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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 3 / Juli 2005



Personelle Kontinuitäten:

Nazis im Außenamt

von Heiner Lichtenstein

Das Auswärtige Amt war in den Holocaust verstrickt. Eine Kommission soll jetzt die bisher nicht aufgearbeitete Rolle des Ministeriums in der NS-Zeit untersuchen.

Als das "Internationale Kriegsverbrechertribunal" in Nürnberg Ende 1946 die Urteile gegen Spitzenfunktionäre des NS-Staates verkündete, staunten viele Beobachter darüber, dass auch Außenminister Joachim von Ribbtentrop zum Tode verurteilt wurde. Ihnen war offenbar entgangen, dass sein Ministerium mitverantwortlich für die Shoa war. Sollten aus mit dem NS-Staat verbündeten Staaten Juden deportiert werden, musste das Auswärtige Amt (AA) gefragt werden und zustimmen. Gab es Widerstände, setzte das Berliner AA die betreffende Regierung unter Druck, doch noch zuzustimmen.
Im Außenministerium gab es deshalb einen Verbindungsoffizier zum Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, und dem Chef des Judenreferates im Reichssicherheitshauptamt, Adolf Eichmann. Es war der Legationsrat 1. Klasse, SS-Standartenführer (Oberst) Horst Wagner. Er musste sich darum kümmern, dass nirgendwo jemand versuchte, die Juden zu schützen - etwa in Italien. Die Regierung in Rom war zwar faschistisch, die Ausrottungspolitik des NS-Staates machte sie aber nicht mit. So protestierte sie im Frühjahr 1943 gegen die geplante Verschleppung der großen jüdischen Gemeinde in Saloniki. Wagner schaltete sich ein und schlug am 18 Mai 1943 seinen Vorgesetzten vor, "den Italienern zu antworten, dass sich aus der Erkenntnis über die Schädlichkeit des Judentums die unverzügliche Ausmerzung aller Juden in den von uns besetzten Gebieten aus sicherheitspolitischen und abwehrmäßigen Gründen als unumgänglich erwiesen habe." Rom gab sich geschlagen. Das bedeutete für 43 850 Mitglieder der jüdischen Gemeinde den Tod im Gas von Auschwitz.
Wagner hat vor dem Internationalen Tribunal in Nürnberg als Zeuge ausgesagt. Danach wollte die bayerische Polizei in (angeblich) verhaften. Doch Wagner gelang die Flucht - zuerst nach Argentinien. Später kehrte er nach Europa zurück und ließ sich als Peter Ludwig in Rom als Korrespondent südamerikanischer Zeitungen nieder. Im März 1953 wurde "Peter Ludwig" in Rom verhaftet. Bonn verlangte seine Auslieferung, weil Wagner im Verdacht stand, an NS-Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Rom lehnte ab. Bei solchen Verbrechen handele es sich um politische, nicht aber um kriminelle Taten. Das Auswärtige Amt in Bonn hatte schlampig gearbeitet. Das Auslieferungsbegehren musste abschlägig beschieden werden, weil das Ministerium nicht überzeugend argumentiert hatte, warum der Völkermord in höchstem Maße kriminell war.
1956 kehrte Wagner unter seinem richtigen Namen in die Bundesrepublik zurück - in der Überzeugung, ihm werde nichts geschehen. Doch er wurde zu Hause in Essen festgenommen. Die Anklage führte allerdings zu nichts. Wagner wurde immer wieder krank und die Strafkammer in Essen ließ sich an der Nase herumführen. Über die Anklage ist die Hauptverhandlung nicht hinausgekommen. Wie in anderen NS-Prozessen war mit der Verlesung der Anklage in diesem Fall die Rolle des AA beim Holocaust geklärt. Sogar Nebenkläger Robert Kempner sagte resigniert: "Gewisse Angeklagte sind eben stärker als die Justiz."

Zweiter Anlauf
Das Auswärtige Amt hat sich seitdem, soweit bekannt, nicht mehr um seine Rolle in der NS-Zeit gekümmert. Das soll sich jetzt ändern nachdem Bundesaußenminister Fischer die Praxis der Nachrufe neu geregelt und angekündigt hat, eine Kommission werde die NS-Zeit des Auswärtigen Amtes untersuchen. Dabei dürfte es nicht zuletzt auf die personellen Kontinuitäten im Außenministerium der Bundesrepublik Deutschland ankommen. Niels Hansen, von 1981 bis 1985 deutscher Botschafter in Israel, ist zwar überzeugt, dass das Auswärtige Amt sich intensiv mit seiner NS-Vergangenheit beschäftigt hat, wie er im April in der "Jüdischen Allgemeinen" schrieb. Dieser Auffassung stehen aber Vorfälle gegenüber, die zu erheblichen Zweifeln Anlass geben.
Einer der erfolgreichsten deutschen Staatsanwälte war der hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Ohne hin wäre es vermutlich nie zu den großen Auschwitzprozessen in Frankfurt am Main gekommen. Bauer war es auch, der Adolf Eichmann gefunden hat. Eichmann hatte sich bei Kriegsende wie viele andere hohe NS-Funktionäre nach Argentinien abgesetzt. Dort hatte ihn Bauer aufgespürt. Der deutsche Staatsbürger Fritz unterrichtete allerdings aus guten Gründen nicht die Bundesregierung, da Justiz oder das Außenministerium. Dort waren nach seiner Überzeugung zu viele Beamte aus der NS-Zeit untergekommen. Außerdem kannte er die Praxis der Rechtsschutzstelle im Auswärtigen Amt, die alle belasteten Deutschen im Ausland warnte, wenn Gefahr im Verzug war. Fritz Bauer informierte vielmehr den israelischen Geheimdienst, der 1960 Eichmann heimlich aus Argentinien nach Israel brachte. Dort begann im April 1961 der Prozess gegen ihn, der mit dem Todesurteil endete.
Von den FDP-Politikern und früheren Bundesaußenministern Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher eine gründliche Überprüfung des Auswärtigen Amtes zu erwarten, war unrealistisch. Schließlich hatten sie selbst der Nazipartei angehört. Der Leipziger Historiker Norbert Frei hat am 1 April 2005 im "Deutschlandfunk" darauf hingewiesen, dass die SPD-Bundestagsfraktion schon im Oktober 1951 beantragt hat, einen Untersuchungsausschuss damit zu beauftragen, "die Frage der Personalkontinutität und des Einflusses von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern in dem Auswärtigen Amt" zu klären. Der Antrag wurde allerdings von der Mehrheit im Parlament abgelehnt. Diese "Geheimniskrämerei", so Frei, dauere offenbar bis heute an. Die nun beschlossene Auftarbeitung darf jedoch nicht mit der Befreiung im Mai enden. Die Kommission muß versuchen herauszubekommen, wer nach Gründung der Bundesrepublik die Fäden gezogen hat und warum.

(aus Blick nach rechts)

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