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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 3 / August 2006



Krieg im Nahen Osten:

Die Waffen nieder!

attac
Auszüge aus einer Erklärung von attac Deutschland

Mit dem Krieg im Libanon verschärft sich der israelisch-arabische Konflikt dramatisch. Die Menschen in der Region sind unerträglichem Leiden ausgesetzt. Angst, Verzweiflung, Zynismus und Hass werden zunehmen. Die ganze Region wird weiter destabilisiert. Das Pulverfass des "Krisenbogens" von Afghanistan über den Iran, den Irak bis zum Mittelmeer kann jederzeit explodieren.
Die politischen Lösungsansätze der vergangenen Jahre - Camp David, Roadmap, das sog. Nahostquartett - liegen unter den Trümmern von Beirut. Für die PalästinenserInnen scheint die Lage hoffnungslos. Die Perspektivlosigkeit und das Elend der besetzten Gebiete sind sichtbarer Ausdruck für das völlige Versagen der sog. "internationalen Gemeinschaft." Mehr noch: nach dem Scheitern der Konferenz von Rom und den jüngsten Auseinandersetzungen im UN-Sicherheitsrat liegt auf der Hand, dass die dafür Verantwortlichen zur Eskalation der Gewalt beitragen. ...
Uns ist bewusst, dass die Geschichte dieses Konflikts im Terror des deutschen Faschismus eine ihrer wirkungsmächtigsten Ursachen hat.

Die Eskalation stoppen
Gewalt, Terror und Faustrecht bringen keine Lösung, sondern schaffen immer neue Probleme. Es ist höchste Zeit, aus der Logik von Rache und Vergeltung auszusteigen. Wer in dem Konflikt, der tagtäglich das Überleben der Menschen im Nahen Osten bedroht, auf Sieg statt auf Verständigung, auf einseitige Parteinahme statt auf Vermittlung setzt, bleibt in der Spirale der Gewalt gefangen. ... Wir sind überzeugt, dass die sofortige Unterbrechung der Gewalt die erste und unumgängliche Voraussetzung einer Lösung ist. Das erfordert den größten Mut. Mehr als ein Luftangriff oder ein Selbstmordattentat.

Israel missachtet Völkerrecht und Verhältnismäßigkeit
Mit ihrem Krieg gegen den Libanon bricht die israelische Regierung Völkerrecht. Mit der Bombardierung der Zivilbevölkerung, der gezielten Vertreibung der Menschen schiitischen Glaubens und der systematischen Zerstörung der Infrastruktur im Libanon und Gaza missachtet sie auf eklatante Weise das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. ...
Chancen für eine politische Lösung und eine Verständigung mit den arabischen Nachbarn werden damit völlig zunichte gemacht. Ein Leben in Sicherheit, das allein der Waffengewalt vertraut, ist auf Dauer ebenso unerträglich wie illusorisch - in Israel so wie überall.

Gewalt der Hisbollah kann nicht hingenommen werden
Aber auch die Gewalt der Hisbollah kann nicht hingenommen werden. Auch sie trifft gezielt ZivilistInnen, übrigens nicht nur in Israel. Sie ist Ausdruck eines religiösen Fundamentalismus, der zutiefst antiemanzipatorisch ist. Er richtet sich gegen alle, denen an einem friedlichen Zusammenleben und an gleichen Rechten für alle Menschen gelegen ist. Doch auch hier gilt: Ein Ende der Gewalt kann nicht durch einseitige Parteinahmen und schon gar nicht durch Dämonisierungen erreicht werden. Es gilt, jedem religiös aufgeladenen Rassismus entgegenzutreten - und denen, die dessen Gewalt direkt oder indirekt für sich funktionalisieren. Unter den gegebenen Umständen schließt das Verhandlungen allerdings nicht aus, sondern ausdrücklich und zwingend ein. Ohne solche Verhandlungen wird auch die eventuelle Entsendung einer UN-Friedenstruppe ihr Ziel nicht erreichen können. Die unumgängliche Einbeziehung der Hisbollah wie der sie deckenden Regime in solche Verhandlungen setzt allerdings voraus, dass die Gewalt auch von ihrer Seite eingestellt wird.

Imperiale Interessen der USA Die Bush-Administration gibt der Regierung Israels Flankenschutz. Allerdings nicht so sehr aus Verantwortung für die Menschen in Israel, sondern aus imperialem Eigeninteresse. Strategische Dominanz und der Zugriff auf die Ölressourcen in der Region sind zwar nicht die einzigen, wohl aber die leitenden Handlungsmotive der Supermacht.
Washington nimmt die Gewalt der Hisbollah zum Anlass, ihren "Krieg gegen den Terror" auszudehnen und den "Kampf der Kulturen" erst zu schaffen, gegen den er sich vorgeblich richtet. Mehr noch: das Denken in Schwarz-Weiß-Kategorien von Gut und Böse verbindet diese Regierung gerade mit der religiösfundamentalistischen Gewalt überall auf der Welt.

Die Bundesregierung hat einseitig Partei ergriffen
Die Bundesregierung äußert "Verständnis" für das israelische Vorgehen. Obwohl klar war, dass mit solcher "Terrorbekämpfung" die Menschen im Libanon wie in Israel zu Geiseln der Gewaltakteure auf beiden Seiten gemacht werden, wurde die humanitäre Katastrophe in Kauf genommen. Diese Haltung ist Teil der gesamtwestlichen Nahost-Politik, die - mit graduellen Unterschieden - einseitig zugunsten der israelischen Regie-rung Partei ergreift. Gleichzeitig ist sie Ausdruck für eine stärkere Ausrichtung der deutschen Außenpolitik an der imperialen Strategie der USA.

