VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 01.06.2006
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 2 / Mai 2006



Zündel-Prozess in Mannheim

Netzwerk internationaler Holocaust Leugner

Reinhard Hildebrandt

Die neofaschistische Gruppe "Freie Nationalisten Rhein-Neckar" hatte für den 8. April einen bundesweiten Aufmarsch in Mannheim unter dem Motto "Schafft Meinungsfreiheit - Freiheit für Zündel, Rudolf, Verbeke und Irving" geplant. Es kam anders, wie unser Bericht auf Seite 5 zeigt.

Bei den von den Nazis genannten Personen handelt es sich um unverbesserliche Holocaustleugner, die derzeit alle in Haft sitzen. Die vier inhaftierten "Revisionisten" sind Teil eines internationalen Netzwerkes von Holocaustleugnern.
Ernst Zündel, der vor etwa einem Jahr von Kanada an Deutschland ausgeliefert wurde, pflegt seit den siebziger Jahren engen Kontakt zu Alt- und Neonazis und ist einer der aktivsten und aggressivsten Holocaustleugner. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Mannheim erhob am 19. Juli 2005 gegen ihn Anklage wegen systematischer Leugnung des nationalsozialistischen Völkermords an den Juden durch Verbreitung von Schriften und Internetangeboten sowie Volksverhetzung in 14 Fällen durch antisemitische Hetze.

Rechtsanwältin auf Nazi-Trip
Der erste Prozesstag fand am 8. November 2005 statt und endete mit einem Eklat, weil der vorsitzende Richter der Pflichtverteidigerin Sylvia Stolz das Mandat entzogen hatte, da sie sich in ihrer Verteidigungsschrift für Zündel möglicherweise selbst der Volksverhetzung strafbar gemacht habe. Der Prozess wurde ausgesetzt und im März 2006 erneut aufgenommen, wieder mit der Rechtsanwältin Stolz, diesmal als Wahlverteidigerin. Sie wurde zum zweiten Mal vom Prozess ausgeschlossen, sie habe "Erklärungen mit teilweise strafbarem nationalsozialistischen Inhalt abgegeben und in einer Rede an die Zuhörer im Gerichtssaal den Holocaust geleugnet" und wegen des Verdachts der Strafvereitelung und der Prozesssabotage. Ihre Verteidigungsschrift für Zündel im Mannheimer Prozess wird im Internet vom "Adelaide Institute" verbreitet. Sie fantasiert darin von einem Fortbestehen des Deutschen Reiches, greift das Grundgesetz an und bezeichnet den § 130 Strafgesetzbuch (StGB) als "Holocaustmaulkorb". Das "Adelaide Institute" in Australien gehört zum Netzwerk der Holocaustleugner und musste im Jahr 2000 eine Internetseite wegen Leugnung des Holocausts löschen, das war das erste Verbot einer Webseite in Australien. Leiter dieses revisionistischen Instituts ist Gerald Fredrick Toben; er hatte bereits in Deutschland sieben Monate wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener in Haft verbracht.

Chemiker mit Pseudo-Gutachten
Der Diplom-Chemiker Germar Rudolf wurde am 19. Oktober 2005 in den USA verhaftet und in die Bundesrepublik am 15. November abgeschoben, am Frankfurter Flughafen verhaftet und nach Baden-Württemberg in die Haftanstalt Stammheim bei Stuttgart gebracht. Er muss nun die 14-monatige Haftstrafe absitzen, wegen der er sich 1996 ins Ausland abgesetzt hatte. Angeklagt war er wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, verurteilt wurde er 1995 vom Landgericht Stuttgart. Rudolf verfasste 1991 ein "Gutachten über die Bildung und Nachweisbarkeit von Cyanidverbindungen in den Gaskammern von Auschwitz". Intention des Gutachtens war es, den systematischen Mord in den Gaskammern von Auschwitz mit vorgeblich wissenschaftlichen Methoden zu widerlegen. Es schloss wie folgt: "Das Gutachten kommt unwiderlegbar zu dem Schluss, dass die behaupteten Menschentötungs-Gaskammern von Auschwitz niemals mit Zyklon-B in Berührung gekommen sind". Germar tritt unter vielen Pseudonymen auf, publiziert umfassend in der neofaschistischen Szene und hat viele Kontakte zu alten und neuen Nazis.

Vom Vlaamsblock in die JVA
Siegfried Verbeke ist ein belgischer Neofaschist und Holocaustleugner. Verbeke wurde wiederholt wegen Holocaustleugnung in Büchern, Broschüren und auf Internetseiten verurteilt. Bis 1995 war Verbeke Mitglied der rechtsextremen flämischen Partei "Vlaams Blok". Das Amtsgericht in Mannheim verfügte im November 2004 einen Internationalen Haftbefehl gegen ihn aufgrund der Verbreitung holocaustleugnender Schriften durch die Stiftung "Vrij Historisch Onderzoek" (VHO). Die VHO wurde von Verbeke mit seinem Bruder Herbert gegründet. Im Sommer 2005 wurde Verbeke in Amsterdam auf dem Flughafen Schiphol von der niederländischen Polizei festgenommen und im Herbst an die Bundesrepublik ausgeliefert. Ihm wird Volksverhetzung (§ 130 StGB) zur Last gelegt. Die Eröffnung des Verfahrens steht noch aus. Verbeke sitzt in der JVA Heidelberg in Haft.

