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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 4 / Oktober 2004



Der aufhaltsame Aufstieg der neofaschistischen NPD:

Statt Verbot: Einzug ins Parlament

von Elke Günther

Als NPD-Parteichef Udo Voigt die für seine Betreiber blamable Einstellung des Verbotsverfahrens gegen seine Partei als "Sieg für ein besseres Deutschland" feierte und ankündigte, im Jahr 2004 strebe die NPD die Rückkehr in die Landesparlamente an, hielten dies nicht nur bürgerliche Kommentatoren für großsprecherische Kraftmeierei.

Daß der NPD mit 9,2 Prozent der Wählerstimmen (die SPD kam auf 9,8 Prozent) der Einzug in den Sächsischen Landtag gelingen würde, schien noch vor wenigen Monaten äußerst unwahrscheinlich. Voigt stand einer in sich zerstrittenen und gespaltenen Partei vor, deren Führungskader zu einem nicht unbeträchtlichen Teil Nebeneinkünfte vom so genannten Verfassungsschutz bezogen. Ende 2003 umfasste die Mitgliederkartei der Neonazipartei, die während des NPD-Verbotsverfahrens noch einmal 1500 Mitglieder einbüßte, gerade noch 5000 braune Kameraden. Im Bundesland Sachsen, das die NPD-Führung zum Schwerpunktgebiet erklärt hatte, war es der Partei trotz drohendem Verbot jedoch gelungen, dauerhafte und stabile Strukturen aufzubauen. Die NPD versteht sich als "Speerspitze" einer "nationalen außerparlamentarischen Opposition" (NAPO). Dieses Konzept einer neofaschistischen "Bewegungspartei" knüpft direkt an das historische Vorbild NSDAP an. In der sächsischen Schweiz wurden so genannte befreite Zonen" geschaffen. Was darunter zu verstehen ist, erklärt ein bereits Anfang der 90er Jahre veröffentlichtes Strategiepapier der NPD-Studentenorganisation Nationaldemokratischer Hochschulbund: "Wir müssen Feiräume schaffen, in denen wir faktisch die Macht ausüben, in denen wir sanktionsfähig sind, d. h. wir bestrafen Abweichler und Feinde, wir unterstützen Kampfgefährtinnen und Gefährten.... Wir sind drinnen, der Staat bleibt draußen".

Doppelstrategie: Terror und Babysitting
In solchen von NPD und Nazi-Sympathisanten kontrollierten rechtsfreien Räumen herrschen Repression und Gewalt gegen Andersdenkende, AusländerInnen oder nicht deutsch aussehende Menschen. Kein linker oder auch einfach nur nicht rechter Jugendlicher, kein junger Nichtdeutscher kann die örtliche Diskothek oder den Jugendclub besuchen ohne Anmache und körperliche Auseinandersetzungen befürchten zu müssen. Der NPD-Vorsitzende Udo Voigt bezeichnet die Schaffung solcher "befreiter Zonen" Räume als ´Teil des strategischen Konzepts des Kampfs um die Köpfe, der wiederum Voraussetzung für den Kampf um die Parlamente" sei. In den "befreiten Zonen" sollen die braune Kameraden und Sympathisanten bei Bedarf aber auch den netten Nazi von nebenan geben: So müsse man der ortsansässigen Bevölkerung hilfsbereit gegenüber treten treten. Z.B. alten Leuten beim Ausfüllen von Formularen helfen.... Babysitter bei arbeitenden Ehepaaren oder allein stehenden Müttern spielen... Die Straßen sauber und durch regelmäßige Nachtpatroullien sicher halten. Der Kampf um die Parlamente erfordere, "mit Persönlichkeiten Gesicht zeigen, die uns repräsentieren und für die Bürger wählbar sind und eine Identifikation mit uns erlauben... Das nationale politische Fundament muss in den Kommunen aufgebaut werden. In der Gemeinde muss man die Vertreter deutscher Bürgerinteressen persönlich kennen", gab Udo Voigt die Marschrichtung aus.

