VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 03.09.2007
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 2 / August 2007



Antifaschismus - Zukunftsentwurf für das 21. Jahrhundert

Anne Rieger, Landessprecherin VVN-Bund der Antifaschisten

Unsere Vision ist eine Welt, in der Frieden, gelebte Demokratie für alle Bürger eines Staates, soziale Absicherung für alle Menschen und der Erhalt der Natur Realität sind. Humanistische Einstellungen werden die vorherrschen Werte sein. In dieser Welt wird es keinen Raum geben für Egoismen wie Rassismus, Nationalismus, Standortlogik und überhebliches Großmachtdenken. Soziale Angst vor Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter sind überwunden. Unwissenheit und Gewalt gegen Fremde und Andersdenkende sind ausgemerzt. Vernichtungswaffen und militarisierte Außenpolitik gehören ebenso der Vergangenheit an wie staatliche Repression gegen Opponenten.

Der Weg in eine solche antifaschistische Gesellschaft ist noch sehr weit - davor verschließen wir die Augen nicht. Unser Zukunftstraum verstellt uns auch nicht die Sicht auf die heutige Realität. Vielmehr gibt er uns humanistische Kriterien an die Hand, nach denen wir die heutige Gesellschaft beurteilen und unsere nächste Schritte ableiten.

Rechtsentwicklung heute
Offensichtlich ist, dass die herrschende Politik heute nicht hin zu einer sozialen, antifaschistisch demokratisch friedlich strukturierten Gesellschaft führt, wie wir sie anstreben. Der Weg führt in die entgegen gesetzte Richtung zu einer undemokratischen und unsozialen Rechtsentwicklung, in eine in arm und reich tief gespaltene Gesellschaft mit militarisierter Außenpolitik. Eine militarisierte, repressionsdurchtränkte Innenpolitik wird schrittweise umgesetzt.

Neofaschismus
Die Funktion der Speerspitze der Rechtsentwicklung übernehmen Neofaschistische Parteien wie Reps, DVU, in den letzten Jahren aber in erster Linie die NPD mit ihrer Jugendorganisation JN sowie die so genannten Freien Kameradschaften und andere Organisationen wie die "Bewegung deutsche Volksgemeinschaft". Letztere hat in Hohenberg ein Medien- und Verlagshaus eingerichtet, in dem sich auch die Geschäftstelle des Landesverband der NPD Baden-Württemberg eingemietet hat. Mit faschistischen Konzerten und Hass-Cd's, die sie auf Schulhöfen verteilen, suchen Neofaschisten Einfluss unter SchülerInnen und Jugendlichen zu gewinnen. Mit Propaganda zu Wirtschafts- und Sozialthemen, mit sozialer Demagogie, versuchen sie verstärkt Anhänger aus der Mitte der Gesellschaft und den sozial marginalisierten Bereichen zu gewinnen. Soziale Ängste vor Einkommensverlust, Arbeitslosigkeit, Alter und Krankheit werden demagogisch zum Stimmenfang genutzt und gegen KollegInnen mit Migrationshintergrund gewendet. Hassgesänge in Fußballstadien gegen Menschen anderer Hautfarbe zeugen davon, dass der von ihnen propagierte Rassismus greift. Durch die Gründung einer eigenen NPD-Frauenorganisation, des "Ringes Nationaler Frauen" (RNF) wollen sie "verstärkt weibliche Mitglieder für die nationale Opposition" gewinnen.
Die Anzahl ihrer Aufmärsche in Baden-Württemberg haben die Neofaschisten von 2001 bis 2005 von zwei auf zwanzig verzehnfacht. 2006 wurden 35 Aufmärsche plus 5 Wahlkampfveranstaltungen der NPD durchgeführt. Schwäbisch Hall wurde mit 13 Aufmärschen von Nazis überzogen. Am 1. Mai 2006 versuchten Neonazis eine Kundgebung der Gewerkschaft in Gaggenau zu sprengen, 2004 mischten sie sich unerkannt mit einem demagogischen Transparent in eine Stuttgarter Großdemonstration der Gewerkschaft.

