der Verlegung von 14 Stolpersteinen vor sechs Häusern der Stadt wurde die erste Verlegungsrunde in Mannheim am 7. Mai, vormittags zehn Uhr, mit einer beeindruckenden Feierstunde beendet. Neun Steine erinnern an jüdische Bürger, drei Opfer aus der Arbeiterbewegung und zwei Steine an Opfer des berüchtigten Mannheimer Sondergerichts.
Rolf Schönbrod, Vorsitzender des Ortsvereins Mannheims der Naturfreunde, konnte an der letzten Verlegungsstelle in R 2, 10, neben der jüdischen Synagoge, über 100 Anwesende begrüssen. Unter ihnen drei Bürgermeister, Landtagsabgeordnete, Vertreter/innen des Gemeinderats und verschiedener Organisationen, zahlreiche Schülerinnen und Schüler sowie Naturfreunde und andere Interessierte. Die musikalische Umrahmung hatte die Bläserklasse 7 b der Tulla - Realschule übernommen.
Schönbrod dankte den Organisationen und Gruppen, die seit zwei Jahren im Arbeitskreis "Stolpersteine für Mannheim" - initiiert von den Naturfreunden - aktiv mitgearbeitet haben: Arbeitskreis Justiz, DGB, Friedensplenum, Grüne, Gruppe Gurs-Projekt, jüdische Gemeinde, Jungsozialisten, Stadtjugendring sowie VVN - BdA. Besonders dankte er Vertretern des Stadtarchivs, die sowohl im Arbeitskreis als auch bei Recherchearbeiten wertvolle Unterstützung leisteten und leisten. Sein Dank richtete sich auch an die Stadtverwaltung, die das Projekt von Anfang an förderte. Den Schülerinnen und Schülern dankte er für ihr Engagement und ihre Recherche, die sie im Zusammenhang mit dieser Aktion und anderen geleistet hatten. Ebenso dankte er der Bläserklasse und den verschiedenen Paten für die Steine.
Kulturbürgermeister Dr. Kurz sagte in Vertretung des Oberbürgermeisters, das Projekt Stolpersteine komme dem Grundgedanken für die Erinnerungsarbeit der Stadt entgegen und habe seine volle Unterstützung. Es dürfe nicht vergessen werden, was Furchtbares geschah. Die "Aktion Stolpersteine für Mannheim" betrachte er als "Geschenk für die Stadt".
Höhepunkt der Feier waren die bewegenden Worte von Henny Dreifuss. Die 83jährige war aus Düsseldorf angereist und hatte die Patenschaft für die Stolpersteine vor ihrem Elternhaus in der Goethestraße 18 vor dem Nationaltheater übernommen. Sie erinnern an ihre Eltern Rosa und Eugen Dreifuss - ermordet in Auschwitz - sowie an ihren Bruder Bernard, ermordet in Majdanek. Schülerinnen der Integrierten Gesamtschule Herzogenried lasen zusammen mit ihrem Lehrer Szenen aus dem Leben der Familie Dreifuss. Sie waren das Ergebnis ihrer Recherche und ihrer Gespräche mit Henny Dreifuss.
Henny Dreifuss selbst sagte, sie habe im französischen Widerstand überlebt. In eindrucksvollen Worten erinnerte sie an den 22./23. Oktober 1940, dem Tag, an dem 2000 Mannheimer jüdischer Herkunft in einer Nacht- und Nebel - Aktion von Polizei und Wehrmacht mit einem Transport von über 6500 badischer und pfälzer Juden nach Gurs in den Pyrenäen deportiert wurden. In dem Lager herrschten Hunger, Kälte, Schmutz und Schlamm. Sie hatte Kinder in ein Heim nach Limoges gebracht, damit diese überlebten. Auch diese Kinder wurden von den Nazis aufgespürt und verschleppt. "Erinnern an die Nazizeit in Mannheim sei auch Erinnerung an den Widerstand der Arbeiterbewegung, an die vielen, die diesen Einsatz für ein anderes Deutschland mit ihrem Leben bezahlten." Es soll aber nicht nur an gestern, sondern auch an heute und morgen gedacht werden, dass Gerichte Naziaufmärsche immer wieder genehmigen, dass die NPD und andere Naziorganisationen Einfluss auf junge Menschen nehmen durch Musik und andere scheinheilige Angebote, sei ein Skandal. Henny Dreifuss: die Jugend müsse vor ihnen geschützt und die NPD endlich verboten werden, schloss sie ihre Worte unter dem Beifall der Anwesenden.
Als erstes wurden an diesem Morgen Stolpersteine für Josef Rutz und Otto Magin in der Traitteurstrasse sowie für Henriette Wagner in der Heinrich-Lanz-Strasse verlegt. Darauf wies Günter Bentzinger von der VVN-BdA bei dem Gedenken in der Goethestraße hin. Er sagte, der Kommunist Josef Rutz und sein parteiloser Freund Otto Magin hatten aktive Widerstandsarbeit geleistet, Zeitungen gedruckt und verteilt. Dafür seien sie 1936 zu Zuchthaus verurteilt und danach in die KZ`s Sachsenhausen und Dachau verschleppt worden.
Henriette Wagner, vor 1933 Stadtverordnete der KPD, hatte während der Nazi - Zeit verfolgten Antifaschisten Unterkunft gewährt und war als Mitglied der Lechleiter - Gruppe am 23. Februar 1943 in Stuttgart durch das Fallbeil hingerichtet worden. Ihr letzter Wunsch, noch einmal ihren Sohn zu sehen, der im Krieg war, sei ihr von den Nazis verwehrt worden. Die VVN-BdA war Patin für diese Stolpersteine, gespendet von Mitgliedern.
Die Projektgruppe Gurs hatte Recherchen zur Deportation Mannheimer Juden durchgeführt. Sie waren auf Zeitzeugen gestossen, hatten mit ihnen gesprochen. Für die jungen Menschen war das eine beeindruckende Erfahrung. Als einzige Überlebende lernten sie Amira Gezow kennen, die heute in Israel lebt. In Erinnerung und Mahnung für diese Familie wurden in F 2, 10 sechs Stolpersteine verlegt. Die DGB-Jugend stand für diese Steine Pate.
Der Arbeitskreis Justiz war Pate für Wilhelmine und Wilhelm Hartnagel in F 4,6. Sie waren mehrfach Opfer der Nazi - Justiz. Der Lagerarbeiter und die Strassenbahnschaffnerin wurden 1938 durch einen Entscheid des Erbgesundheitsgerichts zwangssterilisiert. Erst danach durften sie heiraten. Wilhelm Hartnagel wurde wegen angeblichen Diebstahls von sechs Flaschen Wein als "Volksschädling" wegen "psychopathischer Haltlosigkeit und moralischer Minderwertigkeit" zum Tode verurteilt. Seine Frau Wilhelmine bekam wegen "Beihilfe" vier Jahre Zuchthaus. Dies musste sie bis Ende 1946 absitzen. Erst 1998 wurde das Urteil gegen W. Hartnagel als NS-Unrecht aufgehoben.
Der Künstler Gunter Demnig, der die Aktion bundesweit 1993 angeregt hatte, hat seither über 11 000 Steine in 228 Städten verlegt. Er unterstrich sein Motto: "ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist."

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