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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 4 / Oktober 2005



Offener Brief gegen Berufsverbote:

Frau Schavan, Sie bieten nicht die Gewähr, jederzeit für Menschenrechte einzutreten!

von Walter Keim

In den zurückliegenden Ausgaben der Antifa Nachrichten haben wir mehrfach über den Berufsverbotefall Michael Csaszkóczy berichtet. Unserem Mitglied war die Übernahme ins Beamtenverhältnis wegen seines antifaschistischen Engagements bei der "Antifaschistischen Initiative Heidelberg" (AIHD) verweigert worden. Inzwischen wurde dem Realschullehrer auch in Hessen die Ausübung seines Berufs verwehrt. Michael Csaszkóczy hatte sich auf eine an der Martin-Buber-Schule im südhessischen Heppenheim ausgeschriebene Stelle beworben und war auch angenommen worden. Kurz vor Ende der Sommerferien wurde die Schulleitung vom Schulamt angewiesen, den Einstellungsvertrag auf keinen Fall zu unterschreiben. Trotz Proteste des Personalrats und des Schulleiters der Martin-Buber-Schule blieb das Schulamt bei seiner Position und berief sich dabei auf eine kurzfristige Intervention des Innenministeriums. Damit setzen sowohl die CDU-Landesregierungen in Baden-Württemberg wie auch in Hessen auf eine Wiederbelebung der Berufsverbotepraxis.
Der norwegische Hochschullehrer Walter Keim, hat sich in einem offenen Brief an Kultusministerin Schavan gewandt. Dieser Brief verdient es bekannt zu werden:


Sehr geehrte Frau Kultusministerin Schavan,
aus zahlreichen Presseberichten entnehme ich, dass Sie gegen einen Teilnehmer der Antikriegsbewegung und in antifaschistischen Gruppen ein Berufsverbot ausgesprochen haben, weil er "nicht die Gewähr dafür biete, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten." Der Verfassungsschutz hat mehr als 10 Jahre Informationen über ihn und seine politische Arbeit gesammelt. Ergebnis ist die unbestrittene Information, dass er Mitglied einer verfassungskonformen, also gemäß Art. 9 GG nicht verbotenen, Initiative ist, die unter anderem gegen ausländerfeindliche und neonazistische Bestrebungen aktiv ist.

Mangelnde europäische Verantwortung
Deutschland wurde im Berufsverbotsfall Vogt gegen Deutschland wegen Verletzung der Menschenrechte der Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt.
Auch der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Luzius Wildhaber, hat die Bundesregierung und das Bundesverfassungsgericht kritisiert. Die Tatsache, dass Entscheidungen des europäischen Gerichtshofes häufig als nicht bindend für deutsche Gerichte betrachtet würden, zeuge von mangelndem europäischen Verantwortungsbewusstsein. Deutschland verstößt gegen Artikel 46 der Europäischen Menschenrechtskonvention, d. h. die Verpflichtung der Vertragsparteien Urteile zu befolgen.

Formulierung von den Nazis
Die Formulierung "die Gewähr dafür bieten, jederzeit für ..." einzutreten, stammt aus § 4 des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 23. Juni 1933, beschlossen von der Reichsregierung, aufgrund des Ermächtigungsgesetzes. Der Grundsatz, dass ein Beamter "die Gewähr dafür bieten muss, sich jederzeit" das heißt Zweifel selber ausräumen muss, stammt aus der Nazidiktatur und ist auch heute noch einmalig in Europa.

Widerspruch zum Landtagsbeschluss
Das ist auch im Gegensatz zum Landtag von Baden-Württemberg, der in seiner 88. Plenarsitzung am 18.5.2000 (Drucksache 12/5112 lfd.Nr. 25) folgende Beschlussempfehlung angenommen hat: "Die Landesregierung wird ersucht, alle vom so genannten Radikalenerlass Betroffenen nach Einzelfallprüfung in den Landesdienst aufzunehmen, soweit diese aktuell einen Antrag auf Aufnahme stellen. In die Einzelfallprüfung werden auch die zum Zeitpunkt der Entfernung aus dem Dienst bzw. der Nichteinstellung gültigen Kriterien im Rahmen des rechtlich Möglichen einbezogen."

Informationsfreiheit statt Berufsverbot
Beim Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung (Informationsfreiheit) ist Baden--Württemberg, zusammen mit anderen von der CDU/CSU regierten Ländern das Schlusslicht in Europa und der zivilisierten Welt: Nachdem Serbien am 2.11.04 [und der Bund] ein Informationsfreiheitsgesetz beschlossen hat ist Deutschland [in CDU/CSU regierten Bundesländern] das einzige größere Land in der EU, Europas, der OSZE, der OECD sowie aller entwickelten zivilisierten Länder ohne gesetzliche oder verfassungsrechtlich verankerte Informationsfreiheit.
Verletzungen von Menschenrechten bei Berufsverboten, Informationsfreiheit sind nicht die einzigen Verletzungen von Menschenrechten in Deutschland dokumentiert durch zahlreiche Verurteilungen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Widerspruch zu Grundsätzen der EU
Diese Politik ist auch im Gegensatz zum Plan der EU Kommission KOM (2002) 247 in Europa einen "Raums der Freiheit" einschließlich einer Garantie des Respekts der Menschenrechte zu schaffen.
Artikel 6 (1) des VERTRAGS ÜBER DIE EUROPÄISCHE UNION lautet:
Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.
Deutschland ist laut Artikel 23 GG verpflichtet bezüglich "vergleichbaren Grundrechtsschutz" bei der EU mitzuarbeiten.

Sie bieten nicht Gewähr…
Weder Sie, noch die Landesregierung noch die Mehrheit des Landtages respektieren Artikel 19 des Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte d. h. sie bieten nicht die Gewähr dafür, sich jederzeit für die Menschenrechte einzusetzen und stehen nicht auf dem Boden des VERTRAGS ÜBER DIE EUROPÄISCHE UNION, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AMRE) Artikel 19, des IPbürgR Artikel 19 und der Charta der Grundrechte der EU Artikel 42. Da nach Artikel 1 (2) GG das "Bekenntnis zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten die Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit" ist, gehe ich davon aus, dass Sie dieses Berufsverbot zurücknehmen.

Mit freundlichen Grüssen,
Walter Keim

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