VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 01.02.2005
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 1 / Januar 2005



Bemerkungen zur Kopftuchdebatte:

Wider die Islamophobie !!

von Gerhard Dürr

"Zunehmend scheinen Antisemitismus und Islamophobie zwei Seiten jener Medaille zu sein, in die stereotypes Handeln und neues Unverständnis mit großen Lettern eingraviert sind.

Es gibt keine rational nachvollziehbare Erklärung für die aktuelle Hysterie, die gezielt und ohne Rücksicht auf Verluste gegen Muslima und Muslime aller Länder, Sprachen, kultureller und sozialer Identitäten geschürt wird.
Wer so zündelt riskiert eine Feuersbrunst. Wir wollen das nicht!
Was treibt Mächtige in der Politik, was veranlasst manche Medien zu einer Kampagne, an deren Ende es nur Verlierer geben wird? Was nährt das Zerrbild vom Nachbarn?
Unübersehbar, und das ist u.E. das Grundübel, benachteiligen soziale Verhältnisse die geduldeten wie hier beheimateten Mitglieder der muslimischen Gemeinschaften und jene, die von Außenstehenden dafür gehalten werden. Dumpf und zerstörerisch wird eine IslamFeindschaft hoffähig geredet und der Irrweg in einen Anti-Islamismus geebnet.
Wir erinnern daran, wann und wie aus religiöser und ökonomischer Judenschaft mörderischer Antisemitismus geworden ist. Das macht uns misstrauisch gegen jede selbstgefällige Polemik, die den Islam und mit ihm die gesamte muslimische Gemeinschaft zur verdeckt sprudelnden Quelle jenes brutalen extremistischen Terrors erklärt, der gerade auch gegen unser Volk gerichtet ist. Gegen diesen haben wir uns auch mit Muslimen verbündet.
.....Der Dialog im Neben- und Miteinander setzt wissenden und gespürten Respekt voraus. Es geht nicht um den Islam in Deutschland. Es muss an die Aufklärung angeknüpft werden. Lessing hat durch seinen weisen Nathan ein deutsches Leitbild der Toleranz geschaffen, auf das wir stolz sein können." (aus der Erklärung des "Jüdischer Kulturverein Berlin e.V". vom 19.11.04)
Nehmen wir diesen von Juden verfassten Text ernst und erinnern uns dann noch an die wütenden, heftigen Proteste gegen den Einrichtung einer Moschee in einem alten Fabrikgebäude im Stuttgarter Süden vor einiger Zeit, dann ist offenkundig: Bei der aufgeregten, geradezu hysterischen Islamismusdiskussion in unseren Tagen geht es eigentlich nicht um den Islam, sondern um die oft fremdenfeindliche, ja oft geradezu rassistische Grundhaltung in unserer Gesellschaft bis weit ins sogenannte bürgerliche Milieu hinein. Ich kann dabei die vorher erwähnte Protestversammlung nicht vergessen. Bei dieser öffentlichen Bezirksbeirats-Sitzung im großen Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses war jeder Platz besetzt. Nie seit dem zweiten Weltkrieg habe ich eins solche aufgeregte und aufgewühlte politische Versammlung erlebt, die so stark geprägt war von Fremdenfeindlichkeit, von Feindschaft gegen Muslime, ja eigentlich von Rassismus!

Wer zündelt riskiert eine Feuersbrunst
Damit ist offenkundig und nicht übersehbar: Hier geht es nicht vor allem um einen interreligiösen oder auch interkulturellen Dialog der uns als VVN-BdA nur wenig interessiert! Nein hier geht es um ein bedrängendes gesellschaftspolitisches Problem das wir nicht übersehen dürfen. Wie heißt es in dem von Juden verfassten Text: "Wer so zündelt riskiert eine Feuersbrunst. Wir wollen das nicht!!" In dieser Situation sind gerade wir als VVN-BdA gefordert! Wenn wir unsere Geschichte nicht vergessen , dann müssen wir, so gut wir es können, gegen den in unserer Gesellschaft auch in dieser Form immer wieder neu aufbrechenden Rassismus kämpfen.
Vieles gibt es zu tun! Jeder sollte dort aktiv werden wo er besonders nahe und engagiert ist. Zunächst gilt für alle: Sich laut und vernehmbar zu wehren gegen den in dieser hysterischen Islamismusdiskussion immer wieder aufbrechende Hass gegen Fremde und den immer wieder erkennbaren Rassismus! Notwendig ist eine sachliche, rationale, nüchterne, freimütige Diskussion!

