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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 3 / Juli 2005



60. Jahrestag der Befreiung:

Gemeinsam für Solidarität, Gerechtigkeit, Frieden!

von Elke Günther

An vielen Orten Baden-Württembergs erinnerten Friedensbewegung und AntifaschistInnen an den 50. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg. In Stuttgart hatten Friedensnetz, Ver.di, die VVN-Bund der Antifaschisten, und zahlreiche weitere Organisationen sowie Einzelpersönlichkeiten zu einer Kundgebung und Demonstration unter dem Motto: "Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! Gemeinsam für Solidarität, Gerechtigkeit, Frieden!" aufgerufen.

Leider sorgten Regengüsse und ein heftiger Wind dafür, daß die Zahl der KundgebungsteilnehmerInnen am Mahnmal für die Opfer des Faschismus in der Stuttgarter Innenstadt recht überschaubar blieb. Rund 300 DemonstrantInnen trotzten den Witterungsunbilden. Immerhin half die Gruppe "Blueskraft" dabei, ein bischen der erforderlichen Festtagsstimmung zum Tag der Befreiung aufkommen zu lassen.
Der Münchner Antifaschist Martin Löwenberg, der im KZ Auschwitz zahlreiche Angehörige verloren hat und selbst das KZ Flossenbürg durchleiden mußte, weil er versucht hatte, Zwangsarbeitern Brotmarken zuzustecken, stellte die Vorstellungen und Träume der befreiten Antifaschisten von einer demokratischen Gesellschaft ins Zentrum seiner Rede. "Angesichts der Vernichtung und Verwüstung, des millionenfachen Todes und der Not hatte ich in meiner damaligen Naivität geglaubt: Jetzt kann und darf es nur noch den ewigen Weltfrieden geben!" sagte Martin Löwenberg. Die Visionen der Nazigegner für einen demokratischen Neuaufbau hätten damals in "vier Des" bestanden: "Demokratisierung aller Bereiche des öffentlichen Lebens, Denazifizierung, Zerschlagung des Nazismus mit seinen Wurzeln, Demonopolisierung, also Entflechtung der großen Unternehmen als eine Wurzel des Faschismus und Demokratisierung, und zwar aller Bereiche der Gesellschaft". Der antifaschistische Konsens beinhaltete aber nicht nur Forderungen für eine Neugestaltung Deutschlands, auch das Zusammenleben der Völker und Staaten sollte auf eine neue, friedliche Basis gestellt werden: Der Krieg sollte für immer aus dem Leben der Völker verbannt werden. Doch dann war alles schnell ganz anders gekommen. Mit der Wiederaufrüstung Westdeutschlands fand auch die Wiedereinsetzung alter, belasteter Nazis im Staatsapparat, und zwar auf allen Ebenen statt: "Ehemalige Hitleroffiziere erstellten Angriffspläne gegen die UdSSR. Westdeutschland sollte zur Speerspitze gegen den Osten aufgerüstet werden" stellte der Redner fest. "Rückblickend muß ich leider sagen: Die Visionen, die Orientierung der Überlebenden der nazistischen Barbarei auf ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland, sind in seinen Kernaussagen bis heute nicht erfült worden." Unter großem Beifall rief der 78-jährige Antifaschist und engagierte Friedenskämpfer Martin Löwenberg die jüngeren Generationen dazu auf, dafür zu sorgen, daß aus der Bundesrepublik ein dauerhaft humanes antifaschistisches Gemeinwesen wird, in dem Nazismus, Militarismus, Rassismus und Nationalismus kein Raum mehr gegeben wird.

