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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 4 / Dezember 2006



Nazi Umtriebe und Gegenwehr im Rems-Murr-Kreis:

Eine Bewegung gegen Rechts formiert sich

Reinhard Hildebrandt / LV

"Wie aus einer rechten Demo eine Anti-Rechts-Kundgebung der bürgerlichen Mitte wurde: Eine erstaunliche Schorndorfer Geschichte" - so die Waiblinger Kreiszeitung in einer ganzseitigen Reportage zur Kundgebung "Schorndorf gegen rechts" am 18. November 2006 auf dem Bahnhofsvorplatz in Schorndorf.

Wir erinnern uns: Bereits Ende letzten Jahres beteiligte sich die VVN-BdA an der "antifaschistischen Kehrwoche", die über zunehmende Naziaktivitäten im Rems-Murr-Kreis informierte und zur Gegenwehr ermutigen sollte. Damals löste diese antifaschistische Aktivität nicht nur behördliches Misstrauen, sondern veritable Schickanen durch Gemeindeämter, Staatsanwaltschaft und Polizei aus. Für November meldete nun die "NBD" (Nationale Bewegung Deutschlands), in Schorndorf einen Aufmarsch an. Es handelt sich um eine Art Phantom-Organisation, die bis dahin keiner kannte. Ihr selbsternannter Bundesvorsitzender, der 25jährige Silvio Reinhold-Kruk, wohnhaft in Frankfurt am Main, Lange Straße 39, war der Anmelder, bisher aufgefallen durch sein menschenverachtendes Vokabular (Andersdenkende beschimpfte er als "geistig minderwertig") und in der rechten Szene "Klein-Adolf" genannt, da er einen Seitenscheitel und einen Schnauzer trägt.

Zunehmende Nazi-Übergriffe
Aufgeschreckt wurde die Bevölkerung schon zuvor durch die Kriminalstatistik Baden-Württemberg, nach der im Rems-Murr-Kreis die Zahl rechtsextremer Straftaten im vergangenen Jahr von 58 auf 77 Delikte angestiegen ist und 105 Rechtsextreme registriert sind, und durch die zunehmende Bedrohung. Im Herbst 2005 kam es allein in Unterweissach zu sieben rechtsextremen Straftaten, darunter zwei Brandanschläge mit Molotowcocktails auf ein Wohnhaus und das Asylbewerberheim. Übergriffe von Neonazis auf ausländisch aussehende Mitbürger und Antifaschisten nehmen ebenfalls zu. Am Abend des 23.10.2006 zogen in Schorndorf fünf Neonazis durch die Straßen, unter ihnen der Anmelder der rechten Demo, Reinhold Kruk. Sie schrien ausländerfeindliche Sprüche in ein Megafon und forderten auf einem Plakat den Einwanderungsstopp. Die Polizei ermittelt nun wegen Verdachts auf Volksverhetzung. Die Kneipe "Linde" in Schorndorf-Weiler ist zum Szenetreff der Rechten geworden. Die Polizei hat in einer Razzia Waffen, NPD-Propaganda-Material und diverse Fotos und Landkarten beschlagnahmt. Im Keller des Gebäudes fanden Schießübungen statt.

