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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 1 / Januar 2006



Gertrud Müller feierte ihren 90. Geburtstag:

Eine hartnäckige Kämpferin gegen Faschismus - für Frieden und Solidarität

Elke Günter

Am 29. November 2005 konnte die Stuttgarter Widerstandskämpferin Gertrud Müller im Kreis ihrer Angehörigen, FreundInnen, KameradInnen, und GenossInnen im gemütlicher Runde bei ausgezeichnetem Essen und gutem Wein, ihren 90. Geburtstag feiern.

Die zahlreich erschienen politischen WeggefährtInnen der Lagergemeinschaft Ravensbrück/ Freundeskreis, der VVN-BdA, der DKP, der Friedensinitiative Feuerbach würdigten in ihren Redebeiträgen den aufrechten Gang, den lebenslangen und überaus facettenreichen Widerstand der Jubilarin.
VVN-BdA Landessprecherin Anne Rieger, die den Reigen der GratulantInnen eröffnete, bezeichnete die Mitbegründerin der VVN Gertrud Müller, als mutige streitbare Frau, als hartnäckige Kämpferin, die sich seit 75 Jahren in die politischen Auseinandersetzungen eingemischt hat und gegen die Faschisten immer an vorderster Front stand, die mit ihrer Zivilcourage und Entschlossenheit anderen Mut gemacht und Alternativen aufgezeigt hat - meist im völligen Gegensatz zur herrschenden Meinung. "Nichts hat dich von deiner antifaschistischen Überzeugung und antifaschistischem Handeln abbringen können - nicht die drei Verhaftungen durch die Faschisten, nicht die 13 Monate Einzelhaft im Gefängnis Bad Cannstatt, nicht die brutalen Menschenschinder und Menschenschinderinnen in den Konzentrationslagern Rudersberg und Ravensbrück. Und auch nicht die erneute Verhaftung 1947 durch die Spruchkammer, die damit der Anklage durch einen Nazi folgte. Auch nicht die Zeit im Internierungslager in Ludwigsburg." Gertrud Müller habe durch ihr Handeln anderen ein Beispiel gegeben, selbst nein zu sagen, wenn Neofaschisten heute wieder aufmarschieren. "Wir haben immer im Bewusstsein, unter wie viel schwierigeren Situationen als wir heute, ihr damals Widerstand geleistet habt - und trotzdem nicht aufgegeben habt. Das hilft uns heute gegen die Resignation, die uns manchmal überfallen will und macht uns Mut" sagte Anne Rieger. Wenn Demokraten, Gewerkschafter, Antifaschisten gemeinsam Aufmärsche von Neonazis verhindern, so spiegele sich das mutige Vorbild, das Gertrud Müller gegeben habe, wieder. Die Landessprecherin überreichte Gertrud Müller am Schluß ihrer Rede als kleines Dankeschön für jahrzehntelanges aufopferungsvolles Engagement ein Geschenk der VVN-BdA: Einen Hausanzug aus burgunderrotem Samt. Die jungen Frauen von Ravensbrück hatten sich in den grausamen Zeiten im Konzentrationslager vorgenommen, nach dem Untergang der Nazis elegante Kleidung zu kaufen. Rosel Vadehra-Jonas, die Vorsitzende der Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis ging in ihrer Rede auf die herausragende Rolle ein, die Gertrud Müller, die selbst lange Jahre Vorsitzende war, in der Lagergemeinschaft gespielt hat. "Die Gemeinschaft, in der sich Häftlinge unterschiedlicher Opfergruppen zuammengefunden hatten, wurden von ihr wesentlich geprägt. Gertrud setzte für die zukünftige Entwicklung der Lagergemeinschaft Maßstäbe: Unter ihrer Leitung schlossen sich 1992 die Lagergemeinschaften Ravensbrück aus der früheren DDR und der Bundesrepublik zusammen. Die Gründung der Lagergemeinschaft Ravensbrück/ Freundeskreis stellte sicher, dass die Arbeit im Sinne der Häftlinge weiter geführt werden kann." Sie habe Gertrud Müller als "engagierte willenstarke Frau kennen gelernt, die auch in schwierigen Situationen zu ihrer Meinung steht". Rosel Vadehra-Jonas berichtete von Gertrud Müllers entschlossenem Einsatz für die KZ-Gedenkstätte Ravensbrück, als durch das Lager hindurch eine Straße gebaut werden sollte. "Gertrud hat erklärt, wenn die die Straße bauen wollen, dann lege ich mich vor den Bagger." Es gelang, die Straße zu verhindern. Die Lagergemeinschaft musste sich dann gegen den Bau eines Supermarktes bei der Gedenkstätte wehren. Auch dieses Vorhaben konnte verhindert werden. Für die DKP Baden-Württemberg sprach Dieter Keller. Gertrud Müller war bereits als 15-jährige Mitglied im Kommunistischen Jugendverband (KJVD) geworden und ist ihr Leben lang, allen Anfeindungen, Gefahren und Niederlagen zum Trotz, Kommunistin geblieben. Dieter Keller erinnerte u. a. an das entschiedene Friedensengagement Gertrud Müllers. Sie hatte 1984 gemeinsam mit anderen ehemaligen KZ-Häftlingen die Zufahrt zum Raketendepot Mutlangen blockiert und musste sich dafür vor dem Amtsgericht Schwäbisch Gmünd verantworten. Gertrud Müller nutzte den vollbesetzten Gerichtssaal als Podium für eine großartige Verteidigungsrede, in der sie Richter und Staatsanwalt und mit ihrem Lebensmotto konfrontierte: "Nie wieder Faschismus - nie wieder Krieg". Dieter Keller schilderte Gertrud Müller als überzeugende, temperamentvolle Rednerin auf zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen, der es immer wieder gelang, ihre Zuhörer in ihren Bann zu ziehen. Der Vertreter der Gemeinde Fürstenberg ging in seiner Gratulationsrede ebenfalls auf die erfolgreiche Verhinderung des Straßenbauwerks und des Supermarktes ein. Er berichtete aber auch von einer anderen Begegnung: Gertrud Müller sei zu ihm gekommen und habe erklärt: Ich möchte ein Haus, und zwar das ehemalige Wohnhaus der SS. Gertrud Müller habe allen Widerständen zum Trotz nicht locker gelassen, bis das Haus schließlich von der Lagergemeinschaft Ravensbrück als Begegnungsstätte in Besitz genommen werden konnte.
Gertrud Müller erzählt in dem im Herbst vergangenen Jahres erschienenen, von der Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis herausgegebenen Buch "Die erste Hälfte" ihres Lebens. "Erinnerungen 1915 - 1950". Es bleibt zu wünschen, dass Gertrud Müller die Kraft findet, auch noch die zweite Hälfte ihres Lebens zu erzählen.

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