Demokratieabbau und Werteverschiebung
Während neofaschistische Aufmärsche in der Regel nicht verboten werden, und, oftmals gegen den Widerstand vieler BürgerInnen, von der Polizei mit Gewalt durchgesetzt werden, versucht die Bundesregierung, demokratische Demonstrationen wie gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm zu kriminalisieren und zu verbieten. Die Union plant die Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung, auf Brief- und Telekommunikationsgeheimnis und den Schutz des Privatlebens am liebsten bis zur Unkenntlichkeit aufzuweichen. Online-Durchsuchung von Computern, Rasterfahndung, bundesweite Fingerabdruckdatei, Großer Lauschangriff, mehr Rechte für Geheimdienste - die Wünsche des Innenminister das Grundgesetz auszuhöhlen, scheinen keine Grenzen mehr zu kennen.
Salonfähig gemacht für breitere - auch bildungsnahe - Kreise werden neofaschistische Ideologien in deutschnationalen Denkfabriken mit Scharnierfunktion zwischen Konservatismus und Neofaschismus wie beispielsweise dem Studienzentrum Weikersheim. Die Selbstverständlichkeit, mit der neofaschistische Ideologien im öffentlichen Leben als "normaler" Teil der Demokratie behandelt werden, zeigt sich darin, dass der amtierende Ministerpräsident Oettinger, in seiner Rede am Grab des faschistischen Marinerichter Filbinger, diesen als einen "Gegner des NS-Regimes" bezeichnen konnte, ohne das ein Aufschrei der Empörung durch die Trauergemeinde ging. Erst auf massiven öffentlichen Druck - auch aus seiner eigenen Partei - distanzierte sich Oettinger von dieser Formulierung, entschuldige sich bei den Opfern des Naziregimes und trat aus dem Studienzentrum Weikersheim aus.
Gleichzeitig wird zunehmend versucht, AntifaschstInnen wegen ihres Engagements zu verfolgen, zu kriminalisieren und zu bestrafen. Über mehre Jahre hinweg verurteilte die baden-württembergische Justiz AntifaschistInnen wegen des Tragens oder Zeigens des durchgestrichenen bzw. zerstörten Hakenkreuzes. Seit 2002 wird ein Realschullehrer wegen seines antifaschistischen Engagements mit Berufsverbot verfolgt. Immer wieder sehen sich Anmelder Innen und TeilnehmerInnen von antifaschistischen Demonstrationen den Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt.

Militarisierung der Politik
Im Schatten der sozialen, demokratischen, nationalistischen und rassistischen Auseinandersetzungen - und unter dem Deckmantel angeblich "friedensschaffender" Politik ist die Bundeswehr zu einer Angriffsarmee um- und aufgerüstet worden. Mit den neuen Feindbildern Islamismus und Terrorismus wird die Front erweitert für den Einsatz von Krieg und Gewalt. Die Drohung ist nicht mehr auf den Osten Europas gerichtet, sondern gilt nun weltweit. Die Speerspitze für Kampf- und Kriegseinsätze der Bundeswehr außerhalb des NATO-Verteidigungsgebietes, das Kommando-Spezialkräfte KSK ,ist in Calw stationiert und agiert in Afghanistan außerhalb jeglicher öffentlicher und parlamentarischer Kontrolle. Durch die in Afghanistan stationierten 6 Tornados der Bundeswehr ist Deutschland dort Kriegspartei geworden. 7600 Deutsche SoldatInnen stehen weltweit in 12 Ländern außerhalb Deutschlands. Der Einsatz der Bundeswehr im Innern wird geplant.

Sozialabbau
Fast völlig im Dunkeln bleiben die Verursacher des Lohn- und Sozialabbaus, der Menschen in die sozialdemagogischen Arme von Neofaschisten treibt. Großkonzerne, mit Heimatsitz in Deutschland, wie z.B. Siemens, Telekom, Daimler Chrysler oder Großbanken fahren gigantische Gewinne dadurch ein, dass sie in ihren Konzernen massenhaft Arbeitsplätze vernichten und bei den verbleibenden die Arbeitsstandards brutal absenken. Parallel dazu reißen die jeweiligen Regierungen den Sozialstaat ab. Mit der Begründung, es sei kein Geld da, wird das Renteneintrittsalter erhöht, die Gesundheitsversorgung verschlechtert und Studiengebühren erhoben. Milliardenkosten, wie die des Satellitennavigationssystems Galileo sollen durch öffentliche Steuergelder statt durch das Betreiberkonsortium, dem auch der Raumfahrtkonzern EASDS und die Deutsche Telekom angehören, finanziert werden
Der so genannte Zeitgeist oder Mainstream macht Asylbewerber, Ausländer, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, Rentner, Kranke, die so genannte Alterspyramide als Sündenböcke für leere öffentliche Kassen verantwortlich. Für die Massenarbeitslosigkeit werden die Gewerkschaften, die Betriebsbelegschaften, die Beschäftigten anderer Länder, die Umwelt- und Sozialgesetze als Sündenböcke ausgemacht.