Die Gewalt der Globalisierung
Die religiösfundamentalistische Gewalt hat ihre Wurzeln in der langen und komplexen Geschichte des Konflikts. Der fünfzigjährige Krieg hat die säkularen Strukturen und ihre Glaubwürdigkeit fast vollständig zerstört. Doch ist solche Gewalt kein bloß nahöstliches Problem, sondern eine der Folgen des weltweiten Rollback gegen säkulare emanzipatorische Bewegungen und Perspektiven. Sie ist zugleich eine Konsequenz der neoliberalen Globalisierung selbst, des von ihr hervorgerufenen massenhaften Elends und der wachsenden Ausgrenzung von Millionen und Abermillionen. Immer mehr Menschen werden um jede soziale Perspektive, um ihre Rechte und sogar - gerade im Nahen Osten - um die Mittel eines Überlebens in Armut gebracht. Unter dem Druck der neoliberalen Verelendung und Entrechtung scheint vielen die Flucht in religiös aufgeladenen Nationalismus und Rassismus die letzte Möglichkeit politischer Selbstbehauptung zu sein. Diesem Irrtum verfallen übrigens nicht nur die "Verlierer" der Globalisierung und nicht nur Menschen islamischer Traditionen, sondern auch deren "Gewinner", die mehrheitlich christlichen Traditionen entstammen.

Existenzrechte
Die Anerkennung des Existenzrechts Israels, die Anerkennung des Rechts der PalästinenserInnen auf Selbstbestimmung und die gegenseitige Anerkennung des gleichen Rechts aller auf Sicherheit durch alle Konfliktparteien ist die politische Grundbedingung eines Friedensprozesses.

Von den Kriegsparteien fordern wir:
  • einen sofortigen Waffenstillstand,
  • die Respektierung von Völkerrecht und Menschenrechten,
  • den sofortigen Beginn von Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch.
    Von der Bundesregierung:
  • sich eindeutig und unmissverständlich zur Unverletzlichkeit der libanesischen Grenzen zu bekennen,
  • jegliche Rüstungslieferungen incl. atomwaffenfähiger U-Boote in die Region sofort zu stoppen,
  • Unterstützung einer "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Nahost" (KSZNO) bei der alle Konfliktparteien vertreten sein müssen, einschließlich der palästinensischen Autonomiebehörde, der Hisbollah, der libanesischen Regierung, Syrien und Iran. Ziel ist eine systematische Abrüstung und eine atomwaffenfreie Zone in Nahost,
  • ein humanitäres Sofortprogramm für die Verletzten, Obdachlosen und Flüchtlinge im Libanon.
    Attac Deutschland, 28. Juli 2006


    Erklärung der VVN-BdA:

    Waffenstillstand sofort - Keine deutschen Truppen nach Nahost

    Als deutsche Antifaschistinnen und Antifaschisten wenden wir uns mit Entschiedenheit gegen die regierungsoffizielle Erwägung, deutsche Soldaten nunmehr auch im Nahen Osten einzusetzen. Solche Erwägungen werden nicht annehmbarer, wenn sie in den Medien mit den Worten kommentiert werden, es sollte die Bundeswehr an der Seite Israels gegen die "Hisbollah" kämpfen.
    Die Verbrechen des deutschen Faschismus und der Holocaust sind schließlich eine wesentliche Ursache für die Entstehung des Konflikts überhaupt. Es ist deshalb geradezu zynisch, den Einsatz deutscher Soldaten dort mit der besonderen deutschen Verantwortung begründen zu wollen.
    Wir fordern, dass die Bundesregierung nicht militärische, sondern friedenspolitische Anstrengungen unternimmt, den Konflikt zu entschärfen, insbesondere durch die sofortige Einstellung aller Waffenlieferungen in die Region und durch nachdrückliche Einflussnahmen auf die politisch Verantwortlichen, die terroristische, militärische und strukturelle Gewalt zu beenden und sofort einen Waffenstillstand herzustellen.
    Die VVN-BdA tritt entschieden für das Existenzrecht des Staates Israel wie für das eines palästinensischen Staates ein. Sie verlangt die Verwirklichung der Nahost-Resolutionen und -Forderungen der Vereinten Nationen.
    Die VVN-BdA stellt fest:
    1. Die VVN-BdA wurde 1947 mitbegründet von jüdischen Holocaustüberlebenden. Sie ist stets gegen jeden Antisemitismus aufgetreten.
    2. In der Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Krieg im Nahen Osten verurteilt die VVN-BdA Terrorismus und Staatsterrorismus gleichermaßen.
    3. Sie ist solidarisch mit der israelischen und der palästinensischen Friedensbewegung. Eine kritiklose Hinnahme des Terrors von Hamas, Hisbollah u.ä. ist für die VVN-BdA ebenso undenkbar wie des Terrors der Regierung Olmert. Die VVN-BdA verurteilt die Eskalation des Krieges im Nahen Osten, wie sie von beiden Seiten betrieben wird.

    Prof. Dr. Heinrich Fink, Berlin, Vorsitzender der VVN-BdA

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