Abrüstung statt Sozialabbau
Als nächste Rednerin kam die ver.di-Landesvorsitzende Gitta Süß-Slania zu Wort. Die Gewerkschafterin verurteilte die von der Bundesregierung betriebene rigorose Sozialabbaupolitik, als Wahlkampfhilfe für Neonazis.
VVN-BdA Bundes- und Landessprecher Werner Pfennig betonte, der 8. Mai 1945 sei ein Tag der Freude für die ganze Welt gewesen. Es reiche aber auch nicht, der Befreiung nur "in schönen Worten zu gedenken". Notwendig sei vielmehr eine Politik, die die Konsequenzen aus dem Gedenken und den historischen Erfahrungen zieht und eine Wiederholung des 30. Januar 1933 unmöglich macht. Davon aber sei man in der Bundesrepublik weit entfernt. "Mehr als 120 Menschen sind in den letzten Jahren von Neofaschisten getötet worden. Kaum ein Wochenende vergeht, ohne Aufmärsche der NPD und ihnen verbundenen sogenannten freien Kameradschaften" stellte Werner Pfennig fest. Während die Sorge der Behörden zumeist nur dem ordnungsgemäßgen Ablauf des Naziaufmarsches gelte, würden Menschen, die die antifaschistische Verpflichtung des Grundgesetzes ernst nehmen und gegen die Naziumtriebe protestierten oft kriminalisiert, beklagte Werner Pfennig. Der Redner forderte dagegen eine Politik, die an den Wurzeln der Ausländerfeindlichkeit ansetzt. "Wer Neofaschismus, Rassismus und Militarisierung wirklich bekämpfen will, darf ihnen keine Nahrung geben, muß ihre Wurzeln beseitigen muß Demokratie stärken und ausbauen, darf sie nicht einschränken" Er rief dazu auf, jetzt die Friedensfrage stärker mit der sozialen Fragen zu verbinden. "Denn mit dem Geld, das für Rüstung und Kriege ausgegeben wird, könnten Sozialstaaten geschaffen werden, die diesen Namen wirklich verdienen."
Unter den Klängen eines Liedes aus der Mauthausen-Kantate legten Gitta Süß-Slania und Werner Pfennig Blumen zum Gedenken an die Opfer von Faschismus und Militarismus am Mahnmal nieder.
Als letzter Redner sprach der Europaabgeordnete und entschiedene Gegner der EU-Verfassung Tobias Pflüger. Er kritisierte die zum 60. Jahrestag des 8. Mai 1945 mit großer Mehrheit angenommene Entschließung des Europäischen Parlaments, in der die geschichtsrevisionistische Gleichsetzung von Nazideutschland und der Sowjetunion betrieben wird. "Wer heute den Gedenktag an das Ende der NS-Herrschatz nutzt, um 1989 als eigentliche Zeitpunkt der Befreiung herauszustellen, wie es die im Europäischen Parlament verabschiedete Resolution macht, banalisiert das nationalsozialistische Terrorregime, verunglimpft die Sowjetunion und die von ihrer Bevölkerung und der Roten Armee erbrachten immensen Opfer und leistet dem wachsenden Nationalsozialismus, Rechtsextremismus und der zunehmenden Relativierung der Nazi-Verbrechen in Europa Vorschub." Notwendig sei heute aber ein ganz anderes Signal: Eine eindeutige und klare Verpflichtung, daß Faschismus niemals wieder eine Chance in Europa haben darf. Auch im Entwurf der EU-Verfassung fehle jeder Hinweis auf die Werte und Erfahrungen des antifaschistischen Widerstandes, kritisierte Tobias Pflüger. Er rief zum Protest gegen die Annahme des EU-Verfassungsentwurfs auf, der eine Verpflichtung zur Aufrüstung enthält und Militarisierung und Neoliberalismus in Verfassungsrang erhebt.

Keine Blumen für Gestapo-Opfer
Der anschließende (wegen des Wetters gekürzte) Demonstrationszug führte zu zwei historischen Orten in Stuttgart, die auf besondere Weise die Brutalität der faschistischen Herrschaft und gleichzeitig die Dimension des Widerstands dagegen markieren. Zur ehemaligen GestapoZentrale, in der Tausende Antifaschisten verhört und gefoltert wurden und zum Abschluss zum Landgericht Stuttgart, dessen der Nazi-Justiz als Hinrichtungsstätte diente, der Hunderte regimegegener, darunter viele Deserteure zum Opfer vielen.
Ausgerechnet vor dem ehemaligen Gebäude der GestaPo brachte sich auch die heutige Stuttgarter Polizei wieder in Erinnerung. Ohne einen Grund zu nennen verhinderte sie, dass die angemeldete Zwischenkundgebung unmittelbar vor dem historischen Gebäude stattfinden und Blumen niedergelegt werden konnten. Dort gibt es - anders als beim Landgericht auch bis heute keine öffentlich zugängliche Gedenktafel. Ob das daran liegt, dass dort heute Abteilungen des Innenministeriums untergebracht sind, die nur ungern an die Vergangenheit erinnert werden wollen?

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