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Nummer 2 / Mai 2006



Landtagswahlen in Baden-Württemberg und anderswo

Nazis mussten draußen bleiben

Elke Günther

Am Tag danach titelte die Stuttgarter Zeitung: "Großartiger Wahlerfolg für Günther Oettinger". Die Partei des amtierenden Ministerpräsidenten hatte bei den Landtagswahlen am 26. März 2006 44,2 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen können und damit die absolute Mehrheit knapp verfehlt. Was Oettinger knapp verfehlte, schaffte die "Partei" der Nichtwähler locker: Sie erreichte aus dem Stand 46,6 Prozent. Nur 53,4 Prozent der Wahlberechtigten haben einen Wahlzettel ausgefüllt. Der Wahlsieger CDU wurde also gerade mal von 23,26 Prozent der Wahlberechtigen gewählt. "Großartige Wahlerfolge" sehen anders aus.

Die hohe Wahlenthaltung, die bei allen drei gleichzeitig stattgefundenen Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz (58,5 Prozent) und Sachsen-Anhalt (unter 45 Prozent) zu beobachten war, deutet nicht nur auf ein Nachlassen der Bindekraft der "Großparteien", sondern insgesamt auf eine Erosion des parlamentarischen Systems hin. Immer mehr Menschen erscheint eine Beteiligung an Wahlen angesichts der jenseits demokratischer Einflussmöglichkeiten in EU-Gremien getroffenen angeblich unverrückbaren Entscheidungen, die die Lebensumstände der Menschen betreffen und grundlegend verändern zunehmend sinnlos. "Wozu wählen? Die machen ja doch was sie wollen" scheint das Motto vor allem jüngerer Menschen zu sein. Von den unter 30-Jährigen hat sich nur noch knapp ein Drittel an den Landtagswahlen beteiligt. Zu der massiven Wahlenthaltung beitragen hat aber sicher auch der profillos vor sich hin plätschernde Wahlkampf. Wo sollte eine thematische Zuspitzung angesichts des offensiv zur Schau getragenen innigen Verhältnisses zwischen den Hauptakteuren der Großkoalition auch herkommen, zumal die geplanten asozialen "Reformvorhaben" bis nach den Landtagswahlen vertagt wurden.

"Arbeiterpartei" CDU
Die Wählerinnen und Wähler in Baden-Württemberg haben vor allem die SPD abgestraft. Die Sozialdemokraten erreichten nur 25,2 Prozent (-8,1 Prozent gegenüber 2001) und damit ihr zweitschlechtestes Ergebnis in Baden-Württemberg überhaupt. Zwar lag SPD-Spitzenkandidatin Ute Vogt bei den "Sympathiewerten" 30 Punkte vor Oettinger. Doch Oettinger überflügelte Vogt bei weitem im Bereich der sogenannten "Wirtschaftskompetenz". Auf die ominöse "Wirtschaftskompetenz" der CDU hoffen im Musterländle auch Arbeiter und Arbeitslose. Arbeiter wählten zu 37 Prozent CDU, Arbeitslose gaben der Union sogar zu 40% ihre Stimme. Die vormalige "Arbeiterpartei" SPD kam bei den Arbeitern auf 30 Prozent, bei den Arbeitslosen auf 31 Prozent. Die SPD verlor 175 000 ihrer WählerInnen an die Nichtwähler. 181 000 an Grüne und WASG und 38 000 an die CDU. Die Union gab ihrerseits 77 000 an die Nichtwähler, 63 000 an die FDP und 25 000 an die Grünen ab.
In allen drei gleichzeitig in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz stattgefundenen Landtagswahlen verloren die Großkoalitionäre SPD und CDU insgesamt rund eine Million Stimmen. In Baden-Württemberg allein waren es 500 000 weniger als bei den Landtagswahlen 2001. Zu den prozentualen Wahlgewinnern gehören die FDP, die 2,6 Prozent dazu gewann und die Grünen, die sogar 4 Prozent gegenüber 2001 gut machen konnten.