Versachlichung der Kopftuch-Debatte
Gerade auch in der zeitweise heftigen Diskussion über das Kopftuch ist diese Sachlichkeit und Nüchternheit notwendig. So lesen wir in dem Aufruf "kein-berufsverbot" aus Berlin, der von vielen Gewerkschaftlern, Pfarrern, Abgeordneten und Muslimen unterzeichnet wurde: "Jede Frau muß das Recht haben einen Beruf ihrer Wahl auszuüben - unabhängig von ihrer Kleidung und Religionszugehörigkeit. Jede Muslimin muß das Recht haben, selbst zu entscheiden, ob sie das Kopftuch tragen will! Kein Mensch darf wegen seiner Religionszugehörigkeit kriminalisiert werden. Jeder Mensch hat das Recht auf freie und öffentliche Ausübung seiner Religion." (Grundges. Art. 4, 137 und Allg. Erkl. d. Menschenrechte, Art. 18).
"Nur die Musliminnen selber können eine authentische Antwort geben auf die Frage, warum sie das Kopftuch tragen. Deutlich hören wir: Das Kopftuch ist kein politisches Symbol! Das Kopftuch ist auch kein religiöses Symbol, sondern ganz einfach eine Kleidungsvorschrift der Religion, die im Koran und in Aussprüchen des Propheten festgehalten ist. Ob eine Frau dieses Gebot erfüllt oder nicht, ist ihr überlassen. Diese Entscheidung betrifft ihre religiöse Glaubensüberzeugung und liegt allein in ihrer Verantwortung. Im Islam gibt es keinen Zwang. "Es gibt keinen Zwang im Glauben" (Sure 2 V.256). Auch in der Familie kann also keine Frau oder Mädchen gezwungen werden" (aus Aufruf Christlich-Islamischer Gesellschaften in Süddeutschland vom März 2004).
Der wichtigste Weg zu einem friedlichen und toleranten Miteinander ist aber ohne Zweifel der Dialog zwischen Christen, Muslimen und humanistisch geprägten Menschen. Nur darf es kein "selektiver Dialog" sein, wie bei dem kürzlich in Stuttgart gegründeten "Runden Tisch der Religionen". Entsprechend der Empfehlung des Verfassungsschutzes wurden hier große Teile der Stuttgarter Muslime nicht einbezogen. Natürlich kann dieser Dialog nur in einer Atmosphäre gegenseitiger Achtung und des informierten Respekts gelingen!
Als Vorstandsmitglied der CIBZ Stuttgart (Gesellschaft für Christlich-Islamische Begegnung und Zusammenarbeit) erlebe ich seit gut fünf Jahren einen solchen freimütigen und offenen Dialog in den verschiedensten Kirchengemeinden und Moschee-Vereinen, von DTIB (untersteht der türkischen Religionsbehörde) bis Milli-Görös (im Verfassungsschutzbericht erwähnt). In diesen vielen Gesprächen mit Muslimen war es immer wieder eindrücklich, manchmal geradezu bewegend, wie bei den theologischen und religiösen Gesprächen Vertrauen entsteht und das gegenseitige Verständnis wächst. Noch an vieles wäre zu denken z.B. an die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache. Alle Vorbereitungen sind getroffen. Es fehlt in unserem Land nur der politische Wille wirklich anzufangen
Zum Schluß noch ein paar Sätze aus der Pressekonferenz der Muslime nach der Kopftuchentscheidung im Landtag. Riad Ghalaini, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Baden-Württemberg sagte: "Im Landtag fragte ein Journalist meine Frau nach der Verabschiedung des Gesetzes, was sie empfinde. Sie sagte: "Dies ist ein schwarzer Tag für Gerechtigkeit und für die Menschenwürde." Trotzdem bin ich zuversichtlich, daß diese Diskriminierung, diese Intoleranz und diese Ausgrenzung, für ein Zusammenleben in Gleichheit, gegenseitiger Achtung und Freundschaft Platz machen wird. Denn nur ein solches Leben ist lebenswert".
Das ist auch eine Aufgabe für uns als VVN-BdA!

VVN-Logo http://www.vvn.telebus.de © 2005 J. Kaiser