"Historiker" mit Wahrnehmungslücken
David Irving wurde am 20. Februar 2006 vom Wiener Landesgericht zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, da er bei Vorträgen in Österreich 1989 unter anderem die Existenz von Gaskammern in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern bestritten hatte. In Österreich wird nach dem NS-Verbotsgesetz geurteilt, das in einem Absatz das "Leugnen, gröbliche Verharmlosen, Gutheißen oder Rechtfertigen" des Völkermords unter Strafe stellt.

Wechselnde Rechtslage
Das Leugnen des Holocaust ist in Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Israel, Litauen, Österreich. Polen, der Republik Tschechien, Rumänien, Schweiz und der Slowakei strafbar. Diese Staaten gelten in den Augen der Neofaschisten als "Meinungsdiktatur". Mit ihrer Kampagne gegen den § 130 StGB (Volksverhetzung) marschieren sie ausgerechnet gegen jenen Paragrafen auf, der die Verharmlosung, Verherrlichung und Leugnung der Verbrechen des Nationalsozialismus unter Strafe stellt. Ein erster Versuch der "Freien Kameradschaften", gegen den § 130 StGB am 28. Januar 2006 zu protestieren, endete blamabel. In Stuttgart und Dortmund wurden die Aufmärsche durch den antifaschistischen Widerstand gestoppt und frühzeitig beendet. In Celle wurde der Naziaufmarsch vom Verwaltungsgericht unterbunden, die Nazis versäumten es, gegen das gerichtliche Verbot Beschwerde einzulegen. Eine Anmeldung in Lüneburg war jedoch erfolgreich, da das Bundesverfassungsgericht (BVG) letztinstanzlich entschied, dass von der "zeitlichen Nähe" zum Holocaustgedenktag und dem Motto gegen den Paragrafen 130 keine "provokative Wirkung" abgeleitet werden könne, die eine "Störung der öffentlichen Ordnung" bedinge.
Damit wurde die Praxis des BVG fortgesetzt, sämtliche Demonstrationsverbote für Neonazi-Aufmärsche letztinstanzlich aufzuheben. Darunter waren in der Vergangenheit auch Aufmärsche, die sich ganz offen in die NS-Tradition stellten, wie die Kundgebung auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, oder der NPD-Aufmarsch gegen den Synagogen-Neubau in Bochum. Das BVG schließt sich damit der Rechtsmeinung an, dass das Verbot der NSDAP und der Artikel 139 Grundgesetz heute keinerlei Auswirkungen mehr haben dürfe und bekennende Neonazis Anspruch haben, wie demokratische Gruppierungen oder Parteien behandelt zu werden. Wie wir schon in früheren Nummern unserer AntifaNachrichten ausführlich berichteten, wurde diese Rechtsauffassung maßgeblich geprägt durch den Rechtsprofessor und Grundgesetz-Kommentator Theodor Maunz, von dem nach seinem Tod bekannt wurde, dass er nebenbei heimlich als Berater von DVU-Chef Gerhard Frey tätig war und Artikel für die neofaschistische "Deutsche National Zeitung" schrieb.

Holocaustleugner e.V.
Mit dem geplanten Aufmarsch in Mannheim versuchten die Neofaschisten einen zweiten Anlauf. Sie geben sich als Opfer einer politisch motivierten Justiz aus. Ihre Strategie ist das Aussäen von Zweifeln, im Gerichtssaal, in den Medien. Sie treten als Verteidiger der Meinungsfreiheit auf. In Wahrheit geht es ihnen um etwas anderes, um eine "Ehrenrettung" des Nationalsozialismus, um die Befreiung des Faschismus von seinen beiden schwersten Verbrechen: der Verantwortung und Schuld am Zweiten Weltkrieg und an der Vernichtung der europäischen Juden. Unterstützt werden sie vom "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV). Dieser Verein wurde am 9. 11. 2003 in Vlotho (Deutschland) gegründet. Die Liste der Gründer des VRBHV liest sich wie ein Who's who der internationalen Holocaustleugner und Neonaziszene: Robert Faurisson (französischer Holocaustleugner), Germar Rudolf, Jürgen Graf (Schweizer Holocaustleugner), Wilhelm Stäglich (Verfasser des Buches "Der Auschwitzmythos"), G.F. Toben (Holocaustleugner und Direktor des revisionistischen "Adelaide Institute" in Australien), Manfred Röder (laut Gericht "unbelehrbarer politischer Überzeugungstäter, dessen nationalsozialistische Gesinnung die Quelle für weitere Straftaten bildet"), Frank Rennicke (neonazistischer Liedermacher), Anneliese Remer (Witwe des verstorbenen Holocaustleugners Otto Ernst Remer). In diesem Verein bündeln sich die Aktivitäten der Holocaustleugner, besonders im Zusammenhang mit Strafprozessen.
Besonders aktiv dabei ist der Neofaschist Horst Mahler. Ihm geht es um die "Wiederaufnahme von Strafprozessen, die zur Verurteilung wegen Leugnung bzw. Verharmlosung des Holocausts gemäß § 130 StGB geführt haben". Das Ziel ist, die historische Realität des Holocaust aus der Welt zu schaffen. Die Wesensverwandtschaft von Vorstellungen des VRBHV und islamistischen Fundamentalisten dokumentiert ein Brief von Horst Mahler vom Dezember 2005 an den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad: "Der ‚Holocaust' hat niemals stattgefunden. Er ist die größte Lüge in der Geschichte … Die Deutschen müssen die gefälschte Geschichte des Holocaust bekämpfen, um ihr Land zu erhalten", schreibt er. Mahler versucht sich so für einen internationalen Holocaust-Leugner-Kongress zu empfehlen, den der iranische Journalistenverband zu organisieren versucht. Der Versuch, mit einem ähnlichen Kongress in einem islamischen Staat weltweit Aufmerksamkeit zu erringen, scheiterte vor fünf Jahren in Beirut an dem Gegendruck der internationalen Staatenwelt.