Aktueller Antifaschismus
Die antifaschistische Gesellschaft steht nicht auf der Tagesordnung aber Alternativen zur aktuellen Politik sind gefragt. Der Abbau von demokratischen und sozialen Standards, die wir jahrzehntelang für selbstverständlich gehalten haben, bereiten immer stärker den Boden für eine inhumane, egoistische, rassistische und fremdenfeindliche Gesellschaft. In erster Linie gilt es, diese zu stoppen. Antifaschismus heute bedeutet also zuerst einmal, "Alles was sich gegen eine Wiederholung brauner Vergangenheit richtet" (Peter Gingold). Dazu muß alternatives Denken und Handeln entwickelt und durchgesetzt werden - gegen die verbreitete veröffentlichte und leider oft auch öffentliche Meinung.

Gegen Nationalismus und Standortlogik
Nationalistisches, rassistisches, fremdenfeindliches Denken und Handeln schwebt nicht nur über Stammtischen, findet sich nicht nur in Parolen, Flugblättern von Neofaschisten und in der den Gewalttaten jugendlicher Skins wieder.
Amtlicher oder staatlicher Nationalismus grenzt sechs Millionen Ausländer von der Teilhabe an demokratischen Wahlen aus, verlangt von 600 000 hier geborenen Kindern von hierher geholten sogenannten "Gastarbeitern", dass sie sich eine Aufenhaltsgenehmigung ausstellen lassen. Mit den verschärften Kontrollen an den EU-Außengrenzen mit der Grenzschutzagentur "Frontex" wehrt die EU Menschen, die vor Not und Verfolgung fliehen, den Zugang, stellt sie als Bedrohung dar und diffamiert sie als Kriminelle. Das Grundkriterium der Migrationspolitik lautet Abschottung. Die EU befestigt ihre Außengrenzen im Süden und Osten unter führender Anleitung von Deutschland und Italien. Das Mittelmeer wird mit militärischen Mitteln zu einer unüberwindlichen Barriere für Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen aus Afrika. Die europäischen Staaten, schützen sich damit vor den Konsequenzen der von ihnen vorangetriebenen kapitalistischen Globalisierung. Gemeinsam werden die Normen des internationalen Flüchtlingsschutzes weiter ausgehöhlt.
Die Standortdebatte der Unternehmer und ihrer Regierungen spielt vor dem Hintergrund der ökonomischen Weltmarktkonkurrenz Betriebsbelegschaften und Gewerkschaften gegeneinander aus. Transnationale Konzerne verdrängen ihre Konkurrenten vom Markt mit Produkten, die sie mit den kürzesten Entwicklungszeiten, den fortgeschrittensten Technologien, den niedrigsten Produktionskosten, dem verzweigtesten Vertriebssystem und den qualifiziertesten Arbeitskräften hergestellt haben. Aus Angst um die dadurch wegfallenden Arbeitsplätze werden Betriebsbelegschaften und Gewerkschaften von den Unternehmern dazu gebracht, sich mit bei Löhnen und Arbeitszeiten gegenseitig zu unterbieten. Beschäftigte in andern Ländern werden als Verursacher des Arbeitsplatzabbaus dargestellt. Der Weg von der Standortkonkurrenz der Belegschaften zum Nationalismus ist beinahe vorgezeichnet.