Breites Bündnis gegen Rechts
Die Stadt Schorndorf hatte den rechten Aufmarsch der NBV verboten, das Verwaltungsgericht bestätigte die Entscheidung.
Gegen die Naziaktivitäten formierte sich tatsächlich ein Bündnis gegen Rechtsaußen, das bis tief in die Mitte der Gesellschaft reicht. In Welzheim rief sogar der HGV-Chef zur Teilnahme auf. Björn Erath, Vorsitzender des Handels- und Gewerbevereins (HGV) schrieb: "Die Welzheimer Bevölkerung muss wach gerüttelt werden und den Mut haben, sich gegen die rechte Szene zu behaupten." Auch die FDP im Raum Schorndorf sprang über ihren Schatten: Auch wenn sie politisch einigen an der Kundgebung teilnehmenden Organisationen "nicht gerade nahe stehe", wolle die Partei "gegen jegliche rechte Agitatoren in Schorndorf und Umgebung" Position beziehen und rief ihre Mitglieder zum Mitmachen bei der Kundgebung "für Demokratie und Toleranz" auf. Rund 30 Organisationen riefen auf, die Kundgebung zu unterstützen, unter ihnen Bündnis 90/Die Grünen, SPD, Jusos, DKP, WASG, DGB, IG Metall und die VVN-BdA. So konnte Walter Burkhardt, der DGB-Ortsvorsitzende und Organisator der Veranstaltung rund 400 Menschen begrüßen, die friedlich gegen rechts demonstrierten, wie die Stuttgarter Zeitung berichtete. Die SPD Stadträtin Silke Olbrich rief über das Mikrofon: "Wir dürfen nicht den Rechten das Feld überlassen." Sie lobte, dass die Kundgebung nicht zuletzt dem Engagement vieler junger Leute zu verdanken ist und meinte damit die vorwiegend junge Menschen, Punks mit "Nix-Gut"-Shirts, u.v.a. die bereits im Oktober unterstützt auch von der VVN-BdA mit Unmit 300 Demonstranten durch Schorndorf gezogen waren, um gegen die Verurteilung des Geschäftsführers von "Nix-Gut" wegen der Verbreitung antifaschistischer Symbole zu protestieren.
"Ich ziehe den Hut vor diesen Jugendlichen, die nicht schweigen - wie so viele" sagte Silke Olbrich und rief: "Lasst uns gemeinsam für Demokratie und Menschenrechte kämpfen!" Und DGB-Ortsvorsitzender Walter Burkhardt erklärte zum Abschluss der Kundgebung: "Wir müssen unsere Aktivitäten fortsetzen." Denn die Neonazis hätten für den 16. Dezember schon wieder Demonstrationen in Schorndorf und Waiblingen angekündigt. Landessprecherin Anne Rieger hatte bereits bei der Demonstration am 14. Oktober 2006 betont, dass Nazis nicht willkommen sind und zur Solidarität mit dem Geschäftsführer von Nix-Gut, Jürgen Kamm aufgerufen. Anstatt junge Antifaschisten zu kriminalisieren, müsse die Justiz, gemäß dem Gebot des Grundgesetzes, die Agitation und Propaganda der Neonazis stoppen.



Göppingen:

Justiz und Polizei machten Weg für Nazis frei

Am Samstag, den 23. September führten die Jungen Nationaldemokraten (JN, Jugendorganisation der NPD) unter dem Motto "Integration kostet Millionen, ein Rückflug 19 Euro" einen Aufmarsch durch Göppingen durch. Etwa 120 Nazis beteiligten sich daran. Mehr als 1000 AntifaschistInnen versuchten den Aufmarsch zu verhindern und blockierten die Route mehrmals. Die Polizei, die nach eigenen Angaben mit 1200 Einsatzkräften vor Ort war, ging mit Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz, sowie mit Hunden gegen die AntifaschistInnen vor. Mehrere AntifaschistInnen wurden dabei verletzt und 26 festgenommen. Dennoch gelang es den Aufmarsch immer wieder zu verzögern und den Nazis jegliche Öffentlichkeit zu nehmen. Ein breites Aktionsbündnis wie auch die IG Metall, der DGB und die VVN-BdA hatten zu einer Gegenkundgebung aufgerufen. Allein diese Kundgebung auf dem Marktplatz wurde von ca. 1200 bis 1500 Teilnehmern besucht. Bei der Kundgebung sprachen sich neben Bernd Rattay, 1. Bevollmächtigter der IGM Göppingen - Geislingen auch Leni Breymeier, stellvertretende DGB Landesvorsitzende, Jugendvertreter von WMF in Geislingen und Allgaier, Uhingen auch der Oberbürgermeister Guido Till mehr gegen den faschistischen Aufmarsch aus, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung von Gegenaktivitäten. Eine beeindruckende Breakdance Show von "Incedible Syndicate" war der Schlusspunkt der Kundgebung, der sich dann das örtliche Programm unter anderem auf dem Schockenseegelände anschloss. Im Anschluss an die angemeldete Kundgebung war allerdings ein wachsender Teil der Bevölkerung auf den Beinen, um mit verschiedenen spontanen Aktivitäten ein Zeichen zu setzen gegen den menschenverachtenden Aufzug der NPD/JN. Dieser wurde denen bekanntlich vom Gericht genehmigt, obwohl die Stadt Göppingen diesen Aufmarsch zuerst verboten hatte. Die Stadt befand sich wie bereits vermutet, in einem regelrechten Ausnahmezustand: Ungefähr 1300 durchweg martialisch gekleidete Polizisten wurden aufgeboten. Ständige Provokationen der Polizei führten mehrfach zu unnötigen Eskalationen und Festnahmen, zum Teil weit auch nach Ende der spontanen Demonstrationen und Blockaden wurden hier offenbar Sündenböcke für eine spätere Verunglimpfung der Gegenaktivitäten gesucht. Bereits am Bahnhof wurde mit zwei Wasserwerfern deutlich, dass die Polizei bereit war, den Faschisten die Straße frei zu machen. Im weiteren Verlauf wurden die Faschisten zum Teil auf Schleichpfaden, zum Teil auf der angemeldeten Route durch Göppingen geschleust.
(Aus Kommunale Berichte Stuttgart)

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