Respektables Ergebnis für die Wahlalternative
Die WASG, die erstmals in Baden-Württemberg antrat (die PDS hat bei Landtagswahlen nicht kandidiert) erreichte insgesamt 3,1 Prozent. Ein durchaus respektables Ergebnis, auch wenn es unter dem von der Linkspartei bei der Bundestagswahl in Baden-Württemberg erreichten 3,9 Prozent liegt. In Orten, in denen WASG einen kämpferischen Wahlkampf mit bekannten und anerkannten KandidatInnen führte, erreichte sie durchaus beeindruckende Ergebnisse: Aalen 6,8 Prozent, Mannheim 6,9 Prozent, Freiburg 6,9 Prozent. In Heidelberg kam sie auf 4,3 Prozent, in Karlsruhe erreichte sie 4,1 Prozent und in Schussenried kam sie auf 4,1 Prozent. In der Landeshauptstadt liegt ihr bestes Ergebnis bei 3,7 Prozent.

Abschneiden der Neonazis
Zu den erfreulichen Aspekten aller drei Landtagswahlen gehört, dass Neonazis und Ultrarechten nirgendwo der Einzug in die Landtage gelang. In Sachsen-Anhalt, wo sich die von der NPD unterstützte DVU des Münchner Millionärs Frey Chancen auf einen Wiedereinzug in den Landtag ausrechnete, kam sie auf 3 Prozent. Trotz der von München aus gesteuerten und mit immensen Kosten verbundenen Materialschlacht verfehlte die DVU damit klar ihr Ziel. Zum Teil mag das auch daran gelegen haben, dass die Kandidaten der Nazipartei während des gesamten Wahlkampfes aus vermutlich guten Gründen durch Abwesenheit glänzten. Auch konnten sich die vorherrschenden und Wahlkampfunterstützenden Kameradschaftsstrukturen nur sehr langsam für die DVU-Kandidaten erwärmen. Der desaströse Eindruck, den die 2002 aus dem Landtag von Sachsen-Anhalt ausgeschiedene aus Kleinkriminellen und geistig Minderbemittelten bestehende DVU-Riege nach vier Jahren "Parlamentsarbeit" hinterlassen hat, mag ebenfalls zum deutlichen Scheitern beigetragen haben. Allerdings: Grund zur Entwarnung gibt es für Sachsen-Anhalt nicht. In einer Erklärung der Initiative Zivilcourage Halle heißt es: "Auch wenn jetzt alle aufatmen und feststellen, dass die demokratischen Parteien das Problem DVU gelöst haben, sprechen die Zahlen über Opfer rechter Gewalt eine andere Sprache. Allein in den neuen Bundesländern wurden 2005 insgesamt 614 rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten, davon 170 in Sachsen-Anhalt registriert. Pömmelte, Köthen und Halberstadt stehen in diesem Jahr für Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz in Sachsen-Anhalt."
In Baden-Württemberg kam die NPD, die in 52 von insgesamt 70 Wahlkreisen antrat, auf 0,7% der Wählerstimmen. Dies bedeutet eine Steigerung von 0,5 % gegenüber 2001. NPD-Landeschef Jürgen Schützinger erklärte, die NPD habe ihr Ergebnis "wesentlich verbessern" können. Ein "Erfolgstrend" zeichne sich ab. Mag sein, dass Schützinger dabei durch die braune Brille des Wahlergebnisses in Villingen-Schwenningen blickte, wo er seit vielen Jahren für die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" im Gemeinderat sitzt. In Schützingers Heimatgemeinde kam die NPD auf 3,8 Prozent. Der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt zeichnete ein eher realistisches Bild: Er sprach von "typischen Westergebnissen, wenn auch auf höherem Niveau als noch vor zwei Jahren denkbar". Daß die Erwartungen nicht erfüllt worden seien, führte er auf "mangelnde kommunale Verankerung vor Ort und fehlende Direktkandidaten" zurück. Konkret geht es dabei auch um parteiinterne Auseinandersetzungen um den abgesetzten früheren NPD-Vorsitzenden Günter Deckert, der in Baden-Württemberg noch immer über eine nicht unbeträchtliche Anhängerschaft verfügt, die erfolgreich Bemühungen der Parteispitze um eine flächendeckendere Kandidatur der Nazipartei sabotiert hat.
In Rheinland-Pfalz kam die NPD auf 1,2 Prozent und damit in den Genuß von Wahlkampfkostenerstattung (ab 1 %).Bei den gleichzeitig in Hessen stattfindenden Kommunalwahlen gelang der NPD der Einzug in den Frankfurter Stadtrat (1,4%). Im hessischen Wölfsheim erzielte die Nazipartei mit 10,2 Prozent ihr bestes Wahlergebnis, gefolgt von der Stadt Leun mit 8,3 Prozent.
Die "Republikaner" (REP), die bis 2001 mit fast 10 Prozent im Landtag von Baden-Württemberg saßen, kamen in ihrem "Stammland" auf 2,5 Prozent, gegenüber dem Ergebnis von 2001 (4,4%) ein Minus von 1,9 Prozent. Der Abwärtstrend für die mit dem rechten Rand der CDU kompatible "Soft-Variante" des Neofaschismus, für die die Rep stehen setzte sich auch in Rheinland-Pfalz fort. Dort erreichten die Rep 1,7 Prozent.
Der (noch) Rep-Vorsitzende Rolf Schlierer machte als Grund für den deutlich sichtbar gewordenen Niedergang seiner Partei die "totale Medienblockade" aus, die verhindert habe, dass die Rep-Positionen richtig rüberkommen. Einen Beitritt zum "Deutschlandpakt" von NPD und DVU schloß er aus. Der wird aber weiterhin von der Parteibasis praktiziert werden, was den Zerfallsprozess der Reps beschleunigen dürfte.