Optimismus ist möglich
Gegen den sogenannten Zeitgeist aufzutreten erfordert persönliche Zivilcourage, langen Atem, Widerstand und Immunität gegen Resignation, Arbeitsaufwand in der Freizeit und das Zusammenführen von Bündnissen. Hohe Anforderungen, die an uns AntifaschistInnen gestellt werden und keineswegs selbstverständlich zu erfüllen sind. Aber sowohl Schritte auf unserm Weg als auch das Erreichen des Ziels sind möglich.
Unser Optimismus speist sich
  • aus der Geschichte des Widerstands gegen den Faschismus und der Erfahrung unserer nun 60 Jahre alten Organisation, die Geschichte des Faschismus konnte auch nach 60 Jahren nicht zu den Akten gelegt werden;
  • aus Abwehrerfolgen wie die obergerichtliche Zurückweisung des Berufsverbots gegen einen Realschullehrer in Baden-Württemberg, die ebenfalls obergerichtliche Feststellung, das Antinazisymbole verfassungsgemäß sind, die starke öffentliche Kritik, unter die das Studienzentrum Weikersheim geraten ist, die für Unrecht erklärten Blockiererurteile;
  • aus der Breite des Widerstands, den unendlichen vielen Gruppen, Organisationen, Partei- und Gewerkschaftsmitgliedern und einzelnen Antifaschisten im Land, die gegen neofaschistische Aufmärsche, Veranstaltungen, Parteitage, Kaderschmieden und rechtskonservative Brückenköpfe zu Neofaschisten agieren und demonstrieren und dem großen Zuspruch, den unsere Kampagne "NPD-Verbot-Jetzt" in der demokratischen Öffentlichkeit erfährt;
  • aus den friedensbewegten Menschen, die über Jahre Widerstand gegen die Auslandseinsätze, Aufrüstung, und die Atombewaffnung der Bundeswehr leisten;
  • aus den Castor-Gegnern, die die Frage des Atomstroms und damit auch der Atombewaffnung in den Köpfen der Menschen wach halten;
  • aus den vielen jungen Menschen, die widerstehen, aktiv werden und nicht zugucken und jammern.
  • aus den vielen Menschen, die immer wieder auf die Straße gehen und öffentlich demonstrieren, wenn Gewalt und Feuer Menschen mit Migrationshintergrund bedroht.
Parteiübergreifendes Bündnis
Mit ihnen allen gemeinsam, gehen wir Schritte gegen die aktuelle Rechtsentwicklung, schon im Hinblick auf den Weg in eine antifaschistische Gesellschaft. Unsere Organisation spielt dabei eine wesentliche Rolle. Wir haben von den Menschen unmittelbar gelernt, die bereits Erfahrung im Kampf gegen den Faschismus gesammelt hatten und diese Erfahrung weitergeben haben. Sie haben aus dem Fehler gelernt, dass der Faschismus durch die Spaltung der Arbeiterbewegung an die Macht gebracht werden konnte und standen deswegen für ein breites Bündnis. Wir stehen für ein Generations- und Parteiübergreifendes Bündnis - wir stehen für langen Atem und Erfahrung und politische Breite gegen Neofaschismus.

Generationsübergreifende Erfahrung im Antifaschismus
Die Gründergeneration der VVN waren Frauen und Männer aus dem antifaschistischen Widerstand. Schon vor 1933 warnten sie vor Hitler und dem Krieg. In den Konzentrationslagern und Zuchthäusern widerstanden sie und es gelang ihnen inmitten der unmenschlichen Hölle solidarisches Handeln zu organisieren. Trotz der demokratisch tiefen Niederlage, dem barbarischen Völkermord und dem faschistischen Vernichtungskrieg verloren sie nicht die Kraft und den Mut gegen die Faschisten aufzutreten. Unter tausendmal schwierigeren Bedingungen, als wir sie heute vorfinden, haben sie den Mut nicht aufgegeben, nicht resigniert, sondern haben weiter gekämpft, Widerstand geleistet, sind beharrlich geblieben obwohl Tausende unter ihnen umgebracht wurden. Sie sind unsere Vorbilder.
Kaum war der Faschismus durch die Anti-Hitler Koalition beendet worden, schmiedeten sie 1947 das Bündnis der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und setzten weitere 60 Jahre, viele bis zu ihrem Tod, unermüdlich ihre Kraft in die Aufgabe alles zu tun, damit es nie wieder zu Faschismus in Deutschland komme. Verbotsantrag, Entzug der Gemeinnützigkeit, Kalter Krieg, sie ließen sich nicht entmutigen. Ihr langer Atem und ihre politische Geradlinigkeit bestärkt uns in unserer Arbeit.

60 Jahre VVN
Unser 60. Geburtstag bedeutet nicht dass unsere VVN-BdA alt oder gar überholt wäre. Wie keiner anderen antifaschistischen Organisation ist es uns gelungen, die Erfahrung, den Mut und langen Atem weiterzugeben, den Stafettenwechsel über mehre Generationen zu organisieren. Unsere jüngsten Mitglieder sind 16 Jahre alt, unsere ältesten 93. Vier Generationen in einer Organisation: das zeugt von unserer Kraft, auch von unserer Fähigkeit zu einem Generations- aber auch Parteiübergreifenden Bündnis.
Den langen - oben beschriebenen - Weg vom Antifaschismus heute zu unserer antifaschistischen Vision dieses Jahrhunderts zu gehen dazu bedarf es dieses breiten Partei- und Generatiosnübergreifenden Bündnisses, das sich gemeinsame Ziele setzt, des langen Atems, der Beharrlichkeit und der Fähigkeit, trotz scheinbar übermächtiger Gegner nicht in Resignation zu verfallen, immer wieder mit Mut den nächsten Schritt zu tun. Dafür stehen wir.
Der Blick nach vorn macht unsere Organisation attraktiv, der Blick zurück selbstbewußt. Unseren Optimismus und unseren langen Atem holen wir aus Geschichte und Gegenwart. Der Antifaschismus wird weiterleben.

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