Nazis punkten bei Jung- und Erstwählern
Ein Überraschungserfolg gelang der NPD bei den Landtagswahlen im Saarland. Mit 4 Prozent verfehlte sie den Einzug in den Landtag nur knapp. Und das, obwohl die Partei an der Saar im Unterschied zu Sachsen nur über eine schwache Basis verfügt. Bei den gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen konnte die NPD im Saarland sogar überdurchschnittliche 9 Prozent einfahren. Die größten Erfolge erzielte sie bei jungen WählerInnen. So stimmten bei den sächsischen Landtagswahlen 20% der unter 30-jährigen Männer für die NPD. Bei den Erstwählern wurde die NPD darüber hinaus gar zweitstärkste Partei. In Brandenburg gelang der DVU mit 6,1 Prozent (1999: 5,3%) der Wiedereinzug ins Landesparlament.
Die Ursachen für diese Wahlerfolge sind altbekannt: Sie liegen im Fehlen von Zukunftsperspektiven durch hohe Arbeitslosigkeit und die damit zusammenhängende Angst vor dem völligen Abstieg ins gesellschaftliche Abseits. Aus Zukunftsangst erwächst Resignation und Hilflosigkeit, zumal die Situation ausweglos erscheint.: Medien und der geballte "Sachverstand" so genannter Wirtschaftsexperten, Professoren, Unternehmerfunktionären, Großschriftsteller wie Günter Grass, Prominente aller Sorten hämmern Fernsehkonsumenten auf allen Kanälen die ewig gleichen Unwahrheiten ein: Wir alle müssen den Gürtel enger schnallen, mehr arbeiten, Lohnabschläge akzeptieren, damit die deutsche Wirtschaft "wieder Tritt faßt", der "Standort Deutschland" wieder attraktiv wird. Die gebetsmühlenhaft vorgetragene Botschaft lautet: Es gibt keine Alternative zum Sozialabbau. Wo aber der Irrationalismus das Denken dominiert, können Neonazis ansetzen.

Die "braune Volksfront"
Möglich wurden die Wahlerfolge auch durch eine veränderte Strategie im Neonazi-Lager: Statt stimmensplittender Konkurrenzkandidaturen hatten sich die Parteiführungen auf Wahlabsprachen geeinigt. So trat die DVU nur in Brandenburg und die NPD nur in Sachsen zur Landtagswahl an. Bei den Kommunalwahlen verbandelten sich Neofaschisten von NPD, DVU, REP und so genannte freien Kräften zur gemeinsamen Liste. "Kameradschaftsführer Thomas Wulff (Hamburg) betätigte sich als Wahlhelfer für die NPD und rief seine Schlägerkumpane zur Stimmabgabe für die NPD auf. Auch REP-Gründer SS-Schönhuber spendete der NPD seinen Segen. Obwohl selbst nicht NPD-Anhänger, wie er betonte, bescheinigte er den "mir bekannten Spitzenleuten der Partei - hier vor allem Udo Voigt, Holger Apfel und dem Chef des saarländischen Landesverbandes Peter Marx -, "realitätsbezogen" zu agieren und "bei aller Prinzipientreue den Sinn für das jeweils Machbare nicht aus den Augen zu verlieren."
An diesem wahltaktisch begründeten Zusammenrücken bisher zerstrittener Neonaziparteien und Gruppen, soll auch zukünftig festgehalten werden. NPD und DVU bereiten eine gemeinsame Wahlstrategie für im kommenden Frühjahr stattfindende Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen vor. 2006 will die braune Union aus DVU und NPD in den Reichstag einziehen. Udo Voigt und der DVU-Vorsitzende und Mehrfachmillionär Gerhard Frey streben eine "Volksfront von rechts" an, in der auch berüchtigte Nazi-Schläger und "Kameradschaftsführer" wie Thorsten Heise (früher Niedersachsen, heute Thüringen) und Thomas Wulff nebst Anhang Platz finden sollen. Heise und Wulff sind inzwischen in die NPD eingetreten. Für mindestens einen von ihnen ist ein Parteivorstandsposten reserviert.