"Der Marsch in die Mitte des Volkes"
Unter dieser Überschrift analysiert der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen W. Gansel die künftigen Wahlchancen seiner Partei. "Ein Gespenst geht um in Deutschland… Das Gespenst, das trotz noch bescheidener Wahlerfolge tiefe Unruhe auslöst, ist ein moderner Nationalismus, der unaufhaltsam in die Mitte der Gesellschaft einsickert. Dieser Nationalismus hat das Sektiererhafte und Bürgerschreckhafte früherer Zeit weit hinter sich gelassen und dockt erfolgreich an die Alltagsrealität der Menschen an. … Und das nicht etwa, weil er sich inhaltlich entradikalisiert und dem System angepasst hätte, sondern weil sich die Mehrheit der Deutschen radikalisiert und dem System entfremdet. … Allem Anschein nach muß die nationale Opposition erst das Tal grassierender Wahlverweigerung passieren, bis sich der gerechte Volkszorn in der Wahlkabine austobt und national gesinnte Deutsche so wählen, wie sie auch denken… Das gesellschaftliche Klima wandelt sich, die Koordinaten verschieben sich. Mitteldeutschland ist das Treibhaus dieser Entwicklung, die mit einer gewissen Verspätung auch den Westen erreichen wird."
Der Neonazi Gansel kann sich mit solchen Prognosen u. a. auf den renommierten Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer von der Uni Bielefeld berufen, der in einer Langzeitstudie "Deutsche Zustände" ein "dramatisches" Anwachsen nationalistischer Einstellungen festgestellt hat. So stimmen laut Heitmeyer 36 Prozent der Befragten der NPD-Forderung zu: "Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die in Deutschland lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken". 2002 waren es noch 27 Prozent gewesen. 61 Prozent sind der Meinung, dass in Deutschland zu viele Ausländer leben. Im Jahr 2002 waren noch 55 Prozent dieser Meinung. Die von den Unionsparteien mit allseitiger Unterstützung der Meanstream-Medien vorangetriebenen "Leitkultur" und "Patriotismusdebatten" werden solche Einstellungen verstärken und verfestigen. In dieselbe Richtung wirkt die aktuell aufgepuschte Mär vom allseits gewaltbereiten und "integrationsunwilligen" ausländischen Jugendlichen.

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