Mehr als bloßer Wahnsinn
UNO-Generalsekretär Kofi Annan nannte am ersten internationalen Holocaust-Gedenktag, am 27. Januar 2006, die Werke der Holocaust-Leugner "Werke von Verblendeten".
Deborah Lipstadt veröffentlichte 1994 eines der ersten Standardwerke zur Holocaustleugnung. ("Betrifft: Leugnen des Holocaust"). Der britische Holocaustleugner David Irving führte vor sechs Jahren einen Prozess gegen sie, weil er in ihrem Buch als Holocaust-Leugner, Hitler-Verehrer und Geschichtsfälscher bezeichnet wurde. David Irving verlor den Prozess, ihm wurde nachgewiesen, dass seine Quellen für die Aussagen in seinen Werken in jedem Fall eine Fälschung, Verzerrung oder Erfindung - ein Lügennetz - waren. Zur weiteren Information zum Thema ist das neuste Heft (Nr. 99, März/April 2006) der antifaschistischen Zeitschrift "Der Rechte Rand" zu empfehlen ("Schwerpunkt: Holocaust-Leugnung"). Es genügt nicht, den Geschichtsrevisionismus, das Leugnen des Holocaust, als ganz normalen Wahnsinn zu ignorieren. In einem Deutschland, in dem Nazis straffrei "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" brüllen können - geschützt von deutschen Polizisten und Juristen, als ob es das Grundgesetz mit seinem antifaschistischen Auftrag nicht gäbe, in einem Land, in dem Organisationen von AntifaschistInnen und NS-Verfolgten bespitzelt und antifaschistisches Handeln verfolgt und kriminalisiert wird, ist Wachsamkeit geboten und Widerstand erforderlich.

Nachahmenswert:

Inhaltliche Verbotsbegründung in Mannheim

Nach der derzeitigen Sach- und Rechtslage ist aufgrund des Gesamtgepräges der geplanten Versammlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Begehung von Straftaten (Volksverhetzung, Beleidigung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener) zu befürchten. Darüber hinaus ist nach den erkennbaren Umständen auch die öffentliche Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet. Nach den herrschenden Wertvorstellungen der Gemeinschaft ist die Ablehnung des Nationalsozialismus, der im Widerspruch zur Wertordnung des Grundgesetzes steht, unverzichtbar für ein gedeihliches geordnetes staatsbürgerliches Zusammenleben. Durch die geplante Veranstaltung sollen nach Auffassung der Versammlungsbehörde die Ansichten der vier Revisionisten Zündel, Verbeke, Irving und Rudolf unterstützt werden; es soll aktiv in Richtung Revisionismus mobilisiert werden. Die Stadt Mannheim ist der Auffassung, dass durch die Versammlung ein unmittelbarer Angriff auf die durch § 130 Strafgesetzbuch geschützte Würde der Opfer des nationalsozialistischen Unrechtregimes vorliegt.
Zielsetzung der Versammlung ist es nicht, für die Meinungsfreiheit einzutreten. Vielmehr soll die Forderung nach Meinungsfreiheit lediglich als Deckmantel für die Verbreitung revisionistischer Ansichten dienen. (aus Pressemitteilung der Stadt Mannheim vom 1.3.06)

... führt zu anderem Urteil des BVG

Das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe (BverfG) hat heute den Eilantrag der rechtsextremen "Freien Nationalisten Rhein-Neckar" abgelehnt. Das höchste Gericht stützt damit die Einschätzung, dass bei der geplanten Demonstration in die Gefahr besteht, dass Straftaten begangen werden. (aus Presserklärung vom 6.4.)



VVN-Logo www.vvn-bda-bawue.de © 1997 - 2006 www.josef-kaiser.eu