Wahlhelfer Abrissbirne
Doch jenseits solcher Hilfe unter braunen Brüdern: die wichtigste und entscheidende Wahlkampfunterstützung leistete das von einer (Beinahe)-Allparteienkoalition auf den Weg gebrachte Abbruchprogramm sozialer Leistungen, das für Millionen Menschen den Abstieg in die Armut bringen wird. "Wir sollten den Schöpfern dieser 'Reformen' dankbar dafür sein, dass sie es volkstreuen Parteinen nun leichter machen, den Bürgern zu erklären, dass die Politik auf der ganzen Linien versagt hat", freute sich der NPD-Vorsitzende in einem Ende August in der "Nationalzeitung" erschienen Interview. Der NPD gelang es mehr noch als der DVU demagogisch geschickt an die Ängste vieler Menschen vor dem Abstieg ins soziale Aus anzuknüpfen und sich als Alternative darzustellen: "Die Ausbeutung der sozial Schwachen durch die Herrschenden findet in der BRD kein Ende. Weil die Regierenden nicht fähig sind, neue Arbeitsplätze zu schaffen, nehmen sie nun denen das letzte Geld aus der Tasche, die bereits arbeitslos oder Sozialhilfeempfänger sind. ...
Was hier auf den allerersten Blick diffus "antikapitalistisch" daherkommt, geht als das bekannte kackbraune Einerlei weiter: "Lassen Sie sich die Politik von Sozialabbau, Rentenklau und Multikulti nicht länger gefallen...", hieß es in einem zur Landtagswahl in Sachsen verbreiteten Flugblatt. "Deutsches Geld für deutsche Ausgaben", "Schließung der Grenzen für Lohndrückerei durch ausländische Billiglohnarbeiter", "Jeder beschäftigte Ausländer, der zurück in seine Heimat geht, macht einen Arbeitsplatz für Deutsche frei. Jeder ausländische Sozialhilfeempfänger, der nach Hause geht, liegt unserem Sozialversicherungssystem nicht mehr auf der Tasche. ... Kindergeld und Sozialleistungen nur für Deutsche....Stopp von Kindergeldzahlungen an ausländische Familien....
NPD und DVU drücken mit solchen rassistischen Dumpftönen genau das aus, was viele Menschen hierzulande (aber auch anderswo) denken. Die ideologische Vor- und Zuarbeit dafür wurde von vielen geleistet: Von PolitikerInnen demokratischer Parteien, die MigrantInnen und Asylsuchende als "Schmarotzer", "Kriminelle" diffamieren und neofaschistische Pogrome gegen MigrantInnen mit der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl beantworteten und die braunen Mordbrenner damit auch noch bestätigten; von Gerichten, die neofaschistische Hetztiraden als "missliebige Meinungsäußerungen" verharmlosen und Nazi-Aufmärschen höchstrichterliche Weihen erteilen und protestierende Antifaschisten kriminalisieren; von Historikern, Journalisten, Politikern, die die Faschismus verharmlosende Totalitarismustheorie predigen und Antifaschisten in ebenso grotesker wie absichtsvoller Tatsachenverkennung mit Nazis gleichsetzen... Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.
Ein bekanntes Meinungsforschungsinstitut bescheinigte vor kurzem 15 % der deutschen Bevölkerung ein "abgeschlossen rechtsextremistisches Weltbild". Diese Zahl ist erschreckend, aber keineswegs neu: Bereits 1981 ermittelte das Münchner Sinus-Institut bei 5,5 Millionen Deutschen bzw. 13% der Bevölkerung ein ideologisch völlig abgeschlossenes rechtsextremes Weltbild. Das ist das Reservoir, aus dem Neofaschisten schöpfen können. Ob ihnen dies gelingt, hängt von den politischen Gegenkräften ab.

Unternehmer haben keine Angst vor Nazis
Während sich Expertenrunden und PolitikerInnen in Betroffenheitsritualen über den Wahlerfolg der Neonazis üben und dabei vor infamen Schuldzuweisungen an PDS und Montagsdemonstranten, die mit ihren Protesten den Erfolg der Nazis mit verursacht und so den Rückzug von "Investoren" bewirkt hätten, nicht zurückschrecken, gibt der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Rogowski, zumindest was die Sorge vor dem Fernbleiben von "Investoren" anbelangt, Entwarnung: Er glaube nicht, daß es Investoren nicht mehr in den Osten zieht, "nur weil NPD und DVU in den Landtagesparlamenten sitzen" erklärte der Unternehmerchef in der Chemnitzer "Freien Presse". Dagegen warnte er nachdrücklich vor einer Regierungsbeteiligung der PDS in Brandenburg: "Das wäre ein völlig falsches Signal an die Investoren". Mecklenburg-Vorpommerns SPD-Ministerpräsident Harald Ringstorff warf Rogowski daraufhin vor, "mit seinen Änsichten nicht auf der Höhe der Zeit" zu sein. Das Gegenteil trifft zu: BDI-Chef Rogowski, dem das Sozialabrißprogramm der Bundesregierung noch längst nicht weit genug geht, ist im Gegenteil voll auf der Höhe der Zeit. Wer Millionen Menschen in die soziale Verelendung schicken will, muß ihnen ein die Machtverhältnisse nicht in Frage stellendes Ventil anbieten. NPD, DVU und anderen Nazis kommt dabei die Funktion zu, die berechtigte Wut der ihrer Lebens und Zukunftschancen beraubten Menschen in Bahnen zu lenken, die für die Herren des großen Kapitals nicht gefährlich werden können. Sollten sie dabei allzu erfolgreich sein, wird man im Unternehmerlager gegebenenfalls über eine Erweiterung des Aufgabenspektrums nachdenken müssen...
"Nach dieser Äußerung Rogowskis muss man wirklich hinterfragen, in den welchem geschichtlichen Kontext Herr Rogowski denkt. Möchte er eine unselige Neuauflage der Allianz von Nationalsozialismus und Wirtschaft?" kommentierte der Gesprächskreis Israel der SPD-Fraktion im Mecklenburg-Vorpommerischen Landtag Rogowski Warnung.


Gutes Zusammenspiel
DVU und NPD haben die von der CDU/CSU-Spitze vorgeschlagene Unterschriftenaktion gegen einen EU-Beitritt der Türkei lauthals begrüßt. Man werde die "von den C-Parteien geplante Unterschriftenaktion gegen den EU-Beitritt unterstützen" ließen die Vorsitzenden der beiden Naziparteien Frey und Voigt in einer gemeinsamen Erklärung verlauten. Ehre wem Ehre gebührt!


"Der Kampf gegen den Neonazismus tritt in eine neue Etappe ein. Das zeigten am vergangenen Samstag Düsseldorf und Frankfurt. In Düsseldorf marschierten Tausende vor der Kongreßhalle auf und blockierten die geplante Kundgebung des von Thadden. (Damals NPD-Vorsitzender E.G.) Dass Mininisterpräsident Kühn aufgefordert hatte, die NPD "unter sich zu lassen" und dass sein Innenminister Weyer persönlich den Polizeischutz für Adolf II. leitete, hielt die Antifaschisten nicht davon ab. Auch DGB und Polizeigewerkschaft stellten sich gegen das NPD-Auftreten." (Aus "Tat" antifaschistischen Wochenzeitung vom August 1969)


Vergleichbare Zustände
Die Situation, die die NPD zwischen 1966 und 1969 in sieben Landesparlamente katapultierte, erinnert in mancher Hinsicht an die heutige. Damals erschütterte die erste spürbare Wirtschaftskrise seit 1949 die Bundesrepublik. Die Arbeitslosenzahl war auf eine bisher nicht dagewesene Größenordnung von 700 000 angeschwollen. Verunsicherung und Angst vor Arbeitsplatzverlust griffen um sich. Eine große Koalition aus SPD und CDU regierte. "Opposition" wurde von der FDP gegeben. Die Union, die sich zuvor an KalterKriegsPolemik gegen die sozialistischen Staaten nicht hatte übertreffen lassen, musste sich, in die Koalition mit der SPD eingebunden, wohl oder übel etwas zurücknehmen, wodurch sie an Integrationskraft an den äußersten rechten Rändern einbüßte. Hier konnte die NPD ansetzen, die 1964 gegründet, bei der Bundestagswahl 1965 bereits 2 Prozent der Wählerstimmen erhielt. Die NPD fuhr ihre Stimmengewinne bei Landtagswahlen mit aggressiver Hetze gegen die etwa 1,3 Millionen Arbeitsmigranten (Gastarbeiter) und die ersten Anzeichen einer vorsichtig sich anbahnden Entspannungspolitik ein.
Etwa ab 1968 setzte eine wirtschaftliche Erholung ein. Entscheidend für den Niedergang der NPD, war die Herausbildung einer zunehmend kraftvoller werdenden linken Bewegung, einer außerparlamentarischen Opposition, die für mehr Demokratie und Emanzipation eintrat, Entspannungspolitik und ein Ende des kalten Krieges forderte . Der APO gelang es schließlich die Meinungsführerschaft zumindest in Teilen der bundesdeutschen Gesellschaft zu erobern. Sie durchstieß die Mauer des Schweigens und der Kumpanei, die faschistischen Mördern ein respektables und komfortables Dasein in der Bundesrepublik ermöglicht hatte. Jenseits der braunen Dunstglocke war die Luft zu dünn geworden für die NPD-Nazis. Den absehbaren Wiederaufstieg einer braunen Bündnispartei wirkungsvoll und mit Perspektive verhindern kann auch heute nur eine breite außerparlamentarische demokratische und antifaschistische Bewegung, die die Zumutungen des von Regierung und Opposition verordneten Verarmungsprogramms entschieden zurückweist, soziale Perspektiven aufzeigt, Handlungsorientierungen bietet. Daran zu arbeiten, muss Aufgabe aller AntifaschistInnen, GewerkschafterInnen und DemokratInnen sein.

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